Neue Sachlichkeit (Bildende Kunst, Literatur), realistische Stilrichtung in bildender Kunst und
Literatur seit Beginn der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts, die sich als Reaktion auf den Expressionismus und abstrakte Tendenzen in einer gegenständlichen,
Objektivität anstrebenden präzisen Darstellungsweise manifestierte. Sie ist
gekennzeichnet durch eine minuziöse Beobachtung der Wirklichkeit und
überscharfe Zeichnung des Gegenstandes, der dadurch häufig bewegungslos und
starr wirkt. Der Begriff wurde 1923 von dem Direktor der Mannheimer Kunsthalle,
G. F. Hartlaub, geprägt, der unter
diesem Titel in einer erst zwei Jahre später zustandegekommenen Ausstellung
Künstler dieser Richtung zeigte. Diese, so Hartlaub, seien "der positiven
greifbaren Wirklichkeit mit einem bekennerischen Zuge treu geblieben oder
wieder treu geworden".
In Literatur und Dramaturgie wurde der Stil der Neuen Sachlichkeit
zwischen 1924 und 1932 bestimmend. Zur Neuen Sachlichkeit gehören die
Aufführungspraxis Erwin
Piscators, das zeitbezogene
Drama Carl Zuckmayrs und Ödon von Horváths, die Gebrauchslyrik Bertolt Brechts und Erich Kästners und der an
Tatsachen orientierte Gesellschaftsroman Lion Feuchtwangers und Alfred Döblins. Von
impulsgebendem Einfluß waren die Arbeiterromane des Amerikaners Upton Sinclair und dessen Entlarvung der
selbstgerechten amerikanischen Gesellschaft in seinem Tatsachenroman Boston
(1928).
Innerhalb der Malerei schlug sich der Stil in Form unterschiedlicher
Zielsetzungen nieder. Während Maler wie Otto Dix oder George Grosz, die Repräsentanten einer
sozial engagierten gesellschaftskritischen Tendenz, als kompromißlose Gegner
der heuchlerischen Moral der bürgerlichen Gesellschaft auftraten, waren die
Bilder Christian Schads durch analytische Kälte und
Atmosphärelosigkeit gekennzeichnet. Vertreter einer eher romantisch-magischen
Strömung innerhalb der Neuen Sachlichkeit waren Georg Schrimpf, der die
Wirklichkeit bis zur Idylle stilisierte, Alexander Kanoldt (1881-1939) mit
seinen kulissenartig gebauten Landschaften, Franz Radziwill (1895-1983) mit
seinen surrealen Landschaftsvisionen oder Carl Grossberg (1894-1914) mit seinen
Darstellungen von Fabrikanlagen. Sozialrevolutionäre Ziele vertrat die Gruppe
der "Kölner Progressiven" um Heinrich Hoerle (1895-1936) und Franz Wilhelm
Seiwert (1894-1933), die der KPD nahestand und deren bevorzugtes Thema der
Arbeiter im Fabrikbetrieb war.
Auch innerhalb der Photographie fand die Neue Sachlichkeit ihre Ausprägung
in Form experimenteller Arbeiten, die sich auf die exakte Wiedergabe von
Alltagsgegenständen wie Wasserhähnen, Schlüssel, Geschirr und ähnlichem
konzentrierten. Zu ihren wichtigsten Vertretern gehörten László Moholy-Nagy, Christian Schad, der auch als experimenteller
Photograph in Erscheinung trat (Schadographien), oder Albert Renger-Patzsch, der 1925 einen vielbeachteten
Aufsatz über Das Photographieren von Blüten veröffentlichte und sich der
Darstellung von photographischen Arbeitsabläufen widmete. Im Umkreis der Neuen
Sachlichkeit entstand auch die Photoreportage, die ihr Aufblühen der
Entwicklung der Kleinbildkamera mit hoher Verschlußgeschwindigkeit verdankte