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Parapsychologie
Der 1889 von Max Dessoir geprägte Begriff
'Parapsychologie' soll eine Wissenschaft bezeichnen, die sich mit
'den aus dem normalen Verlauf des Seelenlebens heraustretenden
Erscheinungen' beschäftigt. Gegenstand sind dabei vor allem angebliche
Phänomene, die unter dem Oberbegriff 'Psi' - nach dem 23. Buchstaben
des griechischen Alphabets - zusammengefaßt werden: Einerseits die sogenannte
Psychokinese (z. B. das Bewegen von Gegenständen durch
'Gedankenkraft'), andererseits sogenannte 'Außersinnliche
Wahrnehmung', worunter Telepathie ('Gedankenübertragung'),
Hellsehen (das Erfassen von Sachverhalten, die niemandem bekannt sein können)
und Präkognition (Voraussehen von zukünftigen Ereignissen) verstanden werden.
Seit Anfang der 30er Jahre ist 'Parapsychologie' auch sehr vereinzelt
an einigen Universitäten etabliert. Ein Lehrstuhl für
'Parapsychologie' besteht heute in Europa nur noch an der Universität
Edinburgh (Schottland). Die sich mit 'parapsychologischen'
Fragestellungen beschäftigenden Wissenschaftler sind in der 'Parapsychological
Association' (PA) zusammengeschlossen.
Bis vor kurzem glaubte sich jede Generation von 'Parapsychologen' im
Besitz bestimmter 'unzweifelhafter Belege' für die Existenz von
'Psi', wobei diese 'Belege' dann aber immer von der jeweils
nachfolgenden Generation widerlegt werden konnten. Insofern ist die Geschichte
der 'Parapsychologie' eine Geschichte der Nieten und Reinfälle. Doch
die 'Parapsychologen' haben aus dieser Geschichte gelernt, sie
berücksichtigen zunehmend Fehler- und Täuschungsmöglichkeiten, die sie in der
Vergangenheit schmerzlich erfahren mußten. Als eine Konsequenz daraus wurden
die von 'Parapsychologen' behaupteten Psi-Effekte mit der Zeit immer
kleiner, bescheidener und bedeutungsloser. Die in der PA zusammengeschlossenen
'Parapsychologen' sind sich heute über folgende Punkte weitgehend
einig:
- 'Psi', falls es überhaupt existiert, ist weder kontrollierbar noch
erlernbar noch in der Praxis auf irgendeine Weise anwendbar oder verwendbar,
- die in der Öffentlichkeit auftretenden Hellseher, Medien, Wahrsager usw.
verfügen über keine 'paranormalen' Fähigkeiten, ihre Trefferquoten
entsprechen der des Zufalls, wie zahlreiche kontrollierte Experimente ergaben,
- 'große' Effekte wie Materialisationen, Verbiegen von Löffeln,
Spukerscheinungen usw. sind nicht existent oder lassen sich zumindest nicht
überzeugend nachweisen.
Doch was ist mit dem Begriff 'Psi' überhaupt gemeint? Keineswegs
verstehen die meisten 'Parapsychologen' darunter übersinnliche oder
paranormale Fähigkeiten, wie in der Öffentlichkeit meist irrtümlich angenommen.
Häufig sind mit 'Psi' nur vorläufig unerklärte Anomalien (d. h.
Abweichungen von einem Erwartungswert) gemeint, nichts weiter. Die Existenz von
'Psi' im Sinne von 'übernatürlichen oder paranormalen
Kräften' ist für die meisten heutigen 'Parapsychologen' eine
unbelegte Behauptung. Eine Reihe von 'Parapsychologen' ist der
Ansicht, daß man vor dem Hintergrund dieser Begriffsverwirrung auf den
'Psi'-Begriff lieber ganz verzichten sollte.
