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Ameisen
Sie sind intelligent, winzig, gerissen und, wenn es sein muß, grausam: Ameisen.
Daß Ameisen nahezu überall und in Massen auftreten können, hat wohl jeder schon am eigenen Leib erfahren, sei es als Konkurrenten um die Wurst beim Picknick oder als Argernis in der Küche. Ameisen spielen in den meisten Gebieten der Welt eine wichtige Rolle, ob in Wüsten, im Laubwald gemäßigter Breiten oder im tropischen Regenwald.
Ameisen entwickelten sich vor ungefähr hundert Millionen Jahren mitten unter den Dinosauriern und breiteten sich schnell über die ganze Erde aus. Wie die meisten vorherrschenden Lebensformen (die Menschen bilden in diesem Fall eine auffallende Ausnahme) haben sich die Ameisen zu einer Fülle von Arten weiterentwickelt. Die Gesamtzahl der heute lebenden Ameisenarten liegt wahrscheinlich bei mehreren Zehntausend. Nach Meinung der Wissenschaftler liegt der Erfolg der Ameisen an der wirkungsvoll eingesetzten und überwältigenden Stärke, die durch die Kooperation der Koloniemitglieder zustande kommt. Eine derart effektive Zusammenarbeit ist nur über eine hochentwickelte chemische Verständigung möglich: Ein Substanzgemisch, daß von verschiedenen Körperteilen stammt, wird von den Nestgenossinen über den Geschmacks- und Geruchsinn wahrgenommen und löst bei ihnen, je nach Substanz und unter welchen Umständen sie abgegeben wurde, verschiedene Verhaltensweisen wie z.B. Alarmierung oder Anlockung, Brutpflege- oder Fütterungsverhalten aus. Mit einem Wort, Ameisen sind so erfolgreich, weil sie sich so gut mitteilen können.
Ameisen überleben inmitten von Menschen verursachten Umweltschäden, und es scheint sie nicht zu kümmern, ob es Menschen um sie herum gibt oder nicht. Die Vielzahl der Ameisen ist wahrlich sagenhaft. Eine Arbeiterin ist nicht einmal ein millionstel so groß wie ein Mensch, und dennoch sind die Ameisen neben dem Menschen die vorherrschensten Landorganismen überhaupt.
Der britische Entomologe C.B. Williams hat berechnet, daß sich die Anzahl der lebenden Insekten auf eine Trillion (1018) beläuft. Wenn man vorsichtig geschätzt annimmt, daß davon ein Prozent Ameisen sind, dann beträgt ihre Gesamtpopulation zehntausend Billionen. Eine einzelne Arbeiterin wiegt im Schnitt nur 1 bis 5 Milligramm. Wenn man jedoch weltweit alle Ameisen zusammennimmt, wiegen sie etwa ebensoviel wie die gesamte Menschheit. [2]
Ameisen werden schon in der Bibel wegen ihres Fleißes erwähnt. Auf römischen
Münzen wurden sie als Symbol des Reichtums abgebildet. Es wurden ihnen
prophetische Fähigkeiten, z.B. die Voraussage von Witterung und Hungersnöten
zugeschrieben. In der Antike und auch heute noch bei Eingeborenen vieler Länder
werden Ameisen als Mittel gegen Gicht, Rheumatismus und Hautkrankheiten
verwendet. [3]
Schon die Schreiber der Antike, wie Hesiod, Aesop, Plutarch, Horaz, Vergil, Ovid und Plinius beschäftigen sich in ihren Schriften mit dem Thema "Ameisen".
Das Heer der Insekten ist fast unübersehbar. Es gibt schätzungsweise 1,5 Millionen Arten, die alle Festlandsbereiche erobert haben. Davon halbwegs bekannt sind bis heute rund 750.000 Arten.
