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Die Geschichte des Jazz
Vom New Orleans Jazz zum Bepop
Die Geschichte des Jazz ist fast wie eine Sozialgeschichte der USA in
den letzten 100 Jahren. Wie eine Kurve eines Seismographen kann man an der Entwicklung erkennen, wie sich das Verhältnis zwischen der
schwarzen und weißen Bevölkerung in den USA immer wieder verändert
hat.
Der Saxophonist Archie Shepp hat es einmal so ausgedrückt: "Jazz -
das ist eine Realität, eine totale Realität! Der Jazzmusiker ist wie ein
Reporter, ein ästhetischer Journalist."
Die Zwanziger Jahre
Von New Orleans nach Chicago
- schwarz & wei ß -
Um die Jahrhundertwende entstand in der Hafenstadt New Orleans ein
Musikstil, in dem sich afrikanische + europäische Musikelemente miteinander verbanden. Dieser New Orleans Stil gibt das bunte Durcheinander von Rassen und Klassen wieder, die damals dort
aufeinander trafen. Die schwarzen Musiker waren fasziniert von den fremdartigen Instrumenten der Europäer, sowie vom Rhythmus und
Harmonie ihrer Musik. Sie versuchten diese Elemente mit ihrer eigenen afrikanischen Musiktradition zu verbinden und schafften aus dieser
Kombination etwas vollkommen Neues. Die Musik ist eine ungeschliffene
Mischung aus Marsch, Tanz, Blues und frühem Rag-Rhythmus, bei der alle Spieler simultan improvisieren. Die unisono-Tradition der
europäischen Marschmusik vermischt sich mit sprühenden
Improvisationen, Pfiffen, Schreien und den dunklen Rhythmen der ehemaligen Sklaven.
Als die USA 1917 in den 1. Weltkrieg eintraten, wurde New Orleans zum Kriegshafen. Um die Moral der Truppen nicht zu gefährden, sahen sich die Stadtoberen gezwungen, das Vergnügungsviertel Storyville mit seinen Music Halls und Bordellen zu schließen. Die schwarzen Musiker
die dort beschäftigt waren, wurden arbeitslos und die meisten von
ihnen zogen in den Norden des Landes.
Schon in den Jahren zuvor waren viele ihrer Landsleute dorthin
ausgewandert. Der Norden mit seinen wachsenden Industriezentren galt als das neue Land der Verheißung. Die Stahlwerke und die
Automobilindustrie brauchten billige Arbeitskräfte. Man versprach den
Schwarzen gut bezahlte Anstellungen, eigene Häuser und eine
menschenwürdige Behandlung. Aber die Hoffnungen der Schwarzen wurden enttäuscht. Überall in den Städten gab es bald Slums und
Ghettos, sowie z.B. die South Side von Chicago. Hier trafen auch die
Musiker zusammen, die New Orleans verlassen hatten.
Die Clubszene von Chicago wurde zum neuen Zentrum der Musik aus dem Süden des Jazz.
Das hektische Leben in der Großstadt veränderte auch die Musik: die
entspannte Lockerheit, die noch in der Musik von New Orleans steckte, wich einer Spannung und einem Drive, der mehr dem Leben in der
South Side entsprach.
1922 kam der Trompeter Louis Armstrong von New Orleans nach
Chicago. Er wurde in den 20er und 30er Jahren zu der Leitfigur des Jazz.
In Chicago gab es damals auch eine Reihe von Weißen, die von der
,neuen' schwarzen Musik begeistert waren. Es waren u.a. einige Schüler und Studenten, die im Jazz eine Chance sahen, gegen die Gesellschaft und Konventionen zu rebellieren. Sie gründeten ihre eigenen Bands und versuchten, den Jazz, den sie in den Clubs gehört hatten , so gut wie
möglich nachzuspielen. Aber sie konnten nicht aus ihrer bürgerlichen
Haut eines Weißen heraus, mit ihren europäischen Einflüssen glätteten sie die Musik und nahmen dem Jazz genau jene Wildheit und Schärfe, die sie so sehr bewundert hatten. Es fehlten z.B. diese wilden
Kollektivimprovisationen, die den New-Orleans-Jazz der Schwarzen
ausmachten. Die Weißen konnten einfach nicht so locker improvisieren, sie mußten ihre Stücke harmonisch durcharrangieren und was
manchmal wie ein spontan improvisiertes Solo klang, war oft Ton für Ton einstudiert.
