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Eugippius
"Vita Sancti Severini"
Biographie des Eugippius:
Eugippius entstammte wahrscheinlich einer römischen Familie und wurde nicht vor 465 geboren. Mit 15 Jahren lebte er vermutlich in Neapel. Nachdem Severin gestorben war trat er in die Mönchsgemeinschaft von Mautern (Favianis) ein. Da er Severin nicht mehr persönlich kennen lernte, besorgt er sich sein Wissen von älteren Ordensbrüdern. Als er 488 mit der Klostergemeinschaft nach Italien übersiedelte, wurde er Abt in dem neugegründeten Kloster in Castrum Lucullanum bei Neapel. Aus seinen Schriften ist zu erkennen, dass er nicht vor 533 starb.
Er zählte zu seiner Zeit zu den wichtigsten und bedeutendsten Persönlichkeiten seiner Zeit, was jedoch nicht nur seiner theologischen Bildung zuzuschreiben war.
Neben der Vita Sancti Severini verfasste er die Excerpta Ex Operibus Sancti Augustini, die Auszüge aus den Werken des heiligen Augustinus beinhaltet. Darüber hinaus hinterließ er seinen Mönchen eine Regula, eine Mönchsregel.
Biographie des Severin:
Severins Herkunft, seine Jugend, seine Ausbildung sein ganzes Leben bis zur Ankunft in Noricum werden von Eugippius ausgeklammert. Nur im Brief an Paschasius wird kurz darüber berichtet.
Wegen diesen Informationsmängeln wurden immer wieder exotische Theorien betreffend Severins früheres Leben aufgestellt. Es existiert zum Beispiel die These, Severin sei bis zu Attilas Tod an dessen Hof als notarius tätig gewesen und habe 453 fliehen müssen und sei deshalb nur zufällig nach Noricum gekommen.
"Unser Vaterland ist der Himmel und nach dem Himmel wollen wir trachten!"
Eine glaubwürdigere These stellte der Severinforscher Friedrich Lotters auf. Severin (der Gestrenge) stammte aus einer vornehmen Familie Italiens oder sogar Roms und hatte wahrscheinlich enge Verbindungen zu den weströmischen Kaisern. Er war Inhaber des Ehrentitel "inlustrissimus vir" eine Bezeichnung für Beamte der höchsten Reichs- und Hofämter. Nach dem Ende des Hunnenreiches 454 wurde er mit militärischen und zivilen Vollmachten in die Provinzen des Ostalpen- /Donau-Raumes entsandt. 457 rekrutierte er als magister militum im Auftrag des Kaisers Maiorianus in Pannonien ein Heer für einen Feldzug des Kaisers in Gallien. Es gibt auch die Vermutung, dass Severin 461 der Ehrentitel "consul" verliehen wurde. Nach dem der Hinrichtung des Kaisers im selben Jahr, war seine Sicherheit gefährdet und floh in die oberägyptische Wüste. Dort lernte er in einer Eremitenkolonie die asketische Lebensweise kennen, wovon er so beeindruckt war, dass er eine conversio (= Hinwendung eines schon getauften Christen zu monastisch-asketischer Lebensweise) erlebte. Schlussendlich entschied er sich trotz seiner Sehnsucht nach der vita contemplativa (dem Klosterleben) für die vita activa. 476 kehrte er auf "göttliches Geheiß" (ep. Eug. 10) nach Noricum zurück. Hier wirkte er bis ins Jahre 476 in amtlicher Funktion. Nach diesem Jahr basierte seine Machtbefugnis sicher nicht mehr auf einem amtlichen Auftrag, sondern aus eigener Initiative und Berufung. Denn in Noricum wie auch in anderen Provinzen traten kirchliche Organe an die Stelle der weltlichen Amter. Seine besonderen Fähigkeiten als Politiker und Verwaltungsfachmann und vor allem sein vorzügliches Geschick im Umgang mit den Germanenführern, besonders dem König der Rugier, kamen ihm zugute.
