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Hermann Hesse
Hermann Hesse wurde am 2. Juli 1877 in Calw/Württemberg als Sohn des baltendeutschen Missionars Johannes Hesse und der württembergischen Marie Gundert, der ältesten Tochter des namhaften Indologen und Missionars Hermann Gundert, geboren. Ursprünglich zur theologischen Laufbahn bestimmt, entfloh er schon bald dem Seminar Maulbronn, weil er "entweder Dichter oder gar nichts werden" wollte. Im Juni 1892 beging er einen Selbstmordversuch und wurde daraufhin in die Nervenheilanstalt Stetten eingewiesen. Nach einer begonnenen Mechanikerlehre (15 Monate Praktikant in der Calwer Turmuhrenfabrik Perrot) ließ er sich 1899 zum Buchhändler in Tübingen ausbilden. 1896 erschien seine erste Publikation "Das deutsche Dichterheim', 1898 seine erste Buchpublikation "Romantische Lieder'. Im September 1899 übersiedelte er nach Basel (Schweiz), wo er 1900 als freier Mitarbeiter bei der Allgemeinen Schweizer Zeitung tätig war. 1903 Niederschrift "Unterm Rad', 1904 Eheschließung mit Maria Bernoulli. 1904 wurde er freier Schriftsteller in Gaienhofen am Bodensee. Mitarbeit bei zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften ( Münchner Zeitung, Simplicissimus, . . . )
Zwischen 1910 und 1912 unternahm er mehrere Reisen nach Österreich, Italien, in die Schweiz und nach Indien. 1919 zog er endgültig in die Schweiz und wurde vier Jahre später, also 1923, auch Schweizer Staatsbürger. In diesem Jahr ließ er sich von seiner Frau scheiden, wagte aber in den nächsten Jahren noch zweimal den Schritt in die Ehe.
1905 Geburt seines Sohnes Bruno. 1906 erschien "Unterm Rad" bei S. Fischer/Berlin. Gründung der liberalen, gegen das Regiment Kaiser Wilhelm II gerichteten Zeitschrift "März'. 1909 Geburt seines zweiten Sohnes Heiner, zwei Jahre darauf, 1911, Geburt seines dritten Sohnes Martin. 1912 übersiedelte er endgültig nach Bern (Schweiz).
Bei Kriegsbeginn 1914 meldete sich Hesse freiwillig, wurde aber als dienstuntauglich zurückgestellt und 1915 der Deutschen Kriegsgefangenenfürsorge bis 1919 zugeteilt. 1916 starb Hesses Vater, die beginnende Schizophrenie und das Erkranken seines jüngsten Sohnes Martin führten zu einem Nervenzusammenbruch Hesses. 1917 wurde Hesse nahegelegt, seine zeitkritischen Publikationen zu unterlassen, doch weitere Publikationen unter Synonymen erschienen.
1919 veröffentlichte er die politische Flugschrift "Zarathustras Wiederkehr'. Auflösung des Berner Haushaltes, Trennung von seiner in der Irrenanstalt internierten Frau, Unterbringung der Kinder bei Freunden. Im Mai 1919 übersiedelt er nach Montagnola/Tessin, wo er bis 1931 lebte. 1923 wurde seine Ehe mit Maria Bernoulli geschieden. 1924 nahm Hesse abermals die Schweizer Staatsbürgerschaft an. 1924 heiratete er Ruth Wenger, die Tochter der Schriftstellerin Lisa Wenger, von der er sich auf ihren Wunsch hin 1927 wieder scheiden ließ. 1931 heiratet er wieder, und zwar die Kunsthistorikerin Ninon Dolbin.
1934 wurde Hesse Mitglied des Schweizerischen Schriftstellervereins, zwecks besserer Abschirmung von der NS-Kulturpolitik. Von 1939 - 1945 galten Hesses Werke als entartete Kunst und volksfeindlich, darunter seine Werke "Unterm Rad', "Der Steppenwolf', "Betrachtungen" und "Narziß und Goldmund'. 1944 verhaftete die Gestapo Peter Suhrkamp, Hesses bisherigen Verleger.
Ab 1946 konnten Hesses Werke, darunter "Das Glasperlenspiel', "Krieg und Frieden', auch in Deutschland wieder veröffentlicht werden. Er erhält in diesem Jahr den Literaturnobelpreis.
1955 erhielt Hesse den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 1956 erfolgte die Stiftung des HermannHesse-Preises durch die Förderungsgemeinschaft der deutschen Kunst Baden-Württemberg.
Am 9. August 1962 starb Hermann Hesse in seinem Haus in Montagnola.
Peter Camenzind (1904, Entwicklungsroman)
Unterm Rad (1906, Schülerroman)
Gertrud (1910, Künstlerroman)
Roßhalde (1914, Roman über eine Künstlerehe)
Knulp (1915, Vagabundenroman)
Demian (1919, Entwicklungsroman)
Klingsors letzter Sommer (1920, 3 Erzählungen; Auseinandersetzung mit buddhistisch-indischen und chinesischen Lebenslehren), ebenso
Siddhartha (1922, Roman)
Der Steppenwolf (1927, Roman)
Narziß und Goldmund (1930, Roman; zwei gegensätzliche Wesen stehen sich gegenüber)
Das Glasperlenspiel (1943, Bildungsroman)
Hesse fordert zwar die geduldige Hingabe an die Pflege der geistigen Natur im Menschen, doch dürfe der Mensch nicht in einer mönchischen Absonderung von der rauhen Außenwelt verharren, sondern müsse das Geistige innerhalb des praktischen Lebens vertreten.
