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Referat Entstehungsbedingungen für Kindesmisshandlung, Maßnahmen des Sozialarbeiters bei der Arbeit mit Tätern

deutsch referate

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Einleitung

Man hört derzeit in den Medien sehr oft von sexueller Kindesmisshandlung, Aufdeckung von Kinderpornografien, etc. Erst jüngst wurde wieder ein besonders grausamer Fall bekannt.

Daneben scheint in letzter Zeit eine andere Form von Kindesmisshandlung - nämlich die körperliche und die seelische Kindesmisshandlung - unterzugehen. Vor und während der Ausarbeitung meiner Seminararbeit verfolgte ich die Berichterstattung in den verschiedenen Medien und wurde in meiner oben angeführten Vermutung bestätigt.

Diese Erkenntnis warf in mir folgende Fragen auf:

Sind wir in dieser sexualisierten Welt gegenüber der ebenso schwerwiegenden körperlichen Misshandlung bereits abgestumpft?

Ich wollte mich in meiner Seminararbeit definitiv mit diesem Thema auseinandersetzen und habe mich auf die Ursachen für Kindesmisshandlung spezialisiert. Was also macht Väter, Mütter oder andere für Kinder wichtige Personen zu "Kindesmisshändler"?

Ich habe versucht, mich mit dieser Frage eingehend auseinander zu setzen und Dynamiken und Typologien klarzulegen.

Ich fange mit einer umfassenden Definition von den verschiedenen Formen der Kindesmisshandlung an, bevor ich auf die gesellschaftlichen Ursachen der Kindesmisshandlung übergehe. Danach setze ich mich mit den sozialen Ursachen auseinander und setze dann mit den situativen Auslösern der konkreten Misshandlung fort. Sehr eingehend und umfassend habe ich mich mit der persönlichen Situation des Täters auseinandergesetzt, da meiner Meinung genau hier der Schlüssel für alle Ursachen und Auslösern der Kindesmisshandlung liegt, warum also ein Täter nun zum Täter wird.

Das letzte Kapitel stellt den sozialarbeiterischen Bezug zum Thema her. Wie kann nun mit Tätern gearbeitet werden, damit diese möglichst keine Gewalt in der Erziehung mehr anwenden bzw. damit im weiteren Sinne natürlich dadurch auch die Kinder geschützt werden können.

Kindesmisshandlung - Allgemeines

1961 erregte C. H. KEMPE (1922 - 1984, Kinderarzt, USA) Aufsehen mit einem Vortrag über Kindesmisshandlungen besonders mit folgenden Aussagen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.

Körperliche Kindesmisshandlungen, sogar solche mit schweren Verletzungen sind häufig

Körperliche Kindesmisshandlungen kommen in allen sozialen Schichten vor und werden zu einem erheblichen Teil von Eltern begangen, denen man es nicht zutraut

Die Wiederholungsgefahr ist groß

1. Definition (Kinderschutzzentrum Berlin)

Kindesmisshandlung ist nicht allein die isolierte gewaltsame Beeinträchtigung eines Kindes. Die Misshandlung von Kindern umfasst vielmehr die Gesamtheit der Lebensbedingungen, der Handlungen und Unterlassungen, die dazu führen, dass das Recht der Kinder auf Leben, Erziehung und wirkliche Förderung beschnitten wird. Das Defizit zwischen diesen rechten und der tatsächlichen Lebenssituation macht die Gesamtheit der Kindesmisshandlung aus.[1]

Verschiedene Formen von Kindesmisshandlungen und -Vernachlässigungen, die auch gleichzeitig vorliegen können:

Körperliche Misshandlung liegt vor, wenn durch körperliche Gewaltanwendung Kindern ernsthafte, vorübergehende oder bleibende Verletzungen zugefügt werden. Von Kindesmisshandlung spricht man, wenn gewalttätiges Verhalten der Eltern oder Erzieher ein Grundelement der Kindererziehung ist.

Körperliche Vernachlässigung ist es dann, wenn Eltern oder Erzieher ein Kind nicht gut versorgen, z. B. mangelhaft ernähren, unzureichend bekleiden, hygienisch schlecht versorgen oder eine notwendige medizinische Versorgung vorenthalten.

Emotionale Misshandlung beschreibt eine feindliche oder abweichende Haltung von Eltern oder Erziehern gegenüber einem Kind. Von Misshandlung wird nur dann gesprochen, wenn ein solches Verhalten einen festen Bestandteil der Erziehung ausmacht.

Emotionale Vernachlässigung sagt aus, dass Eltern oder Erzieher ihren Kindern durch Unterlassung das für eine gesunde emotionale Entwicklung notwendige Familienklima vorenthalten, z. B. zuwenig Aufmerksamkeit, Liebe und Wärme, wenn das Kind nicht in den Arm genommen wird, nicht gelobt wird, nicht zum Spielen ermuntert wird, keine Sicherheit und Geborgenheit geboten bekommt.

Sexueller Missbrauch heißt, ein Kind sexueller Stimulation auszusetzen, die nicht zu seinem Alter, seiner psychosexuellen Entwicklung und seiner Rolle innerhalb der Familie passt. Sie kann reichen von Berührung bis zur Vergewaltigung und unter Zwang und Gewalt stattfinden.