Vita Sancti Severini
Severin wurde geistliches Oberhaupt und weltlicher Führer der Bevölkerung von Ufer-Noricum, die immer wieder unter Germaneneinfällen, Räuberbanden und materieller Not litt. Er sammelte Mitbrüder um sich und gründete mehrere Mönchsniederlassungen, war selbst jedoch nie Abt, Priester oder Mönch. Diese Klöster, in erster Linie wiederum Favianis, das dem rugischen Herrschersitz gegenüber gegründet wurde, waren sowohl geistliche Zentren für seelsorgerische Tätigkeiten als auch ein funktionsfähiger Apparat, um seine Tätigkeiten in bezug auf Verteidigung, Verwaltung, Versorgung und sozialer Absicherung der Provinzbevölkerung ausführen zu können. Die Klöster waren Verwaltungszentren, Aufbewahrungsorte für Nahrung und Kleidung, Hospitäler und seine Fratres waren in mancher diplomatischen Mission unterwegs und sammelten Informationen, damit Severin daraufhin Anordnungen treffen, Entscheidungen fällen und feindliche Angriffe vorhersehen konnte. Die Versorgung mit Nahrung und Kleidung der Bevölkerung lag ihm wohl besonders am Herzen. Dabei spielte die Abgabe des Zehnten eine große Rolle, die er einführte. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er auch den von den Germanen Verschleppten, von denen er auch häufig welche freikaufte. Bei Angriffen von Feinden organisierte er oft die Verteidigungsmaßnahmen und als die Bedrohung für die Provinzbevölkerung immer schlimmer wurde ordnete er die Evakuierung von Westen nach Osten ein.
Vita Sancti Severini
Vita Sancti Severini
Das endgültige Ende der römischen Herrschaft im Noricum erlebte Severin nicht mehr. Als Odoaker 488 die Romanen gewaltsam nach Italien umsiedelte, nahmen die Mönche Severins Leichnam mit, so wie er es zuvor befohlen hatte. Er wurde in Castrum Lucullanum beigesetzt. Im Jahre 902 wurde sein Leichnam nach Neapel gebracht. Seit 1807 ruht er in Frattamaggiore nördlich von Neapel.
Aufbau der Vita Sancti Severini:
Die Vita Sancti Severini ist die einzige Quelle, aus der wir etwas über den heiligen Severin erfahren. Sie entstand ungefähr im Jahre 511, beinahe 3 Jahre nach Severins Tod.
Die Entstehungsgeschichte des Commemoratorium (genaue Bezeichnung der Vita), der Erinnerungs- oder Gedenkschrift, wird im Briefwechsel zwischen Eugippius und dem römischen Diakon Paschasius dargestellt.
Eugippi epistola ad Paschasium
Eugippius schickte Paschasius das Kommemoratorium mit der Bitte, aus der "einfachen" Materialsammlung eine kunstvoll aufgebaute, stilistisch ausgefeilte Schrift auszuarbeiten. Diese Bitte ist eine bescheidene Form der Widmung, die Paschasius höflich mit der Begründung ablehnt, er könne der Schrift nichts mehr hinzufügen. Er habe Severins Leben der Wahrheit entsprechend, leicht und gut verständlich beschrieben. So können wir auch heute noch die Vita Sancti Severini in ihrer ursprünglichen Form, so wie sie Eugippius konzipiert und sprachlich gestaltet hat, lesen. Sie ist in gutem Latein und in gehobener Sprache verfasst.
Das Commemoratorium beginnt mit einer Kapitelübersicht (Capitula) der 46 Abschnitte.