Der Gestaltungsreichtum und die Anpassungsfähigkeit der Insekten ist phantastisch. Er spannt sich von der kurzlebigen Eintagsfliege bis zur bejahrten Bienenkönigin und von der urtümlichen Küchenschabe bis zur blutsaugenden Mücke und Fliege, vom huschenden Silberfisch in den feuchten Winkeln unserer Behausungen bis zum flatternden Schmetterling in Feld und Wald, von der Maulwurfsgrille in der Erde bis zum Wasserkäfer in Bach und Teich, vom nagenden Borkenkäfer in Rinde, Bast und Stamm bis zur räuberisch umherschweifenden Libelle, von der festsitzenden Schildlaus bis zur rastlos tätigen Ameise. Diese Aufzählung zeigt, daß Insekten alle Lebensnischen auf dem Festland eroberten und auch unendlich vielseitig in unser Leben verwoben sind.
Insekten wirken:
als Bestäuber der Blütenpflanzen,
als Verbreiter vieler Pflanzensamen,
als Schutztruppe für viele bedrohte Pflanzen,
als Aufräumer, Mistfahrer, Straßenkehrer und Totengräber der Natur und
als Beschleuniger des Zerfalls und begabte Abbauspezialisten.
Insekten sind ein wichtiges Glied im Naturkreislauf. Sie dienen unzähligen Geschöpfen als Nahrung und erheben ihren Zoll wiederum von Tieren und Pflanzen - einige auch von uns Menschen.
Das Verhältnis Mensch - Insekt wird nur dann kritisch, wenn beide Spezies sich auf dem Territorium, das der Mensch als das sein ureigenes ansieht, zu nahe kommen. Das ist der Fall, wenn Insekten ihren zugedachten Platz in der freien Natur verlassen und in die Lebensräume des Menschen eindringen.
Erst in den letzten Jahrzehnten wurde so richtig erkannt, welch hohe Bedeutung die meisten der weltweit verbreiteten und durchwegs staatenbildenden Ameisen vor allem als Durchlüfter und Zerkrümler der Erde und als Vernichter zahlloser Wald- und Feldschädlinge haben. Ameisen sind gelernte Erdarbeiter, sie betätigen sich als Blattlauszüchter, Wegelagerer, Insektenvertilger und Aasfresser. Sie sind die Straßenkehrer und Aufräumer in der Natur. Sie bewegen mehr Erde als die Regenwürmer und bringen dabei enorme Nährstoffmengen, die lebenswichtig für die Landökosysteme sind, in Umlauf.
Ameisen haben einen enormen Einfluß auf unsere Umwelt. Sie beeinflussen das Leben und bestimmen die Evolution von zahllosen anderen Pflanzen und Tieren. Ameisenarbeiterinnen sind die Hauptfeinde von Insekten und Spinnen. Für Lebewesen ihrer Größenordnung sind sie die Friedhofsarbeiter, da sie über 90 % der toten Tiere als Futter in ihre Nester tragen. Zudem sind sie für die Verbreitung einer großen Anzahl von Pflanzenarten verantwortlich, weil sie einige zu Futterzwecken gesammelte Samen in der Nähe der Nester oder in den Nestern selbst ablegen, ohne sie zu fressen.[5]
Aufbau des Ameisenstaates
Ameisen sind staatenbildende Insekten, die in der Systemordnung zu den Hautflüglern zählen. Sie haben immer schon das besondere Interesse des Menschen geweckt. Es sind meist kleine einfach gefärbte Tiere, die in Vielfalt, Form und Farbenpracht der Insektenwelt wenig auffallen. Was immer wieder die Aufmerksamkeit dieser kleinen Insektengruppe erregt, ist das Verhalten der lebenden Ameisen, das Phänomen des Staatenlebens, des Zusammenlebens in einer großen Gemeinschaft, ist weiterhin die Vielzahl von Tätigkeiten und Verrichtungen, die oft von mehreren Tieren zugleich und gemeinsam ausgeführt werden und die Vergleiche mit ähnlichen Erscheinungen der Betätigung und Arbeitsteilung in menschlichen Gemeinschaften aufkommen lassen. Mit fast 10.000 Arten sind Ameisen über die ganze Erde verteilt. Davon leben etwa 200 Arten in Mitteleuropa. Je weiter wir in subtropische und tropische Gebiete kommen, um so mehr Arten treffen wir an. Fast jede Art hat in Anpassung an die spezielle Umweltgegebenheit ihren eigenen Weg gefunden, ihre Grundfunktionen zu realisieren.
