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'Freies Geleit' und 'Schöpfungsgeschichte' im Vergleich
Liest man die beiden Gedichte zum ersten Male, so fallen dem Leser gleich zu Beginn die unterschiedlichen Standpunkte der Autoren auf. Beide der Gedichte handeln von dem Problem der Umweltverschmutzung und beide Gedichte erzielen beim Leser weitere Überlegungen bezüglich dieser Problematik, jeweils mit unterschiedlichen Denkansätzen.
Rein formal betrachtet, stellt man bei Ingeborg Bachmanns Poem, im Gegensatz zu Wilfried Kluts Werk, klassische Strophen fest, jedoch sind in keinem der beiden Gedichte Reime enthalten. Klut hat in seiner 'Schöpfungsgeschichte' die Strophenform aufgegeben; es sei dahingestellt ob er damit den literarischen Fortschritt beweisen - zwischen den beiden Texten liegen mehr als 20 Jahre, oder lediglich den Eindruck eines schnell dahin gemalten Bildes erwecken wollte. Dieses 20jährige Zeitabstand, das zwischen der beiden Werke liegt, mag auch für die so differenten Betrachtungsweisen der beiden Schriftsteller verantwortlich sein. Hat man nach dem Lesen von Bachmanns Gedicht doch noch die Hoffnung, daß sich alles zum Guten wenden würde, beziehungsweise daß dies überhaupt noch möglich sei, so hat man bei Kluts Text doch eher das Gefühl, daß die Umwelt verloren sei, daß sie schon längst den Kampf gegen die Menschheit verloren hätte.
Genauso wie in Bachmanns Text, so verwendete auch Klut eine Reihe von Sprachbildern und bemerkenswert, oder zumindest einige Überlegungen wert, war auch stets seine Wortwahl. Gleich am Beginn seines Gedichtes schrieb er von geschwefeltem Boden. Schwefel trägt - für mich zumindest - immer den Beigeschmack von Hölle mit sich, ist es doch der Geruch des Teufels. Betrachtenswert wäre ebenso die Abteilung des Wortes Schaum-Krone, die den Bächen - gemeint ist hierbei wohl die Verseuchung der Flüsse durch chemische Abwässer - aufgesetzt werden würden. Für mich war hierbei ein unmerklicher Hinweis, daß der Mensch die Krone, wenn nicht sogar die Hoheit, das Höchste, auf der Welt sei. Der Ausdruck der 'chemischen Keule' hingegen ist eine klassische Redewendung, auch in der Medizin. Nur haben viele Medikamente negative Auswirkungen auf den menschlichen Organismus, genauso wie das menschliche Handeln auf die Natur.
Auch die Auswahl der im Gedicht verwendeten Wörter scheint mir einige Überlegungen wert. Es stellt sich nun mal die Frage, warum Wilfried Klut den Duft der Kamille, und nicht den der Rose - die meiner Meinung nach einen um vieles lieblicheren Geruch besitzt, beseitigt sah. Vielleicht da der Duft der Kamille die reine Natur vermuten läßt, etwas beruhigendes und reinigendes an sich hat. Die Verwendung des Nachtigalls in seinem Gedicht kann ich mir nur so erklären, da der Nachtigall das Symbol des markelosen Klangs und Gesangs darstellt - vielleicht aus diesem Grunde der Krähe vorzuziehen.
Im letzten Teil seines Gedichtes führt Klut ein Bibelzitat aus dem ersten Buch Moses an[1], und stellt es jedem Leser frei, inwieweit die Konzeption korrigiert wurde. Er wollte damit wohl lediglich zum Ausdruck bringen, daß man die Erde nur so weit Untertan machen hätten sollen, wie es ihr gut tun. Denn quantitative Anderungen schlagen in Qualität um, und irgendwann wird der Punkt der Übertreibung erreicht. Nun sollte man einen gedanklichen Strich ziehen, ein Ende der Konzeption herbeiführen, denn man kann die Erde nicht mehr in dem Maße untertan machen wie es uns vor Jahr Tausenden von Gott vorgeschlagen wurde, da sich seit damals viel geändert hat.
