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Geschichte des Grammatikunterrichts
1. 18.-19. Jhdt.: Sprachlehre als Denkschulung
Die Diskussion um den Grammatikunterricht begann Ende des 18. Jahrhunderts, als es damals zu einem verstärkten Bedürfnis nach muttersprachlichen Unterricht kam. Man denke nur an die damalige politische Situation in Deutschland und Europa - 1789 die französische Revolution, später die Eroberungskriege Napoleons, bis es schließlich 1815 zur Neuordnung Europas durch den Wiener Kongreß kam. Hier wurde nun verstärkt auf muttersprachlichen Unterricht Wert gelegt, so daß im Laufe des 19. Jahrhunderts der Grammatikunterricht zum Politikum wird. Dies gipfelt schließlich 1854 in ein Verbot der formalen Grammatik für Volksschulen in Preußen, da Grammatik das kritische Denkvermögen fördere. In den damaligen Realschulen[1] und Gymnasien gab es aber weiterhin Grammatikunterricht. Es gab dort Themen wie: Laut-, Wort- und Formenlehre, Syntax, Stilistik; der Grammatikunterricht war v.a. in den vier unteren Klassen anzutreffen, in Anlehnung an den altsprachlichen Unterricht.
Hier galt die Spracherziehung als stilistische Vorübung. Da schon in den alten Sprachen dem Sprachbau eine logische Strukturierung zuerkannt wurde, wurden die Sprachen, und somit auch die Sprachlehre, als der "beste Spiegel des menschlichen Geistes" (Leibniz, G.W., Studienausgabe III/2, S. 163; zitiert nach Frank, H.J. 1973; aus: Strassner 1977, S. 7) angesehen. Somit war die Sprachlehre auch eine allgemeine Denkschulung.
2. Ende des 19. Jhdt. bis Anfang des 20. Jhdt.: Sprachkunde als Sprachbesinnung
Hier wurde nun der Begriff 'Sprachlehre' durch 'Sprachkunde'[2] ersetzt, da, wie Jakob Grimm in seinen Vorreden zur Deutschen Grammatik postulierte, "die Muttersprache könne nicht gelehrt und nicht gelernt werden. Man müsse in sie hineinwachsen, ihren Geist unbewußt in sich aufnehmen; dann werde man sie auch recht zu gebrauchen wissen." Das Verstehen der deutschen Sprache sollte nun durch die Betrachtung der Formen und Bildungsgesetze der Sprache geschehen. Auch sollte die Grammatik nicht mehr logisch, sondern diachron angelegt werden. So sollte die Sprachkunde zu einer Sprachbesinnung führen. Die gedankenlose Geläufigkeit der Alltagssprache sollte durchschaut und das "Wort beim Wort" (Strassner 1977, S. 8) genommen werden.
Die Praxis unterschied sich damals allerdings sehr von diesen theoretischen Forderungen. In Übereinstimmung mit der Fremdsprachengrammatik blieb auch die Sprachkunde praktisch logisch-deduktiv orientiert, auch die historische Komponente wurde mehr angefügt, als daß sie integriert wurde. Zumindest aber hatte die Sprachkunde ihren Verdienst, Anstöße zu einer Verlebendigung de Sprachbetrachtung gegeben zu haben.
3. Nationalsozialismus: Sprachzucht als Sprachpflege
Sprachzuch meinte zum einen die Erziehung zum zuchtvollen Gebrauch der deutschen Sprache, zum anderen die Züchtung der Sprache durch ihren Gebrauch.
"Die Sprache ist die ureigenste und wesentlichste Schöpfung eines Volkes. Als das konstituive Element für das deutsche Volkstum, seinen Charakter und seine Bewußtseinsstruktur, als Daseins- und Ausdrucksform der deutschen Volksseele sowie als das einigende und vereinigende Band der deutschen Schicksalsgemeinschaft bedarf sie straffster und zuchtvollster Pflege. Erziehung im lautersten Geiste der deutschen Sprache muß oberstes Gesetz und heilige Pflicht sein. Der Sprachunterricht soll zu verständnisvollem Einfühlen in Wesen und Werden der Muttersprache führen, den Sprachsinn, das Sprach- und Stilgefühl vertiefen und verfeinern und Freude an wie Liebe zu ihrem Reichtum, ihrer Kraft und Schönheit wecken." (Krippendorf, K.; aus: Strassner 1977, S. 9)
Das Ziel war die "Aufnordung" der deutschen Sprache sowie die Zurückdrängung fremden Sprachguts. Der nordische Sprachstil war aber gleichzusetzen mit dem des althochdeutschen und altisländischen Schrifttums.