Meist sind die Angehörigen eines Ameisenstaates Geschwister, also Nachkommen einer einzigen Mutter - der 'Königin' - mit der sie zusammenleben. Sie kann täglich bis zu einhundert Eier produzieren; das ist ihre Aufgabe innerhalb eines vollentwickelten Staatengebildes. Dieses zur 'Eier legende Maschine' spezialisierte und umsorgte Weibchen unserer einheimischen Arten legt in der aktiven Sommerperiode etwa 25.000 bis 40.000 Eier. Nur Kolonien einiger primitiver Arten umfassen 20 bis einige hunderte Tiere, aber eigentlich werden sie nach tausenden und zehntausenden gezählt - bei den Waldameisen nach hunderttausenden. Bei manchen Ameisenarten werden hohe Volksstärken auch dadurch erreicht, daß in Kolonien mehrere Königinnen gleichzeitig leben. Besonders starke auf mehrere Ableger verteilte Waldameisenvölker erreichen dadurch Individuenzahlen von bis zu 2 Millionen.
Zur Ausführung vielfältiger Arbeiten brauchen die Ameisen ihre Oberkiefer, die wie bei allen Insekten 'Mandibeln' genannt werden und ein wahres Universalwerkzeug darstellen. Diese paarigen, sehr oft mit gezähnten Rändern versehene, harten Kiefer können gegeneinander bewegt werden. Sie dienen sowohl zum vorsichtigen Aufnehmen und Umlagern der weichen Brut als auch zum Ergreifen und Transportieren schwerer Baustoffe, zum Graben im Erdboden, zum Nagen in Holz, zum Zerkleinern von Beutetieren, Pflanzenteilen und Samen, aber auch als Kampfwaffe.
Hölldobler und seine Mitarbeiter waren fasziniert von der unglaublichen Kraft und Geschwindigkeit, mit der die Ameisen ihre Kiefer schließen können. Wenn die Ameise mit den Spitzen der Kiefer auf eine harte Oberfläche prallt, ist die Schlagkraft so groß, daß sie nach hinten durch die Luft geschleudert wird. Forscher untersuchten das Schließen der Kiefer mit Hilfe einer Hochgeschwindigkeitskamera, die 3.000 Bilder pro Sekunde macht. Zu ihrer Überraschung stellten sie fest, daß es sich bei dieser Kieferbewegung um die schnellste Körperbewegung handelt, die jemals im gesamten Tierreich gemessen wurde! Der gesamte Bewegungsablauf dauert zwischen einer drittel und einer ganzen Millisekunde, also zwischen einer dreitausendstel und einer tausendstel Sekunde. Wäre die Ameise ein Mensch, würde sie ihre Faust vergleichsweise mit einer Geschwindigkeit von 3 Kilometern pro Sekunde bewegen - schneller als eine Gewehrkugel durch die Luft fliegt.[7]
Der Nestbau
Staatenleben und Nestbau gehören unmittelbar zusammen. Der Familienstaat braucht ein "gemeinsames Haus", für die vielen tausenden Individuen. Das Nest oder der Bau ist Brutlager für Eier, Larven und Puppen. Die Anpassung der Arten an verschiedene Lebensräume ist vorrangig mit einer geeigneten Nestbauweise verbunden. Besonders für die Brutentwicklung muß unter allen Umständen optimale Wärme und hohe Luftfeuchtigkeit gesichert sein. Ist der Zuwachs eines Ameisenvolkes so stark, daß Raumnot im Nest entsteht, kann ein Teil des Volkes auswandern und in der Nachbarschaft ein Ablegernest errichten. So entstehen mehrere Nester umfassende Wohnsiedlungen (polydome). Die Bewohner der Zweignester bewahren fallweise Verbindung mit dem Mutternest. Auch der Austausch der Brut und Nahrung findet dabei statt. Für einige Waldameisen sind solche Nestverbände besonders charakteristisch. Sie umfassen manchmal bis zu über 100 Einzelnester und vereinen damit auf wenige Hektar ca. 20 bis 40 Millionen Ameisen. [8]
Das Klima im Nest
Die Ameisen unserer Breiten brauchen vor allem eine gegenüber der Umwelt erhöhte Wärme im Nest und je nach Standort auch spezielle Anpassungen zur Erhaltung einer hohen Luftfeuchtigkeit. Die höchste Entwicklungsstufe zur Schaffung eines eigenen optimalen Klimas im Nestinneren ist bei den Waldameisen erreicht. Von Ende März bis Ende Oktober etwa gibt es im Nestinnern Bereiche die ständig 28 bis 32°C und nahezu 100% Luftfeuchtigkeit aufweisen!