2. Entstehungsbedingungen für Kindesmisshandlung

2.1 Gesellschaftliche Ursachen

Gewalt und Unterdrückung haben das Schicksal des Nachwuchses in der Geschichte jahrhundertelang bestimmt. Misshandlung und Züchtigung, ja Kindestötung sind bereits zu Beginn der sogenannten Kulturgeschichte der Menschheit belegt. In der griechischen und römischen Antike, im Mittelalter, bis hinein in die Neuzeit wird die gewaltsame psychische und physische Beeinträchtigung der Kinder als ein selbstverständliches Recht der Eltern und Erwachsenengesellschaft begriffen. Erst allmählich bildet sich im Zuge eines sehr widersprüchlichen historischen Prozesses ein recht des Kindes auf Unversehrtheit, Förderung und Entfaltung heraus, wird die unbegrenzte Gewalt der Alteren über den Nachwuchs eingeschränkt; ganz überwunden ist sie nirgendwo.

Kindesmord, Aussetzungen und Kindesopferungen als zugespitzte Formen von Gewalt gegen Kinder wie die gewaltsame Zurichtung überhaupt sind jedoch keine zufälligen Erscheinungen. Sie sind solange an der Tagesordnung, wie

die Gesellschaft nicht in der Lage ist, ihren gesamten Nachwuchs zu ernähren;

die Form der gesellschaftlichen Arbeit Unterdrückung und Herrschaft bedingt, die sich auch im Verhältnis der Erwachsenen zur nachrückenden Generation als Machtgefälle durchsetzen

in der Auseinandersetzung mit der Natur, im Kampf ums Überleben magische Bewältigungsversuche, für die Kinder herhalten müssen, eine Rolle spielen (z.B. Einmauern einer lebendigen Seele beim Bau einer Burg)

Nun sollte man meinen, die eben genannten Faktoren seien in der heutigen Gesellschaft nicht mehr vorhanden. Anstelle oben genannter Punkte sind im Laufe der Zeit andere getreten. Der Fortschritt brachte andere Probleme mit sich. Zwar sind wir durch ihn nun in der Lage, theoretisch alle unsere Kinder zu ernähren, auch gibt es in unseren Breiten kein überhöhtes Machtgefälle mehr und durch zunehmende Aufklärung, müssen wir auch keine magischen Rituale mehr durchführen und unsere Kinder dafür schädigen oder sogar opfern. Warum aber gibt es dann auch in unserer modernen Gesellschaft nach wie vor Gewalt gegen Kinder?

Der Fortschritt bewirkte nämlich nicht nur angenehme Dinge, sondern er schaffte auch teilweise ungünstige Rahmenbedingungen, vor allem für Familien. Zeit- und Leistungsdruck in der Arbeit, zunehmende erwartete Individualität und Konkurrenzkampf bestimmen Strukturen in der Gesellschaft, in der auch in der Erziehung alles immer schneller und einfacher gehen muss. Und das ist leider oft Gewaltanwendung. Eine sehr ernstzunehmende Folge des Zeit-Leistungsdrucks ist auch die damit verbundene Überforderung, deren Spannungen sich nicht selten innerhalb der Familie entladen.

Die Familie unter heutigen gesellschaftlichen Bedingungen ist immer weniger ein kultivierender Schutzraum, wo Individualität und Produktivität sich ausbilden könnten. Sie ist zunehmend eher ein Feld, in dem ein Ausgleich gesucht wird für die außerhalb erlittenen Unterdrückungen. Gesellschaftliche Abhängigkeit und Ohnmacht des Einzelnen schlagen sich darum in der Familie als Autoritarismus und Feindseligkeit nieder. Sie drängen auch den familialen Sozialisationsprozess in die Richtung der Gewaltsamkeit Unter solchen Bedingungen werden Kinder immer wieder in eine Objektrolle gedrängt, als Sache, die nur für den Erwachsenen da sein und gefügig und unselbständig sein soll.

Hier ist auch die Wurzel einer autoritären Erziehungstradition, die bis heute Gewalt und Übermacht der Erwachsenen als notwendig legitimiert. In welchem Maße und wie unmittelbar Erwachsene aber auf pure Gewalt in ihrem Verhältnis zum Nachwuchs angewiesen sind, ist jedoch abhängig von den Möglichkeiten, die die materiellen Lebensverhältnisse bieten, Bedürfnisse zu befriedigen und Raum für Entfaltung zu gewähren, ist abhängig vom sozialen Ort, an dem der Reproduktionsprozess verläuft.

Kindesmisshandlungen sind ein mit Gefühlen belastetes Problem. Die Erziehungspraxis selbst ist vielgestaltig, oft inkonsistent. Die Vielfalt möglicher und tatsächlich bestehender Verhaltensweisen gegenüber Kindern wird zudem unterschiedlich bewertet. Diese Unterschiede sind von historischen und gesellschaftlichen Entwicklungen abhängig, so dass die Grenzlinie zwischen erzieherischer Strenge und Misshandlung oft nicht einfach zu bestimmen ist. Was als Überschreitung der Erziehungsaufgabe anzusehen ist und was nicht, ist abhängig vom jeweiligen Bewertungsmaßstab, von parteilichen sozio-kulturellen Orientierungen, Interessen.

