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Nathan der Weise - Lessing G.E.
Versdrama in fünf Aufzügen von
Gotthold Ephraim LESSING (1729 -1781)
Schauplatz ist Jerusalem, die Stadt der Weltreligionen, zur Zeit der Kreuzzüge: Christentum, Judentum und Islam treffen hier unmittelbar aufeinander. Das Stück hat aufklärerische Absicht hinsichtlich der Religionswahrheiten (Ringparabel) und zeigt einen Juden (Nathan), der allen antisemitischen Vorurteilen zum Trotz, sich durch ganz andere Charakterzüge auszeichnet: Er lässt sich von der Vernunft und der praktischen Ethik leiten, anstatt mit Geld
Wucher zu betreiben und auf Schicksalsschläge mit Vergeltung zu antworten.
Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem ist gerade von einer weiten Geschäftsreise aus Babylon zurückgekehrt und erfährt von der Gesellschafterin, der Christin Daja, dass seine Tochter Recha eben durch einen jungen Tempelherrn vor dem Feuertod gerettet worden ist. Recha und Daja betrachten das als Wunder, denn dieser Tempelherr, der einem christlichen Ritterorden angehört, war nach einem Gefecht in Gefangenschaft geraten und sollte auf Befehl des Sultans Saladin, eines Muselmannes, getötet werden. Der Sultan erinnerte sich beim Anblick des jungen Mannes plötzlich an seinen toten Bruder und hob in einem unerwarteten Gnadenakt das Todesurteil auf.
Dem erfahrenen, klugen Nathan gelingt es, den widerspenstigen Tempelherrn in ein vorurteilsfreies Gespräch zu ziehen und ihn, als Dank für die mutige Tat, zu einem Besuch bei Recha zu bewegen. Dies war Recha und Daja bisher nicht gelungen. Bald bekommt Nathan Gelegenheit, seine Weisheit unter Beweis zu stellen: Der Sultan befindet sich gerade in einer
finanziellen Notlage und will auf Rat seiner Schwester Sittah, die Freigebigkeit des Juden, aber vor allem seine Vernunft auf die Probe stellen.
Der Sultan stellt ihm die heikle Frage nach der wahren Religion. Nathan hat hierauf den rettenden Einfall, dem Sultan ein Gleichnis zu bieten, nämlich die berühmte Ringparabel:
Ein Königshaus im Osten besaß einen Ring, der die Eigenschaft hatte, seinen Träger "vor Gott und den Menschen angenehm zu machen". Diesen Ring übertrug viele Generationen hindurch der jeweils regierende König bei seinem Tod dem Lieblingssohn, bis der Ring auf einen Herrscher kam, der seinen drei Söhnen mit gleicher Liebe zugetan war. Unfähig, sich für einen von ihnen zu entscheiden, ließ er nach dem Muster des echten Ringes zwei weitere, vollkommen ähnliche anfertigen und übergab sie alle drei vor dem Tod seinen Söhnen. Als ein Streit um den echten Ring ausbricht, entscheidet ein kluger Richter, dass sich jeder der Söhne einzig und allein an praktisches Handeln als Maßstab für die Echtheit des Ringes halten sollte: "Es eifre jeder seiner unbestochnen - von Vorurteilen freien Liebe nach! -
Es strebe von euch jeder um die Wette, - Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag - Zu legen! Kommt dieser Kraft mit Sanftmut, - Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, - Mit innigster Ergebenheit in Gott - Zu Hilf!" Der Sultan, der mit wachsendem Erstaunen in dieser Geschichte den Wahrheitsgehalt der drei Religionen erkennt, ist sehr betroffen. Sein Gebot, den absoluten Anspruch auf Wahrheit irgendeiner der Religionen theoretisch zu begründen, ist ins Wanken geraten: Religion, in welcher Gestalt sie auch immer auftritt, muss sich durch praktische Humanität ausweisen. Voll Begeisterung bietet der Sultan dem weisen Juden seine Freundschaft an.
Der Tempelherr ist inzwischen in leidenschaftlicher Liebe zu Recha entbrannt und begehrt sie zur Frau. Nathan, der in dem stürmischen Werber einen nahen Verwandten Rechas vermutet, erweckt durch seine abwehrende Haltung dessen Zorn. Recha verrät dem Tempelherrn, dass Daja nicht die leibliche Tochter Nathans ist, sondern ein christlich getauftes Waisenkind. Er sucht Rat beim Patriarchen in Jerusalem, einem Vertreter der Christenheit. Dieser will den Juden in eine Intrige versticken, schickt aber als Spion zufällig einen frommen einfältigen Klosterbruder aus, gerade den, der vor achtzehn Jahren Nathan ein elternloses Kind, nämlich Recha, anvertraut hat. Aufgrund einiger Hinweise des Klosterbruders erkennt Nathan jetzt, dass der Tempelherr Rechas Bruder ist. Für Saladin und Sittah ist es nun einfach, im Tempelherrn ihren Neffen, den Sohn ihres Bruders Assam, zu erkennen.
Nathan jedoch, der an dieser leiblichen Verwandtschaft nicht beteiligt ist, wird von Recha und dem Tempelherrn als Vater im Sinne höherer Geistes- und Seelenverwandtschaft angenommen. In herzlichen Umarmungen lösen sich die Wirrnisse, und Menschen verschiedenen Glaubens entpuppen sich als Mitglieder einer einzigen Familie.
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