Kleinstadt in Deutschland, zur Zeit des Ersten Weltkrieges ( -1916)
der Autor selbst,
seine Tante,
Harry Haller, ihr Untermieter
Das Buch ist unterteilt in drei Teile:
Vorwort des Herausgebers
Das Tractat vom Steppenwolf
Harry Hallers Aufzeichnungen
Ein ca. 50jähriger Mann mietet sich bei der Tante des Herausgebers in der Mansarde ein. Dieser, Harry Haller, ist ein vollkommen ungeselliger Mensch, den der Herausgeber nur von zufälligen Begegnungen im Treppenhaus kennt.
Dieser Mann ist dem Herausgeber zunächst vollkommen unsympathisch. Der erste negative Eindruck wird noch verstärkt durch die Bitte Hallers, seinen Aufenthaltsort nicht der Polizei zu melden. Und dennoch fühlt sich der Herausgeber auf seltsame Weise zu dem neuen Mieter hingezogen und versucht Näheres über ihn herauszufinden. Die Abwehr, die er zuerst gegenüber Harry Haller empfindet und die durch dessen Geistes-, Gemüts- und Charakterkrankheit ausgelöst wird, wird mit der Zeit durch Sympathie und Mitleid mit diesem Leidenden und seiner Vereinsamung und seinem inneren Streben abgelöst.
Haller selbst ist ein Genie des Leidens und von Selbstverachtung geprägt. Seiner Erziehung war es nicht gelungen, seine Persönlichkeit zu brechen, sondern nur, ihn sich hassen zu lernen. Jede Schärfe, jede Kritik, jede Bosheit und jeden Haß läßt er zuerst einmal auf sich selbst los, seine Umwelt aber liebt er und versucht, ihr gerecht zu werden.
Haller, der sich selbst als Steppenwolf bezeichnet, ist ein Gedanken- und Büchermensch ohne praktischen Beruf, der sein Wohnzimmer mit Büchern von Dichtern aus allen Zeiten und Völkern füllt und in den Tag hineinlebt, wie es ihm gefällt.
Die erste Begegnung des Herausgebers mit Haller findet, wie schon erwähnt, im Treppenhaus statt, als dieser wieder einmal auf der Treppe sitzengeblieben ist, um sich am Anblick der dort herumstehenden Blumen zu erfreuen und den Duft nach Sauberkeit und Ordnung einzuatmen. Er vergöttert praktisch die bürgerliche Welt rund um ihn, findet aber nicht wirklichen Zugang zu ihr.
Haller führt das Leben eines Selbstmörders, und doch glaubt der Herausgeber nicht, daß er sich umgebracht hat, obwohl dieser eines Tages die Wohnung verläßt und verschwindet und nur das folgende Manuskript der Tante und dem Herausgeber bleibt. Es dürfte aus einer Zeit stammen, in der Haller einmal glücklich gewesen war.
Das Tractat vom Steppenwolf
Harry Hallers Aufzeichnungen
Leseprobe S 27
Es ist wieder ein Tag wie jeder andere auch. Solche Tage der Zufriedenheit verträgt Haller nicht. Er empfindet dann ein starkes Gefühl nach Sensationen, eine Wut auf das abgetönte, flache, normierte und sterilisierte Leben und eine rasende Lust, etwas kaputtzuschlagen und jemandem etwas anzutun. Er haßt also diese durchschnittliche Welt des Normalbürgers, von der er sich aber andererseits doch wieder angezogen fühlt. Er macht sich wieder auf den Weg ins Gasthaus, einen Ort, der auch andere anzieht, die, so wie er, das Bedürfnis nach Ersatz, ein Heimweh oder eine Enttäuschung durchleben. Dort läßt es sich wieder für einige Zeit aushalten.
Später macht er sich dann wieder auf den Heimweg, als ihm die Leuchtreklame einfällt, die er auf dem Weg ins Gasthaus gesehen hat:
Magisches Theater, Eintritt nicht für jedermann; nur für Verrückte,
und er beschließt, dieses Theater zu suchen, findet jedoch nur einen alten Mann, der ihm ein kleines Büchlein in die Hand drückt.
Als er nach Hause zurückkehrt, beschließt er, das Büchlein sofort zu lesen, und muß feststellen, daß dieses "Traktat vom Steppenwolf" nichts anderes ist als die Beschreibung seiner selbst. Im Laufe der Jahre ist er beruflos, familienlos und heimatlos geworden, steht außerhalb aller sozialen Gruppen, allein, von niemandem geliebt, von vielen beargwöhnt im ständigen, bitteren Konflikt mit der öffentlichen Meinung und Moral, und wenn er auch im bürgerlichen Rahmen lebt, so ist er doch inmitten dieser Welt mit seinem ganzen Fühlen und Denken ein Fremder. Er ist es leid, all diese Mühsal und Einsamkeit zu ertragen, immer wieder abzustürzen, wenn er wieder einmal Halt gefunden hat, und gedenkt, somit wieder einmal Selbstmord zu begehen.