"Diese Ambivalenz drückt sich darin aus, dass einerseits die gewaltsame Beeinträchtigung wie Schlagen, Herabsetzen, Lächerlichmachen, Übersehen, Benachteiligen von Kindern für das selbstverständliche Recht eines Erziehers und die Autorität [] in der Erziehung als unabdingbar notwendig angesehen werden, dass andererseits aggressive Akte gegen Kinder, vor allem sofern sie zu [] Verletzungen führen, unter Strafe gestellt sind oder dass gewaltsame Erziehungspraktiken [] grundsätzlich abgelehnt werden."[3]

2.2 Erziehungspraxis in Österreich

In einer großangelegten Studie wurden Eltern befragt, wie sie Kinder erziehen. Nach eigenen Angaben wenden 64f% der Mütter und 57% der Väter ab und zu psychische Gewalt an, 25 % der Mütter und 29% der Väter häufiger.

Leichte körperliche Gewalt wenden 61% der Mütter und 67% der Väter ab und zu, 31% der Mütter und 18% der Väter häufiger an. Schwere körperliche Gewalt übern 29% der Mütter und 26% der Väter ab und zu, 4% der Mütter und 5% der Väter häufiger aus.[4]

2.3 Soziale Ursachen (Die soziale Situation der Familie)

In der Literatur zur Kindesmisshandlung spielen ungünstige soziale Verhältnisse der betroffenen Familien seit jeher eine Große Rolle, wenngleich der Stellenwert zunehmend umstritten ist. Immer wieder werden unzureichende Wohnverhältnisse erwähnt, Arbeitslosigkeit oder geringes, unregelmäßiges Einkommen, niedriges Intelligenz- und Bildungsniveau, soziale Außenseiterstellung und Isolierung. Im Zusammentreffen mit Suchtproblemen, häufigen psychischen und somatischen Krankheiten und der Zerrüttung familialer Bindungen zeichnet immer wieder das Bild der "Randgruppenfamilie" ab.

Im folgenden sei genauer auf bestimmte Punke hingewiesen:

2.3.1 Schichtmerkmale: Bildung, Beruf, Einkommen

Zu den klassischen Statuskriterien Bildung, Beruf, Einkommen, finden sich folgende Hinweise in der Untersuchung von MENDE und KIRSCH: 70 bis 80% der betroffenen Familien waren finanziell "sehr schwach gestellt". 10% der Misshandlungstäter werden als "minderbegabt" bezeichnet, 21,7% hatten nicht die Abschlussklasse der Volksschule erreicht, 4,12% hatten die Sonderschule, 8,15%  hatten das Gymnasium besucht. Es zeichnet sich also eine gewisse Abweichung in Richtung auf geringere Schulbildung ab.

2.3.2 Soziale Auffälligkeiten

Die Wohnverhältnisse werden in mehreren Untersuchungen als überwiegend schlecht bezeichnet. Nach MENDE und KIRSCH wohnten die Familien vielfach in Barackensiedlungen.

Für Vorstrafen gibt es sehr unterschiedliche Zahlen, d. h. hohe Vorstrafenhäufigkeit könnte in besonderem Maße nicht ein Charakteristikum misshandelnder Eltern sein.

2.3.3 Familiale Herkunft und Familiensituation

Schon wegen der Unschärfe und Uneinheitlichkeit der in den verfügbaren Untersuchungen verwandten Kategorien und der dadurch bedingten Unvergleichbarkeit sowie wegen des völligen Fehlens von Angaben über das Zusammentreffen bestimmter Einzelmerkmale ist es irreführend, daraus eine allgemeine Tätercharakteristik zu konstruieren, die etwa ein "stark pathogenes Elternhaus, schlechte Schulbildung und Leistungen sowie niedrige bis fehlende berufliche Qualifikation, meist schon vor der Misshandlung straffällig, unzureichender Wohnraum bei großer Kinderzahl und niedrigem Einkommen" zusammenfasst. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass "das Gesamtbild insofern trügt, als bei einem Täter auf nur eine der genannten Vorraussetzungen zutrifft. Dazu kommt, dass für eine ganze Anzahl von ihnen keiner dieser Umstände zutrifft". Dennoch kann kein Zweifel bestehen, dass bei den bekannt gewordenen und untersuchten Fällen die ökonomische Situation und die sozialen Lebensbedingungen besonders häufig ungünstig sind.

Freilich muss in diesem Zusammenhang noch einmal betont werden, dass sich die gesamten Untersuchungen durchwegs auf behördenbekannte oder sogar strafrechtlich verfolgte Fälle Stützen.[6]

2.3.4 Theoretisch erschlossene Bedingungszusammenhänge

Es stellt sich die Frage, welche Zusammenhänge bestehen zwischen ungünstigen sozialen Verhältnissen, zwischen Arbeitslosigkeit, Familiengröße, sozialer Isolierung und Kindesmisshandlungen?

