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Christoph Hein
der fremde Freund ( Drachenblut )
Christoph Hein beschreibt in der Novelle 'Der fremde Freund' das Leben der Arztin Claudia über ei- nen Zeitraum von zirka zehn Jahren.
Die Geschichte beginnt mit Claudias berlegung, ob sie zu Henrys Beerdigung gehen soll. Henry war
ihr Geliebter und gleichzeitig ihr 'fremder Freund , über den sie eigentlich fast nichts wußte, außer daß er verheiratet war.. Das alles ist ihr aber keineswegs unangenehm.
Claudia fährt in die Klinik. Sie nimmt den schwarzen Mantel mit, da sie noch immer unschlüssig ist,
im Bezug auf die Beerdigung. Mittags geht sie mit Anne, einer Kollegin essen. Anne ist verheiratet, hat vier Kinder und wird alle zwei Wochen von ihrem Mann vergewaltigt. Ansonsten 'führen sie aber eine gute Ehe', wie sie selber meint. Claudia versucht Distanz zu halten, da sie sich nicht in Annes Leben einmi- schen will. Claudia ist fast teilnahmslos. Sie hat eine Mauer um sich aufgebaut und möchte nicht, daß ihr Gefühle zu nahe kommen.
Claudia blickt zurück, als Henry noch am Leben war. Henry wohnt im gleichen Haus. Er ist verheiratet und hat Kinder, seine Frau aber lebt in einer anderen Stadt, und führt ebenfalls ein eigenes Leben. Sie se- hen sich manchmal an den Wochenenden.
Claudia und Henry verbringen höchstens zwei Tage pro Woche miteinander und manchmal die Wo-
chenenden. Sie fahren dann weg oder gehen ins Theater. Claudia möchte vermeiden, daß Alltagstrott in die Beziehung einkehrt. Sie denkt nie an die Zukunft. Claudia kann nicht sagen, was Henry ihr bedeutet. Claudia hat bereits eine gescheiterte Ehe hinter sich. Sie war mit Hannes, einem erfolgreichen Chirurgen, verheiratet.
Ihre Eltern waren begeistert von der Ehe. Claudia besucht ihre Eltern nur sehr selten. Sie weiß nichts mit ihnen zu reden, fühlt sich ganz einfach fremd bei ihren Eltern. Weihnachten und Geburtstage ver- bringt sie trotzdem immer wieder bei ihren Eltern. Aber bereits nach ein paar Tagen ärgert sie sich, da ihr langweilig ist. Am liebsten würde Claudia den Kontakt abbrechen - eine Verbindung, die so und so schon lange tot ist.
Claudias liebste Beschäftigung ist das Fotografieren von Landschaften. Landschaften sind natürlich und versuchen sich nicht zu verstellen, im Gegensatz zu Menschen.
Im Sommer fährt Claudia immer an die See. Sie lebt dort bei einer Familie, die sie als Cousine der
Frau ausgeben, da das Vermieten von Zimmern verboten ist.
Einmal überrascht sie Henry im Urlaub. Sie freut sich darüber, und gemeinsam verbringen sie eine schöne Zeit miteinander. Trotzdem verbietet Claudia Henry, nochmals unvorangemeldet zu kommen.
Nach dem Urlaub hat Claudia Schwierigkeiten in der Klinik. Ihre Vertretung hat die Patienten gegen
sie aufgewiegelt und ihre Fähigkeiten in Frage gestellt. Claudia reicht die Kündigung ein, zieht sie aber, auf die Bitte ihres Chefs , wieder zurück. Ihr Chef zeigt ihr immer wieder auf väterliche Art, wie sehr er sie schätzt. Er ladet Claudia sogar einmal zu sich zum Abendessen ein. Seine Ehefrau, eine unscheinbare Frau im Hausschürzenkleid, himmelt ihren Mann während des Essens nur an, ohne sich an dem Gespräch zu beteiligen. Claudia denkt, daß ihr Chef Probleme hat, interessiert sich aber nicht dafür und hofft, daß er sie auch nicht damit belästigt. Als Claudia krank ist, besucht ihr Chef sie sogar zu Hause. Dies hat er noch
nie bei einen anderen Angestellten getan.
Als Claudia zu Weihnachten zu ihren Eltern fährt, kommt am nächsten Tag auch ihre Schwester Irene. Irene ist mit einem Architekten verheiratet und hat zwei Kinder. Überraschenderweise kommt sie aber mit Hannes, Claudias Exmann, in den sie sich verliebt hat und für den sie sich scheiden lassen möchte.
