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Der Prozess
von Franz Kafka
(Interpretation)
"Der Prozeß" wurde in den Jahren 1914 und 1915, kurz vor Beginn des 1.
Weltkrieges, von Franz Kafka geschrieben. Josef K., die Hautperson des
Romans, der sich wie viele andere Protagonisten in Kafkas Werken mit
Gesetzen und unentwirrbaren Verwicklungen konfron-tiert sieht, wird
plötzlich eines Tages ohne ersichtlichen Grund verhaftet. Er wird zu einem
Termin gebeten, gesagt wird ihm aber nur die Nummer des Hauses. Die Etage
und die Woh-nungsnummer werden ihm verschwiegen. K. vergißt nachzufragen,
denn er ist völlig verwirrt, weil er ohne Grund verhaftet wurde. Er kommt
zum vereinbarten Termin und zum vereinbar-ten Treffpunkt, sucht aber dann
ziemlich lange nach dem richtigen Zimmer. Der Prozeß be-ginnt. Zunächst ist
sich K. keiner Schuld bewußt, er spricht völlig frei und ungebunden, bis ihm
klar wird, daß er vielleicht doch Unrecht begangen hat. Durch diese kleine
Unsicherheit begeht er im Laufe der Verhandlung moralische Verfehlungen, die
ihm dann schließlich auch zum Verhängnis werden. Die Vorsitzenden konnten
ihn letzten Endes aber nur verurteilen, weil K. die Macht des Gerichtes
anerkannte und während des Prozesses nach seiner Schuld zu suchen begann und
diese dann auch fand.
Franz Kafka (1883-1924) war ein österreichischer Schriftsteller, der an der
deutschen Universität in Prag Literatur und später Jura studierte. Er war 15
Jahre lang als Hilfskraft im Versicherungswesen tätig. 1924 starb Franz
Kafka an Tuberkulose in einem Sanatorium in Wien. Nach seinem Willen sollten
alle seine Manuskripte, von denen zu Lebzeiten kaum etwas veröffentlicht
worden war, nach seinem Tod vernichtet werden.
Die Romane Franz Kafkas sind sehr surrealistisch. Den Surrealismus
bezeichnet man auch als die Überwirklichkeitskunst. Dies bedeutet, daß
Irreales und Reales in realistischen Situationen verknüpft werden, es
fließen aber zusätzlich auch irrealistische Konstellationen ein.
Franz Kafka lebte in Prag als deutschsprechender Jude. Genauso wie seine
Personen in seinen Werken fühlt er sich schuldig, ohne zu wissen vor wem
oder durch was er sich schuldig ge-macht hätte. Die Zeit um den Beginn des
19. Jahrhunderts war geprägt durch aufkeimenden Antisemitismus, den Kafka
als Intellektueller natürlich besonders stark zu spüren bekam. Er
entwickelte ein feinfühliges Organ, welches die Zeichen der Zeit zu deuten
wußte. Seine Pro-tagonisten glauben wie er, sich verantworten zu müssen,
ohne zu wissen warum oder vor wem sie dies tun sollten. Kafka versteht
nicht, warum die gesamte nicht jüdische Gesellschaft plötzlich antisemitisch
eingestellt ist. Ohne ersichtlichen Grund werden Juden nun verfolgt, ihre
Wohnungen geplündert und gedemütigt. Im Prozeß werden diese Probleme sehr
kafkaesk geschildert, was bedeutet, daß die Sprache und der Ausdruck sehr
rätselhaft, mysteriös und undurchsichtig sind.
