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Allgemeine Einführung: Utopie und Phantasie
Ich m chte mich, bevor ich auf konkrete Beispiele aus der Literatur eingehe, zuerst mit den globaleren Zusammenhängen im Bezug auf Utopien beschäftigen:
Utopien und das utopische Denken ist der menschlichen Kulturgeschichte bis hinein in die Zeiten Platons schriftlich belegt, hat aber mit Sicherheit schon immer existiert. Platons Utopie (ich gehe später noch genauer auf sie ein) ist als Beispiel f r die klassische Utopie sehr gut geeignet. Er beschreibt in seiner Politeia" ein politisches System, das er als Ideal f r seine Gesellschaft betrachtete. Diese Gesellschaft befand sich in jener Epoche in einem Umbruch durch einen Konflikt zwischen dem Individuum als solches und der Vorstellung von der Integration des Einzelnen in das Ganze der Welt.
Schon an dieser Stelle werden einige wichtige Charakteristika von utopischer Literatur deutlich:
Utopien sind literarische Werke mit durchgehend fiktionalem Charakter, das heißt, es wird eine imaginäre Welt geschaffen, an welcher der jeweilige Autor seine Vorstellungen von einer positiven oder negativen Entwicklung der Welt oder der Gesellschaft demonstrieren kann.
Utopien sollen also in jedem Fall auf das momentane "historisch-gesellschaftliche sein" transformierend wirken und eine Verbesserung der Zustände oder eine Verhinderung von Schlimmeren bewirken, wenn der momentane Zustand nicht mehr mit den ursprünglichen kulturellen Normen und Werten übereinstimmt oder eine solcher Zustand droht.
Der gesellschaftliche Nährboden für eine solche Literaturgattung ist offensichtlich: am häufigsten finden sich Utopien in Epochen, in denen soziale Umbrüche oder größere Umwälzungen, zum Beispiel weitreichende technische Entwicklungen stattfinden, die auch negative Aspekte nachziehen könnten.
Auch religiöse Aspekte können eine große Rolle spielen, wenn eine Gesellschaft, die sich in der Vergangenheit stark auf das Göttliche und Transzendente berufen hatte, plötzlich im Rahmen einer Schwächung der vorher bestimmenden Religionen in eine Situation geworfen wird, in welcher der Mensch gezwungen wird, sein Leben und die Gesellschaft, in der er lebt, selbst zu gestalten und Utopien zu entwerfen, um
Entwicklungen vorauszusagen.
Ein Autor gewinnt mit dem Schaffen einer utopischen Welt eine vergleichsweise große Macht, eine Vergangenheit kann manchmal r ckwirkend als Fortschritt bewertet werden, eine änderungsbedürftige
Gegenwart kann kritisch beleuchtet und eine noch zu schaffende Zukunft kann entworfen und zur Diskussion gestellt werden.
Dennoch bleibt keinem utopischem Entwurf die schl ssige Argumentation erspart, es m ssen Defizite schlüssig aufgezeigt und nachgewiesen werden, hierbei wird auch oft ein Vergleich mit einer entfernteren, besseren Vergangenheit benutzt, die als "goldenes Zeitalter" den Kontrast zum Hier und Jetzt stellt und die Br cke zur goldenen Zukunft schlägt. Gleiches gilt natürlich auch für negative Utopien, wo eine alptraumhafte Zukunft mit Fehlern aus der Vergangenheit verglichen wird.
Mit diesen Voraussetzungen kann man sich nun überlegen, aus welcher psychologischer Motivation heraus Menschen dauernd versuchen alternative Konzepte zu ersinnen und zu entwerfen, welche Rolle die Literatur dabei spielt und in wie weit diese gedanklichen Experimente tats chlich unsere Wirklichkeit beeinflussen.
