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Referat Die Kirchen und die Soziale Frage des 19. Jahrhunderts - Der katholische Sozialismus: Ketteler und Leo XIII, Der evangelische Sozialismus: Wichern und Todt

geschichte referate

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Die Kirchen und die Soziale Frage des 19. Jahrhunderts

Der katholische Sozialismus: Ketteler und Leo XIII.


Der katholische Sozialismus steht trotz vieler Gemeinsamkeiten im prinzipiellen Gegensatz zum evangelischen Sozialismus.

In der katholischen Literatur wird häufig gesagt, dass bei der Auseinandersetzung der Kirchen mit dem Sozialismus der Protestantismus versagt habe, und dass der Katholizismus neben anderen namentlich in Ketteler und Leo XIII. zwei Gestalten hervorgebracht habe, die der sozialen Frage der Zeit gewachsen waren. Man hat Anfang dieses Jahrhunderts nachzuweisen versucht, dass Ketteler in seiner Schrift "Die Arbeiterfrage und das Christentum" nicht so sehr neue Wege gegangen, sondern vielmehr innerhalb der katholischen Voraussetzungen steckengeblieben sei, d.h. sie kommt nicht über die karitativen Hilfsmittel hinaus. Dass den Arbeitern nicht nur mit Almosen und mit Wohlfahrtseinrichtungen geholfen werden  kann, wird auf katholischer Seite kaum anerkannt. Das Allheilmittel der Katholiken war und blieb schließlich in den "Gnadenschätzen der katholischen Kirche" gegeben. Ihre Wohlfahrtseinrichtungen sowie die christlichen Vereine waren Mittel, die dem Arbeiter die notwendige Hilfe geben sollte. Der politische Hintergrund der Ausführungen Kettelers ist ein mit den der Sozialdemokratie (Lassalle) entnommenen Schlagworten wie "ehernes Lohngesetz", "Sklavenmarkt unseres liberalen Europas" geführter Kampf gegen den weltanschaulichen und wirtschaftlichen Liberalismus. Kettelers Reden über "Liberalismus, Sozialismus und Christentum" waren ganz auf den Kampf gegen den "unechten Liberalismus und gegen dessen echten Sohn, den Sozialismus" eingestellt. Er verlangte staatliche Hilfe für den Arbeiterstand und soziale Gesetzgebung bezüglich der Frauen- und Kinderarbeit. Als er älter war, war er als Reichstagsabgeordneter an sozialpolitischen Gesetzgebungen beteiligt, mit "großem Ernst der Meinung, aber ohne wirkliche Beherrschung der Fragen." (Fritz Vigener) In seinen letzten Schriften ging der Bischof von der früheren Betonung des alleinigen sozialpolitischen Berufs der Kirche zur Forderung der Mitarbeit des Staates über.

Adolf Kolpings (1813-1865) Ideen hatte Ketteler, wie er selbst sagt, vom kirchlichen auf den katholisch - sozialen Boden geschoben. Nicht religiöse Genossenschaften, wie sie Kolping vorschwebten, sondern wirtschaftlich - soziale Standesvereine auf katholischer Grundlage forderte Ketteler.

Kolping war schon Schumachergeselle, als er sich zum Priesterberuf entschloss. 1847 wurde er Präses eines von einem Lehrer gegründeten Jünglingvereins. 1849 gründete Kolping in Köln einen katholischen Gesellenverein, der Ausgangspunkt einer katholischen Gesellenvereinsbewegung wurde. 1855 hatte man 104 Vereine mit 12.000 Mitgliedern, als Kolping zehn Jahre später starb, gab es 420 Vereine mit 60.000 Mitgliedern.

Kolpings Wahlspruch zu seinen Stammesvereinen gibt am besten die Charakterisierung der Vereine wieder: Religion und Tugend, Arbeitsamkeit und Fleiß, Eintracht und Liebe, Frohsinn und Scherz. Die Schwerpunkte der Vereinsarbeit lagen in den Problemkreisen Religion, Familie und Beruf. Es ging um die Erziehung religiöser Gesellen und Meister, die gewillt waren, Verantwortung in Kirche und Gesellschaft zu übernehmen.

Zitat:

"Was dem jungen Handwerker fehlt, ist ein kräftiger moralischer Halt im Leben, eine freundlich zurechtweisende Hand, eine, wenn auch von weitem um ihn wandelnde, liebende Sorge, die sein Vertrauen verdient. Jeder fühlt sich aber recht behaglich unter seinesgleichen. Den genannten moralischen Halt müsste man ihm eben bei und mit seinen Genossen geben können."