Nach einem mißglückten Besuch bei einem alten, ihm bekannten Wissenschaftler kommt die Trost- und Hoffnungslosigkeit wieder und wieder in ihm hoch, und er sehnt sich nach dem Tod und hat doch riesige Angst vor dem Sterben. Er zögert den Heimweg hinaus und landet in einer ihm unbekannten Kneipe, wo er eine junge Frau namens Hermine kennenlernt, von der er sich verstanden fühlt. Er erzählt ihr von seinen Problemen und seinem Leben. Doch sie meint, daß er gar nichts vom Leben wissen würde. Er habe immer nur schwierige und komplizierte Dinge getan und die einfachsten Dinge, wie Tanzen, vollkommen aus seinem Leben ausgeschlossen. Und so ginge es also nicht an, daß er so tue, als habe er das ganze Leben durchprobiert und nichts daran gefunden.
Diese Frau stellt für ihn nun in der nächsten Zeit die Brücke zum Leben dar. Sie bringt ihm das Tanzen bei und durch sie landet er in jenem Lokal, in dem er Maria und Pablo kennenlernt. Alle drei werden für ihn in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen. So wird Maria in der nächsten Zeit seine Geliebte. Er vergleicht sie mit den anderen Frauen, die er geliebt hat. Doch dieses Verhältnis ist ein anderes: von den anderen Frauen hat er Bildung verlangt, von Maria verlangt er sie nicht.
Er lernt das Leben von Maria, Pablo und Hermine kennen. Früher hat er über diese Art von Wesen und Leben sehr wenig gewußt, nur beim Theater hat er früher gelegentlich ähnliche Existenzen angetroffen, halb Künstler, halb Lebewelt. Er lernt die Welt der Liebe und Drogen kennen.
Kurze Zeit später findet ein Maskenball statt. Dort trifft er Maria ein letztes Mal und nimmt endgültig Abschied von ihr. Nach Stunden des Herumirrens findet er Hermine und Pablo. Sie laden ihn ein in ihr"magisches Theater. Hinter verschiedenen Türen wird er nun mit verschiedenen Facetten seines Ichs und seines Lebens konfrontiert. Zum Beispiel trifft er einen Mann, der seine Persönlichkeit in einzelne Teile zerlegt, wobei jeder Teil eine Schachfigur repräsentiert.
Hier endlich kann er in eine andere Wirklichkeit eingehen, in eine Welt ohne Zeit, ohne Realität, ohne die eigene Persönlichkeit. Es ist die Welt seiner eigenen Seele, der ungezählten in ihm ruhenden Lebensmöglichkeiten und Pablo hilft ihm somit, seine eigene Welt sichtbar zu machen.
Aber noch hat Harry das richtig befreiende Lachen nicht gelernt, und erst die Zeremonie seiner Hinrichtung, die darin besteht, daß er von Herzen ausgelacht wird, läßt ihn den tiefen Sinn ahnen, der hinter der Welt dieser Bilder des magischen Theaters liegt. Und er ist nun endlich gewillt, das Lebensspiel immer von neuem zu beginnen, mit all seinem Unsinn, seinen Leiden und Qualen. Und er gelangt zu der Überzeugung, daß es ihm einmal gelingen wird, das Spiel besser zu spielen als bisher.
Die Erzählung ist im wesentlichen handlungsarm, da sie vorwiegend aus Gedanken, Betrachtungen, Meinungen und Erkenntnissen zur Situation des modernen Menschen, des jungen Menschen von heute, ihrer Probleme und Nöte getragen wird. Sie wird daher auch oft als Darstellung des modernen Menschen in seiner Zerrissenheit verstanden.
Harry Haller repräsentiert den Konflikt zwischen dem gesellschaftlichen Wesen und seinen Verpflichtungen, den Konventionen unterworfenen und sich nach Normalität sehnenden Bürgers einerseits und dem triebhaften, vergeblich nach geistiger Befreiung und Selbstbestimmung strebenden Individuum.
Der Roman "Der Steppenwolf "schildert auf erschütternde Weise die seelische Not eines gespaltenen Menschen, der sich gleichzeitig als Tier und als Geistwesen empfindet. Der Held Harry Haller ist die Verkörperung des umhergetriebenen, von seinem unbekannten Ich gejagten Menschen. Gelingt es Harry Haller ( = Hermann Hesse, siehe auch Lebenslauf), das Tier im eigenen Inneren zu stellen, es sichtbar zu machen, so könnte er sich selbst erlösen.
Im "Magischen Theater - Nicht für Jedermann" wird Haller in furchtbarer Weise sein eigenes Ich gewahr, und seine tief verborgene, geheimnisvolle Lust am Geschlechtlichen wird ans Licht der Welt gefördert. Im "Steppenwolf" geht es, wie in manch anderen Werken Hesses um die Nachtseite der Natur des Menschen.
Primärliteratur
Hesse, Hermann: Der Steppenwolf. Suhrkamp Taschenbuch Nr. 175, Frankfurt/Main 1974.