Durch die Wahl des Nistplatzes wird von vornherein extremen mikroklimatischen Einflüssen ausgewichen. Anhaltende ungünstige Veränderungen an Neststandorten beantworten die Ameisen durch Umsiedlungen an einen günstigeren Platz. Je nach Temperatur wird die Kuppel des Nestes niedrig oder hoch gebaut. So wird sie bei niedrigen Temperaturen hoch und steil gebaut und bei hohen Temperaturen wieder abgetragen und flach. Bei Überhitzung schaffen die Arbeiterinnen eine Vielzahl von Öffnungen in der Deckschicht des Hügels, die eine Durchlüftung ermöglicht. Bei Abkühlungen der Außenluft am Abend, werden die Pforten verschlossen, damit die im Nest befindliche Wärme eingeschlossen bleibt. Am Tage sind dicht unter der Kuppel die höchsten und nachts die kältesten Stellen im Nest, während die Temperaturen im Zentrum ausgeglichen sind. Um Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Gleichgewicht zu halten, bringen Arbeiterinnen Wassertropfen ins Nest, diese werden an Nestgenossinen weitergegeben und an Wände und auf den Boden verteilt. Die unbeweglichen Brutstadien werden in die für sie jeweils optimalen Temperaturzonen des Nestes umgelagert. Die Puppen werden von den Ameisen in die wärmsten Bezirke gebracht. Königinnen bevorzugen den Aufenthalt in kühleren Nestbereichen. Im Frühjahr, an den ersten Sonnentagen, sitzen Trauben von Arbeiterinnen in der Sonne, um sich aufzuwärmen, um dann die Wärme ihrer Körper im Nestinneren abzugeben. [9]
Die Königin
Ameisenköniginnen genießen in ihren solide gebauten Nestern, in denen sie wie in einer Festung verborgen leben und von ihren eigenen Töchtern geschützt werden, ein langes Leben. Ihre Fruchtbarkeit ist von Art zu Art verschieden, sie ist aber nach menschlichen Maßstäben jedenfalls beeindruckend.
Die Königin wird von allen Arbeiten freigehalten. So kann sie ihre volle Energie der Produktion der Eier widmen. Dieses fruchtbare Weibchen in einer entwickelten Kolonie hat es nicht nötig etwa zum Nahrungserwerb das schützende Nest zu verlassen. Ein riesiges Heer wehrfähiger Arbeiterinnen gibt ihr Schutz und versorgt sie. Auch wenn täglich viele Arbeiterinnen umkommen, die Königin als Quelle des Nachwuchses bleibt über viele Jahre erhalten. Sie kann bei manchen Ameisenarten ein Alter von 15 bis 20 Jahre erreichen.
Einige Arten übertreffen in ihrer Langlebigkeit alles, was sonst von Millionen anderer Insekten bekannt ist, sogar die legendären Zikaden mit ihrem 17jährigen Lebenszyklus. Die Königin einer australischen Roßameisenart erreichte in einem Labortest ein Alter von 23 Jahren, bevor sie in ihrer Fortpflanzung nachließ und offensichtlich an Altersschwäche starb. Den Weltrekord in Langlebigkeit bei Insekten, hält eine Königin der schwarzgraue Wegameise: Durch die intensive Pflege eines Schweizer Insektenforschers wurde sie 29 Jahre alt!