Die Eltern sind schockiert. Die Mutter wirft Irene vor, Claudia den Mann gestohlen zu haben. Claudia
steht dem allem gleichgültig gegenüber. Sie empfindet nichts mehr für Hannes, ist sich nicht einmal sicher, ob sie je etwas für ihn empfunden hat.
Eines Morgens wacht Claudia zu Hause, durch das Geschrei von Vögeln, auf. Ihr wird erst nach einiger
Zeit bewußt, daß bei dem Wohnkomplex nie Vögel singen. Da ihre Nachbarin aber sehr viele Vögel hat, ist
Claudia beunruhigt. Sie klopft an die Nachbarstüre, doch niemand ffnet. Sie geht zum Hausmeister und
bittet ihn, die Türe aufzusperren. Frau Ruprecht sitzt tot in einem Sessel. Ihre 24 Vögel schreien vor Hun- ger. Der Hausmeister bittet Claudia die Vögel die nächsten Tage zu füttern. So geht Claudia jeden Abend in die leere Nachbarswohnung, um die Vögel zu versorgen. Doch bald ist ihr diese Aufgabe unangenehm und sie ist froh, daß die Wohnung ausgeräumt wird und wieder einen neuen Besitzer findet. Ein Mann in Uniform zieht ein.
Am 18. April stirbt Henry bei einer Schlägerei. Frau Luban erzählt dies Claudia aus reiner Neugierde. Sie wartet, wie Claudia auf diese Nachricht reagiert. Claudia wirft ihr die Türe vor der Nase zu und ruft Herrn Kramer, einen Kollegen von Henry, an. Dieser erzählt ihr alles über Henrys Tod und sagt ihr auch den Beerdigungstermin. Her Kramer macht sich schreckliche Vorwürfe, da er bei dem Streit dabeigewesen war, aber nicht eingegriffen hat. Mitte Mai ist die Beerdigung.
Ein halbes Jahr nach Henrys Tod, hat sich Claudia wieder daran gewöhnt, alleine zu leben. Sie behaup- tet, daß ihr nichts fehlt, hat aber gleichzeitig Angst vor der Zukunft, vor dem Klimakterium, ja sogar vor ihren vielen Fotos. Doch Claudia wird nicht müde, immer und immer wieder zu betonen, daß sie zufrie- den ist und alles in ihrem Leben genauso ist, wie sie es möchte.
ÜBER DEN AUTOR
Christoph Hein wurde 9 4 in Heinzendorf im heutigen Polen geboren. Er wuchs in einer sächsischen Kleinstadt auf. Bis 9 1 besuchte er ein Gymnasium in Westberlin, lebte aber seit Errichtung der Mauer wieder in Ostberlin und war dort Montagearbeiter, Kellner, Buchhändler und Regieassistent Benno Bessons an der Volksbühne.
Von 1 67 bis 1 71 studierte er Philosophie in Leipzig und Berlin, danach war er Dramaturg, später Au- tor an der Volksb hne. Christoph Hein schrieb Erzählungen und Romane, u. a. ' Einladung zum Lever Bourgeois' (Prosa, 1 80), 'Der fremde Freund' (Novelle, 1 8 , 'Horns Ende' (Roman 1 8 , 'Der Tangospieler' (Erzählung 9 9), 'Das Napoleon - Spiel' (Roman 9 3), 'Exekution eines Kalbes und an- dere Erzählungen' , zahlreiche Stücke und Essays.
Er lebt in Berlin. PERSÖNLICHE GEDANKEN
Ich finde, Christoph Hein beschreibt die Arztin Claudia und ihr Leben sehr genau. Sollte dieses Buch
auf Tatsachen beruhen, dann tut mir Claudia leid. Sie lebt so lange Zeit mit Henry zusammen, weiß aber eigentlich nichts über ihn. Sie möchte ja auch gar nichts ber ihn wissen. Claudia wollte nie mit Henry über ihre Gefühle sprechen und keine tiefere Bindung aufbauen. Sie zeigt niemanden, nicht einmal ihren Eltern, ihre Gefühle. Sie fragt sich immer wieder und versteht berhaupt nicht, warum sie nicht schon l ngst den Kontakt zu ihren Eltern abgebrochen hat. Doch gibt Sie sich immer selbst eine Antwort darauf. Claudia meint nämlich, daß die Bindung zu den Eltern eine Bindung auf ewig ist, gegen die man nichts unternehmen kann.