Sekundärliteratur
Pongs, Hermann, Lexikon der Weltliteratur: Pattoch Verlag, Augsburg 1989
Neis, Edgar: Erläuterungen zu Hermann Hesse: Demian, Siddhartha, Der Steppenwolf. C. Bange Verlag, Hollfeld 1988
Ein Wort Hallers hat mir den Schlüssel zu diesem Verständnis gegeben. Er sagte einmal zu mir, nachdem wir über sogenannte Grausamkeit im Mittelalter gesprochen hatten:"Diese Grausamkeiten sind in Wirklichkeit keine. Ein Mensch des Mittelalters würde den ganzen Stil unseres heutigen Lebens noch ganz anders als grausam, entsetzlich und barbarisch verabscheuen! Jede Zeit, jede Kultur, jede Sitte und Tradition hat ihren Stil, hat ihre ihr zukommenden Zartheiten und Härten, Schönheiten und Grausamkeiten, hält gewisse Leiden für selbstverständlich, nimmt gewisse Übel geduldig hin. Zum wirklichen Leiden, zur Hölle wird das menschliche Leben nur da, wo zwei Zeiten, zwei Kulturen und Religionen einander überschneiden. Ein Mensch der Antike, der im Mittelalter hätte leben müssen, wäre daran jämmerlich erstickt, ebenso wie ein Wilder inmitten unserer Zivilisation ersticken müßte. Es gibt nun Zeiten, wo eine ganze Generation so zwischen zwei Zeiten, zwischen zwei Lebensstile hineingerät, daß ihr jede Selbstverständlichkeit, jede Sitte, jede Geborgenheit und Unschuld verlorengeht. Natürlich spürt das nicht ein jeder gleich stark. Eine Natur wie Nietzsche hat das heutige Elend um mehr als eine Generation voraus erleiden müssen, - was er einsam und unverstanden auszukosten hatte, das erleiden heute Tausende. "
[Harald Podbrecky, 1994/95 1ANB
Die Erzählung entstand in Calw und Gaienhofen 1903/04 und erschien 1906.
Sie beinhaltet die Geschichte des Hans Giebenrath, einem äußerst begabten schwäbischen Jungen, dessen Vater, ein einfacher Bürger mit kommerzieller Begabung, sich in den Kopf gesetzt hat, seinen Sohn als Kandidaten zum"Landexamen"zu schicken.
Auch der Stadtpfarrer und der Rektor des kleinen Dorfes verfolgten dasselbe Ziel wie der Vater von Hans und erteilten ihm deshalb nach der Schule zusätzlichen Unterricht in Latein, Griechisch und Mathematik.
Hans war stets bemüht, den Forderungen seines Vaters nachzukommen und so war es auch nicht verwunderlich, daß er das "Landexamen" bestand und ins Klosterseminar nach Maulbronn geschickt wurde.
Dort war er in der Stube Hella untergebracht. Mit ihm waren noch mehrere Schulkollegen in Hella einquartiert, unter ihnen befand sich auch Hermann Heilner mit dem ihn schon bald eine innige Freundschaft verband, obwohl beide völlig verschieden waren.
'Es gab auch ungleiche Paare. Für das ungleichste galten Hermann Heilner und Hans Giebenrath, der Leichtsinnige und der Gewissenhafte, der Dichter und der Streber. Man zählte zwar beide zu den Gescheiten und Begabtesten, aber Heilner genoß den halb spöttisch gemeinten Ruf eines Genies, während der andere im Geruch des Musterknaben stand'[1].
Doch als der Ephorus Heilner eine Karzerstrafe wegen schlechtem Benehmen erteilte, fand sich keiner mehr, der zu Heilner stand.
'Auch Hans Giebenrath tat es nicht. Es wäre seine Pflicht gewesen, das fühlte er wohl, und er litt am Gefühl seiner Feigheit." "Aber ein mit schwerem Karzer Bestrafter ist im Kloster für längere Zeit so gut wie gebrandmarkt'[2].
So kam es, daß beide einander mieden und für längere Zeit keinen Kontakt mehr zueinander hatten. Erst der Tod eines Schulkollegen, welcher beim Eislaufen auf einem Teich eingebrochen und ertrunken war, verursachte ein zufälliges Zusammentreffen der ehemaligen Freunde.
'Es mochte sein, daß der Anblick des Todes ihn überwältigt und für Augenblicke von der Nichtigkeit aller Selbstsucht überzeugt hatte, jedenfalls fühlte Hans, als er unvermutet des Freundes bleiches Gesicht so nahe erblickte, einen unerklärten tiefen Schmerz". "Er begriff, daß es Sünden und Versäumnisse gibt, die man nicht vergessen kann und die keine Reue gutmacht, []'[3]
Nun hatte Hans innerlich eine Entscheidung getroffen, lieber letzter in der Schule werden, als länger so um Heilner herumzulaufen. Er bat ihn um Verzeihung und war nun wieder viel mit ihm zusammen.
'Die Lehrer aber sahen mit Schrecken den bisherigen tadellosen Schüler Giebenrath in ein problematisches Wesen verwandelt und dem schlimmen Einfluß des verdächtigen Heilner unterlegen. '[4]
Trotz aller Bemühungen konnte Hans nicht verhindern, daß seine Leistungen in der Schule immer schlechter wurden und das, obwohl er nun wieder öfter bis in die Nacht hinein arbeitete.
Mittlerweile war Frühling, und der Nachmittagsunterricht sollte beginnen, als man feststellte, daß Hermann Heilner nicht anwesend war. Man verständigte die Polizei und ließ nach ihm suchen. Erst nach drei Nächten fiel er einem Landjäger in die Hände.