Zu Beginn könnte man meinen, dass die 46 Kapitel des Comemmoratoriums uneinheitlich im Bezug auf Umfang und Inhalt aneinandergereiht sind, obwohl der Aufbau gut überlegt war. Eugippius selbst hatte nämlich nicht die Absicht, mit seinem Werk objektive Geschichtsschreibung auf der Grundlage von Fakten zu betreiben, sondern seine einzige Absicht war es eine Heiligenvita im Dienste der Theologie zu schreiben. Sein Ziel war es nicht den Lebenslauf des Severin und dessen Charaktereigenschaften möglichst exakt wiederzugeben, sondern einige markante Erlebnisse aus seinem Leben, wie zum Beispiel, denkwürdige Worte und (Wunder-)Taten. Eugippius versuchte die virtus des Severin besonders zu betonen. Er ordnete seinen Stoff zeitlich und nach verschiedenen Gesichtspunkten der einzelnen Orte. Er wollte letztlich das Wirken Gottes durch einen Heiligen, von allen verehrten Menschen darstellen. Deshalb bediente er sich auch ganz bewusst des Stilmittels liturgischer und biblischer Überhöhung,
Kapitel 1 - 4 |
Severins erstes Auftreten in Noricum; Prophezeiungs-wunder. |
Kapitel 5 - 10 |
Severins erster Besuch in Favianis/Mautern; sein Ansehen bei den Germanen, besonders bei den Rugiern; weitere Wundertätigkeiten und Gefangenenbefreiung. |
Kapitel 11 - 26 |
Severins Reisen, hauptsächlich in die Kastelle an der oberen Donau; mehrere verschiedene Wundertätigkeiten; Zehnt und Armenfürsorge. |
Kapitel 27 - 31 |
Evakuierung der Romanen von Westen nach Osten; weitere Wundertätigkeiten. |
Kapitel 32 - 42 |
Beschreibung der letzten Lebensjahre des Severin in Mautern; weitere Wunder; Todesahnungen, Vermächtnisse, Mahnungen. |
Kapitel 43 |
Severins Tod |
Kapitel 44 - 46 |
Ereignisse nach Severins Tod; weitere Wunderberichte. |
Chronologische Einordnung der Kapitel:
Kapitel 1 - 4 |
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Kapitel 5 - 20 |
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Kapitel 20 - 32 |
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Kapitel 40 - 43 |
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Kapitel 40 |
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Kapitel 46 |
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Die Besonderheiten der Sprache in der V.S.S.:
An dem Werk erkennt man gut die Besonderheiten der Sprache, die die Autoren in der spätlateinischen Periode (200 bis 500) praktizierten. Besonders bemerkbar ist dies bei der Zusammensetzung der Verben und der Verwendung von Wörtern die im klassischen Latein noch nicht bekannt waren oder beziehungsweise mit einer anderen Bedeutung verwendet wurden. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Begriffe aus dem christlich-kirchlichen Bereich griechischen Ursprungs (zum Beispiel: Baptisterium, Presbyter). Außerdem wird der AcI häufig durch quod- und quia-Konstruktionen ersetzt. Die Zeitenfolge wird nicht mehr so streng beachtet, da sehr häufig das PPA verwendet wird. Finalsätze werden durch Infinitivkonstruktionen ersetzt. Längerer Periodenbau wird von Eugippius normalerweise vermieden.
Die Kapitel 4,1-5; 8; 30; 31; 43,2-7 sind besonders kunstvoll und stilistisch ausgebaut. Neben gebräuchlichen Figuren und Gesängen verwendet Eugippius besonders häufig das Hyperbaton (Abweichung der Wortstellung).