Königinnen langsam wachsender räuberischer Arten produzieren nur ein paar hundert Arbeiterinnen. Ein anderes Extrem findet man bei der Blattschneideameise in Süd- und Mittelamerika, die ungefähr 150 Millionen Arbeiterinnen zur Welt bringen. Königinnen der afrikanischen Treiberameisen produzieren die doppelte Menge, das heißt, die ungeheure Anzahl ihrer Töchter übertrifft die gesamte Bevölkerung der USA. [11]
Die Männchen
Männlichen Ameisen haben eine kurze Lebensdauer. Sie werden nach der Begattung nicht mehr benötigt, da der Spermienvorrat, den sie der Königin übergeben, für deren ganzes Leben zur Besamung von Millionen Eiern ausreicht. Schon wenigen Stunden nach dem Hochzeitsflug sterben die Männchen.
Die Arbeiterinnen einer typischen Ameisenkolonie sind alle Töchter der Königin. Die Männchen - ihre Söhne - werden erst produziert, wenn sich eine genügend große Arbeiterinnenpopulation aufgebaut hat und die Fortpflanzungsperiode naht. Männchen sind Drohnen, in der ursprünglichen, altenglischen Bedeutung des Wortes: Drohnen sind Schmarotzer, die von der Arbeit anderer leben. Solange sie jedoch im Nest sind, sind sie völlig von ihren Amazonenschwestern abhängig und werden offensichtlich nur wegen ihrer Fähigkeit, die Gene der Kolonie weiterzugeben, geduldet. [13]
Die Hochzeit
Zu bestimmten Zeiten entwickeln sich die Larven nicht zu unfruchtbaren Arbeiterinnen, sondern zu geflügelten Geschlechtstieren, den Jungköniginnen und Männchen. Diese halten sich nicht lange im Mutternest auf. Sie begeben sich auf den Hochzeitsflug, auf dem sich die Paare finden und kopulieren. Der Hochzeitsflug führt zur Vereinigung der Paare aus verschiedenen Mutternestern und ermöglicht so die Eroberung neuer Siedlungsgebiete. Nach der Hochzeit werfen die Jungköniginnen ihre Flügel ab. Die Jungkönigin hat bei der Begattung so reichlich Spermien aufgenommen, daß der Vorrat für die Befruchtung der vielen hunderttausend Eiern während ihres ganzen Lebens ausreicht. Sie sucht sich ein Versteck, füttert und pflegt dort ihre ersten Nachkommen selbst bis diese ihr dann als Arbeiterinnen zur Seite stehen und sie sich nur noch der Eierproduktion zuwenden kann. [14]
Die Arbeiterinnen
Mit der Fruchtbarkeit haben die Arbeiterinnen den Geschlechtstrieb und den Brutegoismus verloren, nicht aber den Brutpflegetrieb. Sie versorgen und schützen Eier, Larven und Puppen, die nicht ihre eigenen Nachkommen sind. Die Arbeiterin trägt Nahrung ein, nicht für sich selbst, sondern für die Geschwisterbrut, für die erwachsenen Geschwister, für die Mutter. Das gibt es außer bei sozialen Insekten sonst nicht im Tierreich!
Durch die Verteilung der Grundfunktionen auf verschiedene Individuen, die zum Teil im Körperbau auf diese Spezialisierung festgelegt sind, können der Staat und seine Glieder nur in dieser Einheit lebensfähig sein. Die unfruchtbaren Weibchen machen den größten Teil der Bevölkerung des Ameisenstaates aus. Sie verrichten praktisch alle anfallenden Tätigkeiten. Dazu zählen nicht nur das Betreuen der Eier, Larven und Puppen, auch das Füttern der Brut, Bauen und Reparieren der Gänge, das Bewachen und Verteidigen des Nestes und das Durchstreifen der Umgebung nach Nahrung und Baustoffen.