Die Bedeutung von Papst Leo XIII, in der Geschichte des Christlichen Sozialismus besteht darin, dass er die umwälzende Wirkung der "neuen Dinge" erkannte, auf die er schon im Briefwechsel mit Wilhelm II. 1890 hinwies, und die er in gründlicher Vorarbeit studieren ließ, ehe er sie in der Folge zum Gegenstand eines großen und weltbekannten Lehrschreibens gemacht hat. Die Encyclica Rerum Novarum schlug so wenig wie die Schrift Kettelers ('Die Arbeiterfrage und das Christentum') neue Wege ein. Auch sie traf nicht den Kernpunkt, dass den Arbeitern nicht mit Almosen, sondern mit einem neuen Arbeitsrecht und neuen Arbeitsbedingungen zu helfen sei. Der Staat, Gesellschaft und Welt, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Arbeiterfürsorge und Arbeiterselbsthilfe sollten unter der Führung der Kirche zusammenwirken, um nicht nur mit sittlichen und religiösen Erneuerungen, sondern auch mit allen natürlichen Kräften die soziale Frage zu lösen. Eine bedeutende Rolle hierbei spielt die sogenannte katholische Harmonie, die Ausgleichung der Gegensätze, die unter der Leitung der Kirche hergestellt werden soll. Der Grund der ruhelosen Neuerungssucht, die sich vom politischen Gebiet auf das soziale Gebiet geworfen hatte, sah Leo XIII. im Aufschwung der Industrie und die Vervollkommnung der technischen Hilfsmittel und die Vereinigung des Reichtums in den Händen weniger, wodurch die Massen unzufrieden werden, und bei einem wachsenden Selbstgefühl sich zusammenschließen, um den Kampf zwischen Kapital und Arbeit (res et opera) zu eröffnen. Die berufene Autorität, diesen Streit zu schlichten, ist die katholische Kirche. Sie belehrt die Sozialisten über die natürliche Ungleichheit der Menschen, denen als Buße für den Sündenfall die Arbeit auferlegt wurde. 

Der evangelische Sozialismus: Wichern und Todt

Die Innere Mission Wicherns, ein von ihm gegründeter, mannigfach gegliederter, großer freiwilliger Hilfsverein von Männern und Frauen erkannte zuerst die Notstände des Proletariats mit den Augen christlicher Liebe, bevor sie agitatorisch ausgebeutet wurde. Für Wichern war das aber nur ein Anlaß zu organisatorischer Tätigkeit in freien christlichen Vereinen. Er war Sozialist, kein Politiker, er war Seelsorger und Erzieher, kein Sozialer Denker, sondern ein Begeisterer, der später Kolping und Ketteler beeinflußte. Er sah die Wurzel des Notstandes auf beiden Seiten: bei den Ausgebeuteten und bei den Ausbeutern, und bei der Sünde.

Wichern wurde 1808 als ältestes Kind von sieben Geschwistern in Hamburg geboren. Seine Vorfahren stammten aus kleinbürgerlichen Kreisen, die zum Teil schon eine proletarische Existenz führten. Sein Vater hatte sich vom Kontorschreiber zum kaiserlichen Notar und Übersetzer hochgearbeitet. Als er 1823 starb, bedeutete das für Wichern, sich seinen Lebensunterhalt und den der Familie durch Nachilfestunden zu verdienen. Er ging als Primaner von der Schule ab und arbeitete zwei Jahre als Hilfslehrer und Erzieher. Die starke Beanspruchung dieses Berufs führten zu Kopfschmerzen, die ihn nur selten verließen. 1828 bis 1831 studierte er Theologie in  Göttingen und Berlin, während dieser Zeit wird er schon mit Gefangenenfürsorgebestrebungen bekannt. Nach seinem Examen 1832 in Hamburg trat er in die Sonntagsschularbeit ein. Als Oberlehrer an der Sonntagsschule St. Georg, einer proletarischen Vorstadt von Hamburg, lernte er das Elend der unteren Schichten kennen, besonders das der verwahrlosten Kinder.

Aus diesen Eindrücken heraus entsteht bei Wichern der Gedanke zu einem Rettungshaus, unterstütze von Hamburgern Senatoren gründet er 1833 das "Rauhe Haus", ein kleines, strohgedecktes Gebäude, das der Grundstock zu einem großen Gebäudekomplex werden sollte. Das Rauhe Haus vergrößerte sich von Jahr zu Jahr, trotz anfänglicher Schwierigkeiten erfreute es sich einem immer größer werdenden Ansehen im In- und Ausland. Im ganzen Land bildeten sich Freundeskreise, die die Innere Mission entweder durch Spenden unterstützten oder selbst Rettungshäuser dieser Art gründeten.