4. Grammatik nach dem zweiten Weltkrieg bis zum Anfang der 70er Jahre: der traditionelle Grammatikunterricht
Nach dem zweiten Weltkrieg kam es zum einen zu einem fachdidaktischen Neubeginn im Deutsch- und Grammatikunterricht, zum anderen gab es eine Rückbesinnung auf die didaktischen Modelle der 20er Jahre. Sprache wurde nun definiert als "ein System von klanggetragenen Zeichen, die sich gegenseitig bestimmen und begrenzen und mit deren Hilfe die Menschen sich verständigen, durch die sie vital und geistig aufeinander wirken können." (Erlinger 1988, S. 11). Somit ist die Sprache ein zentrales Stück des menschlichen Verhaltens und Handelns, sie schafft den Kontakt sowie das Verstehen zwischen den Menschen durch den Aufbau eines überpersönlichen, vitalen und geistigen Ordnungssystems und begründet somit eine gemeinsame seelisch-geistige Welt.
Der Unterricht über die deutsche Sprache wurde ersetzt durch einen Unterricht zur muttersprachlichen Erziehung. Die Konzeption dazu stammt von Leo Weisgerber. Sein didaktischer Ansatz umfaßte "4 Hauptwege": sprachliches Wachsen, Können, Wissen und Wollen. Damit sollte der Schüler zum eigenverantwortlichen Handeln im Bereich der Sprache erzogen werden. Dabei steht das sprachliche Wissen im Vordergrund, durch das sprachliche Wissen wird dann ein Einfluß auf das sprachliche Wachsen, Können und Wollen ausgeübt.
Die Volksschule ist hierbei die Muttersprachschule. Hier wird die Sprachkraft sowie das Sprachgefühl und das Sprachverständnis des Kindes entfaltet. Sie öffnet ihm den Zugang zu der in Sprache und Dichtung geformten Geistes- und Gemütswelt und befähigt es, am geistigen Leben des Volkes teilzunehmen. In den höheren Schulen kommt es dann mehr auf inhaltliche Erscheinungen an, welche dem Besprechen der Einzelerscheinungen vorausgeht.
Sprache steht im Dienst der Persönlichkeitsbildung. Somit ist Sprachbildung auch Menschenbildung, der Sprachunterricht eine ethische Aufgabe des Deutschlehrers.
Ein weiterer Vertreter dieses didaktischen Konzeptes ist Robert Ulshöfer. Für ihn sit die Sprache eine geistige Zwischenwelt, die der Geist zwischen sich und die Gegenstände setzt. Er meint, man solle im "geistweckenden Charakter unserer Sprache das geistige Grundprinzip unseres menschlichen Daseins sehen". (Erlinger 1988, S. 20) "Vor dem sprachunmündigen Menschen liegt die objektive Welt verhüllt", d.h. der Weg zur Sprachmündigkeit führt nur über die Aufdeckung sprachlicher Ordnungen.
Die Aufgaben des Deutschunterrichts sind daher: den jungen Menschen in seiner Muttersprache zu bilden, ihn in die Welt einzuführen, ihn Anleitungen zu verständigem und sachgemäßem Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben sowie ihm Einblick in die Kräfte und Leistungen der deutschen Sprache zu geben. Somit sind die Aufgaben des deutschen Sprachunterrichts Grammatik und Wortkunde.
Erika Essen sieht den Sinn des Deutschunterrichts in der Kräftigung und Bildung des sprechenden Menschen durch seine Sprache. Der Deutschlehrer soll dem jungen Menschen Selbstverwirklichung und Weltbewältigung durch Sprachbildung ermöglichen. Die Punkte, auf die es dabei ankommt, sind:
Menschliche Lebenszusammenhänge bilden sich als Gesprächsgeflechte, sie bewirken stetige Verbindung;
alle Kräfte wirken im Gleichmaß harmonisch zusammen;
Interessengegensätze sind ausgleichbar;
provoziert wird die Vorstellung eines stetigen Wechsels von Spannung und Lösung;
das im Gespräch Richtige wird hypostasiert zum ethisch "Rechten";
jeder einzelne hat in sich die Grundvorstellung der rechten Proportionen von der Welt;
letztlich sind Interessengegensätze vordergründig vor der Perspektive ausgleichender Beziehungen aller zueinander.