Vorweg ein Zitat von Oskar Kokoschka: "Die Welt wird nicht geschaffen von Gott, nicht von der Umgebung, nicht von den ökonomischen Bedingungen, sondern allein durch die Einbildungskraft des Menschen". Dieses Zitat zeigt allzu deutlich, daß auch der utopischen und phantastischen Literatur durchaus Bedeutung beigemessen wird, wenn über das Verhältnis von Phantasie und Realitätsbildung im weitesten Sinne gesprochen wird.
Die Einbildungskraft des Menschen, die Phantasie, spielt praktisch in allen Bereichen unseres Lebens einflußreiche Rolle. Sie spielt direkt hinein in unsere Sinneswahrnehmnung, sie hat Teil an der Erinnerung, sie öffnet uns neue Möglichkeiten, begleitet Hoffnungen, Angste und Vermutungen. Die Phantasie ist die Fähigkeit, Bilder aus dem Nichts zu evozieren, sie ist aber auch, wie der Literaturwissenschaftler Jean Starobinski weiß: . .ein Distanzierungsvermögen, durch das wir uns entfernte Dinge vorstellen und uns von der gegenw rtigen Realität entfernenindem die Einbildungskraft antizipiert und voraussieht, dient sie dem Handeln, zeichnet sie uns die Gestalt des Realisierbaren vor, noch bevor sie realisiert ist ..so trägt sie abwechselnd dazu bei, entweder unsere praktische Herrschaft über das Wirkliche auszudehnen oder die Fesseln, die uns an sie binden, zu sprengen"
Die utopische Literatur sieht sich dennoch im ständigem Konflikt zwischen Realit tsbezug und dem Abgleiten in die pure Phantasterei, die keiner logischen Argumentation mehr standhält.
Die Spaltung zwischen Wirklichkeit und Phantasie erweist sich f r die utopische Literatur, besonders heute, eher als einengend. Günther Grass sagt, daß wir "uns von der Wirklichkeit so domestizieren lassen, daß wir einen erweiterten Wirklichkeitsbegriff allenfalls im Theater ertragen", das heißt, daß wir die Fähigkeit verlieren könnten, die uns erlaubt, utopische
Möglichkeiten und Entwürfe im Kopf zu erkunden und das Spiel mit Imagination und Realit t zu treiben.
Wir brauchen laut Grass eher ein Wirklichkeitsbild, das die Phantasie nicht länger ausschließt, sondern sie neben der Realität einen Platz einnehmen läßt, der ihre Bedeutung für das menschliche Sein berücksichtigt, denn
"Phantasie erweist sich hier als eine Existenznotwendigkeit, als eine bestimmte Art des Menschen, sich in der Welt vorzufinden; durch die Phantasie erlangt der Mensch die Fähigkeit, ein konkretes Erscheinungsbild anzureichern und zu verändern."
Zusammenfassend kann man also sagen, daß in jeder Phantasie eine potentiell realit ts- und zukunftsgestaltende Kraft liegt, die nicht deshalb utopisch ist, weil sie irreal ist, sondern weil sie schon ein Bild einer neuen Wirklichkeit in sich trägt, die eine bisher gegebene Realit t sprengt und neue, vielleicht notwendige, Entwicklungen antizipiert, vorantreibt und hervorbringt.
Diese Feststellungen lassen sich auch von der modernen Psychoanalyse nicht nur literaturwissenschaftlich, sondern auch naturwissenschaftlich belegen.
Es gibt einige tiefenpsychologische Richtungen, welche die Phantasie als
"primus movens" des gesamten geistigen Entwicklungsprozesses des
Menschen im Kindesalter und auch darüber hinaus betrachten.
Man betrachtet hierbei insbesondere das Spielen als die wichtigste
"Sprache" der Phantasie, denn das Spiel ist der Ausdruck einer spezifischen Fähigkeit des Menschen über seine eigenen, vielleicht selbstgeschaffenen, Grenzen hinauszuwachsen und die Grenzen der eigenen Erfahrung auszuweiten.