Die Vorgeschichte zur V.V.S.:
15 v. Chr., unter Kaiser Augustus, wurde die Grenze des Römischen Reiches nach Norden ,,vorverlegt' und Noricum dem Imperium einverleibt. Dies führte dazu, dass im Norden die Germanen und im Süden die romanisierten Teile nebeneinander leben mussten und Auseinandersetzungen, vor allem mit dem Germanenstaat (im heutigen Sudetenraum) unter König Marbod (Markomannenkönig), unabwendbar wurden. Längs der Donau kamen Germanen unter römische Kontrolle, indem man sie mit Verträgen zu Bundesgenossen und Vasallen machte, und schließlich wurde unter Kaiser Claudius (41 - 54 n. Chr.) Noricum römische Provinz. Durch den dichten Waldgürtel und die Alpen wurden zahlreiche Kastelle wie Carnuntum errichtet, an der norischen Donau begnügte man sich mit kleineren Stützpunkten. Mit den Römern kam der Wohlstand und ein reger Städtebau (z. B. Virunum/Zollfeld, Teurnia, Aguntum, Flavia Solva). Da den Markomannen das Ansiedeln auf Reichsboden verwehrt wurde, kam es ab 166 n. Chr. immer wieder zu Markomanneneinfällen. Die Situation verschlimmerte sich durch Pest, Missernten und den Abzug vieler Garnisonen, die für einen Krieg im Osten benötigt wurden. Erst mit dem Friedensschluss unter Kaiser Commodus wurde der ursprüngliche Grenzverlauf wiederhergestellt und die Germanen wurden zu Gebietsabtritten und Tributzahlungen verpflichtet. Das Lebensniveau von früher wurde nie wieder erreicht und Rom war schwer angeschlagen. Das 3. Jahrhundert war geprägt von nationalen Kräften, die immer stärker wurden, Wirtschaftskrisen, neuen Feinden im Norden, Bürgerkriegen und Auseinandersetzungen unter den Soldatenkaisern. 270 n. Chr. ging Rätien für immer verloren, in Noricum wurde es zum Alltag, mit kriegerischen Problemen konfrontiert zu werden, die Errichtung von Stadtmauern war die Folge. Die Römer wurden immer mehr in die Defensive gedrängt. Im 4. Jahrhundert. kam es unter Kaiser Diokletian zu Verwaltungsreformen, und Noricum wurde in Ufer- (Noricum ripense) und Binnennoricum (Noricum mediterraneum) eingeteilt. Nach und nach gingen die wichtigsten Lager und Kastelle verloren, immer öfter kam es zu feindlichen Einfällen. Durch die Kämpfe im Westen und Osten war die Donaugrenze nur wenig geschützt, somit konnten Vandalen und andere Germanen 401 n. Chr. einbrechen und Lauriacum und Flavia Solva zerstören. Ein großes Problem war in dieser Zeit, dass die auf römischen Boden errichteten germanischen Staaten sehr veränderlich, sprich keine festen Grenzen hatten.
Der historische Hintergrund und die Zusammen-hänge der V.S.S.:
Eugippius wollte keineswegs einen geschichtlichen Text schreiben, deswegen teilte er einzelne Fakten nur in der Absicht mit die virtutes (Tüchtigkeit) noch mehr hervorheben zu können. Nichtsdestotrotz lassen sich die zahlreichen Bemerkungen zu politischen Ereignissen und Zuständen, zur militärischen Lage, zur kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen Verhältnissen wie zu einem Puzzle zusammenfügen.
Das Werk
Eugippius zeigt ein mosaikartiges Abbild des Alpen - Donau - Raumes während der
Völkerwanderungen. Es ist anzunehmen, dass diese Beschreibungen auch auf andere
Teile des Römischen Reiches umzulegen sind. Man sieht, dass die Romanen sich in
militärischen Belangen oft selbst überlassen waren und Hilfe von Leuten wie
Severin benötigten.
Oft wirkten sich fehlende Gelder, um den Sold der Soldaten zu gewährleisten,
auf eine mangelnde Sicherheit aus, Überfälle waren die Folge (Kapitel 20: Die
Ausbezahlung des letzten Soldes). Das Lebensniveau sank langsam, aber
stetig und die Versorgung mit Nahrungsmittel war nicht immer möglich .
Im 28.Kapitel schildert Eugippius, wie Severin in einer Kirche von Lauriacum/Lorch, wahrscheinlich in der heutigen St. Laurenz - Kirche, das sogenannte Ölwunder wirkte. (Aus dieser Formulierung "einer Kirche" hat man geschlossen, dass es dort mehrere Kirchen gegeben habe. Tatsächlich wurden zwei archäologisch ausgegraben.)