MENDE und KIRSCH meinten:

Die Umstände in denen derartige Familien leben, führen bei ihnen zu besonderen Spannungsverhältnissen. Die Kinder zwingen hier die Eltern zu ganz besonders spürbaren Einschränkungen oder zum Verzicht auf Annehmlichkeiten. []Diese schwierige Lebenslage und der aus ihr resultierender Konflikt wird von den Eltern [] nicht bewältigt. Der davon herrührende Druck und die aufgespeicherte Aggressionen entladen sich an den Kindern als dem schwächsten Punkt.[7]

Die Schwierigkeiten sind derart groß und vielfältig, dass sie keine komplizierten Lösungen suchen können. Für die Erziehung bedeutet das, dass die Eltern darauf angewiesen sind, dass sich die Kinder leicht erzeihen lassen und keine großen Erziehungsschwierigkeiten machen, sonst gerät das ganze Familienleben in Unordnung. Ein Kind, welches in dieser Hinsicht versagt, ist für den Armen eine bedeutendere Belastung als für den Wohlhabenden, besonders wenn auch die Mutter aus finanziellen Gründen berufstätig sein muss. Ergeben sich Schwierigkeiten, wird deshalb ohne große Überlegung zugeschlagen. Mit dem Ansteigen der äußeren Probleme will sich der Täter nicht auch noch mit schwierigen Erziehungsfragen beschäftigen, sondern er greift zur einfachsten Lösung: der Züchtigung. Der Schritt zur Misshandlung ist dann infolge Wiederholung und Verschärfung nicht mehr weit.

Als aber seit Ende der 60er Jahre (vgl. auch erstes Kapitel) retrospektive Befragungen ergaben, dass misshandelnde Eltern aus allen sozialen Schichten und allen Berufsgruppen kommen können, wurden diese Erklärungsansätze immer unbefriedigender.[8]

2.4 Situative Auslöser

Unter situativen Auslösern versteht man, wenn das Kind in seinem momentanen Verhalten von den Eltern als problematisch und "züchtigungsbedürftig" erlebt werden bzw. wenn die Eltern selbst momentan in einer schwierigen Situation sind, die die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden, deutlich senkt.

2.4.1 Alkohol

Dass Misshandlungen relativ häufig unter Einfluss von Alkohol vorgenommen werden, dass Übermaß und Kontrollverlust bei "Strafaktionen" der Wirkung des Alkohols (mit)zuzuschreiben sind, wird in Veröffentlichungen immer wieder betont. Verschiedenen Untersuchungen zufolge standen auch viele Täter unter Alkoholeinfluss. Dass also der Alkohol in vielen Fällen eine Rolle spielt, ist deutlich; welche Rolle es ist, bleibt offen.

2.4.2 Verhalten des Kindes

In der ganz überwiegenden Mehrzahl aller Fälle stellt sich die Misshandlung ihrem äußeren Anlass nach als eine Strafaktion dar, als unkontrollierte Abreaktion von Arger über ein reales oder vermeintliches Vergehen des Kindes. Quälereien ohne "Anlass" sind die Ausnahme und sind Ausdruck einer dominierenden, spezifischen Psychopathologie. Die Verhaltensweisen des Kindes, die zum Auslöser werden sind ganz verschieden, und ihre Einschätzung als Böswilligkeit und strafwürdiges Verhalten durch den Vater oder die Mutter lässt Schlüsse auf deren Wahrnehmung des Kindes bezogen auf dessen Alter zu.

Folgende Gründe hatten nach Angaben von Eltern in 158 Fällen der Untersuchung von MENDE und KIRSCH die Misshandlungen ausgelöst:[9]

Die Analyse der aktuellen Misshandlungssituation und ihrer auslösenden Momente kann allein allerdings die Misshandlung nicht erklären. Bei näherem Zusehen erweisen sich alle "Anlässe" als absolut unzureichende Erklärungen. Der genannte Anlass steht regelmäßig in keinem Verhältnis zur Härte der Bestrafung.

2.4.3 Alter und Position des Kindes in der Familie

Es besteht weitgehende Übereinstimmung, dass Misshandlungen zwar über alle Altersgruppen der Kindheit bis in die Pubertät hinein streuen, dass aber Kleinkinder bzw. Kinder im Vorschulalter besonders betroffen sind.

Der hohe Anteil der Säuglinge und Kleinkinder unter den misshandelten Kindern muss allerdings im Zusammenhang damit gesehen werden, dass bei ihnen aufgrund ihrer größeren Verletzbarkeit Misshandlungen eher gravierende Folgen haben, die einer klinischen Behandlung bedürfen und damit bekannt werden.

Dass diese Kinder meist die größte Zeit des Tages mit einem Elternteil verbringen, dass fortgesetztes Schreien oder die Verweigerung der Nahrungsaufnahme auch geduldige Mütter oder Väter zur Verzweiflung bringen kann, mag zur Erklärung beitragen, reicht aber nicht aus. Denn gerade das kleine Kind ist im Normalfall vor elterlichen Aggressionsausbrüchen durch die besondere Art der Eltern-Kind-Bindung durchaus geschützt. Es rückt daher die Frage in den Mittelpunkt, ob und in welcher Weise bei misshandelnden Eltern der Prozess gestört sein könnte, in dem sich gewöhnlich die Eltern-Kind-Bindung entwickelt. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang zunächst die Position und die Geschichte des misshandelten Kindes in seiner Familie.