Das wichtigste Gut einer Ameisenkolonie, ist diese Arbeiterkaste - alles Schwestern - die sich den Bedürfnissen ihrer Mutter unterordnen und bereitwillig ihre eigene Fortpflanzung aufgeben, um ihre Schwestern und Brüder großzuziehen. Ihr Instinkt führt bei ihnen nicht nur dazu, auf Nachkommen zu verzichten, sondern jederzeit auch ihr Leben aufs Spiel zu setzten. Allein wenn sie die Sicherheit des Nestes verlassen, um auf Futtersuche zu gehen, setzen sie sich vielfältiger Gefahr aus. Es drohen ihnen Auseinandersetzungen mit benachbarten Kolonien, bei denen sie oft keine Überlebenschance haben. Andere Arbeiterinnen werden von Räubern gefressen oder verlaufen sich. Etwa 15 Prozent der Arbeiterinnen befinden sich außerhalb des Nestes und laufen dadurch Gefahr von Spinnen oder Raubfliegen gefressen zu werden. Im Schnitt lebt keine der futtersuchenden Arbeiterinnen länger als eine Woche. In dieser Zeit kann sie aber das 15- bis 20-fache ihres Körpergewichtes an Nahrung sammeln. [16]
Die Soldaten
Innerhalb eines Ameisenstaates können die Arbeiterinnen vielartig ausgebildet und für bestimmte Funktionen besonders angepaßt sein. Vor allem gibt es starke Größenunterschiede, wobei die einzelnen Individuen auch besonders großköpfig sind und besonders kräftige Oberkiefer als Waffe besitzen - die 'Soldaten'. Manchmal sind ihr Kopf und die Oberkiefer so groß das sie nicht mehr in der Lage sind, selbständig zu fressen, so daß sie von anderen gefüttert werden müssen, um am Leben zu bleiben und ihre Arbeit als Soldat im Ameisenstaat zu verrichten. [17]
Ameisen besitzen ein ausgeklügeltes Kommunikationssystem. Die Weberameisen (Oecophylla longinoda), die in den südlich der Sahara gelegenen Wäldern zu den Herrschern der Baumkronen gehören, besitzen die komplexesten Sozialverhaltensweisen, die man aus dem Tierreich kennt. Es stellte sich heraus, daß sie das höchstentwickelte chemische Kommunikationssystem besitzen, das jemals bei Tieren entdeckt wurde. Das System basiert - wie bei allen Ameisen - auf chemischen Sekreten (sogenannten Pheromonen), die über den Geschmacks- und Geruchsinn wahrgenommen werden.
Arbeiterinnen führen sich nicht nur gegenseitig zu außerhalb des Nests gelegenen Stellen, sie verwenden fünf verschiedene "Botschaften", mit deren Hilfe sie genauere Angaben über die Art ihres Zieles machen. Jede Botschaft ist aus mehreren Signalen zusammengesetzt. Eine chemische Substanz wird als Spur gelegt, und diese wird - wann immer die Spurlegerin eine Nestgenossin trifft - mit einer bestimmten Körperbewegung verbunden - entweder mit einem kurzen Tanz oder einem Betrillern mit den Antennen. Bei den chemischen Verbindungen handelt es sich um Sekrete aus einer der beiden Drüsen, die sich neben dem After befinden. Meint eine Arbeiterin beispielsweise: "Folge mir ich habe Futter entdeckt", legt sie mit dem Sekret aus einer ihrer Drüsen - der Rektaldrüse - eine Spur und läuft zum Nest zurück. Trifft sie dabei auf andere Arbeiterinnen, bewegt sie ihren Kopf hin und her und betrillert sie mit den Antennen.
Die Forschung der letzten 20 Jahre hat ergeben, daß die Weberameisen, fast einen primitiven Satzbau in ihrer Sprache verwenden, d.h. die chemischen "Wörter" in verschiedenen Kombinationen einsetzen und damit unterschiedliche "Inhalte" mitteilen. Sie regulieren sogar die Intensität anderer elementarer Signale die aus Berührungen und Vibrationen bestehen. [18]
Die soziale Ordnung der Koloniemitglieder ist komplex und straff organisiert, so daß man durchaus von einem gewaltigem, gut funktionierenden Organismus - nämlich von dem berühmten Insekten-"Superorganismus" sprechen kann. [19]
Es ist mir hier nicht möglich, alle Kommunikationsformen der verschiedenen Ameisenarten festzuhalten, da diese derart differenziert und ausgeklügelt sind und daher den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden.
Verschiedene Ameisenarten haben sowohl mit Kolonien ihrer eigenen Art als auch mit fremden Arten aggressive Auseinandersetzungen. Sie wenden dabei unterschiedliche Strategien an, die von Carl von Clausewitz stammen könnten - dem großen Meister der Kriegsführung aus der Zeit Napoleons. Bei Konflikten geht es fast immer um Geländegewinn oder um Futter.
