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DIE BÜRGER VON CALAIS
GEORG KAISER
SEIN LEBEN:
Georg Kaiser wird als Sohn eines Kaufmannes in Magdeburg geboren.
Er besucht das Gymnasium in Magdeburg, verläßt es mit Sekunda-Reife.
Als Siebzehnjähriger schreibt er sein erstes Drama, den Einakter "Schellenkönig" und wirkt am Lesezirkel "Sappho" mit.
Bevorzugte Lektüre G. Kaisers: Griechische Klassiker, Dialoge Platons, Nietzsche, Schoppenhauer, Hauptmann, Wedekind, Ibsen; später auch Kleist,
Rilke und Brecht.
Er verläßt das Elternhaus, heuert als Schiffsjunge an und begibt sich nach Südamerika.
G. Kaiser durchstreift Argentinien und erkrankt an Malaria.
Lange Krankheit (Malariafieber) und Rückkehr nach Deutschland.
Geburtsstunde des dichterischen Expressionismus; G. Kaiser schreibt eine Vielzahl von Dramen, die jedoch nicht vor 1911 publiziert werden.
Hochzeit mit Margerethe Habenicht, Tochter eines begüterten Großkaufmannes.
Beginn der Publikation seiner frühen Dramen z.B.: "Die jüdische Witwe"
"David und Goliath"
Georg Kaiser gelingt der Durchbruch zu einem der erfolgreichsten und meistgespielten Autoren seiner Zeit zu werden.
Uraufführung des Schauspiels "Die Bürger von Calais" in Frankfurt am Main.
Von nun an beginnt Georg Kaisers Erfolg. Seine Dramen werden auf den Bühnen der ganzen Welt gespielt. Er propagiert in seinen Dramen die "Erneuerung des Menschen".
Er steht auf der Höhe seines Ruhmes und gerät trotz großer Einnahmen in ständige Geldschwierigkeiten.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kommt es zum Verbot seiner Bücher und der Aufführung seiner Dramen.
Emigration in die Schweiz.
Er arbeitet unermüdlich an seinen Dramen und Werken.
Georg Kaiser stirbt in Ascona an den Folgen einer Vergiftung durch eine unsterile Injektionsnadel.
SEINE WERKE:
Die jüdische Witwe
König Hanrei
Die Bürger von Calais
Von Morgens bis Mitternachts
Die Sorina
Die Koralle
Rektor Kleist
Das Frauenopfer
Gas
Brand im Opernhaus
Hölle Weg Erde
Der gerettete Alkibiades
Gas. 2 Teil.
Kanzlist Krehler
Nebeneinander
Kolportage
Margarine
Zweimal Oliver
Die Lederköpfe
Zwei Krawatten
Oktobertag
Der Silbersee.
Ein Wintermärchen
Rosamunde Floris
Der Gärtner von Toulouse
Alain und Elise
Der Schuß in die Öffentlichkeit
Der Soldat Tanaka
Zweimal Amphitryon
Pygmalion
Bellerophon
ENTSTEHUNG DES WERKES:
Anregung zu diesem Drama erhielt Georg Kaiser durch das Denkmal des Bildhauers Auguste Rodin, welches zur Erinnerung an die Belagerung von Calais auf dem Marktplatz vor dem Rathaus aufgestellt ist. Den geschichtlichen Hintergrund und Einzelheiten der Handlung entnahm er der Chronik des Dichters Froissart. Dieser hat als Zeitgenosse die Belagerung von Calais miterlebt und schriftlich festgehalten.
