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EINFÜHRUNG
Leben und Werk des jüngeren Plinius
Plinius der Jüngere, ursprünglich C. Caecilius, wurde im Jahr 61 oder 62 n. Chr. als Sohn begüterter Eltern in Comum (heute Como) geboren und
wuchs nach dem frühen Tod des Vaters in der Obhut seiner Mutter und seines Onkels C. Plinius Secundus des Alteren auf. An den Besuch der
Elementar- und Grammatikerschule in seiner Heimatstadt schloß sich eine gründliche theoretische und praktische Ausbildung in Rom bei den Rheto-
riklehrern M. Fabius Quintilianus und Nicetes Sacerdos an. Mit 18 Jahren erlebte Plinius während eines Aufenthaltes in Misenum,
wo sein Onkel als kaiserlicher Flottenkommandant tätig war, am 24./25. August 79 jenen Vesuvausbruch, der den Großraum von Neapel
verwüstete und die blühenden Städte Pompeji, Stabiae und Herculaneum verschüttete. Auch der ältere Plinius fand bei dieser Naturkatastrophe den
Tod. Da er seinen Neffen zum Alleinerben bestimmt und testamentarisch adoptiert hatte, befand sich Plinius nun im Besitz eines stattlichen Vermö-
gens und trug fortan den Namen C. Pr.txivs CAEcn.tvs SEcvwovs. Ein Jahr später präsentierte er sich erstmals der römischen Öffentlich-
keit mit einer Rede vor dem Centumviralgericht'. Der Vorbereitung einer politischen Karriere dienten die Tätigkeit als decemvir stlitibus iudicandis~
und ein Aufenthalt als Militärtribun in Syrien (ca. 82)3. Im Jahr 90' erreichte Plinius die Quästur und erhielt damit einen Sitz im Senat. Er
genoß das Vertrauen des Kaisers Domitian (81 - 96) und wurde durch ihn gefördert. Dennoch verabscheute er wie sein Freund, der Historiker Tacitus, zutiefst das zunehmend tyrannische Regime des Imperators. Plinius wurden in rascher Abfolge das Volkstribunat (92), die Prätur (93) und die
Verwaltung der Veteranenkasse (praefectura aerarii militaris; 94 - 96) über- tragen. Domitians gewaltsamen Tod empfand er, wie die meisten Senato-
ren, als Erlösung für Staat und Gesellschaft. Zudem wurde dadurch Pli- nius persönlich von der Gefahr einer Anklage und Verurteilung4 befreit.
Seine Karriere setzte sich unter Nerva (96 - 98) und Trajan (98 - 117) Der Stil des Briefes orientiert sich ebenfalls am mündlichen Gespräch.
fort. Auf die Verwaltung der Staatskasse (praefectura aerarii Saturni; Lange Perioden, unübliche Wörter und entlegene Themen werden vermie-
Januar 98 - Ende August 100) folgte das Konsulat: Er war consul suffec- den, angestrebt wird neben Kürze und Klarheit eine unaufdringliche
tus~ im September 100. Plinius übte außerdem das Amt eines Augurs aus Eleganz der Sprechweise. Gang und gäbe ist der Gebrauch griechischer
und erhielt die Aufsicht über die natürlichen Wasserläufe und die Kanali- Wörter und Wendungen, die in der hohen Literatur verpönt, in der
sation der Stadt (cura alvei Tiberis et riparum et cloacarum urbis). Umgangssprache aber üblich waren.
Ein besonderer Vertrauensbeweis Trajans war es, daß er Plinius im Jahr Im übrigen sind Briefe stilistisch wie inhaltlich äußerst vielfältig, da sie
109 zum Statthalter von Bithynien in Kleinasien (legatus pro praetore nicht nur von der Persönlichkeit des Schreibenden und den von ihm
Ponti et Bithyniae consulari potestate) ernannte und ihm damit die gewählten Themen, sondern auch von der Situation und der Individualität
schwierige Aufgabe übertrug, in der von Mißwirtschaft und inneren des jeweiligen Empfängers geprägt werden.
