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Der Sandmann
von E T.A. Hoffmann
Der Autor
Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (eigentlich Ernst Theodor Wilhelm, er ließ sich aber später aus Verehrung für Mozart umtaufen) wurde am 24.1 1776 in Königsberg geboren. Zwei Jahre nach seiner Geburt trennten sich seine Eltern und Hoffmann wuchs bei seiner Mutter im Haus der Großeltern auf. Er studierte aus familiärer Tradition Rechtswissenschaft an der Universit t Königsberg, obwohl seine Liebe schon immer der Kunst galt. Seit 1800 war er in Posen, Plock und Warschau im Justizdienst t tig und mit 26 Jahren heiratete er die Polin Michaelina Rorer (genannt Mischa). Die Stelle in Warschau verlor er aber mit Einmarsch der Franzosen und er schlug sich als Musiklehrer und Kapellmeister, Theaterkomponist und Bühnenbildner durch, bis er 1814 in Berlin wieder in den preu ischen Staatsdienst eintrat.
Zuvor verliebt er sich aber in die Musikschülerin Julia Mark, die er 2 heiratete. Eine mutige, in die Märchenerzählung Meister Floh eingeflochtene, Satire auf den preu ischen Polizeidirektor von Kamptz trugen ihm Anfang 1822 die Beschlagnahmung des Manuskripts
und ein Disziplinarverfahren ein. Er starb wenig später, n mlich am 25 6.1822 in Berlin, an einem schweren Rückenmarksleiden.
Der vielseitig begabte Hoffmann war nicht nur Dichter und Komponist, sondern auch Zeichner, Maler und Musikkritiker. Er gilt als Vertreter der Hochromantik, beeinflu t vor allem durch die romantische Naturphilosphie und durch den trivialen Schauerroman. Ein reges psychologisches Interesse trieb ihn zur Beschäftigung mit den verschiedenen Formen des Wahnsinns. Quälendes Ungenügen an der alltäglichen Wirklichkeit weckte in ihm die Sehnsucht nach einem "höheren Sein . Er beschwörte den Zauber einer anderen Wirklichkeit und sein Hang zum Unheimlich- Phantastischen, ließen das Klischee vom "Gespenster-Hoffmann" entstehen. Das Grauenhafte mischt sich aber oft mit dem Komischen, dem Glauben an das Wunderbare steht der Zweifel der Ratio entgegen. Hoffmanns Originalit t in der Behandlung des Wunderbaren liegt vor allem darin, dass er es in der alltäglichsten Wirklichkeit lebendig werden l ßt. Nicht eine Phantastik außerhalb des Alltags, sondern die Phantastik des Alltags ist Hoffmanns Königsthema.
Werke von E T.A. Hoffmann: Ritter Gluck (1809), Fantasiestücke in Callot's Manier (1814), Die Elixiere des Teufels (1815), Nachtstücke (1816), Das Fräulein Scudéri (1818), . .
Die Erzählung
Die Erzählung beginnt mit einem Brief von Nathanael an seinen Freund Lothar. Nathanael studiert gerade in G. und seine ganze Liebe gehört Clara, der Schwester Lothars. In diesem ersten Brief berichtet Nathanael von einem Wetterglash ndler, der ihn besucht hat und in ihm tief in sein Leben eingreifende Kindheitserinnerungen erweckt. Als Kind war der Sandmann seine grö te Furcht, denn er musste mit seinen Geschwistern immer um 9 Uhr schlafen gehen, da der Sandmann kam. Von einer lteren Frau erfuhr er schließlich, dass der Sandmann den Kindern Sand in die Augen wirft, dass diese blutig zum Kopf herausspringen. Die Angst vom Sandmann ließ Nathanael nicht mehr los, aber auch die Neugierde den Sandmann zu sehen wurde immer größer. So versteckte er sich eines Abends in der Stube seines Vaters und erwartete den Sandmann. Es stellte sich für Nathanael heraus, dass der Advokat Coppelius, von den Kindern gehasst, der Sandmann ist. Weiter beobachtete er, wie sein Vater und Coppelius ein kleines geheimes Zimmer mit einem Herd betraten. Bei ihren alchimistischen Versuchen schrie Coppelius: "Augen her, Augen her . Da mußte Nathanael aufschreien. Coppelius packte ihn und wollte ihm glutrote Körner in die Augen streuen, doch sein Vater verhinderte das Schlimmste. Durch dieses Erlebnis wurde Nathanael wochenlang krank und Coppelius ließ sich ein Jahr nicht mehr blicken. Doch eines Tages, wieder punkt 9 Uhr, hörte man die schweren Schritte
Coppelius im Flur. Schleunigst schickte der Vater die Kinder schlafen und versprach der Mutter, dass dies sein letzter Besuch sein werde. Doch um Mitternacht erdröhnte das ganze Haus und
der Vater lag tot mit schwarz verbranntem, grässlich verzerrtem Gesicht neben dem Ofen und
Coppelius war spurlos verschwunden.
Jetzt glaubt Nathanael im Wetterglashändler Coppola den Advokaten Coppelius zu erkennen und Nathanaels Gemütszustand ist zerrissen und verstört. Den Brief adressiert er irrtümlich an Clara. Diese schreibt jedoch, dass seine Erlebnisse schwarze Phantasien und Spiegelungen des eigenen Ichs seien. Nur der Glaube an die feindliche Gewalt kann sie ihm in der Tat feindlich machen.