In den Jahren unmittelbar vor und nach dem Wechsel des Jahrhunderts begann
die Donau-monarchie allmählich zu zerbröckeln. Die einzelnen Länder im Reich
entwickelten eine eige-ne Identität, sie wollten ihre Loslösung von der
Monarchie durch Revolutionen erzwingen. Diese Entwicklung mündete dann ja
auch im Ersten Weltkrieg, der durch die Ermordung Fer-dinands in Sarajewo
ausgelöst wurde. In der Tschechoslowakei entwickelte die Bevölkerung
allmählich ebenfalls ein Nationalbewußtsein, welches es Kafka natürlich noch
schwerer machte sich zu integrieren und Freunde zu finden. Die
Tschechoslowaken stellten die Deut-schen als Feindbilder hin, die es mit
allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu vertreiben galt. Kafka fühlt sich
zu Beginn dieser Verfolgungen unschuldig, beginnt dann aber an seiner
Un-schuld zu zweifeln und sucht die Schuld an sich selbst. Er wartet dann
darauf, daß die höheren Instanzen, von denen er fest glaubt, daß sie
existieren, eingreifen, ihn retten, und alles wieder zum Guten richten
werden. Diese jedoch beobachten, sehen nur zu was passiert. Sie greifen
nicht aktiv in das Geschehen ein, sie agieren und reagieren nicht. Die
Statik dieser höheren Instanzen, die im Stück durch die zwei erhöht
sitzenden, unbewegten Personen dargestellt werden, deutet vielleicht auf die
zunehmende Verkrustung und Starre der Monarchie hin, die von Kaiser Franz
Josef, der keinerlei Reformbereitschaft zeigte, nun schon eine sehr lange
Zeit regiert wurde. Im Stück saßen die Richter oder die höheren Instanzen
erhöht. Eine saß auf einer Art Thron Die Züge der Darsteller waren unbewegt,
keine Miene in ihren weiß be-malten Gesichtern wurde verzogen. Die
leichenblaß geschminkten Schauspieler sollten viel-leicht den schon
eingetretenen, sich langsam fortsetzenden Verfall der Donaumonarchie
dar-stellen, die statisch ist und nicht mehr reagieren will oder kann.
Franz Kafkas Vater war ein Industrieller mit einem Großbetrieb, der wollte,
daß sein Sohn nach seinem Tod diese Firma übernehmen werde. Kafkas Vater war
sehr autoritär und streng, die Erfolge, die sein Sohn mit der
Schriftstellerei erreichte, zählten für ihn nichts. Seinem Sohn hingegen
machte dies sehr zu schaffen, denn er war sich nicht bewußt, warum ihn sein
Vater nicht so akzeptierte wie er war, warum er ihm seine Erfolge nicht
gönnte, ja diese nicht einmal anerkannte. Kafka suchte wiederum die Schuld
an der Inaktzeptanz seines Vater bei sich selbst und wiederum bohrte er so
lange, bis letztendlich wieder er selbst der Schuldige war. Nun erwachten in
ihm Selbstzweifel an seiner Arbeit, eine gewisse Unsicherheit beim Schreiben
erfaßte ihn, eben weil sein Vater diese nicht anerkannte und sie
boykottierte. Die höheren Instanzen, die Kafka, ebenso wie K. in "Der Prozeß
" angefleht hat, wollen oder kön-nen nicht reagieren. Sie haben kein
Mitgefühl, kein Mitleid, sie zeigen keine Anteilnahme am Schicksal des
einzelnen. Dieses Stück richtet sich meiner Meinung nach nicht nur gegen die
Gerichtsbarkeit oder gegen die Herrscher, es ist gegen einen Gott gerichtet,
der zuläßt, daß Menschen gefoltert, gedemütigt, verfolgt, angefeindet,
getötet und vergewaltigt werden. Hier stellt sich die Frage warum Gott, wenn
es ihn oder etwas ähnliches überhaupt gibt, nicht ein-greift und dies alles
verhindert? Will er nicht oder kann er nicht? Ich habe einmal einen Satz
gelesen, der an einer Wand einer Hinrichtungszelle im Konzentrationslager
Mauthausen von einem Häftling dorthin geschrieben wurde: "Wenn es einen Gott
gibt, wird er sich bei mir entschuldigen müssen!"
Sich auf höhere Instanzen zu verlassen, die einen immer den richtigen Weg
zeigen, ist falsch. Man muß seinen eigenen Weg gehen, seine Grenzen
kennenlernen und täglich neue Erfahrun-gen machen, dann ist man nicht mehr
auf höhere Gewalt angewiesen und lebt sein eigenes selbstständiges Leben und
ist für seine gemachten Fehler selbst verantwortlich.
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