Phantasie und Kreativität bergen hier insofern eine "utopische Funktion" in sich, als daß sie sich auch hier als gestaltende Kräfte der frühen menschlichen Selbstgestaltung erweisen. Phantasie ist eben nicht nur ein illusionärer Ersatz, wie es gerne und oft gesehen wird, sondern ein
"konstitutives Element", das zu seiner seelischen Formwerdung beiträgt, laut Rudolf Steiner "die ins seelische metamorphisierte Wachstumskraft".
Noch Siegmund Freud hatte ein völlig anderes Bild der Phantasie. Für ihn war die Phantasie der pure Ausdruck einer unbefriedigten Realität, der dadurch kompensiert wird, daß die Phantasie eine "Ersatzrealität" schafft. Er sagte: "Man darf sagen, der Glückliche phantasiert nie, nur der Unbefriedigte. Unbefriedigte Wünsche sind Triebkräfte der Phantasien, und jede einzelne Phantasie ist eine Wunscherfüllung, eine Korrektur der unbefriedigenden Wirklichkeit."
Freud beraubt hier die Phantasie und damit auch die phantastische und utopische Literatur jeglicher utopischer Dimension im Sinne der Glaubw rdigkeit und realitätsgestaltenden Kraft wie sie weiter oben beschrieben worden ist.
Ansichten wie diese sind im späteren Verlauf der Auseinandersetzung scharf von Leuten wie Ernst Bloch angegriffen worden, der meint, Freud würde die Einbildungskraft des Menschen hier zu einem reinen
"Naturschutzpark und Spielwiese rückwärtsgewanter Infantilismen"
degradieren.
Sieht man die Phantasie heute aus einer medizinischen Sicht, findet man in der Psychoanalyse sogar schwere phantasiebezogene Störungen und Krankheiten. Phänomene wie "Desymbolisierung" oder "Alexithymie" bezeichnen Patienten, bei denen vor allem der phantasierende Welt-Bezug gestört ist, und die in Folge dessen an schweren psychosomatischen Symptomen leiden.
Was ihr inneres Erleben aber vor allem charakterisiert, ist eine mangelnde Phantasie und Symbolisierungsfähigkeit, die eine innere Leere und das Fehlen von Distanzierung zum alltäglichen Leben hervorruft.
Hier wird die Bedeutung der menschlichen Einbildungskraft von der abstrakt-wissenschaftlichen Ebene sehr schnell auf die schmerzhafte physische Ebene der Psychatrie geholt.
Warum die menschliche Einbildungskraft, die Phantasie, die, wie wir oben gesehen haben, so wichtige Teile der menschlichen Existenz entscheidend berührt, oft immer noch ein Schattendasein gegenüber der Rationalität führt, kann man nur spekulieren.
Es ist auch in unserem Jahrhundert ein nicht zu leugnender Fakt, daß die Bedeutung der Phantasie und der Auseinandersetzung mit der nahen und fernen Zukunft immer noch infantilisiert und belächelt wird. Das Spiel mit der Vorstellung wird in das Reich der Kinder abgeschoben, der spielerische Umgang mit moderner Technik ebenso wie mit einfachen Spielsachen wird als vertane Zeit betrachtet und die Wichtigkeit solcher Lern- und
Erfahrungsprozesse relativiert.
Erst in den letzten Jahrzehnten wurde die Wichtigkeit dieser Vorgänge erkannt und richtig gedeutet. Einen Wichtigen Anteil hatte natürlich Siegmund Freud, der als erster klar erkannte, daß die Kindheit f r die Entwicklung eines Menschen die wichtigste Rolle spielt und nicht eine sinnlos und unproduktiv vertane Lebensperiode von "unfertigen" Menschen ist, die dummerweise noch nicht arbeitsfähig sind.
Auch Freud hat sich aber im Bezug auf die Funktion der Phantasie aus unserer heutigen Sicht geirrt, wie man weiter oben sehen kann.