Um dieses Wunder verstehen zu können, muss man zum einen über die Notlage der Bevölkerung zu dieser Zeit Bescheid wissen, die unter dem Druck der Alemannen auf Severins Rat aus Rätien (Künzing und Passau) donauabwärts nach Lauriacum geflohen war. Diese Stadt mit ihrem ummauerten Lager und den befestigten Toren diente damals als eine Art Auffanglager, ehe sich die Romanen noch weiter östlich nach Favianis zurückdrängen lassen mussten. Die wirtschaftliche Versorgung war damals mangelhaft und die Handelsbeziehungen in Richtung Süden (Italien) ließen sich nur unter den schwierigsten Bedingungen aufrechterhalten. Dem Organisationstalent Severin schien dies jedoch gelungen zu sein, wie die von Eugippius beschriebene Verteilung von nahrhaftem Olivenöl unter die Bewohner Lauriacums zeigt. Diese Tat kam für die Zeitgenossen Severins einem Wunder gleich.
Zum anderen ist die Beschreibung dieses Ereignisses ein typisches Beispiel von Heiligengeschichtsschreibung (Hagiographie), insbesonders jedoch dafür, wie Eugippius und seine Hintermänner für die mündliche Überlieferung den verehrten Severin zum mit Wunderkraft ausgestatteten Heiligen hochstilisierten. Diese Szene vergleicht er mit einer Segensspendung aber vor allem mit dem alttestamentlichen Ölwunder des Propheten Elisäus bei der Witwe von Sarepta und dem neutestamentlichen Weinwunder Christi in Kana. Auch Severin bewirkte angeblich eine wunderbare Ölvermehrung, die jedoch plötzlich endete, als einer der Zuschauer das magische Schweigen der Anwesenden brach, indem er lautstark seiner Verwunderung Ausdruck verlieh. Mit diesem Darstellungs-element des magischen Bannes begründete der Autor die Tatsache, dass die an sich schon bewundernswerte Ölbeschaffung trotz verantwortungsbewusster Rationierung eben doch nicht für den Bedarf aller Bürger ausgereicht hat.
Man erfährt in der Vita auch, dass zahlreiche Nahrungsmittel von Rätien aus über den Inn nach Noricum verschifft wurden (Kapitel 3, 3). Durch die Wirren der Völkerwanderung waren die Lebensmittellieferungen aus Italien nicht mehr gewährleistet (28, 2). Auch Kleidung war teilweise nur noch schwer zu bekommen (Bärenwunder Kapitel 29, 1).
Die Glaubwürdigkeit der Vita ist anzunehmen, obwohl Eugippius eben kein Historiker im eigentlichen Sinne war. Einerseits war er zwar den arianischen Rugiern als Berater freundlich gesinnt, andererseits meldete er Germaneneinfälle beim Klerus.
Der wichtigste Aspekt, der sich durch die gesamte Vita wie ein roter Faden zieht, ist Noricum und der Alpen - Donau - Raum selbst, und zwar zur Zeit des Wirkens des Heiligen Severins zwischen 453 - dem ersten Auftreten des Heiligen in Asturis - und 482 - der Räumung Ufernoricums. Der Name Noricums selbst stammt vom norischen Königreich Regnum Noricum, das gegen Ende des 2. Jahrhunderts vor Christus von sesshaften Kelten unter Führung der Noricer gebildet worden war. Eine wichtige Rolle im Handel spielte die im Süden liegende Stadt Aquilea. Formal bestand mit ihren ,,Nachbarn', den Römern, eine Bundesgenossenschaft, was aber einem Protektorat näher kam.