Eine gewisse Disposition glaubt STEINHAUSEN innerhalb der Geschwisterreihe für erstgeborene, vor allem voreheliche Kinder festzustellen und für letztgeborene Kinder, die eventuell eine nicht mehr erträgliche zusätzliche Belastung für die ohnehin belastete Familie darstellen.[10]

Wichtiger als dies jedoch scheint ein anderer Faktor zu sein, der sich statistisch eindrucksvoll hervorhebt. Ein hoher Anteil der misshandelten Kinder war in der ersten Lebenszeit von der Mutter getrennt, war in Pflegefamilien oder Heimen untergebracht und später in die Familie zurückgeholt worden. In diesem Zusammenhang mag auch die Beobachtung verschiedener Autoren zu verstehen sein, dass bei Frühgeburten das Misshandlungsrisiko erhöht ist: auch diese Kinder verbringen die erste Lebenszeit getrennt von ihren Müttern und werden treten erst später in die Familie ein. Dass bei solchen Rückgliederungsversuchen Anpassungsprobleme entstehen, vor allem wenn das Kind im Grunde unerwünscht ist, liegt auf der Hand.

2.4.4 Familienkrise und Misshandlungssituation

Nach STEELE und POLLOCK kann man in einem aktuellen Fall von Misshandlung regelmäßig davon ausgehen, dass sich in der Familie eine "Krise" ereignet hat, und es mag sich bald herausstellen, dass, was zunächst als einzelne und ungewöhnliche Krise erscheint, nur eine lange Reihe von Krisen ist.[11] Oft lassen sich zwei Momente der Familienkrise unterscheiden. Was die Eltern leicht beschreiben können, ist, was mit dem Kind geschah. Das Kind hat irgend etwas getan, was die Geduld und Toleranz der Eltern bis zum Explosionspunkt strapaziert hat (siehe Diagramm "Misshandlungsauslöser"). Viel schwieriger zu beschreiben sind für die Eltern die meist gleichzeitigen Ereignisse, die ihr Selbstwertgefühl so herabgesetzt haben, dass sich daraus ein verzweifeltes Bedürfnis nach Sicherheit und Bestätigung ergab. Ein häufiger Auslöser solcher Gefühle ist eine Zurückweisung durch den Ehepartner, sein Rückzug aus der Beziehung oder Kritik von seiten einer wichtigen Person.

Während manche Krisen auch für den Außenstehenden unmittelbar als gravierend zu erkennen sind, erscheinen andere trivial. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass, was dem Außenstehenden trivial erscheinen mag, für die Betroffenen nicht bedeutungslos sein muss. Diese Eltern leben mit einem sehr prekären Selbstwertgefühl, und das geringste Missgeschick kann die Balance stören und zu einem Gefühl von Wertlosigkeit und ohnmächtiger Wut führen.

2.5 Die persönliche Situation des Täters

An mehreren Stellen der Arbeit wurde bereits betont, dass alle bisher genannten Ursachen bzw. Auslöser für Kindesmisshandlung als alleinige Erklärung bei weitem unzureichend seien, da die Täter keine homogene Gruppe bilden, sondern, wenn man sie alle miteinander auf Familienstand, Sozialstatus,  Beruf, Lebensraum, etc. untersuchen würde, eher eine zufällige Querschnittsstichprobe der Gesamtbevölkerung darstellen.

Daher ist die Ursache - also das, was eine "normale" Bezugsperson eines Kindes zum "Täter", zum "Misshandler" macht - noch immer nicht ausreichend erhoben.

Es ist daher von unabdingbarer Wichtigkeit, auch die Persönlichkeit, die Psyche, die persönliche Geschichte und die damit hervorgegangenen Werte der Täter zu untersuchen.

STEELE und POLLOCK haben eine derartige Untersuchung durchgeführt, auf die ich mich im folgenden hauptsächlich stützen möchte.[12]

2.5.1 Allgemeine Kennzeichen

Das Augenmerk der Untersuchung wurde durchgehend auf die Interaktion zwischen fürsorgender Person und Kleinkind gelegt. Aus der direkten Beobachtung der Eltern in der Interaktion mit ihren Kindern und aus ihren eigenen Beschreibungen, wie sie mit ihren Kindern umgingen, wird deutlich, dass sie von ihren Säuglingen und Kleinkindern eine Menge erwarten und verlangen. Nicht nur, dass der Anspruch an die Leistungen der Kinder hoch ist, er ist auch verfrüht. Eltern behandeln das Kind, als wäre es einige Jahre älter, als es eigentlich ist.

Die Beobachtung dieser Interaktion führt zudem deutlichen Eindruck, dass sich der Vater oder die Mutter unsicher und ungewiss sind, ob sie geliebt werden und dass sie das Kind als Quelle von Bestätigung, Trost und liebevoller Zuneigung sehen. Es ist kaum übertrieben, wenn man sagt, dass sich die betreffende Person wie ein angstvolles, ungeliebtes Kind verhält, das sein eigenes Kind erlebt, als sei es ein Erwachsener, der Trost und Liebe vermitteln könne. Das ist jenes Phänomen, das von MORRIS und GOULD als "Rollenumkehrung" beschrieben worden ist.[13]

Kathy äußerte sehr heftig: "Während meines ganzen Lebens habe ich mich nie richtig geliebt gefühlt. Als das Baby zur Welt kam, dachte ich, es würde mich lieben; aber als es die ganze Zeit schrie, bedeutete dies, dass es mich nicht liebte, also habe ich es geschlagen."

