Angst
In der Novelle 'Angst' von Stefan Zweig geht es um Frau Irene
Wagner, die trotz ihrer glücklichen Ehe, ihrer zwei Kinder und ihres Reichtums,
oder vielleicht gerade wegen dieser Harmonie, einen Geliebten von gewöhnlichem
Stande hat. Das ist weiter nicht
schlimm, bis sich eines Tages ihre Angst von jemandem gesehen und
erkannt zu werden, ausgerechnet in Person einer derben Proletarierin, die
angibt die ehemalige Geliebte des Geliebten zu sein. Da Frau Irene wie erstarrt
ist, greift sie zum Naheliegendsten, ihrer Brieftasche, und übergibt dem
Gegenüber fast dem gesamten Inhalt. Mit der Beteuerung, den Geliebten nie mehr
zu sehen, hetzt sei nach draussen.
Obwohl sie Eduard, dem
Verführer, dessen drängen die nur Langeweile nachgegeben hat, gleich darauf
eine Absage der nächsten Treffen zukommen läßt, auf welche dieser unwissend des
wahren Grundes, mit Liebesbeteuerungen antwortet, kann sie nicht umhin ihn
nocheinmal zu sehen.
Die erste erschreckende Angst
ist verflogen und die Hilflosigkeit des anderen, den sie noch absichtlich auf
Distanz hält, um den Spaß des Spiel noch zu steigern, beginnen sie zu reizen.
Dieses neue Interesse ist jedoch nur von kurzer Dauer, da sie nach dem Treffen
wieder von der Person aufgelauert und um Geld erleichtert wird. Frau Irene hat
Angst und meidet die Öffentlichkeit. Sie sieht den Geliebten nicht wieder, was
die Erpresserin nicht abhält, in einem Brief neue Forderungen zu stellen. Da
die Forderungen immer weiter steigen sind, weiß Frau Irene nicht, wie lange sie
noch bezahlen kann. Fritz, ihren Mann, der durch das auffällige Verhalten, die
Alpträume in der Nacht und den Brief, den er nicht lesen durfte, schon
mißtrauisch geworden ist, kann sie natürlich nicht nach Geld fragen. Sie fragt sich
immer öfter, wie er wohl reagieren würde, der Richter von Beruf, wenn er von
ihrer Untreue erfahren würde. Sie sind zwar schon so lange verheiratet, doch
eher verheiratet als zusammen. Er hatte sie immer gut behandelt und war nie
böse gewesen. Auch wenn eines der Kinder etwas anstellte, kam es vor den
Richter, der das Geständnis mit allen Mitteln zu erzwingen suchte, in der
Bestrafung aber eher mild war. Seiner Ansicht nach, ist das Verstecken und die
Angst vor der Entdeckung die größte Last die man jemandem aufbürden kann, und
damit Bestrafung genug. Frau Irene zweifelt jedoch, ob er auch mit ihr so
verfahren würde. Ein weiterer Brief und sogar ein persönlicher Besuch der
Person, bei dem sie Frau Irene ihren Ehering abnimmt, scheuchen sie immer mehr
in die Enge und sie glaubt, schon das vorsichtige, sanfte, aber doch bestimmte
Drängen ihres Mannes nach einem Geständnis zu spüren. Er bemerkt das Fehlen des
Ringes und sie kann sich nur mit einer Notlüge über das Putzen des Ringes
befreien.
Der Druck der Umwelt wächst ins Unermeßliche und Frau Irene sieht bald
nur noch einen Ausweg, falls sie den Ring nicht innerhalb der nächsten zwei
Tage zurückerhält. Bei einer früheren Krankheit hatte ein Arzt ihr Morphium
verschrieben, welches in genügend hoher Dosis sicherlich tödlich ist. Da sie
aber nicht mehr genug im Hause hat, beschließt sie, in einer Apotheke mehr zu
kaufen. Vorher will sie aber nocheinmal versuchen, die Person zu finden, um den
Ring zu bekommen. Sie wandert die Straßen auf und ab, immer in der Hoffnung die
Person zu finden. Als sie nirgends Glück hat, keimt der Verdacht, daß dies
alles ein ausgemachtes Spiel des Geliebten sein könnte. Also geht sie
nocheinmal zu ihm, wütend wird sie, als er sie nicht hereinlassen will und jede
Kenntnis von einer früheren Freundin mit dieser Beschreibung abstreitet. Sie
stürzt in die Wohnung, trifft aber zu ihrer Scham nur eine andere Dame der
höheren Gesellschaft, der sich Eduard anscheinend an ihrerstatt angenommen
hatte. Enttäuscht und depremiert geht sie langsam den Weg zur Apotheke und
verlangt das Morphium. Als sie gerade bezahlen will, spürt sie ihren Arm
weggedrückt, und sieht ihren Mann. Der nimmt sie mit sich nach Hause,
vernichtet den Inhalt des kleinen Fläschchens und wirkt wütend. Erst mit der
Zeit bemerkt Frau Irene, daß er ihr immer noch gut gesinnt ist und er gesteht
seine Schuld, und daß die Erpresserin nur eine gemietete Schauspielerin war,
während sie in Tränen ausbricht. Er trägt sie zu Bett, wo sie sofort
einschläft. Am nächsten Morgen erwacht sie mit ihrem Ring am Finger.