Ameisen verfügen über ein sehr erfolgreiches System, das so komplex ist, daß sie um ihre Feinde zu besiegen, je nach Art, Propagandamittel, Täuschungsmanöver, routinemäßige Überwachung und Massenüberfälle einsetzen - entweder einzeln oder in Kombination. Besonders bizarre Beispiele stellen einige Ameisenarten dar, die bei Konflikten Steine auf die Gegner fallen lassen, andere wiederum führen Sklavenraubzüge durch, um ihre Arbeits- und Kampfstärke zu vergrößern. [20]
Die
mit Abstand aggressivste Ameisenart ist wohl Camponotus femoratus, eine
große, haarige und ausgesprochen unangenehme Ameise in den tropischen
Regenwäldern Südamerikas. Schon bei der geringsten Störung quillt eine erregte
und aufgebrachte Masse von Arbeiterinnen aus dem Nest, beginnt hin- und
herzurennen, springt auch Menschen an und versucht sie zu beißen. Dabei
verursachen sie ein stechendes Brennen, indem sie zubeißen und gleichzeitig
Ameisensäure in die Wunde spritzen. [21]
Ein Ameisenleben besteht nur aus kleinen Ruhepolen voll Harmonie in einer sonst unversöhnlichen Welt.
Durch
Massenaktionen und Arbeitsteilung unter den Arbeiterinnen sind Ameisenkolonien
in der Lage, ihre Umwelt fast nach Belieben zu kontrollieren und zu verändern.
Das Regeln der Umgebungstemperatur ist eines der besten Beispiele für die
soziale Leistungsfähigkeit der Ameisen, zumal sie aus Gründen, die noch
unbekannt sind, in der Regel auf ungewöhnlich hohe Temperaturen angewiesen
sind.
Die größte Gefahr, der Ameisen in ihrer Umwelt ausgesetzt sind, ist nicht
übermäßige Hitze, Kälte oder Nässe - damit werden sie fertig (viele Ameisen
können stunden- oder sogar tagelang unter Wasser überleben) - sondern Trockenheit.
Die meisten Arten brauchen in ihren Nestern eine höhere Luftfeuchtigkeit als
gewöhnlich außerhalb des Nestes herrscht; sie gehen innerhalb weniger Stunden
zugrunde, wenn sie sehr trockener Luft ausgesetzt sind. Daher wenden Ameisen
verschiedenartigste - oft seltsam anmutende - Techniken an, um die
Luftfeuchtigkeit in ihren Nestern anzuheben oder zu regulieren. Ameisenhügel
sind beispielsweise so konstruiert, daß sie neben der Temperatur auch die Luft-
und Erdfeuchtigkeit in Grenzen halten.
Ameisen besetzen die unterschiedlichsten ökologischen Nischen. In den Wäldern
Südamerikas züchten stachelige, rote Blattschneiderameisen als Nahrung Pilze
auf frischen Blatt- und Blütenstücken, die sie in ihre unterirdischen Kammern
eingetragen haben. Völlig blinde, schlauchförmige Prionopelta winden
sich durch die Ritzen vermodernder Baumstämme, um Silberfischchen zu fangen.
Treiberameisen rücken in Scharen in fächerförmigen Formationen vorwärts und
räumen dabei fast mit jeglicher Form tierischen Lebens auf.
Die Amazonenameise (Polyergus rufescens), eine mitteleuropäische Ameisenart, ist unfähig zur selbständigen Ernährung und Brutpflege. Die Ameise raubt Puppen aus Nestern anderer Ameisenarten und hält die daraus schlüpfenden Arbeiterinnen als "Sklaven" zur Versorgung der Kolonie. [22]
Und so geht es weiter - in nahezu endlosen Variationen, je nach Art, jagen sie nach Beute, sammeln tote Tiere, Nektar oder Pflanzen und nutzen so alle Lebensräume zu Lande, die Insekten zugänglich sind. Auf der anderen Seit gibt es Arten, die an ein Leben tief unter der Erde angepaßt sind und selten an die Oberfläche kommen, andererseits leben hoch über ihnen großäugige Ameisen in den Baumkronen. [23]
Trophobionten
Überall wo man Ameisen findet sind sie mit anderen Insekten, die sich von Pflanzensäften ernähren, einen Handel eingegangen. Blattläuse, Wollläuse, Buckelzikaden und
Schmetterlingsraupen geben an Ameisen zuckerhaltige Sekrete ab, die ihnen als Futter dienen. Als Gegenleistung werden ihre "Handelspartner" vor Feinden geschützt.