2.5.2 Lebensgeschichte der misshandelnden Eltern

Die Lebensgeschichten der untersuchten Eltern zeigen, dass sie ohne Ausnahme im selben Stil erzogen wurden und dass sie diesen insofern neubelebt haben, als sie ihre eigenen Kinder in derselben Art und Weise erzogen. Einige hatten schwere Misshandlungen erduldet. Alle hatten sie jedoch den Eindruck intensiver, allseitiger, ununterbrochener Ansprüche seitens ihrer Eltern. Vermittelt wurden diese Ansprüche in Form von Erwartungen, ein gutes, unterwürfiges Verhalten zu zeigen, sofort gehorsam zu sein, nie Fehler zu machen, die Eltern mitfühlend in ihrem Kummer zu trösten und die elterlichen Handlungen zu billigen und zu unterstützen. Von dem Kind wurde bereits eine Leistung erwartet, als es noch gar nicht richtig verstehen konnte, was man von ihm erwartete und wie es dieser Erwartung nachkommen sollte. Weiters wurden diese Ansprüche von ständiger Kritik seitens der Eltern begleitet. Zwangsläufig hatte das heranwachsende Kind guten Grund zur Annahme, dass es ungeliebt war, dass seine eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Fähigkeiten nicht beachtet wurden.

Ein anders Phänomen ist auch, dass alle untersuchten Eltern als Säugling oder Kleinkind benachteiligt gewesen sind.

Damit ist der Entzug fundamentaler mütterlicher Fürsorge gemeint - das fehlen eines tief verankerten Gefühls, vom ersten Lebenstag an versorgt und umsorgt zu sein.

Diesen Typus der Kindererziehung oder dieses Muster einer Eltern-Kind-Beziehung konnte in drei aufeinander folgenden Generationen beobachtet werden.

2.5.3 Die Funktion der mütterlichen Fürsorge

Kindesmisshandlung ist in diesem Kapitel als ein Muster der Kindererziehung beschrieben worden, das durch eine Fehlsteuerung der normalen Funktion mütterlicher Fürsorge gekennzeichnet ist.

Mit "Funktion der mütterlichen Fürsorge" ist der Prozess gemeint, innerhalb dessen der Erwachsene für ein Kind sorgt. Dies wird im allgemeinen von der Mutter ausgeübt, kann aber auch von einer anderen erwachsenen Person übernommen werden.

Fundamentale Bestandteile dieser Fürsorge bestehen im Füttern, Halten, Kleiden und Säubern des Kleinkindes, Schutz vor Verletzungen und Schaffung von Bewegungsspielraum. Daneben gibt es die weniger sichtbaren Bestandteile der Besorgtheit, der Wahrnehmung und Berücksichtigung der Bedürfnisse und Wünsche des Kleinkindes und der geeigneten emotionalen Interaktionen mit diesem.

Diese letztgenannten Eigenschaften sind eine höchst wichtige Ergänzung der mechanischen Bestandteile. Sie schaffen die Atmosphäre, innerhalb deren die anderen Funktionen ausgeübt werden, und beeinflussen zutiefst die Reaktionen des Kleinkindes, sein momentanes Wohlbefinden und seine später Entwicklung.

Körperliche Misshandlungen von Kindern hängen mehr mit einer Störung der Mütterlichkeit zusammen als mit anderen Aspekten mütterlicher Fürsorge.

Störungen und Ausbleiben der mechanischen Bestandteile mütterlicher Fürsorge ergeben das Bild des "vernachlässigten Kindes". Eltern, die ihre Kinder misshandeln oder vernachlässigen, haben viele gemeinsame Merkmale. Beide brauchen und fordern von ihren Kindern sehr viel und sind unglücklich, wenn man auf sie nicht in der richtigen Weise reagiert. Und doch gibt es einen auffallenden Unterschied zwischen diesen beiden Formen:

Eine Mutter, die ihr Kind vernachlässigt, reagiert auf schmerzliche Enttäuschungen, indem sie resigniert und keine Versuche mehr unternimmt, zumindest noch mechanisch für ihr Kind zu sorgen. Demgegenüber scheint eine Mutter, die ihr Kind misshandelt, am aktiven Leben ihres Kindes ein stärkeres Interesse zu haben und unternimmt etwas, um es für ein Versagen zu bestrafen und dafür zu sorgen, dass aus ihm etwas wird und es seine Leistungen verbessert.

2.5.4 Mütterlichkeit

Mütterlichkeit beschränkt sich nicht auf biologische Mütter. Sie kann in vollem Umfang auch bei Adoptiv- oder Pflegemüttern auftreten. Auch Männer können sich mütterlich verhalten und selbst Kinder - sehr junge Knaben oder Mädchen - können Mütterlichkeit gegenüber ihresgleichen und gegenüber Babies an den Tag legen.

Auch Tiere verhalten sich mütterlich und bei einem Versuch mit Affen zeigte sich deutlich, dass das Fehlen von Mütterlichkeit großen Einfluss auf das spätere Erziehungsverhalten des Kindes bei eigenen Kindern hat. Obwohl ein vormenschliches Primatenverhalten nicht ohne weiteres für ein Verständnis des menschlichen Verhaltens herangezogen werden kann, scheinen doch einige Beobachtungen auf verblüffende Analogien mit den Phänomenen zu verweisen, die bei menschlichen Eltern festgestellt wurden, die ihre Kinder vernachlässigten und misshandelten.