Das Erziehungsziel Wicherns waren freie, christliche Persönlichkeiten, die Frohsinn und christliche Zucht zu vereinen wissen und lebendige Glieder in Staat und Kirche sind.

Zitate Wicherns zur Inneren Mission und zur sozialen Frage:

"Kein innerer oder äußerer Notstand, dessen Hebung Aufgabe christlich-rettender Liebe sein kann, ist der Inneren Mission fremd, und die reichlichste Fülle der Hilfe steht ihr zu Gebot."

"Die Familie, der Staat und die Kirche mit den ihr wesentlich eingeborenen Amtern sind die drei Zentren, um die sich alle derartige Tätigkeit sammelt. Alle drei gelten der Inneren Mission unbedingt als göttliche, lebendig ineinander wirkende Stiftungen, welche von ihr heilig gehalten werden und von denen sie sich einordnet, um denselben zur Erreichung der höchsten Zwecke zu dienen; []"

"Die Familie ist hier genannt als der eigentliche Ausgangspunkt, um den es sich bei den sogenannten sozialen Fragen handelt Die christliche Wiederherstellung der Familien und Hausstände in jeder Beziehung und Erziehung  und die Erneuerung und Wiedergeburt aller damit unmittelbar zu verknüpfenden Verhältnisse der Erziehung, des Eigentums, der Arbeit und der durch sie bedingten Stände wird eine der Hauptaufgaben der Inneren Mission sein."

"Die Innere Mission will dem Staat in Freiheit dienen, wo und wann er in seinem Gebiete auf diese Erweisungen christlicher Barmherzigkeit, Weisheit und Kraft Ansprüche macht."

1853 beauftragte der preußische König Wichern, alle Gefängnisse der Monarchie aufzusuchen, die Zustände darin zu prüfen und zur Abhilfe der vorhandenen Übelstände Vorschläge zu machen. Wicherns Gefängnisreformen wurden jedoch nur teilweise durchgesetzt. Sie scheiterten größtenteils an der Bürokratie.

Wichern war ein gläubiger Optimist, der Inneren Mission traute er die Kraft zu, das von der offiziellen Kirche entfremdete Volk wieder für das Christentum zu gewinnen. Das Werk Wicherns wurzelt in dem idealen Glauben, dass die geistigen und geistlichen Kräfte am sichersten Hilfe bringen, er hatte dabei eine deutliche Vorahnung von dem durch die industrielle Entwicklung herbeigeführten Anwachsen des Proletariats und man kann ihn einen naiven christlichen Sozialisten nennen, dem der Gedanke, auf die Gesetzgebung einzuwirken, gänzlich fern war.

Als Urheber des christlichen Sozialismus auf ev. Seite gelten Pfarrer Rudolf Todt (1838 - 1887) und Adolf Stoecker (1835 - 1909).

Beide strengten die Aufrüttelung des Gewissens der gläubigen evangelischen Christenheit zu sozialer Arbeit im Anschluß an die ev. Monarchie an, sie wollten beide die radikale Behauptung widerlegen, dass allein die Sozialdemokratie den Arbeitern helfen kann. Die Sozialreform muß vom monarchischem Staat unter Mitarbeit der evangelischen Kirche geleistet werden, durch Weckung des sozialen Verantwortungsbewusstseins und der Liebesgesinnung in jedem einzelnen Christen.

1877 schrieb Todt das Buch: "Der radikale deutsche Sozialismus und die christliche Gesellschaft", Seine Intention: Die Darstellung des sozialen Gehalts des Christentums und der sozialen Aufgabe der christlichen Gesellschaft auf Grund einer Untersuchung des Neuen Testaments. Todt wollte zeigen, dass gerade das Neue Testament die Ideen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verkündet. Es läßt jede Form des Eigentums gelten, Privat- und Gesamteigentum; es erkennt die Genossenschaft an und ist im Prinzip auch für den Genossenschaftsstaat. Keine der sozialistischen Forderungen widersprechen dem Evangelium, der Staat, selbst wenn er nicht christlich sein will, sondern nur human, kann sich nicht von diesen Forderungen emanzipieren. Fast alle Anklagen der Sozialdemokratie gegen die Gesellschaftsordnung sind berechtigt, außer dem Atheismus widerspricht kein einziger ihrer Grundgedanken dem Evangelium.

Jeder Christ muß Sozialist sein, aber kein Sozialdemokrat. Die Bibel löst alle Rätsel des Lebens.