Die Bezeichnung 'Parapsychologe' ist
juristisch nicht geschützt, jeder kann sich so nennen. Deshalb treten in der
Öffentlichkeit zahlreiche Personen aus dem Bereich der Esoterik unter diesem
Titel auf und verbreiten aus Sicht der wissenschaftlichen
'Parapsychologie' völlig unhaltbare oder längst widerlegte
Behauptungen. Dazu zählen beispielsweise Berichte über angebliche
'Psi-Geheimwaffen', Tonbandstimmen aus dem Jenseits sowie diverse
Kontaktaufnahmen mit Geistern. In letzter Zeit wurde vermehrt der - vermutlich
sinnvolle - Vorschlag gemacht, den Begriff 'Parapsychologie' lieber
ganz solchen Personen zu überlassen und die wissenschaftliche
Auseinandersetzung mit angeblichen 'Psi-Phänomenen' unter einer
anderen Bezeichnung (z. B. 'Anomalistik') zu führen. Parapsychologen
(ohne Anführungszeichen) wären dann die besagten Esoteriker und Spiritisten,
'Parapsychologen' (mit Anführungszeichen) die Wissenschaftler, die
kritisch derartige behauptete Phänomene untersuchen (jedenfalls solange sie
selbst diese Bezeichnung noch nicht durchgehend ablegen).
Derzeit existieren zwei Klassen von (Labor-)Experimenten, die innerhalb der
'Parapsychologie' als die augenblicklich überzeugendsten Anomalien
angesehen werden. Einerseits Experimente mit sogenannten Schmidt-Maschinen, bei
denen Versuchspersonen die Zerfallsrate eines radioaktiven Präparats
beeinflussen sollen (als Beispiel für Mikro-Psychokinese), andererseits die
sogenannten Ganzfeld-Experimente, in denen eine Versuchsperson - weitgehend
abgeschirmt von verwertbaren Sinneswahrnehmungen - Informationen einer anderen
Person empfangen soll (als Beispiel für Telepathie). In beiden
Experimentklassen ergaben sich minimale (und in der Praxis völlig irrelevante)
statistische Abweichungen von der Zufallserwartung, die nur angesichts einer
extrem großen Zahl von Einzelversuchen eine gewisse statistische Signifikanz
erreichten. Insbesondere im Fall der Ganzfeld-Experimente ist es bis jetzt
unklar, wie diese Abweichungen zu erklären sind. Es besteht jedoch keine
Veranlassung, als Ursache 'Psi' im Sinne von 'übersinnlichen'
Fähigkeiten anzunehmen, genausogut können noch unentdeckte minimale Fehler bei
der Durchführung der Experimente dahinter stecken. Die Geschichte der
'Parapsychologie' mahnt in diesem Zusammenhang jedenfalls zur
Vorsicht. Allerdings muß auch gesagt werden, daß sowohl die Ganzfeld- als auch
die Experimente mit Schmidt-Maschinen weit von der in den Wissenschaften
üblichen Forderung entfernt sind, reproduzierbare positive Ergebnisse zu
liefern. Von 28 Ganzfeld-Studien, die der 1992 verstorbene führende Forscher
dieses Gebiets, Charles Honorton, zusammenstellte, führten nur 12 zu einem
positiven Ergebnis (5 % Signifikanzniveau).
Tatsächlich kann die 'Parapsychologie' bis heute kein einziges
stichhaltiges, wiederholbares Experiment vorweisen, das die Annahme von
Phänomenen, die nicht auf konventionell-natürliche Weise erklärbar sind,
rechtfertigen würde. Es ist keine andere Wissenschaftsdisziplin bekannt, für
die Vergleichbares gilt: daß sie nach über 100jähriger Existenz noch immer
keinerlei Belege vorbringen kann, die einen eigenen Forschungszweig
rechtfertigen würden.