Unruhen erschütterten Provinz geordnete Verhältnisse herzustellen. Im Vom authentischen, d. h. tatsächlich an bestimmte Adressaten gesand-
dritten Jahr dieser Amtstätigkeit dürfte er in Kleinasien gestorben sein. ten Brief ist der sogenannte Kunstbrief zu unterscheiden. Er wurde z. B.
Da8 der jüngere Plinius literarisch ungewöhnlich interessiert und auch zur Einkleidung philosophischer Abhandlungen (Seneca, 'Epistulae mora-
selbst in vielen Gattungen produktiv tätig war, können wir seinen eigenen les') oder politischer Programme (Sallusts Briefe an Cäsar) eingesetzt.
Außerungen entnehmen. Erhalten sind 247 kunstvoll geformte Briefe an Beim gebildeten Publikum sehr beliebt war auch der Kunstbrief in Vers-
Freunde und Familienangehörige (Buch 1 - 9), ein 121 Schreiben umfas- form (Horaz, 'Epistulae'; Ovid, 'Tristia', 'Epistulae ex Ponto') und der
sender Briefwechsel mit Kaiser Trajan (Buch 10) und - als einzige seiner fingierte Brief, der prominenten Gestalten des Mythos unterschoben
zahlreichen Reden - der 'Panegyricus', eine Lobrede auf Trajan, die Pli- wurde (Ovid, 'Heroides').
nius bei Antritt seines Konsulats im Senat gehalten hat. Während die Daß die Schreiben des Plinius ebenso wie die seines großen Vorgängers
Bücher 1 - 9 mit Briefen aus den Jahren 96 - 108 von Plinius selbst sukzes- und Vorbilds Cicero echte Briefe sind, wird heute kaum noch bestritten.
sive publiziert wurden, war das 10. Buch nicht zur Veröffentlichung Obwohl wir bei Plinius das rückhaltlos offene Aussprechen von Persönli-
bestimmt; es wurde posthum aus Plinius' Nachlaß herausgegeben. chem oder den sprunghaften Themenwechsel, der manche Cicerobriefe
kennzeichnet, nicht finden, obwohl seine Sprache häufig kunstvoll stili-
siert ist und er nicht nur rein persönliche Themen, sondern auch solche
von allgemeinem Interesse behandelt, berechtigt das nicht zu der
Bemerkungen zur Gattung Brief Annahme, die Briefe seien fingiert und eigentlich der Gattung des literari-
schen Essays zuzuordnen. Vielmehr ist ein Großteil seiner Adressaten von
der Geschichtswissenschaft identifiziert, der Inhalt seiner Schreiben ist
Der Brief gehört zu den ältesten literarischen Gattungen. Er ermöglicht erkennbar auf sie abgestimmt. Plinius' Briefe sind Antworten auf Anfra-
die Kommunikation mit einem Abwesenden, ersetzt das persönliche gen und Bitten der Adressaten, sie knüpfen an persönliche Erlebnisse des
Gespräch. Diese Situation ist im lateinischen Brief formal dadurch kennt- Verfassers an und bieten so lebensechte Details, wie man sie schwerlich
lich gemacht, daß der Absender zunächst sich selbst und den Adressaten erfinden kann.
in einem Präskript namentlich nennt (C. Plinius Tacito) und begrüßt Niemand wird bestreiten, daß die Briefe hohen literarischen Anspruch
(s. [d.] = salutem dicit), wobei er das Verhältnis, in dem beide zuein- erheben. Plinius hat entweder von vornherein an eine Veröffentlichung
ander stehen, andeutet (suo: Ausdruck der Vertraulichkeit; imperatori: gedacht oder die Schreiben vor der Herausgabe stilistisch überarbeitet.