'Man hatte ihn halten wollen, nun aber war das Maß voll. Er wurde in Schanden entlassen und reiste abends mit seinem Vater auf Nimmerwiedersehen ab." "Schön und schwungvoll war die Rede, die der Herr Ephorus auf diesen außerordentlichen Fall von Widersetzlichkeit und Entartung hielt. Viel zahmer, sachlicher und schwächlicher lautete sein Bericht an die Oberbehörde nach Stuttgart. '[5]
Nun war Hans derjenige, der allein war, und seine schulischen Leistungen ließen immer mehr zu wünschen übrig, daran änderte auch ein Brief des Ephorus an den Vater von Hans nichts. Dazu kam noch das ständige Kopfweh und das Schelten der Lehrer hinzu.
'Es war noch drei Wochen vor den Ferien, als Hans in einer Nachmittagslektion vom Professor heftig gescholten wurde. Während der Lehrer noch weiter schimpfte, sank Hans in die Bank zurück, begann ängstlich zu zittern und brach in einen lang dauernden Weinkrampf aus, der die ganze Lektion unterbrach. Darauf lag er einen halben Tag im Bett. Tags darauf wurde er in der Mathematikstunde aufgefordert, eine geometrische Figur zu zeichnen und den Beweis dazu zu führen. Er trat heraus, aber vor der Tafel wurde ihm schwindlig; er fuhr mit Kreide und Lineal sinnlos in der Fläche herum, ließ beides fallen, und als er sich danach bückte, blieb er selber am Boden knien und konnte nicht wieder aufstehen. '[6]
Damit war das Ende seines Aufenthalts in Heilbronn besiegelt, er wurde noch ehe die Schule zu Ende war, mit einem Brief vom Ephorus und vom Oberamtsarzt nachhause geschickt.
Doch auch zuhause besserte sich sein Zustand nicht, im Gegenteil, das Gesicht des enttäuschten Vaters, die vorwurfsvollen Blicke des Stadtpfarrers und des Rektors, sowie das Bewußtsein, schon seit Jahren keine Altersgenossen mehr zu kennen, erschwerten es ihm, zuhause wieder Fuß zu fassen. 'In dieser Not und Verlassenheit trat dem kranken Knaben ein anderes Gespenst als trügerischer Tröster nahe und wurde ihm allmählich vertraut und notwendig. Das war der Gedanke an den Tod. '[7]
Doch dann schien alles gut zu gehen, er lernte seine erste Liebe kennen, ein Mädchen namens Emma, welche beim Meister Flaigl zu Besuch war. Doch sein Glück hielt nicht lange, ohne sich zu verabschieden, war seine erste Liebe schon nach kurzer Zeit aus seinem Leben verschwunden. 'So erfuhr er, vielleicht zu früh, seinen Teil vom Geheimnis der Liebe, und es enthielt für ihn wenig Süßes und viel Bitteres. '[8]
Für Hans war es nun Zeit, ins Berufsleben einzusteigen, so begann er eine Lehre als Schlosser. An einem Sonntag ging er mit August, einem Lehrling, den er noch von früher her kannte, und dessen Freunden nach Bielach, um das Wochenende bei Bier, Wein und Zigarren zu feiern. Da Hans weder Alkohol noch Zigarren vertrug, war er schon bald unwohl. Als er sich auf den Nachhauseweg machte, war er betrunken.
'Allein taumelte er die Vordertreppe hinab, und kam, er wußte nicht wie, zum Dorf hinaus." "Unter einem Apfelbaum legte er sich in die feuchte Wiese. Eine Menge von widerlichen Gefühlen, quälenden Befürchtungen und halbfertigen Gedanken hinderten ihn am Einschlafen.
"Nach einer Stunde, es dunkelte schon, erhob er sich und schritt unsicher und mühsam bergabwärts. '[9]
Sein Vater wartete bis 10 Uhr und ging, als er die Wut auf den nicht nach Hause kommenden Sohn vergessen hatte, schlafen.
'Zu derselben Zeit trieb der so bedrohte Hans schon kühl und still und langsam im dunklen Flusse talabwärts. '[10]
Soweit der Inhalt. Autobiographisch gesehen, beschreibt 'Unterm Rad', wenn auch nur oberflächlich, die selbst erlebten Leiden des Klosterlebens und die Schulprobleme seines Bruders Hans. Wie Hans Giebenrath war auch Hermann Hesse Schüler in Maulbronn und wie Hermann Heilner war auch er von dort geflohen. Im Tagebuch seiner Mutter finden wir folgende Zeilen zu diesem Vorfall. 'Nun Gottlob! Das Kind ist selbst wieder gekommen, unterwegs von einem Landjäger gefragt, wo es hinwolle? hatte er gesagt: nach Maulbronn. " "Die Repetenten gingen ihm entgegen. Als er in des Professors Zimmer sein Taschentuch herauszog, fielen Strohhalme heraus; er hatte die bitterkalte Nacht auf freiem Felde zugebracht und sich frierend in einen Strohhaufen zu stecken gesucht." "Die Professoren nehmen´s sehr ernst, sie fürchten partielle Geistesverwirrung, etwas Krankhaftes.'[11]
