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Thomas Bernhard
"Die Mehrheit hat immer nur Ungl ck gebracht und auch heute verdanken wir unser Ungl ck , wenn es ein solches ist, der Mehrheit. Die Minderheit oder auch nur der einzelne werden ja gerade deshalb von der Mehrheit erdr ckt, weil sie viel zeitgemäßer sind als die Mehrheit, weil sie viel zeitgemäßer handeln als die Mehrheit. Die zeitgemäßen Gedanken sind immer unzeitgemäß "
"Ich ertrage ihre Redeweise genauso wenig wie ihre Kleidung, was sie denken ertrage ich nicht, was sie zur Schau stellen, was sie getan haben und was sie vorhaben. Was sie sagen ist gegen mich, was sie tun, ist gegen mich. Ihre katholisch-nazionalsozialistische Lebensweise ertrage ich ganz einfach nicht, ihren Tonfall ertrage ich nicht, nicht nur, was sie sagen, sondern auch, wie sie das Gesagte gesagt haben, ertrage ich nicht "
Diese beiden Gedanken aus Thomas Bernhards letztem großen Werk, der Auslöschung, charakterisieren wohl seine Einstellung zu seiner Heimat und Umwelt treffend genug. Thomas Bernhard wurde 1 in Holland als Sohn österreichischer Eltern geboren. Seine Mutter war Tochter des Schriftstellers Johann Freumbichler. Bernhards Vater, ein Bauernsohn, starb als dieser zwölf Jahre alt war. Bernhard wuchs bei seinen Großeltern mütterlicherseits auf. Sein Vormund fand eine Anstellung im bayrischen Traunstein, wo die Familie dann wohnte, bis Bernhard im Herbst 3 in ein Salzburger Internat eintrat. Von Herbst 4 bis April 5 arbeitet Bernhard in einer Gärtnerei in Traunstein, ehe er vom Sommer 5 an das Johanneum in Salzburg besuchte. Zwei Jahre später bricht er seine Ausbildung ab und beginnt eine Lehre bei einem Lebensmittelhändler. Im Jahr
1949 stirbt sein Großvater. Kurz darauf auch seine Mutter. Bernhard beginnt danach ein Schauspielstudium am Mozarteum. Von 7 an lebt er als freier Schriftsteller. 5 erwirbt er einen Bauernhof in Ohlsdorf. Im Februar 9 stirbt der lungen- und herzkranke Bernhard im Beisein seines Bruders, einem Internisten, in Gmunden. Das Testament gelangte zwar nur fragmentarisch an die Öffentlichkeit, zwei Verfügungen wurden aber dennoch bekannt:
1.) Innerhalb der nächsten siebzig Jahre darf in Österreich nichts von ihm aufgeführt, verlegt oder vorgetragen werden, wohl aber in allen anderen Ländern der Welt
Nichts aus seinem Nachlaß darf veröffentlicht werden. Bernhard entzieht somit posthum sich und sein Werk dem Staat Österreich. Nur seine Bücher dürfen weiterhin verkauft werden.
Thomas Bernhard war einer der schaffensfreudigsten Autoren der Gegenwart: er verfa te mehr als fünfzig Prosatexte, Theaterst cke und Gedichtsammlungen. Seine Werke wurden vielfach übersetzt und brachten dem Autor weltweiten Ruhm und Anerkennung. Bernhard wurde mit zahlreichen Literaturpreisen geehrt, von denen er allerdings einige nicht entgegennahm. Trotzdem war er in Österreich stets umstritten. Am deutlichsten zeigte sich das in den Protesten gegen sein Theaterst ck Heldenplatz", dessen Uraufführung am Burgtheater ein Jahr vor Bernhards Tod einem Skandal gleichkam. Auch wurden zahlreiche Werke Bernhards zensuriert und zurückgehalten. Mir war es sechs Jahre nach Bernhards Tod immer noch nicht möglich eine vollständige Ausgabe von diesem, seinem Werk zu erhalten, über welches ich heute referieren werde: Der Text entspricht der im Beschluß des Landesgerichts Salzburg vom . . 7 festgelegten Fassung. Die Streichungen sind gekennzeichnet "
"Die Ursache", im Jahre 5 geschrieben, ist ein autobiographischer Rechenschaftsbericht, dessen Handlungsspielraum sich vom Herbst 3 bis Ende 6 erstreckt. Thomas Bernhard setzt in den nächsten Jahren mit den Werken Der Keller", Der Atem", Die Kälte" und "Ein Kind" seine, in beklemmendem Stil formulierte, Lebensgeschichte fort.
In "Der Ursache" Bernhard beschreibt seinen Eintritt in die Salzburger Andräschule und das Internat in der Schrannengasse zunächst noch in der Er-Perspektive. Er bedient sich nach wenigen Seiten und einem nochmaligen Wechsel, der Ich-Form und behält sie das ganze Buch bei.