Ich finde diese Meinung bedrückend, und kann Claudia absolut nicht verstehen. Ich freue mich jedes- mal aufs Neue, wenn ich meine Eltern, leider viel zu selten, sehe.
Claudia möchte mit keinem Menschen eine Freundschaft eingehen, niemanden ihre Gefühle offenba-
ren. Dies zeigt sich auch durch ihr Hobby. Sie fotografiert gerne, aber ausschließlich Landschaften, eben einfach die unbelebte Natur, bloß keine Menschen. Ihre Mutter möchte durch die Bilder etwas mehr über ihre Tochter erfahren, kann aber nichts anderes erkennen als 'kopierte Landschaften'. Landschaften sind etwas sehr Sch nes, sie können aber auch einfach unbelebte Natur' sein, ohne Gefühl.. Dies hängt vom Betrachter ab.
Claudia erscheint mir nur eine leere Hülle zu sein - ausgebrannt und tot. Ein Mensch ohne Gefühle muß doch leer sein.?!
Ich kann mir nicht vorstellen, daß das Leben von Claudia lebenswert ist. Ich glaube eher, sie hat Angst etwas in ihrem gewohnten Trott zu verändern und betont daher oft genug, daß sie zufrieden ist. Ich finde, sie redet sich das nur ein und ist in Wahrheit alles andere als zufrieden.
Claudia hat 'Freunde', die sie eigentlich nicht besuchen möchte. Über jeden weiß sie sogar etwas Nega- tives zu erzählen. Außerdem möchte sie sich bloß nicht mit deren Problemen belasten lassen. Aber richtige Freunde, mit denen sie ganz einfach bei einer Tasse Tee gemütlich plaudert, hat sie nicht.
Claudia ist alleine, empfindet dies aber nicht so - zumindest gibt sie es nicht zu. Sie lebt in Ost- deutschland vor der Wende, alleine dadurch wird sie in ihren Freiheiten eingeschränkt.
Aber Sie hat Träume. Claudia träumt von fremden Ländern, die sie fotografieren möchte. Sie möchte
überprüfen, ob ihre Vorstellungen von diesen Ländern den Tatsachen entsprechen. Zugleich weiß sie aber, daß sich diese Träume nie erfüllen werden.
Nach Henrys Tod gleitet sie immer mehr in die selbstgewählte Einsamkeit. Claudias Leben besteht aus einem festen Rhythmus, vor dessen Unterbrechung sie Angst hat. Wie vor allem, was ihr Leben durcheinan- der bringen könnte: ' Ich fürchte mich davor, einem Menschen mit dem Auto zu überfahren. Ich sorge
mich nicht um diesen Menschen, sondern um mich. Es wäre eine Erfahrung, die, wie ich befürchte, mein
Leben eingreifend verändern würde. Ich will das nicht.'
Vielleicht wird ein Mensch erst durch die Einsamkeit, und die ständige Sorge darum, daß kein anderer
Mensch etwas von den eigenen Gefühlen erfährt, zu so einer Aussage fähig.
Ich könnte nie ein solches Leben führen wie Claudia. Auf den ersten Blick hat sie zwar Einiges erreicht
- sie ist Arztin, hat eine eigene Wohnung, Hobbies. Doch dies sind nur materielle Werte. und bei näherer Betrachtung ist dies aber auch schon alles. Sie liebt niemanden und ob sie von jemanden wirklich geliebt wird, kann man nicht genau sagen. Sie lebt in einer selbstgewählten Isolation, aus der sie nicht ausbrechen will.
In der Schule hatte sie eine Freundin, die sie ber alles, in einer kindlichen Liebe, geliebt hat. Die
Freundschaft zerbrach und die Einsamkeit begann. Danach konnte sie nie wieder jemanden so lieben und vertrauen, wie dies bei dem M dchen der Fall gewesen ist.
Auch in späteren Jahren denkt sie noch oft an ihre Schulfreundin, die aufgrund ihres Glaubens diskriminiert wurde. Claudia trauert dieser Freundschaft nach. Vielleicht wird sie dies irgendwann einmal überwinden und lernen, neue, echte Freundschaften zu kn pfen.
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