Die Probleme
und die Untergangsstimmung der norischen Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt, nach
dem Tode Attilas 453 n. Chr., kommen im Comemmoratorium zum Ausdruck. Doch in
dieser Zeit des allgemeinen Umbruches und des drohenden Endes Noricums (und
somit in der Folge Westroms) taucht Severin auf. In einer Zeit, in der die
Bevölkerung unter starkem germanischen Druck steht - aufgrund der zahlreichen
Übergriffe, der Plünderungen (Kapitel 24) , Tributforderungen, der Verschleppung
von Menschen (Kapitel 4, 2 - 5, 8, 3 - 6) und schließlich der Besetzung des
gesamten Bereiches an der Donau - und es keine staatlichen römischen
Reichsfunktionäre oder Beamten mehr gibt, wird es für die Bischöfe und presbyteri
zur Aufgabe, sich an die verschreckte Bevölkerung zu wenden. Gelegentlich
finden sich Soldaten, die aber sind jämmerliche Gestalten, die schon seit
Jahren keinen Sold mehr gesehen haben und den Mut zum energischen Handeln
längst verloren haben. Da tritt nun Severin als wahrer Retter in der Not auf,
rät, hilft und wirkt Wunder, fordert zum Fasten, Opfern und Beten auf,
organisiert überregionale Hilfsaktionen bei Naturkatastrophen (z. B. das
Abwenden einer Heu-schreckenplage in Cucullis; Vita - Kapitel 12) und
vermag wichtige Ereignisse vorauszusagen (Kapitel 7; 17; 21). Noch dazu hat er
einen großen Einfluss auf die Germanen, die Rugier (Kapitel 5; 8; 31) jenseits
der Donau und die Alemannen (Kapitel 27) im Westen. Durch sein sicheres
Auftreten, sein umfassendes Wissen und sein diplomatisches Geschick erwirbt er
sich sowohl bei der romanischen, als auch bei der germanischen Bevölkerung
großen Respekt und Achtung. Bald wird er als gleichwertiger Verhandlungspartner
akzeptiert, obwohl keine Macht hinter ihm steht, außer der eigenen Ausstrahlung
und der Überzeugungskraft seiner überragenden Persönlichkeit. Er hat ein gutes
Gespür für historische Zusammenhänge, plant voraus und kann sich noch dazu auf
ein gutes Nachrichtensystem verlassen, wodurch er Aktionen der Germanen voraussehen
und seine Mitbürger rechtzeitig warnen kann.
Dennoch konnte Severin den endgültigen Verfall Noricums nicht mehr verhindern:
Langsam, aber doch, kam es zum völligen Eindringen der Germanen, da die Gelder
für Sold und Befestigungen schon lange fehlten. Wie sehr die Donaustädte unter
den Germaneneinfällen litten, zeigt sich in einer Großzahl der Kapitel der Vita
(z.B. Vita - Kapitel 4,1). Die Kultur verwilderte immer mehr, das "Straßennetz"
verfiel, die Bevölkerung verarmte immer mehr, und es endete damit, dass nach
Severins Tod am 8. Januar 482 n. Chr. (Kapitel 43, 9) Odoaker die Räumung
Ufernoricums anordnete, der die Aufgabe Binnennoricums 610 n. Chr. bei der
Schlacht von Aguntum folgte.
Der zweite wichtige Aspekt, der sich dem Leser der Vita des Eugippius erschließt, ist das damalige Christentum in Noricum. In Zeiten, in denen solche Krisen vorherrschten, wurden Diesseitsreligionen immer unbedeutender, der Einfluss von orientalischen Religionen (durch orientalische Kaufleute verbreitet) nahmen, (bei den Soldaten vor allem der Mithras- und der Jupiter Dolichenus- Kult) in Noricum zu. Hierbei kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Christentum und Mithraskult, da beide Religionen sich sehr ähnelten. Ein anderes Problem war die Intoleranz der Römer gegenüber den Christen, obwohl bereits im 3. Jahrhundert eine stattliche Anzahl an Christen in Noricum lebte. Durch das Mailänder Toleranzedikt und des Ediktes von Kaiser Konstantin begann eine vermehrte Missionstätigkeit, die im 4. Jahrhundert, abgesehen von kleinen heidnischen Opferdiensten (z. B. in Cucullum; Kapitel 11), abgeschlossen war. Nach diesem ,,Sieg' über das Heidentum, kamen aber immer mehr christliche Sekten auf, mit denen sich auch Severin zum Teil ,,herumplagen' musste. Die Gattin des Rugierkönigs Feletheus (mit dem Severin in Verhandlungen stand), genannt Giso, wird von Eugippius sehr negativ beschrieben, da sie Arianerin war (Kapitel 8). Der Arianismus, die größte christliche Sekte, führte das Christentum beinahe zur Spaltung. Dieser Glauben alexandrinischer Herkunft besagt, dass Christus ein Geschöpf Gottes, aber nicht Gott selbst sein kann, was in krassem Gegensatz zur Heiligen Dreifaltigkeit steht. Durch die Bischofsweihe Wulfilas durch einen Arianer, traten fast alle Germanen auf arianische Seite. Erst als sich Chlodwig zum Katholiken taufen lässt, verschwindet der große Einfluss des Arianismus in Noricum.