Die Schulstadt Salzburg ist für Bernhard nur bedrückend. Die Kombination aus der Architektur ihrer Gebäude und den dort herrschenden Witterungsverhältnissen nennt er einen "Todes-boden", eine "Todeskrankheit", an der ein jeder zugrunde gehen muß. Das Internat und die Schule sind in seinen Augen ein gegen den Geist gebauter Kerker. Dessen Direktor Grünkranz präsentiert sich den Zöglingen als stolzer Nationalsozialist, wird aber von diesen gleicherma en gefürchtet wie geha t. Bernhard ist so verzweifelt, daß er nur noch den Selbstmord als einzigen Ausweg erkennt, ist aber zum entscheidenden Schritt nie stark genug. Er ist der festen Überzeugung, jeder feinfühlende Zögling in diesem Internat, das nur dem seiner Zerstörung diene, werde entweder vom unvermeidlichen Selbstmordgedanken gleich get tet, oder für sein ganzes Leben gebrochen. Der Erziehungskerker, der sadistische Direktor und SA-Offizier Grünkranz und das katholisch-nationalsozialistische
Salzburg offenbaren sich Bernhard nur als eine Maschinerie, den jungen Menschen zu demütigen und ihn hoffnungslos für sein ganzes Leben zu vernichten und entstellen. Pl tzlich kommt zur Angst vor Grünkranz noch eine zweite: die vor den Fliegerangriffen. Dröhnende Flugzeuge verdunkeln den Himmel, während alle Stadtbewohner in die, in den Mönchsberg gehauenen Stollen drängen. Das Grauen für den Zögling geht weiter: erstickende und vor Angst gelähmte Menschen verharren in den feuchten Gängen. Dann setzt der erste große, vernichtende Bombenangriff über Salzburg ein. Die Internatsschüler bestaunen ungläubig und ziellos durch die Stra en rennend die enorme Zerstörung. Sie sehen eingestürzte Gebäude und qualmende Schutthäufen und die, die auf diesen Häufen verzweifelt nach Überlebenden suchen. F r Bernhard schlägt in diesen Augenblicken die pubertäre Gier nach Kriegssensationen in persönliches Grauen, in einen persönlichen grauenhaften Eingriff der Gewalt, um. Der Internatsbetrieb kann nur noch krank- und krampfhaft aufrecht erhalten werden, meist wandert alles bereits nach der ersten Stunde in die Stollen.
Trotz des herrschenden Chaos wird der Zögling auf Wunsch des Großvaters, der von Bernhard verehrt und über alles geschätzt und geliebt wird, im Geigenspiel und in Englisch unterrichtet. Die Englischnachhilfe ist dem Zögling immer willkommen und die ihn lehrende Dame aus Hannover dem stumpfsinnigen Geigenlehrer vorzuziehen. Auf dem Weg zu ihr, steht er vor den Trümmern und Schutthäufen jenes Hauses, in welchem sie ihn zu seinen Stunden zu empfangen pflegte. Sie ist tot. So bleibt ihm nur noch der Unterricht auf der Geige, die für Bernhard ein ganz besonderes Instrument ist. Einerseits ist ihm das disziplinierte Lernen, wie es von seinem Lehrer Steiner verlangt wird, verha t und unmöglich - Andererseits verwendet er die Geige als ein "Melancholieinstrument", das seine Stimmung und seine Selbstmordgedanken ermöglicht und begleitet. Bernhards Großvater ist stets bemüht, den jungen Zögling zur Kunst zu führen, ihn mit ihr vertraut zu machen, um in ihm das Künstlerische und die Kunst zu entdecken. Nur die Liebe zu seinem Großvater läßt Bernhard den fruchtlosen Unterricht nicht abbrechen.
Nach dem dritten, verheerendsten Bombenangriff wird der Zögling von seinen Großeltern ins bayrische Traunstein geholt. Das Internat besucht er aber dennoch weiter. So muß er ab nun jeden Morgen mit dem Zug nach Salzburg fahren. Unterrichtet kann nicht mehr werden, es ist nur noch ein angsterfülltes Sitzen in den Klassenzimmern und Warten auf den nächsten Fliegeralarm. Doch immer noch müssen Nazilieder unter der Dirigentschaft Grünkranz´ gesungen werden und die Zöglinge an den "Endsieg" zu glauben. Bernhard wandelt nur noch wie in einem Alptraum durchs Leben. Die Verzweiflung und Menschenerniedrigung, das fürchterliche Elend kann er sein ganzes Leben nicht mehr vergessen. Und wenn er mit jemandem darüber zu sprechen versucht, st t er nur auf Stumpfsinn und Ignoranz, auf jene Eigenschaften, die dem Salzburger "Todesboden" entspringen. Im Spätherbst wird dann das Internat endgültig geschlossen. Bernhard beginnt in Traunstein in einer Gärtnerei zu arbeiten. Wenige Tage vor Kriegsende erfolgt noch ein sinnloser, aber vernichtender Angriff auf die bayrische Kleinstadt: die Vernichtung des Bahnhofviertels ist vollkommen, hunderte Menschen werden get tet. Für Bernhard Zeit seines Lebens ein Trauma.