Ihr Ziel ist die geistige Durchdringung, Klärung und Ordnung des sprachlichen Verhaltens. Dabei steht im Zentrum der Betrachtung der Satz als Spannungseinheit von Inhalt und Form. Gleichzeitig aber warnt sie davor, gleich nach Satzgliedern oder Wortarten zu fragen, sondern versucht, den Satz bzw. das Satzgefüge in Satzfiguren darzustellen:
einfacher Hauptsatz
der übergeordneten Aussage eingefügt oder nachgestellter Nebensatz
der übergeordneten Aussage vorangestellter Nebensatz
Zuletzt möchte ich noch auf Hermann Helmers, einen weiteren Vertreter des traditionellen Grammatikunterrichts, hinweisen. Für ihn war die gesellschaftliche Kommunikation der Ansatzpunkt. Er unterschied zwischen der funktionalen Sprachlehre, d.h. der Orientierung an der laufenden, sinnbezogenen, aktuellen Sprache, und der formalen Sprachlehre, d.h. daß nur die grammatische Form gilt und das Funktionieren der Sprache unwesentlich ist. Eine elementare Schulgrammatik sollte für ihn
ökonomisch sein, d.h. mit einem Minimum an grammatischen Wissen ein Maximum an sprachlichen Strukturen erzielen
konsequent sein, d.h. die einzelnen Teile sollen sich nicht widersprechen
eindeutig sein, d.h. Fachbegriffe sollen unerwünschte Assoziationen nicht zulassen
international sein, d.h. das System sollte auf andere europäisch-amerikanische Sprachen angewendet werden können
wissenschaftlichen Ansprüchen standhalten können
5. Grammatikunterricht in den 70er Jahren: die Entwicklung der Bezugswissenschaften und die "Linguistisierung"
Ende der 60er Jahre und Anfang der 70er Jahre bemühten sich die Sprachbuchautoren und -verlage, mit der linguistischen Entwicklung Schritt zu halten, die Ergebnisse aus der linguistischen Forschung sollten in die Schulbücher übernommen werden. Das Klettsche Sprachbuch übernahm damals die Dependenzgrammatik, das Sprachbuch "Sprache und Sprechen" die Transformationsgrammatik. Diese Entwicklung wird heute allgemein als Linguistisierung bezeichnet.
Das Ende des linguistischen Grammatikunterrichts kam schon ein halbes Jahrzehnt später. Bei einer Befragung von Lehrern und Schülern im Jahre 1976, ob sie für die Einrichtung eines Schulfaches Linguistik wären, stellte sich heraus, daß beide Seiten dies ablehnten.
Aber schon 1973 kam es mit dem Buch "Bildungsreform als Revision des Curriculum" von Saul B. Robinsohn zu einer Umkehr. Bei ihm diente die Erziehung der Ausstattung zur Bewältigung von Lebenssituationen. Daraufhin setzte eine allgemeine curriculare Diskussion ein, die auch Auslöser für den Niedergang des linguistisch orientierten Grammatikunterrichts war.
Bei Robinsohn sollten die Schüler zur Kommunikation erzogen werden, die dem Schüler Einsichten in Kommunikationssperren und Kommunikationshilfen geben soll. Dies gipfelt in einer Erziehung zur Autonomie.
Gleichzeitig mit den Ansätzen Robinsohns kam es zur pragmatischen Wende, d.h. einer Verschiebung des Interesses zum Sprechen in Situationen. Als argumentativer Ausgangspunkt diente die generative Transformationsgrammatik von Chomsky. Dabei handelt es sich um ein hochformalisiertes Modell für die Generierung von Sätzen. Die Grundfragen lauten: Wie läßt sich das, was der ideale Sprecher beim Sprechen tut, nachkonstruieren? Wie läßt sich die unendliche Kreativität muttersprachlicher Sprecher als Aktivierung eines begrenzten Regelsets fassen?
Hier wird also das Sprechen als Handeln in sozialen Zusammenhängen thematisiert.
Später kam zur Pragmalinguistik noch die Soziolinguistik. Sie bediente sich der Feststellung, daß keine Gesellschaft als homogenes Gebilde existiere, sondern daß sich die Gesellschaften in verschiedene Teilbereiche gliedern lassen. Die Subsysteme der Gesellschaft interagieren aber miteinander, wobei die Kommunikation den Informationsbedarf innerhalb des Systems befriedigen soll. Aber je nach Zugehörigkeit zu einem Subsystem ist die Sprache verschieden.
