Rom - Aufstieg und Untergang des Kaisertums
Mit der Absetzung des »Kaiserleins« Romulus Augustulus durch den Germanen
Odoaker endete 476 die Geschichte des Weströmischen Reiches. Dieser Vorgang
zeigte, daß die politische Dynamik der Provinzen von einer kaiserlichen
Zentralgewalt nicht mehr zu kontrollieren war. Mit den Wandlungen in der
römischen Gesellschaft war die Basis des Kaiserreichs, das auf eine glanzvolle Geschichte
zurückblicken konnte, zerstört.
Dabei zeigte die politische Herrschaft der Cäsaren, die mit der Beendigung des
Bürgerkriegs durch Octavian kurz vor unserer Zeitrechnung begann, schon nach
kurzer Zeit neben den sozialen auch persönliche bzw. familiäre Widersprüche,
die die jeweilige Herrschaftspraxis prägten. Schon der Nachfolger des Augustus,
dessen Stiefsohn Tiberius, distanzierte sich in der Spätphase seiner Amtszeit
mit ausgeprägter Menschenscheu und Verbitterung von seiner Umwelt. Auch nach den
Willkürherrschaften Caligulas und Neros blieb der Umgang mit dem Prinzipat
nicht frei von Antagonismen. Während Titus als »Liebe und Wonne aller Menschen«
verehrt wurde, rief Domitian durch seine Titelforderung »Herr und Gott« eine
starke politische Opposition hervor, die versuchte, die orientalische
Verabsolutierung des Kaisertums zu hintertreiben.
Mit dem Adoptivkaisertum wurde dem Gedanken Rechnung getragen, daß jeder Kaiser
seinen Nachfolger nur nach Tüchtigkeit aussuchen sollte. Marc Aurel, »der Philosoph
auf dem Kaiserthron«, brach mit diesem Gedanken, indem er sich für die
Vererbung der Kaiserwürde an seinen Sohn Commodus entschied, der in Despotismus
verfiel und ermordet wurde.
Eine Folge dieser Entwicklungen war, daß nach dem Tode des Commodus der
Prinzipat immer mehr unter den Einfluß des Militärs geriet. Damit konnte den
krisenhaften psychologischen Verwerfungen des Kaisertums zwar ein
institutionelles Korsett übergestreift werden, doch wurde dadurch oft die
persönliche Willkür ersetzt durch den blutigen Konkurrenzkampf verschiedener
Heeresteile.
»Das Bewußtsein der Herrschaft über die Welt, die Furcht vor allen, die nach
dieser Herrschaft streben konnten, der Ausweg: rasch das Vorhandene zu
genießen, und die unaufhörliche Sorge zu übertäuben«, analysiert Jacob
Burckhardt als Ursachengeflecht für die Problematik des Prinzipats, die auch
Tacitus in seinen »Annalen« und »Historien« beschreibt. Die Reichsteilung und
der Untergang des Kaisertums waren eng mit dieser Problematik verknüpft.