GESCHICHLICHE CHRONIK (Froissart 1337 - 1404
Ausgang war der Hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich. Die Chronik beschreibt die Belagerung der französischen Stadt Calais durch den König Eduard III von England. Die Belagerung der Stadt dauerte ein volles Jahr, und die Bevölkerung kämpfte mit allen Mitteln gegen die Einnahme der Stadt. Als die Lebensmittelvorräte knapp wurden, bot der Bürgermeister Jehans de Viane die Übergabe der Stadt an, wenn Calais und seine Bürger dadurch gerettet wären. Darauf stellte der König von England folgende Bedingung, daß sich sechs der vornehmsten Bürger nur mit einem Hemd bekleidet, barhäuptig, den Strick um den Hals und die Schlüssel der Stadt und der Festung in der Hand sich ihm auszuliefern hatten, nur dann würde er Gnade über Calais walten lassen. Daraufhin versammelten sich alle Bürger und erfuhren von Jehans de Viane, welches Opfer zu bringen war. Die sechs reichsten und angesehensten Bürger meldeten sich für das Opfer und wurden den Forderungen entsprechend zum König von England gebracht. Dieser zum Außersten entschlossen, wurde jedoch von seiner schwangeren Gemahlin um Gnade gebeten. Wider seinen Willen übergab er die sechs Bürger der Königin, und diese ließ sie frei.
GEORG KAISERS AUFBEREITUNG DES DRAMAS:
G. Kaiser wich von den historischen Tatsachen ab, indem er sich nicht mit der Thematik der Belagerung und deren Ausgang beschäftigt, sondern die Personen und Bürger und ihre Opferbereitschaft in den Mittelpunkt des Dramas stellte. Er nennt in seinem Drama sieben statt sechs Opferbereite, von denen nur vier namentlich genannt werden.
PERSONEN DES STÜCKES:
JEAN DE VIENNE Erster der Gewählten Bürger
DUGUESCLINS Hauptmann des Königs von Frankreich
EUSTACHE DE SAINT-PIERRE Gewählter Bürger
JEAN D'AIRE Gewählter Bürger
DER DRITTE Gewählter Bürger
DER VIERTE Gewählter Bürger
DER FÜNFTE Gewählter Bürger
JACQUES DE WISSANT Gewählter Bürger
PIERRE DE WISSANT Gewählter Bürger
GANG DER HANDLUNG:
1. Akt:
In der offenen Stadthalle von Calais versammeln sich alle gewählten Bürger der Stadt, unter ihnen Jean de Vienne, der erste der gewählten Bürger. Während alle auf eine Nachricht warten, daß der König von Frankreich gegen die Belagerer der Stadt vordringe, betritt ein englischer Offizier die Stadthalle.
Die Bürger erfahren, daß der König von Frankreich gefallen, das Heer vernichtet sei und der König von England vor den Toren Calais stehe, um die Stadt und ihren Hafen zu erobern. Nur wenn sie der Forderung des Königs von England nachgeben, werden Calais und seine Bürger vor der Vernichtung verschont. Er werde sonst die Stadt und den soeben erst vollendeten Hafen, das Werk der Bürger vernichten, wenn nicht mit dem Grauen des neuen Tages sechs der gewählten Bürger aus dem Tor aufbrechen- barhäuptig und unbeschuht- mit dem Kittel des armen Sünders bekleidet, den Strick im Nacken und den Schlüssel in der Hand, teilte ihnen der englische Offizier mit.
Während der Hauptmann der Stadt Duguesclins zum Kampf und zur Verteidigung durch das Schwert aufruft, rät der siebzigjährige Eustache de Saint-Pierre zur Annahme der Forderung und zur kampflosen Übergabe der Stadt nach den Bedingungen des Königs. Er erinnert die Bürger an ihr Lebenswerk, den neu errichteten Hafen, und wies sie auf die Vernichtung hin, die ihnen drohe, wenn sie sich nicht dafür opfern.
Eustache de Saint-Pierre meldet sich freiwillig als erster und erreicht, daß sich noch weitere sechs Bürger freiwillig melden. Da aber nur sechs vom König gefordert wurden, soll das Los entscheiden, welchen der sieben Freiwilligen das Leben geschenkt werden soll.