Nach Ende des Krieges wird das Nationalsozialistische Schülerheim" in der Schrannengasse ein katholisches "Staatsgymnasium", das Gebäude notdürftig überholt und Bernhard wieder Schüler dieser Anstalt. Anstelle Grünkranz´ leiten nun ein Geistlicher, der von den Schülern Onkel Franz genannt werden muß, und ein ihm zur Seite gestellter Präfekt das Heim. Gemäß Bernhard führt die jetzige Internatsleitung das Erbe der nationalsozialistischen weiter. Anderungen manifestieren sich für ihn nur in den Tatsachen, daß der Tagraum, in dem Nazilieder gesungen worden sind, nun eine Kapelle ist, in der katholisches Liedgut gesungen wird und daß das Hitlerbild in den Klassenzimmern gegen ein Kruzifix getauscht worden ist. Die Erziehungs-, Lern- und Züchtigungsmethoden sind aber die gleichen geblieben.
Bernhard, der im Besitz sowohl einer österreichischen als auch einer deutschen Identitätskarte ist, unternimmt jedes zweites Wochenende nächtliche Grenzgänge nach Traunstein, wo sich seine Großeltern und sein Vormund aufhalten. Das Internat in Salzburg wird ihm immer mehr zur H lle. Die stumpfsinnige Zerstörung des jungen Geistes, die Perversion und Niedertracht seiner Umwelt, die Verspottung und Verhöhnung ihrer Opfer, dies alles droht Bernhard endgültig zu brechen und zu vernichten. Er sagt sich innerlich vom Gymnasium los, wagt den tatsächlichen Schritt aber erst Monate später. Ende 1946 geht Bernhard anstatt zur Schule auf das Arbeitsamt und lä t sich eine Lehrstelle vermitteln, ohne daß seine Angehörigen davon Kenntnis haben. Er ist zu diesem Zeitpunkt fünfzehn Jahre alt.
Thomas Bernhard hat diesen Text in zwei Abschnitte gegliederte. Er benennt sie entsprechend den beiden Internatsleitern vor und nach dem Kriegsende: Grünkranz und Onkel Franz. Die erzählerischen Elemente und somit die Autobiographie in strengerem Sinn treten nur fragmentarisch auf. Die Ursache", die von Bernhard immer wieder als "nur eine Andeutung" beschrieben wird, ist vielmehr von Gedanken und längeren Ausführungen geprägt, die aber selbstverständlich stark auf Bernhards Leben bezogen sind.
Im letzten Abschnitt des Buches reflektiert er vor allem seine Beziehung zu seinem Großvater, der für seine Entwicklung eine enorm wichtige Rolle gespielt hatte. Ich erachte Die Ursache" als eine Offenbarung von Bernhards Geistes- und Gedankenwelt für sehr wichtig. Und ich sehe dieses Buch auch als einen Schlüssel zu weiten Bereichen seines Werkschaffens. Das Attribut "katholisch und nationalsozialistisch", das er immer wieder dem Land Österreich und dessen Bewohnern gab, findet sich in diesem Text begründete. Ebenso seine Zuneigung zu Gärtnern, seine Antipathie gegen Mitläufer und Ja-Brüller, seine Sympathie gegenüber den von der Gesellschaft Ausgestoßenen, usw.
"Die Wahrheit ist immer ein Irrtum", schreibt Bernhard. Die Lektüre der Bernhard´schen Lebensbeschreibung hinterließ bei mir einen Eindruck der Beklemmung. Thomas Bernhard wurde immer wieder als Misanthrop dargestellt; vielmehr habe ich aber den Eindruck, daß es ihm als einem der wenigen gelungen ist, sich mit sich selbst und seinem Leben auseinanderzusetzen. Der bittere Nachgeschmack, der bleibt, wenn Bernhard versucht den Leser mit seinen Gedanken und Fiktionen vertraut zu machen, liegt meiner Meinung nach am Unverständnis jedes einzelnen. Denn niemand kann den anderen restlos ergründen und ihn verstehen, schon gar nicht Thomas Bernhard. Das sollte aber niemanden abschrecken seine Bücher zu lesen. Sie sind alle gewisserma en Andeutungen, aber in ihrer Deutlichkeit und Drastik wertvoll für das Werden einer jungen Persönlichkeit. Bernhard verstand es, so meinte er in einem der seltenen Interviews, seinen persönlichen Tod zu leben. Seine Bücher sind Zeugnisse davon.
Abschlie end möchte ich noch drei Leseproben geben. Bernhard formuliert darin Themen die er auch in anderen Werken immer wieder aufgreift. Ich hoffe ihn damit besser zu charakteriseren als mit einer langen Analyse, die seine Gedanken und Sätze zerpfl ckt und sicher nicht in seinem Sinn wäre.
I.) Seite 2 "Wir werden nur erzeugt, nicht erzogen " II.) Seite 9 Die Texte sind immer die gleichen
II.) Seite 7 "Mit ihrem professoralen Gehabe vernichten sie nur
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