Nennung des Titels in offiziellen Briefen). Innerhalb des Brieftextes wird Durchgehend erkennen wir den routinierten Rhetoriker, dem die Raffi-
der Adressat immer wieder angesprochen und zuletzt mit einer Gruß- nesse der Gedankenführung und -verknüpfung, dem ein virtuoser
formel (vale) verabschiedet. Gebrauch von Stilfiguren, Wortspielen, Bonmots und Sentenzen zur kul-
turellen Selbstverständlichkeit geworden sind. Bis heute verdienen Plinius' uneingeschränkte Bewunderung.
Bemühungen, Menschen und Ereignisse anschaulich darzustellen, unsere
5 Nachgewählter, Ersatzkonsul; unter den Kaisern wurde die Amtszeit der einzelnen Kon-
suln verkürzt, so daß im Laufe eines Jahres mehrere Konsulpaare dem ersten nachfolgten.
Eine ganze Reihe von Motiven, Absichten und Zweckvorstellungen veranlaßten Plinius, eine Auswahl seiner privaten Briefe einer breiten
Öffentlichkeit vorzulegen. Das für den Menschen des griechischen und römischen Altertums zentrale Ruhmesdenken, der Ehrgeiz, sich in einer
irdisch-realen Welt durch bleibende Leistungen zu verwirklichen, fand in der literarischen Selbstdarstellung ein geeignetes Medium. Ein pädagogi-
sches Anliegen trat hinzu: Plinius will das von ihm selbst als richtig und wertvoll Erkannte anderen Menschen nahebringen. Er möchte im Sinne
römischer Tradition exemplarisch wirken. Was die Lektüre der Pliniusbriefe bis heute so anziehend macht, ist vor
allem ihre inhaltliche Vielfalt und ihre humane Qualität. Sie erlauben uns immer wieder neue Einblicke in das öffentliche und private Leben führen-
der Kreise der römischen Kaiserzeit. Sie halten Gedankengänge, Problem- stellungen, Empfindungsweisen, Interessen und Wertvorstellungen einer
nur scheinbar längst vergangenen Zeit fest. Sie lassen uns mit einem Autor und Menschen vertraut werden, der gerade wegen mancher kleiner per-
sönlicher Schwächen und seines aus moderner Sicht teilweise fragwürdigen Handelns unseres psychologischen Verständnisses, ja unserer humanen
Sympathie sicher sein kann. Die Briefliteratur hat während der zwei Jahrtausende, die uns von Pli-
nius trennen, verständlicherweise ihre Gestalt vielfach verändert. Die Tradition ist jedoch nicht abgerissen, ja es kamen Epochen herauf, in denen
die Kultur des Briefschreibens einen sehr hohen Stellenwert erreichte (Humanismus, Empfindsamkeit, Klassik, Romantik, Realismus). Erst die
Erfindung des Telefons, des Fernschreibers und des datenverarbeitenden Computers scheint die hochentwickelte Gattung des individuellen Briefes
ernsthaft zu bedrohen und eine jahrtausendelange Entwicklungslinie abzu- schneiden: Eine spontane Kurzinformation (Telefonat) tritt an die Stelle
einer durchdachten, sorgfältig formulierten schriftlichen Außerung, ein stereotyper Schriftsatz (Computertext) löst das partnerbezogene Schreiben
ab. Daß die literarische Gattung des Briefs ihre Bedeutung bis heute nicht eingebüßt hat, beweist das neu entstandene Interesse an den Tagebuch-
aufzeichnungen und Briefen bedeutender Persönlichkeiten aus alter und neuer Zeit. Denn sie zeigen uns in konzentrierten Aussagen über geistige, emotionale und kreative Vorgänge lebendige Menschen aus nächster Nähe und machen uns im Prozeß des Lesens zu ihren Partnern und vielleicht zu
ihren Freunden und Vertrauten.
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