Der Biberpelz Eine Diebskomödie
Komödie
in vier Akten von Gerhart Hauptmann
Urauff hrung: Berlin,
21. . 1 9 , Deutsches Theater.
- Die Handlung des Stucks spielt
"irgendwo um
Berlin
.
.
.
,gegen Ende
der
achtziger Jahre".
Die Schauplätze wechseln zwischen der Wohnung der Familie Wolff und dem Büro des Amtsvorstehers v. Wehrhahn. "Mutter Wolffen ,
die resolute Frau des etwas schwerfällig-ängstlichen Schiffszimmermanns Julius Wolff, kommt
mit einem gewilderten Rehbock nach Hause. Hier wartet ihre Tochter Leontine, dieaus Ihrem Dienst bei dem Rentier
Krüger
davongelaufen
ist, weil sie noch in den späten Abendstunden
einen Stapel Holz in den Stall schaffen
sollte. Mutter Wolffen, stets auf ihren guten Ruf bedacht, will ihre Tochter zurückschicken.
Aber als sie erfahrt, daß es sich um «sch ne, trockene Knüppel" handelt, erlaubt sie Leontine, in der Absicht, selbst an das Holz zu gelangen, wenigstens
für eine Nacht
dazubleiben.
Während sie dem Spreeschiffer
Wulkow
den "verendet gefundenen"
Rehbock verkauft,
erzählt ihre jüngste Tochter Adelheid, Frau Krüger habe ihrem Mann kürzlich einen wertvollen Biberpelz geschenkt. Der von Rheuma
geplagte Wulkow
erklärt,
er wurde für einen solchen Pelz ohne weiteres sechzig Taler zahlen. Mit dieser Summe aber konnte Mutter Wolffen den grö ten Teil ihrer Schulden begleichen. Und
da sie nie kleinlich ist,
wenn es um das
Wohl
ihrer
Familie
geht,
beschließt sie, besagten Pelz an sich zu bringen, um ihn an Wulkow zu verkaufen. Vorher jedoch gilt es, den Holzstapel auf die Seite zu schaffen, den Leontine vor Krügers Haus liegen lie . Als sie zum nächtlichen Beutezug aufbricht, ist ihr der
nichtsahnende Amtsdiener Mitteldorf bei
den
Vorbereitungen
behilflich. Krüger erstattet wegen
der
Diebstähle Anzeige. Aber der Amtsvorsteher von Wehrhahn f hlt sich dadurch nur belästigt. Er, der
seine Obliegenheiten für einen "heiligen Beruf" hält und sich als "König" in seinem Amtsbereich fühlt, ist allein daran interessiert" dunkle Existenzen, politisch
verfemte, reichs-
und
königsfeindliche Elemente"
aufzuspüren. So
trachtet er danach, den Privatgelehrten Dr. Fleischer der, wie er erfahren hat, zwanzig verschiedene Zeitungen bezieht und regelmäßig
freigeistige
Literaten empfängt, wegen Majestätsbeleidigung
verhaften zu
lassen.
Er stützt sich dabei auf die Angaben des notorischen Schwindlers und Denunzianten Motes. Als Dr. Fleischer aber seinerseits dem Amtsvorsteher
berichtet, er
habe
einen ziemlich dürftigen
und
schmuddeligen Spreeschiffer
gesehen, der einen nagelneuen Biberpelz trug, läßt sich Wehrhahn mit kriminalistischem Scharfblick ausgerechnet
von
dem
zufällig anwesenden
Wulkow bestätigen,
daß das nichts Außergewöhnliches sei. Die Komödie
endet, ohne daß die Diebstähle
aufgeklärt werden. Krüger und Fleischer werden vom Amtsvorsteher
mit dem Hinweis entlassen: "Die Wolffen kann ja mal´n bißchen rumhören." Der Mutter Wolffen aber, die mit großer Pfiffigkeit
alle
Verdachtsmomente von
sich
abzuwenden weiß, bescheinigt Wehrhahn, sie
sei "eine ehrliche Haut".
Der offene Schluß
überraschte bei der Uraufführung das Publikum
so
sehr,
daß
es
in
Erwartung
eines
auflösenden
Endes einfach
sitzenblieb, während
die zeitgenössische
Kritik die mangelhafte
Komposition des Stücks monierte (P. Schlenther . Noch B. BRECHT suchte in
seiner Bearbeitung des Biberpelzes und dessen Fortsetzung, Der rote Hahn ( 9 1), in dem die Wolffen einen Versicherungsbetrug unternimmt, dem
individualistischen Existenzkampf der
Kleinbürger eine
politische
Sinnperspektive beizugeben. Die
neuere Forschung legt demgegen ber
die Betonung darauf,
daß Hauptmann
mit dem offenen Schluß
des Biberpelzes
nicht vor den kritischen Konsequenzen seines Stückes ausgewichen sei, sondern gerade dadurch die Borniertheit
jener, die als Stützen der herrschenden Gesellschaft erscheinen, offensichtlich wird. Was der Autor in seiner
Diebskomödie - eine der nicht eben zahlreichen, gelungenen Komödien der deutschen Literatur darstellt, war für
ihn unmittelbare und erlebte Gegenwart, die Zeit, in der die "Sozialistengesetze" rücksichtslos zur Unterdrückung "revolutionärer
Elemente" angewandt wurden. In dem Literaten Dr. Fleischer hat der Dichter der
wie er selbst berichtet - während seines Aufenthaltes in Erkner bespitzelt wurde, sich selbst dargestellt. Auch die Figur des monokelbewehrten
preußischen Landjunkers
v. Wehrhahn, der nahezu im Fistelton" spricht und
sich
"militärischer Kürze im Ausdruck" befleißigt, entstammt Hauptmanns Erfahrungsbereich. Die öffentliche Ablehnung der Weber durch die konservativen Repräsentanten des Kaiserreiches reizte ihn, einen in
seiner anmaßenden Engstirnigkeit typischen Vertreter dieses Regimes bloßzustellen. Mit diesem aufgeblasenen Amtsvorsteher - auf die Ahnlichkeit
zum Dorfrichter
Adam aus H. v. KLEISTS Dcr Zcrbrochene
Krug ( 8 1) wurde immer wieder hingewiesen - hat Hauptmann der Galerie des "bürgerlichen
Heldenlebens, die neben ihm WEDEKIND,
Georg KAISER, STERNHEIM
und Heinrich
MANN um zahlreiche
Figuren bereichert haben, eine der einprägsamsten Gestalten eingefügt.