Wütend über Claras tiefsinnigen philosophischen Brief, schreibt Nathanael einen Brief an seinen Freund Lothar, beruhigt sich aber und berichtet dann von seinem neuerdings angekommenen Professor der Physik, Spalanzani, der ihn auch überzeugen konnte, dass Coppola nicht
Coppelius sein konnte. Nebenbei erwähnt er auch noch Spalanzanis Tochter Olimpia, in deren Nähe keiner kommen durfte. Zum Schluss kündigt er noch einen baldigen Besuch bei Clara und Lothar an.
Nun setzt der Erzähler ein und erzählt die Geschichte Nathanaels. Er schreibt über das sensible, verdüsterte Gemüt von Nathanael, der sich ganz seinen schwarzen Träumen hingibt, diese auch in Gedichtsform bringt und sich - wegen Claras ironischer Ablehnung - zunehmend von ihr entfernt. Nach einem Streit verspricht er Clara aber stete Liebe und es sei ihm, als sei er vor der dunklen Macht gerettet. Als Nathanael nach G. zurückkehrt, muss er umziehen, da seine alte Wohnung abgebrannt ist. Aus dem Fenster der neuen Wohnung kann er direkt in das Zimmer von Olimpia, die oft stundenlang an ihrem Tisch sitzt, blicken. Plötzlich tritt der Wetterglashändler Coppola in die Wohnung und will ihm "sköne oge" verkaufen. Nathanael ist entsetzt, beruhigt sich aber, als er an Clara denkt, und kauft ihm schließlich ein Taschenperspektiv ab. Durch dieses erspäht er Olimpia und ist fasziniert von ihrem lieblichen Gesicht. Bei einem Ball Spalanzanis hat Nathanael die Möglichkeit mit ihr zu tanzen und verliebt sich unsterblich, obwohl Olimpia der Spott des übrigen bürgerlichen Publikums ist. Es bemerkt ihr Wachsgesicht, ihren abgemessenen Schritt und ihre steife Haltung. Dennoch verbringt Nathanael die nächsten Tage bei ihr und durch seine Phantasie erweckt er sie zum Leben. Ihre einzigen Worte sind ach, ach ! . Aber diese wenigen Worte erschienen ihm als Hieroglyphen der inneren Welt voll Liebe und hoher Erkenntnis des geistigen Lebens. Als er schließlich um ihre Hand anhalten will, hört er einen Streit zwischen Spalanzani und Coppola. Nathanael muß erkennen, dass Olimpia eine Puppe ist, die von den beiden gebaut wurde. Als er das Zimmer betritt, flüchtet Coppola mit der Puppe auf der Schulter und Spalanzani wirft Olimpias Augen an Nathanaels Brust. Wütend greift Nathanael Spalanzani an und landet schließlich im Tollhaus. Doch durch die Fürsorge Claras wird Nathanael wieder geheilt und er scheint alles vergessen zu haben, bis beide in der Stadt einen Turm besteigen. Auf dem Turm faßt er das Perspektiv Coppolas, schaut seitwärts, doch Clara steht vor dem Glas. Da wird er erneut vom Wahnsinn erfaßt. Er brüllt "Holzpüppchen dreh dich", packt Clara und will sie hinabschleudern. Doch diese kann sich am Geländer festkrallen und Lothar rettet sie. Plötzlich erblickt Nathanael Coppola in der Menschenmenge und er springt selbst über das Gel nder. Als Nathanael mit zerschmettertem Gesicht auf dem Steinpflaster liegt, ist jedoch Coppelius im Gewühl verschwunden. Für Clara endet die Erzählung in einem märchenhaften Familienleben.
Der Sandmann erschien erstmals 1 16 im ersten Teil des Erz hlzyklus Nachtstücke. Entwürfe zu dieser ebenso phantastischen wie streng durchgearbeiteten Erzählung zeigen, dass er den dämonischen Charakter des Coppelius zugunsten eines rätselhaften Zwielichtes milderte: Das Schicksal des Studenten läßt sich zum Teil als Krankheitsgeschichte eines Psychopathen rational erklären. Entscheidend ist aber der Wechsel zwischen subjektiver und objektiver Wahrheit. Dieser wird im mehrperspektivischen Erzählen formal realisiert (die Briefe Nathanael und Claras, der rückschauende Erzählerbericht) und im Thema des Verkennens und des Erkennens, des Selbstverlusts und der Identität gespiegelt. Plastischer Ausdruck dieses Themas ist der Augenraub. Coppelius (itl. coppo: "Augenhöhle ) versucht schon dem Kind Nathanael die Augen zu nehmen. Als Student raubt das Perspektiv- das "fremde Auge" -seine Erkenntnisfreiheit: Er sieht im Automaten Olimpia ein lebendes Wesen mit faszinierenden Augen, obwohl es quasi seine eigenen Augen sind, die Olimpias lebendig machen. Als Mensch ist Olimpia nur der bloße Reflex Nathanaels Phantasie. Mit seiner Erkenntnisfähigkeit hat Nathanael auch seine Identität verloren und
liebt in tragischer Gefühlsverwirrung in Olimpia nur sich selbst. Der Ausbruch des Wahnsinns geschieht auch durch ein Paar blutige Augen, die Spalanzani Nathanael entgegenwirft und noch sein Todesschrei "sköne Oge" gilt dem Augendiebstahl. So sind es auch gerade die ruhigen Augen Claras, die den im Inneren zerrissenen" Studenten anziehen. Die Bereitschaft zur Analyse und zum Erkennen sichert Clara auch die Unabhängigkeit von dämonischen Mächten.
Auch Sigmund Freud analysierte den Sandmann. Freud bringt die Angst vor dem Augenraub
mit der Kastrationsangst in Verbindung. Dadurch wird dieses Stück zu Hoffmanns meist besprochener Erzählung.
Quellen: Kindlers Weltlexikon
Harenberg Lexikon der Weltliteratur
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