Ebenso wie ihr Kollege Wilfried Klut, so führt auch Ingeborg Bachmann Schaum im Sinne von schäumenden Bechern an. Diese Darstellung läßt nun zwei Betrachtungsweisen offen: einerseits natürlich die Anspielung auf die unberührte Natur, die eröffnet ein archaisches Bild, nämlich das des Meeres, indem durch den Wind schäumende Wellen entstehen. Andererseits eröffnet dieses Sprachbild auch den Weg zu einem etwas unschöneren Gedanken, dem der chemischen Verunreinigung. Bachmann verwendete in ihren Gedicht abstraktere Sprachbilder, wie z.B. von den schäumenden Bechern. Lassen Kluts Umschreibungen meist klare und einprägsame Bilder entstehen, wie z.B. das des Landes der Hasen, so läßt sich bei Bachmann doch ein anderer Sprachgebrauch ohne direkte Symbolik erkennen.
In der zweiten Strophe des 'Freien Geleits' läßt sich ein einwandfreies Bild, nämlich, daß die Flüsse im großen Wasser münden, schlußendlich doch noch dorthin gelangen, wo sie eigentlich hingehören, ersehen. In der darauffolgenden Strophe wird der Leser mit Hilfe des Rauchpilzes auf die Gefahr die hinter den Atombomben stecke hingewiesen, und weiters noch darauf aufmerksam gemacht, das die Erde diesen nicht tragen wolle. Bachmanns Verwendung des Begriffs 'Geschöpf' - als literarisches Motiv nämlich - ist auch äußert interessant. Ob sie dabei bezug auf den Golem, oder vielmehr den Zauberkönig nehmen möchte, ist für mich nicht erkennbar, auf jeden Fall wollte sie den Leser - auch mit Hilfe des Rauchpilzes - darauf aufmerksam machen, daß viele Dinge sich selbständig gemacht haben - wie z.B. die Atombombe - und somit nicht mehr unter der Kontrolle des Schöpfers stehen.
In der dritten Zeile derselben Strophe fiel mir eine gewisse Unklarheit auf, die vielleicht auch absichtlich herbeigeführt wurde. Vielleicht wollte Ingeborg Bachmann damit aufzeigen, daß der Regen die Natur zwar reinwaschen, jedoch aber auch verseuchen - z.B. saurer Regen - kann.
In der darauffolgenden Strophe nimmt Ingeborg Bachmann mit einigen Tieren noch bezug auf die 4 Elemente - nämlich Erde, Wasser, Luft und Feuer. Bachmann bekleidet diese Lebewesen auch mit hohen Amtern (König Fisch, Hoheit Nachtigall, Feuerfürst Salamander), womit sie wahrscheinlich zeigen wollte, daß der Mensch nicht zwangsläufige als die Krone der Schöpfung angesehen werden muß.
In den letzten vier Strophen führt Bachmann dem Leser vor Augen, was die Erde alles nicht möchte, was ihr mißfällt. Wir werden darauf aufmerksam gemacht, was die Erde alles für uns tut - so pflanzt sie Koralle, etc. - daß die versucht die menschlichen Bedürfnisse zu stillen, mit all dem Schönen, das sie uns gibt. Gleichzeitig keimt in uns die Frage auf, was wir den nun für die Erde tun. Bachmann nimmt auch auf die menschlichen Werte wie Schönheit, Reichtum aber auch Stille - der Wald, den sie als Rifugium anführt, hat neben all der Stille und Ruhe, die er zweifellos in sich trägt, aber auch etwas dunkles, wenn nicht sogar gefährliches - Rücksicht.
In der letzten Strophe wird die Erde nun als geschlossenes System von außen - vom Weltall aus - betrachtet. Nun fallen die gewaltigen Dimensionen auf: auf der einen Seite die Molekülzusammensetzungen von Lebewesen, auf der anderen jedoch, die Erde im All. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muß dem Leser nun auffallen, daß auch er mitverantwortlich für das ist, was auf der Erde nun geschieht, und daß man nicht bis in alle Ewigkeiten mit der Erde das tun kann, was man will.
Während Bachmann noch eine Warnung ausruft, hat das Gedicht von Klut etwas Abgeschlossenes an sich, zeigt bereits beschlosse Tatsachen auf und läßt der Leserschaft keine Hoffnung mehr. Vor allem dadurch da Ingeborg Bachmann in der letzten Strophen fast einen Reim zusammen gebracht hat, strahlt ihr Gedicht Zuversicht aus, daß die Erde doch noch tausend schöne Morgen genießen kann.
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