Hier kam es dann zum Bruch: Wenn es die Aufgabe der Schule sei, die Schüler zum "richtigen" Sprachverhalten anzuleiten, würde eine Gruppe der Schüler ihre Sprache konsequent weiterentwickel, die andere Schülergruppe (wohl die größere Gruppe) käme dann in den Zwang, neue Formen der Sprache zu erlernen. Es kam somit zur Diskussion um die Legitimation des Grammatikunterrichts, die noch heute anhält.
6. Grammatikunterricht in der Gegenwart - systematisch, situativ oder integrativ?
6.1 Systematischer Grammatikunterricht
Die systematische Beschäftigung mit der Grammatik im Unterricht hat ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert, wo der altsprachliche Unterricht systematisch thematisiert wurde. Er zählt zu den synchronen Grammatiken. Den stärksten Impuls dazu in unserem Jahrhundert gab das Buch "Der andere Grammatikunterricht" von Wolfgang Boettcher und Horst Sitta. Sie möchten, daß der Grammatikunterricht in die übergreifenden Handlungszusammenhänge des Deutschunterrichts integriert wird.
Hiermit wurde dann ein systematisches Curriculum zur Grammatik als Kernstück des Lernbereiches "Reflexion über Sprache" entwickelt. Hierin werden dann folgende Groblernziele angesetzt: Bewußtheit im Sprachverhalten, Grammatisches Wissen und Wissen über Sprache.
Der systematische Grammatikunterricht besteht aus vier Teilen: der Lautlehre, der Orthographie, der Formenlehre (Beugung und Wortbildung) und der Satzlehre (Syntax). Im Unterrichtsprozeß soll der Lehrer die Schüler dabei von der Wortlehre zur Satzlehre führen.
6.2 Situativer Grammatikunterricht
Der situative oder situationsorientierte Grammatikunterricht sieht sich nicht als Gegner des systematischen Grammatikunterichts, sondern im Gegenteil als notwendige Basis für systematikorientierte Lernsituationen im Grammatikunterricht.
Die Grundlage für den situativen Grammatikunterricht ist das kommunikative Umfeld des Schülers, aus denen sich dann die Themen für den Grammatikunterricht ergeben. Da der Lehrer die Schüler allerdings nur im schulischen Alltag trifft und nur dort das kommunikative Umfeld kennenlernt, stellt nur der schulische Alltag die Themen für den Grammatikunterricht zur Verfügung. Auch wird bei dieser Art von Grammatikunterricht kein Sprachbuch oder sonstiges Lehrmaterial eingesetzt. Das Ziel des situativen Grammatikunterrichts ist nicht die Einsicht in sprachliche Situationen, sondern die Förderung der Kommunikationsfähigkeit der Schüler
6.3 Integrativer Grammatikunterricht
Der integrative Grammatikunterricht ist das derzeit aktuelle Modell des Grammatikunterrichts in der Sekundarstufe 1. Es geht hier um künstlich konstruierte Kommunikationssituationen, die den natürlichen Kommunikationssituationen der Schüler nachgebildet werden. Somit werden die Schüler stärker motiviert, da es sich um fiktive alltagssprachliche Situationen handelt, ein Zusammenhang mit der eigenen Spracherfahrung hergestellt ist.
Zum anderen bindet der integrative Grammatikunterricht die Grammatik an die anderen Arbeitsteilbereiche des Deutschunterrichts an. So werden grammatische Einzelheiten an literarischen Texten erläutert, bei der Textproduktion eingeübt und in der Gesprächserziehung angewendet.
Ein wichtiger Punkt beim integrativen Grammatikunterricht sind auch die grammatischen Begriffe, die auch immer beiläufig in allen Bereichen des Sprachunterrichts angewendet werden sollen. Somit wird auch das fachsprachliche Verständnis der Schüler gefördert.
Die folgende Tabelle soll die Unterschiede zwischen Sprachlehre und Sprachkunde aufzeigen:
|
Sprachlehre = Grammatikunterricht |
Sprachkunde = Etymologieunterricht |
Geltungsbereich |
synchronisch |
diachronisch |
Aufgabe |
Einsicht in Struktur |
Frage nach Entstehung |
Voraussetzung |
Erwecken sprachlicher Interessen Vermitteln der Fähigkeit zu benennnen Abstandnehmen von der Sprache |
|
didaktische Kategorie |
formal oder funktional, auf jeden Fall systematisch |
historisch |
methodischer Ort |
aktuelle Sprache Sinnbereiche |
aktuelle Sprache |
methodisches Vorgehen |
nach Plan |
sporadisch anpassungsfähig |
Bildungswert |
Bildung zu kritischem und wissenschaftlichem Betrachten von Sprache |
aus: Hartmann 1975, S. 27
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