2. Akt:
Vor dem Stadtsaal treffen nacheinander die sieben opferbereiten Bürger ein. Zuerst schreiten Eustache de Saint-Pierre und der Bürgermeister Jean de Vienne in den Saal. Ein riesiger Bildteppich bildet die Kulisse, durch den die Freiwilligen schreiten. Jean de Vienne bittet Eustache de Saint-Pierre, baldigst die Entscheidung durch das Los zu treffen, da das restliche Volk unruhig vor dem Stadtsaal warte, und endlich Gewißheit haben will, welcher von den sieben mit dem Leben davon kommt.
Nach und nach treffen die Freiwilligen ein und nehmen vor dem Stadtsaal Abschied von ihren Angehörigen. Während des letzten Mahles, welches alle noch miteinander einnehmen, steigt die Spannung immer mehr. Endlich reicht Eustache de Saint-Pierre die Schüssel mit den Losen, blaue Kugeln, im Kreise. Jeder zieht aus der mit einem Tuch verdeckten Schüssel eine Kugel.
Doch alle Kugeln sind blau. Eustache de Saint-Pierre hat für jeden eine blaue Kugel vorbereitet, um die Opferbereitschaft eines jeden einzelnen zu erhöhen. Es kommt wieder zu keiner Entscheidung, wie von Jean de Vienne und dem wartendem Volk jedoch erwartet.
Die endgültige Entscheidung trifft Eustache de Saint-Pierre und sagt: " Wir wollen uns ruhen bis an den Morgen- mit der ersten Glocke soll jeder von seinem Haus aufbrechen- wer zuletzt in der Mitte des Marktes ankommt- ist los! ( freigesprochen )
3. Akt:
Am Marktplatz von Calais warten die Bürger angespannt auf das Eintreffen der Operbereiten. Nach und nach trifft einer nach dem anderen in den frühen Morgenstunden ein. Die Unruhe steigt als Eustache de Saint-Pierre noch immer nicht da ist. Zuletzt treffen die beiden Brüder Jacques und Pierre de Wissant ein. Nur Eustache de Saint-Pierre fehlt noch.
Die anwesenden Bürger, unter ihnen auch Jean de Vienne, werden immer unruhiger und bezichtigen Eustache des Verrats und des Betrugs. Sie wollen ihn holen und auf offenem Marktplatz schänden
Doch da trifft der greise Vater des Eustache, eine Bahre begleitend, auf dem Marktplatz ein. Eustache de Saint-Pierre liegt tot darauf. Er hat sich in der vorangegangenen Nacht das Leben genommen, um den anderen sechs Freiwilligen die Entscheidung zu nehmen. Er wollte einem siebenten die Qual des Weiterlebens und das Wissen, die anderen zu opfern, ersparen und entschied sich, durch seinen freiwilligen Tod ihnen vorauszugehen.
Nun war es entschieden, sie waren nur mehr sechs, und ihr Opfer klar und rein.
In diesen frühen Morgenstunden brechen die sechs auf, so wie der König es gefordert hatte.
Plötzlich nähert sich der englische Offizier mit folgender Botschaft: Dem König von England wurde in der Nacht ein Sohn geboren und aus Dankbarkeit darüber, will er kein weiteres Leben vernichten. Calais und sein Hafen sind ohne Buße vor der Zerstörung gerettet.
Unzerstört wird die Stadt dem König übergeben, doch der tote Eustache de Saint-Pierre wird in der Kirche auf höchster Stufe aufgebahrt, damit auch der König vor diesem Opfer niederkniet.
DEUTUNG:
G. Kaiser wollte kein historisches Drama nach Froissarts Schilderungen erschaffen. Er nahm Motive aus der Geschichte als Grundlage für sein Drama, in dem es um die Verkörperung des "neuen Menschen" geht. Nicht die Tragödie der Übergabe der Stadt steht im Vordergrund des Stückes, sondern die Opferbereitschaft der einzelnen Personen. Georg Kaiser versucht einen neuen Menschen zu charakterisieren, einen, der seine Opferbereitschaft zeigt zum Wohle der Gemeinschaft, einen der sich gegen Waffengewalt stellt und für die Erhaltung des Friedens um jeden Preis geradesteht, auch wenn es das eigene Leben kostet.
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