Die Konsequenzen seines Fluchtversuchs sind in einem Brief von Professor W. Paulus an Johannes Hesse beschrieben. 'Sehr geehrter Herr, gestern ist im Lehrerkonvent über die Bestrafung Ihres Sohnes Hermann beraten worden, und ich habe die Pflicht, Sie von dem gefaßten Beschluß in Kenntnis zu setzen. Wir waren darin einig, daß die Verfehlung Hermanns nicht als vorbereitetes und zweckbewußtes Entweichen anzusehen ist, []" "Es wurde deshalb eine Karzerstrafe von 8 Stunden festgesetzt. " "Außerdem war es die übereinstimmende Ansicht des Konvents, daß das Verbleiben Hermanns im Seminar [] nicht wünschenswert sei. '[12]
Hermann Hesse schreibt in einem Brief an Karl Isenberg. 'Die Schule ist die einzige moderne Kulturfrage, die ich ernst nehme und die mich gelegentlich aufregt. An mir hat die Schule viel kaputtgemacht, und ich kenne wenig bedeutendere Persönlichkeiten, denen es nicht ähnlich ging. Gelernt habe ich dort nur Latein und Lügen, denn ungelogen kam man in Calw und im Gymnasium nicht durch - wie unser Hans beweist, den sie in Calw, weil er ehrlich war, fast umbrachten. Der ist auch, seit sie ihm in der Schule das Rückgrat gebrochen haben, immer 'Unterm Rad' geblieben. '[13]
Weiters schreibt er. 'Die Lateinschule, welche auch mir viele Konflikte gebracht hatte, wurde für ihn [seinen Bruder] mit der Zeit zur Tragödie, auf andere Weise und aus anderen Gründen als für mich, und wenn ich später als junger Schriftsteller in der Erzählung "Unterm Rad" nicht ohne Erbitterung mit jener Art von Schulen abrechnete, so war das leidensschwere Schülertum meines Bruders dazu beinah ebenso sehr Ursache wie mein eigenes. '[14]
In "Begegnungen mit Vergangenem" heißt es. 'In der Geschichte und Gestalt des kleinen Hans Giebenrath, zu dem als Mit- und Gegenspieler sein Freund Heilner gehört, wollte ich die Krise jener Entwicklungsjahre darstellen und mich von der Erinnerung an sie befreien, und um bei diesem Versuch das, was mir an Überlegenheit und Reife fehlte, zu ersetzen, spielte ich ein wenig den Ankläger und Kritiker jenen gegenüber, denen Giebenrath erliegt und denen ich selber beinahe erlegen wäre: der Schule, der Theologie, der Tradition und Autorität. '[15]
Hermann Hesse: Der Steppenwolf, Suhrkamp Taschenbuch, st175
Hermann Hesse: Unterm Rad, Suhrkamp Taschenbuch, st52
Hermann Hesse: Kindheit und Jugend vor Neunzehnhundert, Suhrkamp Taschenbuch, st1002
Hermann Hesse: Kindheit und Jugend vor Neunzehnhundert 2, Suhrkamp Taschenbuch, st1150
Hermann Hesse: Werke und Wirkungsgeschichte, Suhrkamp Taschenbuch, st1257
ist ein Büchlein, das Harry Haller durch Zufall in die Hände bekommt. Hier spricht ein imaginärer Verfasser aus dem unbewußten Inneren der Seele Hallers über den Steppenwolf.
Der Steppenwolf wird als menschliches Wesen beschrieben, in dessen Seele zwei verschiedene Naturen beheimatet sind, eine tierische und eine menschliche.
Der Steppenwolf hat einen Drang nach Unabhängigkeit und Freiheit, der ihn später in eine völlige Vereinsamung führt, ein Schicksal dem er nicht zu entrinnen mochte.
'Denn nun stand es so, daß Alleinsein und Unabhängigkeit nicht mehr sein Wunsch und Ziel war, sondern sein Los, seine Verurteilung, das der Zauberwunsch getan und nicht mehr zurückzunehmen war, daß es nichts mehr half, wenn er voll Sehnsucht und guten Willens die Arme ausstreckte und zu Bindung und Gemeinsamkeit bereit war."
Er gehörte auch zu den Selbstmördern, was nicht heißt, daß er selbst einen Selbstmordversuch hinter sich hatte.
'Der 'Selbstmörder' - und Harry war einer - braucht nicht notwendig in einem besonders starken Verhältnis zum Tode zu leben - dies kann man tun, auch ohne Selbstmörder zu sein. [. . . ] Von diesen Naturen sind sehr viele vollkommen unfähig, den realen Selbstmord zu begehen, weil sie dessen Sünde tief erkannt haben. Für uns sind sie dennoch Selbstmörder, denn sie sehen im Tod, nicht im Leben den Erlöser, sie sind bereit, sich wegzuwerfen und hinzugeben, auszulöschen und zum Anfang zurückzukehren. '
Der Steppenwolf glaubt, sich seiner zwei Wesen, die in ihm wohnen, bewußt zu sein, und vergißt dabei völlig, daß dies nur eine Vereinfachung seiner selbst ist und daß in Wirklichkeit noch eine Menge anderer Wesen in ihm verborgen sind.
Wohl ahnt er den Sinn seines Lebens, den der Menschwerdung, doch vermochte er nie lange auf diesem Weg zu bleiben, die Vereinsamung des Ich brachte ihn immer wieder vom eigentlichen Weg ab.
'Den Weg zum wahren Menschen, den Weg zu den Unsterblichen kann Harry zwar recht wohl ahnen, geht ihn auch hie und da ein winziges, zögerndes Stückchen weit und bezahlt das mit schweren Leiden, mit schmerzlicher Vereinsamung. Aber jene höchste Forderung, jene echte, vom Geist gesuchte Menschwerdung zu bejahen und anzustreben, den einzigen schmalen Weg zur Unsterblichkeit zu gehen, davor scheut er sich doch in tiefster Seele.'