Die Gründe für solche und ähnliche Irrtümer sind meiner Meinung nach vielfältig, aber haupts chlich in unserem westlichen Weltbild und den Faktoren und Personen, die es geprägt haben, zu suchen.
Die Moralvorstellungen, die unser Denken heute noch beeinflussen, sind gezeichnet von einer idealisierten Rationalität und Arbeitsmoral, die gänzlich auf das Hier und Jetzt ausgerichtet sind und eine unterschwellige Verneinung der Spekulation impliziert.
Es hat wie mir scheint, besonders nach dem zweiten Weltkrieg, in diesem
Denken einen entscheidenden Umschwung gegeben.
Es hat zwar auch schon vorher eine Auseinandersetzung mit der Zukunft gegeben, die aber offensichtlich nur dann auf breite Zustimmung traf, wenn der Fortschritt als besonders f rderlich f r die Arbeits ) Welt dargestellt wird (Ich werde später bei Jules Verne noch genauer auf diesen Punkt eingehen).
Nach dem zweiten Weltkrieg also muß es eine Wende gegeben haben, die zu einem offensichtlichen Boom bei allen Arten von phantastischer und utopischer Literatur gef hrt hat.
Ich glaube, daß in erster Linie die rasant fortschreitende Entwicklung der Computertechnologie mit dramatischen Folgen wie der Mondlandung, Robotern, Atomraketen und allem, was man bis dahin ersonnen hatte, dazu beitrug, daß Menschen sich nun buchstäblich gezwungen sahen, die Zukunft aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Sie taten und tun dies entweder aus Angst, von einer nicht mehr antizipierbaren Entwicklung überrollt zu werden, oder aus purem Interesse an dem Spiel mit technischen M glichkeiten, die sich nun boten.
Wie auch immer, jeder Glaube an irgendeine andere Möglichkeit der Existenz kommt jedoch nicht um eine differenzierte Verhältnisbestimmung zur gegenwärtigen oder vergangenen Realität herum, um eine Bewertung von verschiedenen Perspektiven der Zukunft zu ermöglichen. Außerdem beleuchtet die Utopie mitunter auch die Gegenwart und ist unter Umständen Voraussetzung einer Selbstreflexion, die der kritischen Selbstbewertung vorausgeht. Selbstkritik könnte also auf Utopie angewiesen sein.
Diese Leistung liefert f r die Menschen die Literatur oder der Film, indem sie das distanzierte gedankliche Spiel mit der Zukunft f r jedermann erlauben
Abschlie end möchte ich noch einmal die Hauptpunkte thesenartig zusammenfassen:
es hat immer Utopien in der menschlichen Kulturgeschichte gegeben
Es gibt sowohl positive als auch negative Utopien (Dystopien)
Utopien beabsichtigen eine Veränderung des "historisch- gesellschaftlichen" Seins im Hinblick auf die Zukunft
Gesellschaften im Umbruch bieten den besten Nährboden für Utopische
Gedanken
auch Utopien müssen argumentativ begründet werden können
Die Phantasie des Menschen spielt offensichtlich eine entscheidende
Rolle in der Realit tsbildung im weitesten Sinne
Auch aus der Sicht der Psychoanalyse bedarf die Phantasie und die Fähigkeit der Reflexion in der Einbildung eines gesteigerten Interesses, wegen ihrer offensichtlichen Bedeutung
Menschen haben zum Teil ein gestörtes Verhältnis zur ihrer natürlichen Einbildungskraft und sind aus verschiedenen Gründen gehemmt, diese konstruktiv einzusetzen
In den letzten Jahrzehnten wurde aufgrund einschneidender technischer Fortschritte sichtbar bemerkt, daß es wichtig ist, die Zukunft zu antizipieren und richtig zu bewerten
Literatur erweist sich hier als geeignetes Mittel, um die eigene Gegenwart und Zukunft distanziert und kritisch zu reflektieren und einzuschätzen
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