Die Ameisen gehen noch weiter und bauen für sie eigene Kammern aus zerkautem Pflanzenmaterial oder Erde, und manchmal nehmen sie sie sogar regelrecht als Koloniemitglieder in ihr Nest auf. Diese Symbiose die man Trophobiose nennt (griech. ~ nährendes Leben), hat sich als eine der erfolgreichsten in der Geschichte der Landökosysteme erwiesen. Sie hat wesentlich zu der zahlenmäßigen Überlegenheit sowohl der Ameisen als auch ihrer Schützlinge beigetragen.
Die bekanntesten und häufigsten Trophobionten der gemäßigten Zone sind Blattläuse. Fast in jedem Garten und auf jedem brachen Feld kann man diese Symbiose beobachten: Eine Arbeiterin nähert sich einer Blattlaus und berührt sie sachte mit ihren Vorderbeinen oder Antennen. Die Blattlaus reagiert darauf mit der Abgabe einer Zuckerlösung aus ihrem After und die Ameise leckt diesen sogenannten Honigtau, der aus Fructose, Saccherose, Glucose und einem natürlichen Blutzucker, der Trehalose, besteht, auf. Sie geht von einer Blattlaus zur nächsten und bettelt sie alle an, bis der Hinterleib mit der gespeicherten Flüssigkeit prall gefüllt ist. Dann kehrt sie zum Nest zurück und gibt einen Teil der süßen Ernte an ihre Nestgenossinen ab.
Philipp Hiebinger
8 b
Jänner 99
) vgl. Hölldobler, B./Wilson, E.O.: Ameisen. Die Entdeckung einer faszinierenden Welt. Basel, Boston, Berlin. 1995, Vorwort
) vgl. Hölldobler, B./Wilson, E.O.: Ameisen. Die Entdeckung einer faszinierenden Welt. Basel, Boston, Berlin. 1995, S. 1-2
) vgl. Hölldobler, B./Wilson, E.O.: Ameisen. Die Entdeckung einer faszinierenden Welt. Basel, Boston, Berlin. 1995, S. 231
) vgl. . Hölldobler, B./Wilson, E.O.: Ameisen. Die Entdeckung einer faszinierenden Welt. Basel, Boston, Berlin. 1995, S. 2
) vgl. . Hölldobler, B./Wilson, E.O.: Ameisen. Die Entdeckung einer faszinierenden Welt. Basel, Boston, Berlin. 1995, S. 206
) vgl. Hölldobler, B./Wilson, E.O.: Ameisen. Die Entdeckung einer faszinierenden Welt. Basel, Boston, Berlin. 1995, S. 33
) vgl. . Hölldobler, B./Wilson, E.O.: Ameisen. Die Entdeckung einer faszinierenden Welt. Basel, Boston, Berlin. 1995, S. 41
vgl. Hölldobler, B./Wilson, E.O.: Ameisen. Die Entdeckung einer faszinierenden Welt. Basel, Boston, Berlin. 1995, S. 111
) vgl. Hölldobler, B./Wilson, E.O.: Ameisen. Die Entdeckung einer faszinierenden Welt. Basel, Boston, Berlin. 1995, S. 49ff
) vgl. Hölldobler, B./Wilson, E.O.: Ameisen. Die Entdeckung einer faszinierenden Welt. Basel, Boston, Berlin. 1995, Vorwort
) vgl. Hölldobler, B./Wilson, E.O.: Ameisen. Die Entdeckung einer faszinierenden Welt. Basel, Boston, Berlin. 1995, S. 69ff
) vgl. Hölldobler, B./Wilson, E.O.: Ameisen. Die Entdeckung einer faszinierenden Welt. Basel, Boston, Berlin. 1995, S. 237f
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