Hier berichtet Harry Haller über Vorgänge, die ihm, während des Aufenthalts im Hause des Neffen der Hauswirtin, widerfahren sind.
Als Haller eines Abends durch die Gassen der Stadt spaziert, entdeckt er über einem Portal die Aufschrift: "Magisches Theater - Eintritt nicht für jedermann - Nur--für--Verrückte! '
'Ich strengte die Augen an, und schließlich ging ich trotz Schmutz und Pfützen hinüber. Da sah ich über dem Portal auf dem alten Graugrün der Mauer einen Fleck matt beschienen, und über dem Fleck liefen bewegliche bunte Buchstaben. '
Einige Zeit später als Haller dieses Erlebnis schon lange wieder vergessen hatte, begegnete er in den selben Gassen einem Mann, der einen Kasten umgehängt hatte und eine Fahne mit ähnlicher Aufschrift, wie damals unter dem Portal, in der Hand hielt. Von diesem Mann erhielt er ein Büchlein in die Hand gedrückt, es war "Das Tractat vom Steppenwolf'.
'Als ich den nassen Mantel auszog, fiel das kleine Buch mir wieder in die Hände. Ich zog es heraus, es war ein dünnes, schlecht auf schlechtem Papier gedrucktes Jahrmarktsbüchlein." "Aber als ich mich in den Lehnstuhl genistet und die Lesebrille aufgesetzt hatte, las ich mit Verwunderung und plötzlich aufschießendem Schicksalsgefühl auf dem Umschlag dieses Jahrmarktheftes den Titel: 'Traktat vom Steppenwolf. Nicht für Jedermann'.'
Durch Zufall begegnete er einem Professor, den er von früher her noch kannte. Seine anschließende Verabredung mit demselben war jedoch so mißglückt, daß er noch spät in der Nacht ein Wirtshaus aufsuchte, um den Gedanken des Selbstmordes zu verdrängen, der ihn schon den ganzen Abend quälte. Hier lernte er dann Hermine kennen und verabredete sich mit ihr zu einem Essen. 'Ich saß an einem kleinen Tisch des alten behaglichen Restaurants, den ich unnötigerweise vorher telephonisch bestellt hatte, studierte die Speisekarte und hatte im Wasserglase zwei schöne Orchideen stehen, die ich für meine Freundin gekauft hatte. '
Hermine war fröhlich und guter Laune, so wie er sie vom letzen Mal in Erinnerung hatte. Aus dem Nichts heraus wurde sie jedoch ernst und sprach: 'Du mußt wissen kleiner Harry: so wie es dir mit mir geht, daß mein Gesicht dir Antwort gibt, daß etwas in mir dir entgegenkommt und dir Vertrauen macht - ebenso geht es mir auch mit dir." "Du wirst viele Befehle von mir erhalten und wirst ihnen folgen, hübsche Befehle, es wird dir eine Lust sein, ihnen zu gehorchen. ". . . "Ich will mit dir um Leben und Tod spielen, Brüderchen, und ich will dir meine Karten, noch ehe wir anfangen zu spielen, offen zeigen. '
Dann teilte sie ihm mit, daß er sie eines Tages töten wird. Sie erteilte ihm eine Menge Befehle, die er alle ausführte und die ihm alle Freude bereiteten. So kam es, daß er Tanzen lernte, auf Feste ging, die körperliche Liebe neu erfuhr, und im allgemeinen ein recht umgänglicher Mensch wurde.
Er lernte Pablo und Maria kennen, zwei Freunde von Hermine, und wartete schon voller Ungeduld auf den Beginn eines Maskenballs, für den Hermine ihm etwas besonderes versprochen hatte.
Als der Zeitpunkt dafür gekommen war, er aber Hermine nirgends finden konnte, wollte er schon gehen, als ihm jemand einen Zettel mit folgendem Text in die Hand drückte: 'Heute nacht, von vier Uhr an, Magisches Theater - nur für Verrückte - Eintritt kostet den Verstand. Nicht für jedermann. Hermine ist in der Hölle. '
Tatsächlich traf er sie und Pablo in der Hölle, die sie gegen vier Uhr morgens, als schon fast alle Gäste gegangen waren verließen. Pablo führte sie in einen kleinen Raum, das er als sein Theater bezeichnete. 'Mein Theater hat so viele Logentüren, als ihr wollt, zehn oder hundert oder tausend und hinter jeder Tür erwartet euch das, was ihr gerade sucht. '
Harry durchwandert die verrücktesten Logen des Theaters, in einer von ihnen findet er Hermine und Pablo beim Liebesakt und tötet Hermine, wie von ihr vorhergesagt.