Gründung des "Zentralvereins für Sozialreform auf religiöser und konstitutionell-monarchischer Grundlage" 1877: Zusammenschluss von Todt und Stoecker und den Nationalökonomen Adolf Wagner und Rudolf Meyer. (Der Staatssozialist)

Stoecker kam 1874 als Hofprediger nach Berlin, zu einer Zeit, als der Zivilstand eingeführt war, in den, wie er in einem Vortrag selbst sagte, völligen Bankrott unserer Staatskirche: Nur 19% der Ehen ließen sich einsegnen, 50% der Geborenen blieb ungetauft. Dafür gab es drei Ursachen: die Milliarden der Gründerzeit, den Kulturkampf und den sozialdemokratischen Umsturz. Dagegen wollte Stoecker vorgehen. Er war sehr wenig beschäftigt, begann deshalb mit der Einzelseelsorge mehrere Stunden täglich von Haus zu Haus. Unter seiner Leitung wurde die Neue Evangelische Kirchenzeitung zur Deutsch-Evangelischen Kirchenzeitung, er war Leiter der Berliner Stadtmission und an mehreren Parteigründungen beteiligt. Als selbständiger Mann war er aber von einer Zusammenarbeit mit anderen nicht begeistert, und so gründete er 1878 die Christlich-Soziale Arbeiterpartei, die unter dem Grundgedanken stand, dass das Evangelium die größte soziale Macht ist, die je auf Erden gewirkt hat. Bei der Parteigründung im "Eiskeller" an der Chausseestraße versuchte der Reichstagsabgeordnete Johannes Most (Vertreter des radikalsten Flügels der sozialdemokratischen Partei, später Anarchist und zuletzt in Amerika Schauspieler), die versammelten Arbeiter gegen Stoecker aufzuwiegeln:

"Es ist zu Bezweifeln, ob in den Kreisen, in welchen sich der Herr Hofprediger bewegt, Verständnis für die Not des Volkes vorhanden ist. Selbst wenn das gesamte Pfaffentum die Sonne verfinstern und wie ein Heuschreckenschwarm heranstürmen sollte, so würden sich die sozialdemokratischen Arbeiter nicht von ihren Wegen und Zielen abbringen lassen. Die Tage des Christentums sind gezählt. Macht Eure Rechnung mit Eurem Himmel, Pfaffen, Eure Uhr ist abgelaufen."

Es waren keine neuen Gedanken, die Stoecker vorbrachte, Naumann nannte ihn einen Herold fertiger Wahrheiten und Paul Göhre sagte, dass er seinen ganzen Anlagen nach Praktiker, nicht Theoretiker, ein Mann der Tat war. Ein Zauber des Außergewöhnlichen und Imposanten wob sich um [] ihn, der in gewaltigen Redeschlachten [] das Rednerpult zur Kanzel machte, [], der Evangelium und Sozialismus zusammenbrachte []. (H. Hermelink).

Bismarck erwog, Stoeckers Gedanken unter das Sozialistengesetz fallen zu lassen und so zu unterdrücken, Stoecker aber wurde vom alten Kaiser (Wilhelm I.) begünstigt, da er eben nicht auf der Seite der Arbeiter stand. Die Arbeiter in seiner Partei waren nur eine Handvoll bekehrter Renommierarbeiter. Stoecker gehörte nach der Auffassung des Kaisers zu Thron und Altar, am 3. 1. 1881 wurde das Wort "Arbeiter" aus dem Parteinamen gestrichen. 1879 wurde er im Wahlkreis Minden-Ravensberg in das Abgeordnetenhaus gewählt. 1881 im Wahlkreis Siegen in den Reichstag. Die Politik, die in immer neue Beleidigungsprozesse auslief, verdarb aber schließlich das christlich-soziale Evangelium des Hofpredigers, der durch den Anschluss an die Konservative Partei eine Antisemitistische Politik vertrat. 1883 versprach er seinen Austritt aus der Politik. Aber nachdem das Sozialistengesetz 1890 außer Kraft trat, meldete sich Stoecker zurück. Aber nicht nur durch die gewaltigen Versammlungen, die er abhielt, fiel er schliesslich bei dem Kaiser in Misskredit, einen Monat nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes wurde er als Hofprediger, der er ja immer noch geblieben war, entlassen. Der Kaiser schrieb 1896: Stoecker hat geendigt, wie ich es [] vorausgesagt habe. Politische Pastoren sind ein Unding, wer Christ ist, ist auch sozial; christlich-sozial ist Unsinn [].

Stoeckers Erbe sind die Stadtmissionen, die sich nach dem Berliner Beispiel in verschiedenen deutschen Großstädten gründeten. Unter geistlicher Oberleitung wurden soziale Aufgaben erledigt, wie z.B. die Armenpflege, Fürsorge für entlassene Gefangene etc.  

Quellen:

"Das Christentum in der Menschheitsgeschichte" Band II & III    von Heinrich Hermelink,

"Die soziale Frage des 19. Jahrhunderts"                            von Günter Brakelmann



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