".vier unserer im Labor gezüchteten Weibchen hatten nie richtige Mütter für sich gehabt; eines von ihnen war in einem nackten Drahtkäfig und drei waren mit ausgestopften Attrappen als Mutterersatz aufgezogen worden. Die erste Woche, nachdem das Weibchen aus dem Drahtkäfig ein Junges zur Welt gebracht hatte, saß die Mutter unbeweglich and er einen Kante des Käfigs und starrte ins Leere, fast ohne von dem Neugeborenen oder von menschlichen Wesen Notiz zu nehmen, selbst wenn diese dem Neugeborenen gegenüber kläffende Laute ausstießen oder es bedrohten. Es gab keinerlei Anzeichen mütterlicher Reaktionen, und wenn sich das Neugeborene näherte und Kontakte suche, wurde es von der Mutter - oft recht heftig - zurückgestoßen.

Zwei weitere Affenmütter, die selbst keine echte Mutter gehabt hatte, wiesen beständig die Annäherungen ihrer Jungen zurück, gingen jedoch darüber hinaus häufig zu grausamen und grundlosen Übergriffen über. Sie verprügelten und schlugen ihre Jungen, stießen wilde Laute aus und drückten die Gesichter der Affenbabies in den Boden aus Drahtgeflecht [.]"[15]

Diese Beobachtungen lassen vermuten, dass ein Zusammenhang besteht zwischen dem Fehlen einer frühen Erfahrung, "bemuttert" worden zu sein, und Defiziten in der späteren elterlichen Funktion.

2.5.5 Die frühen Ursprünge von Mütterlichkeit und ihr weiteres

Lebensschicksal

Soweit das aufgrund der Daten der untersuchten Eltern gesagt werden kann, hatte den Betroffenen in der frühen Kindheit die Erfahrung einer völlig befriedigenden, symbiotischen und vertrauenerweckenden Beziehung mit ihrer Mutter gefehlt. Die Identifikation des misshandelnden Vaters oder der Mutter mit der verkümmerten Mütterlichkeit hält bis ins Erwachsenen alter hinein an. Sie wird begleitet von einem dauerhaften Unglauben an die Möglichkeit, eine sichere, mitfühlende, mütterliche Beziehung zu finden, obwohl man eine intensive Sehnsucht danach hegt. Die meisten Menschen tragen in ihrem Inneren Überreste des doppelten Mutterbildes samt der daraus folgenden ambivalenten Gefühle. Der Eindruck liegt vor, dass die Untersuchungsgruppe, Männer wie Frauen, diese Ambivalenz in ungewöhnlich hohem Maße aufweisen, wobei die negative Seite überwiegt.

2.5.6 Fehlendes Vertrauen

BENEDEK hat ein Gefühl des Vertrauens beschrieben, das sich im Kleinkind als Resultat der wiederkehrenden Erfahrung entwickelt, richtig verstanden und von der Mutter versorgt zu werden. Ein Vertrauen, das in das Kleinkind eingepflanzt und durch spätere Erfahrungen verstärkt wird, impliziert den Glauben, dass andere um Hilfe gebeten werden können und dass man selbst als so wertvoll angesehen wird, dass man helfen kann. Es ist beständig und führt zu einer optimistischen Fähigkeit im Erwachsenenleben, gute Beziehungen mit anderen aufrechtzuerhalten.

Eltern, die ihre Kinder misshandeln, haben nie Erfahrungen gemacht, die in ihnen ein solches Vertrauen hätten bewirken können. Als Erwachsene halten sie es für ein sinnloses Unterfangen, innerhalb der Familie, des Freundeskreises oder bei Bekannten Beziehungen zu suchen, in denen ihre Bedürfnisse befriedigt werden. Solche Beziehungen sind eher distanziert, armselig, oberflächlich und unerfüllt. So zeigt der Erwachsene, der seine Kinder misshandelt, eine Tendenz, ein Leben zu führen, das sich als entfremdet, asozial oder isoliert beschreiben lässt. Es ist ein Fortbestehen jenes Musters eines fehlenden Vertrauens, das sich in der frühen Kindheit ausgebildet hat.

Ein fehlendes Vertrauen, dessen Ursprung in einer unzureichenden Mütterlichkeit in der frühen Kindheit liegt und das in späteren Lebenserfahrungen wiederholt wird, zu denen der Betroffene selbst noch beigetragen hat, hat in ihm die Überzeugung befestigt, dass seine Bedürfnisse weder von den Eltern, noch vom Ehegatten oder von Freunden oder der Gesellschaft im allgemeinen jemals befriedigt werden können. Wenn die ganze übrige Welt ihn im Stich gelassen hat, dann wird ein solcher Mensch in einem letzten verzweifelten Versuch, Trost und Liebe zu finden, sich seinem Kind zuwenden.[16]

2.5.7 Aggression und Über-Ich

Eine Aggression, die an Kleinkindern ausgelassen wird, ist die verwirrendste Außerung im Verhalten des Erwachsenen, der sein misshandelt, und stellt einen zentralen Punkt unseres Problems dar, das im Folgenden näher untersucht werden soll.

Die Betroffenen zeigten keine Anzeichen eines ungewöhnlich starken aggressiven Grundtriebes. Obwohl ihre Aggressionsabfuhr gegenüber Kindern offen und intensiv ist, zeigen sie gewöhnlich auf vielen Gebieten ihres Lebens eine deutliche Aggressionshemmung. Es ist möglich, die vielen Nuancen der Aggression zu diskutieren, ohne gleichzeitig jene Struktur der menschlichen Psyche zu erörtern, die die Abfuhr des Aggressionstriebes einer Zensur unterwirft und kanalisiert, nämlich das Über-Ich.