Hesse selbst äußert sich zum Inhalt seines wohl berühmtesten Werks in einem Brief an P. A. Riebe so: 'Aufgabe des 'Steppenwolfs' war: unter Wahrung einiger für mich >ewiger< Glaubenssätze die Ungeistigkeit unserer Zeittendenzen und ihre zerstörende Wirkung auch auf den höher stehenden Geist und Charakter zu zeigen. Ich verzichtete auf Maskeraden und gab mich selbst preis, um den Schauplatz des Buches wirklich ganz und schonungslos echt geben zu können, die Seele eines weit über Durchschnitt Begabten und Gebildeten, der an der Zeit sehr leidet, der aber an überzeitliche Werte glaubt. Der deutsche Leser hat sich über das Leiden Harrys amüsiert und ihm auf die Schulter geklopft, das war der ganze Erfolg der Anstrengung. '
Für Hermann Hesse spielten Gedichte von Anfang an eine große Rolle. Er, der in jungen Jahren bereits sagte, daß er Dichter werden wolle und sonst gar nichts, veröffentlichte seinen ersten Gedichtband "Romantische Lieder" bereits 1899. Damals beteiligte er sich noch selbst mit 175 Mark an den Herstellungskosten. Ich möchte hier nur die einzelnen Gedichtbände erwähnen, mit einigen Anmerkungen des Dichters versehen und die erste und die dritte Fassung seines zuletzt geschriebenen Gedichts "Knarren eines geknickten Astes" darstellen.
Seine "Romantischen Lieder" entstanden von Jänner 1897 bis Frühjahr 1898 in Tübingen. Dort war der erst achtzehnjährige Hesse in einer Buchhandlung tätig.
Nur wenige Lieder der in 600 Exemplaren erschienen Auflage wurden in spätere Bände übernommen.
In einem Brief vom 2. 12. 1898 an seine Mutter heißt es: 'Die 'Romantischen Lieder' tragen schon im Titel ein ästhetisches und persönliches Bekenntnis. Ich nehme es als Abschluß einer Periode und glaube, daß auf mein ferneres Dichten von ihnen aus kein Schluß zulässig ist. '*29
Mehr als 30 Jahre später äußert er sich in einem Brief an Alice Leuthold folgendermaßen:"Wie wichtig schien mir im Herbst 1899 diese kleine Büchlein, als ich das erste Exemplar meines ersten Buches in der Hand hielt! Ich bin dem treu geblieben, was ich damals begonnen habe, aber es war ein mühsamer Weg, und die Mühe hat sich nicht gelohnt. Aber dennoch: das Beste, was das Leben geben kann, nämlich liebe Freunde, das hat es mir gegeben, und ich bin dafür dankbar. '
Es enthält die seit 1915 geschriebenen Gedichte, einschließlich die nach 1927 geschriebenen "Letzten Gedichte'.
Der 1934 im Insel Verlag erschienene Band mit einer Auflage von 10.000 Exemplaren war bereits nach 5 Wochen vergriffen. Daß auch Hesse nicht damit gerechnet hat, beweist sein ironisch gemeinter Kommentar, daß sein Buch" nun in diesem schönen Augenblick erscheint, wo die Welt und Deutschland sich so innig und ausschließlich für Gedichte interessiert. '
Beinhaltet alte und neue Gedichte, stellt also eine Auswahl von Gedichten dar.
Die Auswahl der Gedichte wurde auf Wunsch des Suhrkamp Verlages von Hesse selbst vorgenommen.
'Doch gibt es auch jetzt noch gute Erlebnisse und Momente. Dazu gehört das Erscheinen dieses Buches. Seit Jahrzehnten habe ich bedauert, daß es, seit der >Trost der Nacht< vergriffen ist, keine erfreuliche Ausgabe meiner Gedichte mehr gab. Der dicke Band mit sämtlichen Gedichten ist eine philologische Angelegenheit und hat mir auf die Dauer keine Freude gemacht. Endlich habe ich es jetzt geschafft. Die Auswahl in diesem Band hat außer mir noch meine Frau, mein Verleger und einer seiner Lektoren besorgt. '
Der Band sammelt die Gedichte von 1944 bis 1962.
Neben Gedichten aus "Stufen" beinhaltet die Sammlung 6 Gedichte aus dem Privatdruck "Hermann Hesse zum Gedächtnis'.
'Knarren eines geknickten Astes" ist das letzte von Hermann Hesse geschriebene Gedicht.
Es folgt die erste Fassung, welche am 1. August 1962 entstand, und die dritte Fassung, die am 8. August 1962 niedergeschrieben wurde, also einen Tag bevor Hermann Hesse starb.
Knarren eines geknickten Astes
(Erste Fassung)
Geknickter Ast, an Splittersträngen
Noch schaukelnd, ohne Laub, noch Rinde,
Ich seh ihn Jahr um Jahr so hängen,
Sein Knarren klagt bei jedem Winde.
So knarrt und klagt es in den Knochen
Von Menschen, die zu lang gelebt,
Man ist geknickt, noch nicht gebrochen
Man knarrt, sobald ein Windhauch bebt.
Ich lausche deinem Liede lange,
Dem fasrig trocknen, alter Ast
Verdrossen klingt´s und etwas bange,
Was du gleich mir zu knarren hast.
Knarren eines geknickten Astes
(Dritte Fassung)
Splittrig geknickter Ast,
Hangend schon Jahr um Jahr,
Trocken knarrt er im Wind sein Lied,
Ohne Laub, ohne Rinde,
Kahl, fahl, zu langen Lebens,
Zu langen Sterbens müd.
Hart klingt und zäh sein Gesang,
Klingt trotzig, klingt heimlich bang
Noch einen Sommer,
Noch einen Winter lang.
Zu der dritten Version des Gedichts schreibt Werner Weber: 'Jetzt frei von >Ich< und >Man<;keine datierte Gelegenheit mehr, sondern freigesetztes Gebild."
Ende
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