Im Chicago der 20-er Jahre existierte ein regelrechtes Kuddelmuddel von Bands und Stilrichtungen . Da waren einmal die schwarzen Bands
aus New Orleans mit ihrem Originalstil, dann die weißen Bands aus N.O. mit ihrer Dixieland-Kopie der schwarzen Musik und schließlich die
weißen Bands der jungen Chicago-Musiker, die der Kopie des N.O.Jazz noch einige neue Elemente hinzufügen. Aber, trotz aller Unterschiede - der Jazz war die erste kulturelle Gemeinsamkeit, die weiß und schwarz miteinander verband.
Die Dreißiger Jahre - Der Swing - Tanzmusik und
Kassenschlager
Ende der 20er Jahre hatte sich in New York eine Clubszene entwickelt, in der ein ganz eigener Jazzstil gespielt wurde, der Swing. Er war
weniger am Blues orientiert und nicht so ausdrucksstark wie der Jazz aus
N.O. Aber dafür war er raffinierter arrangiert und wurde im satten
Sound der immer größer werdenden Orchester präsentiert. Die Musik
der Big Bands eignete sich vor allem für die Tanzshows in Harlem oder am Broadway. Ein Name steht stellvertretend für diese Entwicklung: Duke Ellington. Seine Karriere begann im legendären ,Cotton Club'. Die reichen Weißen kamen in die Kabaretts nach Harlem um die Erotik und
Exotik der in Mode gekommenen ,Negerrevuen' zu bestaunen. Ellington und sein Orchester lieferten die musikalische Begleitung dazu: den
,Dschungelsound'. Auf der Bühne wurden die Schwarzen vom weißen Publikum beklatscht, aber setzte sich einer von ihnen in die Nähe ihrer Tische, waren sie empört. Um Anerkennung zu erreichen, begannen
viele der Schwarzen Zugeständnisse zu machen. Sie glätteten ihre Musik ebenso wie ihre Haare und versuchten ihre Herkunft dadurch zu
verschleiern, indem sie Ihre Haut heller schminkten und ihre Musik dem
Schlagergeschmack der Weißen anpassten. Parallel zu New York hatte sich auch in Kansas City eine lebendige Clubszene entwickelt, in der
die Musik noch mehr mit der afroamerikanischen Musiktradition verbunden war.
Aus dieser Szene kam die Big Band von Count Basie, die Mitte der 3oer
Jahre zum Inbegriff des Swing wurde. Sie hatte einen solch
schwebenden , treibenden und rollenden Rhythmus, dass einige meinten, die Band würde wie ein einziger Musiker atmen.
Die Besonderheit der Swing-Band ist es, dass sie in verschiedene
Instrumentsätze, in Sections aufgeteilt ist. Hier die Rhythmen Section mit
Schlagzeug, Bass und Piano, dann die Read-Section mit den
Saxophonen, die die Melodien vorgeben. Und schließlich de BRASS- Section mit den Posaunen und Trompeten. Während die Rhythm- Section nun einen dynamischen Beatteppich legt, betonen und
beantworten die Blechblasinstrumente die Melodie, die von den
Saxophonen gespielt wird. Das Ruf-Antwort-Spiel, das zwischen den einzelnen Sections entsteht, ist eng verbunden mit der afrikanischen Musiktradition. Dieses Arrangieren von ganzen Instrumentsätzen
ermöglicht eine vollkommen neue Dynamik im Jazz. Jetzt konnte man
selbst der Melodie noch entscheidende, rhythmische Akzente geben.