Die disziplininterne Kritik innerhalb der 'Parapsychologie' hat
innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte ständig zugenommen, verschiedene
'parapsychologische' Einrichtungen (z. B. das Institut für
Parapsychologie der Universität Utrecht) wurden geschlossen, und selbst
führende 'Parapsychologen' (z.B. John Beloff) räumen heute ein, daß
die skeptische Position gegenüber der Existenz von 'Psi-Phänomenen'
durchaus haltbar und vertretbar ist. Es deutet vieles darauf hin, daß die
'Parapsychologie' ihre Zukunft als Wissenschaftsdisziplin bereits
hinter sich hat und primär zu einem Phänomen der Wissenschaftsgeschichte werden
wird. Jedenfalls ist eine zunehmende Annäherung der Positionen von
'Parapsychologen' und Skeptikern zu beobachten, auch was die
Wichtigkeit der Untersuchung der psychosozialen Hintergründe des Glaubens an
'Psi-Phänomene' betrifft. Sogenannte 'Spontanberichte' über
angebliche paranormale Erscheinungen (z. B. Spuk) haben zwar aufgrund der
notorischen Unkontrollierbarkeit der Umstände keinerlei Beweiskraft für die
Existenz von 'Psi'. Aus ihnen hat man jedoch viel über die
Psychologie und Soziologie der Anhänger paranormaler Überzeugungssysteme
gelernt.
Durch die Aktivitäten des 1991 verstorbenen Freiburger Professors Hans Bender
wird beim Stichwort 'Parapsychologie' in Deutschland häufig an die
Erforschung sogenannter 'Spukphänomene' gedacht. Wer allerdings - wie
Mitglieder der GWUP - bereits einmal vor Ort einen solchen 'Poltergeistfall'
untersucht hat, der wird schnell feststellen, daß - ganz im Gegensatz zu den
Horrormeldungen in der Sensationspresse - keinerlei 'paranormale'
Vorgänge dingfest zu machen sind. Trotz erheblicher Anstrengungen existiert bis
heute weltweit kein einziges fotografisches Dokument (z. B. Videoaufnahmen),
das ein behauptetes Spukphänomen zweifelsfrei wiedergeben würde. In zahlreichen
Fällen konnte jedoch Betrug und Manipulation nachgewiesen werden, so z. B. beim
Fall 'Chopper' 1982 in einer Regensburger Zahnarztpraxis oder beim
'Spukfall' von Rosenheim 1967 in einer Anwaltskanzlei. Im Mittelpunkt
des Geschehens stehen fast immer pubertierende Jugendliche in persönlichen
Krisensituationen, die durch inszenierte 'Spukerscheinungen' (z.B. Steinwürfe,
Schwingenlassen von Bildern, Verschwindenlassen oder Zerstörung von
Gegenständen usw.) die Aufmerksamkeit auf sich lenken und die Erwachsenen
schockieren wollen. Meist ist der soziale Kontext derart gespannt, daß das
Tricksen von 'Spukerscheinungen' als ein letzter 'Hilferuf'
der Jugendlichen interpretiert werden muß, weil sie in ihrer Umgebung mit ihren
Problemen sonst immer nur auf 'taube Ohren' stoßen und sich nicht
anders zu helfen wissen. Jedoch ist die durch den 'Spuk' ausgelöste
psychosoziale Dynamik in aller Regel derart destruktiv (Familienmitglieder
machen sich gegenseitig 'verrückt', Nachbarn verdächtigen und
beschuldigen sich gegenseitig, sensationsgierige Journalisten schlachten den
Fall gnadenlos aus und machen die Beteiligten in aller Öffentlichkeit lächerlich
usw.), daß der angereiste Untersucher schnell merken wird, daß er hier nicht
etwa als 'Spukforscher', sondern als Sozialhelfer gefragt ist.
Literatur:
Beloff, J.: Is Skepticism Tenable? In: Skeptical Inquirer, Bd. 19, Nr. 3, S. 19, 1995
Bem, D. J., Honorton, C.: Does Psi exist?/Hyman, R.: Anomaly or Artifact? Comments on Bem and Honorton. In: Psychological Bulletin, Bd. 115, Nr. 1, S. 4, 1994
Schäfer, H.: Poltergeister und Professoren - Über den Zustand der Parapsychologie. Fachschriftenverlag Dr. jur. Herbert Schäfer, Bremen 1994
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