Die Vita gewährt schlussendlich auch einen guten Einblick in die damalige Hierarchie des Klerus: Man sah eine Trennung zwischen Priestern und Laien vor. Nach intensiverer Beschäftigung mit dem Comemmoratoriums sind folgende Abstufungen ersichtlich: Ostiarier (Türhüter) - Lektor (Vorleser) - Exorcist (Teufelsbanner) - Akoluth (Begleiter zum Altar) - Subdiakon - Diakon und schließlich Presbyter. Damals stellte das Amt eines Bischofs (noch) keinen Weihegrad dar, Mönchsgemeinschaften bestanden zumeist aus Laien, wobei ein Presbyter oder ein Abt den Vorstand innehatte. Wichtig war zu dieser Zeit auch noch die Einteilung in die basilica (Klosterkirche) und in die ecclesia (Gemeindekirche).
Alles in allem kann man sagen, dass Eugippius mit seiner Vita Sancti Severini den Untergang des Römischen Reiches und den Übergang der Antike zum Mittelalter mit all seinen Begleiterscheinungen und Problemen für die damalige Bevölkerung aufzeigt. Gleichzeitig zeigt uns Severin, wie wichtig es ist, nicht nur damals, sondern umso mehr in der heutigen Zeit, sich für die Menschenrechte, die Unterdrückten und Armen einzusetzen, wobei die Grundhaltung bei politischen Entscheidungen und wirtschaftlichen Auseinandersetzungen die des Verhandelns, der Verständigung, der Gewaltlosigkeit und der Versöhnungsbereitschaft ist.
Zeittafel:
15 vor Christus |
Unterwerfung des Alpenvorlandes durch die Römer |
Ab 90 nach Christus |
Errichtung des Obergermanischen und Rätischen Limes |
Um 150 - um 310 |
Erste germanische Völkerwanderung |
|
Gründung von Castra Regina |
|
Die freien Bewohner des ganzen Imperium Romanum erhalten das Bürgerrecht. |
Mitte 3. Jahrhundert |
Krise des römischen Reiches; Germaneneinfälle |
|
Reichsreform des Kaisers Diokletian: Doppelprinzipat |
|
Konstantinopel wird Reichshauptstadt |
Um 360 |
Übersetzung der Bibel ins Gotische |
|
Beginn der germanischen Völkerwanderung |
|
Das Christentum wird zur Staatsreligion erhoben |
|
Teilung des Reiches in Ost- und Westhälfte |
|
Plünderung Roms durch die Westgoten |
|
Tod Attilas |
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Plünderung Roms durch die Wandalen |
|
Odoaker stürzt Romulus Augustulus, Ende des Weströmischen Reiches |
|
8. Jänner: Tod Severins |
|
Umsiedlung der Romanen aus Noricum nach Italien |
Parallelen zu anderen Legenden:
Besonders häufig liest man von Offenbarungen, Vorahnungen und Wunderheilungen des Heiligen. Die meisten der Vorrausagungen beziehen sich auf politische Ereignisse. Man erfährt von Wunderheilungen, die nach dem Vorbild des Jesus von Nazareth gestaltet sind. Darüber hinaus liest man auch von Vermehrungswundern, die eben an die Hochzeit zu Kana beziehungsweise an die Speisung der Vierzigtausend erinnern. Ebenfalls verwendete er das Symbol der Heuschreckenplage, die schon im alten Testament vorkommt.
In anderen Wundern wie bei der Totenerweckung und den Kerzenwundern, finden sich auch Parallelen mit anderen Heiligen-Viten. Eugippius berichtet also nicht nur von Wundertaten des Severin, sondern er greift Themen auf, die ein fester Bestandteil in solchen Legenden sind. Er lässt den historischen Kern zurücktreten. Viel wichtiger ist ihm die Ausgestaltung des Geschehens nach dem Vorbild der Bibel und der Hagiographie.
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