Mitte der 30er-Jahre erholte sich die amerikanische Wirtschaft von den
Folgen der Depression. Der Swing war die passende Begleitmusik des wirtschaftlichen Aufschwungs. Ein Sinnbild für Wohlstand und
Wachstum, das für die neue Dynamik im Land der unbegrenzten Möglichkeiten stand. Der Swing traf den Nerv der Zeit so gut, dass es dem Jazz zum erstenmal gelang, die Massen zu begeistern.
Der endgültige Durchbruch des Swing auf nationaler und
internationaler Ebene erfolgte Ende der 30er Jahre, als der weiße
Bandleader Benny Goodman die Szene betrat. Er wurde zum ,King of
Swing' und seine Musik wurde quer durch alle Klassen, Rassen und
Traditionen begeistert gefeiert. Es war wie ein Symbol für die
scheinbare, gesellschaftliche Anerkennung der Schwarzen und ihrer
Musik, dass in Benny Goodmans Band zum ersten mal nebeneinander
schwarze und weiße Musiker zusammenspielten. Bildete der Jazz in den
2oer Jahren die erste kulturelle Gemeinsamkeit zwischen Schwarz und Weiß, so schien es jetzt, als könnte man durch die Musik sogar einen Teil der Rassenschranken überwinden. Die Unterhaltungsindustrie nützte die allgemeine Begeisterung für den Swing. Film, Radio und Schallplatte
machten die Musik zum großen Kassenschlager.
Die vierzi ger Jahre - der Bepop - eine musikalische Revolte.
1941 traten die USA in den 2. Weltkrieg ein, für einige Musiker, die
eingezogen wurden, bedeutete dies das Ende ihrer Bands. Aber auch
die sozialen Probleme im Land nahmen zu, alte Rassenkonflikte brachen wieder auf. Die neuen jungen Musiker wollten sich ganz bewußt
absetzen von der Musik des Swing, der in ihren Augen vereinnahmt war von den Weißen und versüßlicht wurde. Sie hatten genug von der Rolle des ,Onkel Tom', dem Klischee des netten, harmlosen Negers, der nur
zur Unterhaltung der Weißen da war. Sie wollten als Künstler anerkannt werden, die ihre ureigene Musik mit afroamerikanischer Prägung
machten. Man begann sich wieder auf die schwarzen Wurzeln zu
besinnen und war auf der Suche nach einer Musik, die die Weißen nicht kopieren konnten. Das Resultat war der erste wirklich moderne Jazzstil,
der Bepop. Der Bepop war eine Musik der Revolte. Eine Revolte gegen
Bigbands, Arrangeure, flache Harmonien, leichte Rhythmen. Das Ende der kommerziellen Musik. Die Musiker und ihre Fans gaben sich betont
intelektuell und nonkonformistisch. Man traf sich in kleinen Clubs. Hier
herrschte jene prickelnde Atmosphäre und Freiheit, die man in der
Musik der großen Bigbands so vermisst hatte. Sie spielten sich die Seele aus dem Leib und machten vollkommen neue musikalische
Entdeckungen. Sie trafen sich in kleinen Clubs, die alle stilbildend für den Bepop waren. Der Pianist Fionis Mark, der Saxophonist Charly
Parker usw. galten als die bedeutendsten Neuerer des Bepop. Alte
Swingschlager dienten ihnen oft als Vorlage für ihre musikalischen
Experimente. Diese Stücke wurden oft harmonisch regelrecht zerlegt
und dann melodisch variiert. Manches Publikum aber konnte mit dem Bepop nichts anfangen, da man sich weder damit unterhalten, noch dazu tanzen konnte. Ein Satz von Charly Parker steht wie ein Motto für den gesamten Bepop: "Sie wollen einem immer beibringen, dass es in der Musik bestimmte Grenzen gibt, aber in der Kunst gibt es keine
Grenzen."
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