Das Über-Ich ist einer Entwicklung unterworfen, die erst mit der Lösung des ödipalen Konflikts seine endgültige Forma annimmt. In dieser Zeit wird gelernt, was "richtig" und was "falsch" ist, was von den Eltern gern gesehen und was bestraft wird.

Bei misshandelnden Eltern wurden ihre kindlichen Bedürfnisse damals nicht oder nur wenig beachtet bzw. wurden sie durch die an sie gestellten Anforderungen weit überfordert und ihr Verhalten ständig mit Kritik begleitet. Damit wurden zugleich einige der grundlegenden Bedürfnisse des Kleinkindes nach Zuwendung und Einfühlung frustriert. Diese Frustrationen sind wiederholte Reize für den grundlegenden Aggressionstrieb. Das Verbot des strengen Über-Ichs, diese Aggressionen auszuleben, führt unweigerlich zu Schuldgefühlen, die dann meist mit Autoaggression, also Aggressionen gegen sich selbst nach innen - beantwortet werden. Diese wiederum trägt zu einem tief verwurzelten Gefühl der Minderwertigkeit und einer geringen Selbstachtung bei. Wenn die Mutter oder der Vater das Kleinkind als Verkörperung des eigenen schlechten Selbst fehlidentifizieren, so kann die volle Aggression des bestrafenden Über-Ichs nach außen, auf das Kind gelenkt werden.

2.5.8 Identität und Identifikation

ERIKSON definiert Identität als das subjektive Gefühl, ein einmaliges, besonderes Individuum zu sein mit einer Kontinuität der Charakterentwicklung und der Fähigkeit, Solidarität mit gesellschaftlichen Gruppen aufrechtzuerhalten.[17] Bei den Untersuchten konnte man eine solche Identität nicht feststellen. Stattdessen fand man eine ziemlich lose Sammlung nicht integrierter, verstreuter Selbstbilder, mehrfache Identifikationen, die unverschmolzen voneinander getrennt bleiben.

Diese Personen können gegenüber ihren Kindern wie ein selbstbewusster Erwachsener fühlen und fallen im nächsten Augenblick in die Rolle des hilflosen, unnützen Kindes, das alles falsch macht. Sie können unvermittelt von einem freundlichen zu einem bestrafenden Verhalten übergehen.

Im Zusammenhang mit Kindesmisshandlungen ist eine fehlende sinnvolle Integration der beiden Erfahrungen, ein Kind zu sein und von den Eltern behütet zu werden, ein sehr entscheidender Mangel.

Misshandelnde Eltern identifizieren ihre eigenen schlechten Eigenschaften auch in das Kind hinein. Dies darf aber keinesfalls mit dem Abwehrmechanismus der Projektion verwechselt werden, bei der ja die eigenen schlechten Eigenschaften verleugnet und nur auf andere projiziert werden. Bei der beschriebenen Art des Identifikationsprozesses handelt es sich um eine sogenannte Umkehridentifikation, bei der die eigenen schlechten Eigenschaften nicht verleugnet werden, sondern bestehen bleiben - diese jedoch werden beim anderen bekämpft.

3. Maßnahmen des Sozialarbeiters bei Tätern

In vielen der für diese Seminararbeit verwendeten Quellen wurde deutlich, dass sich Täter oft mit ihren Problemen alleine gelassen fühlten. Manchmal sprachen sie dies deutlich aus oder ließen es verdeckt zum Ausdruck kommen.

Nun fragt man sich, warum soll den Tätern geholfen werden? Sie haben doch Unrechtes in unfassbarem Ausmaß getan, habe ihren Kindern unsäglichen Qualen ausgesetzt. Es besteht also für manche Grund zur Annahme, dass es sich bei Tätern um sehr grausame, sadistische und kriminelle Menschen handle.

Wenn man jedoch die vorangegangenen Kapitel mit größerer Aufmerksamkeit liest, so wird doch recht deutlich, dass Täter meistens ebenfalls Opfer ihrer Erziehung und Sozialisation sind, die es ihnen nicht erlauben, andere Problemslösungsmuster als die Gewalt gegen die Kinder zu sehen und zu nützen.

Es ist oft sogar so, dass Täter ihr Fehlverhalten in diesem Punkt sogar als solches erkennen, es bereuen, aber trotzdem nichts daran ändern können, weil sie in ihrer Hilflosigkeit nicht wissen, wie. Dies zeigt sich unter anderem auch darin, dass sie das Kind, das sie eben geschlagen und schwer misshandelt haben, unmittelbar danach an sich drücken, es streicheln und sich oft sogar für ihr Verhalten entschuldigen. Häufig bringen dieselben Personen, die das Kind durch ihre Misshandlungen schwer verletzt haben, aus Sorge zum Arzt oder ins Krankenhaus. Sie erfinden dann zwar meist andere Gründe für die Verletzungen der Kinder - dies aber oft aus dem Grund, um die eigene Hilflosigkeit zu verbergen, nicht aus Angst vor den Konsequenzen.

Diese Andeutungen belegen, dass Hilfen bei Krisen und gewaltsamen Auseinandersetzungen im Familienleben besonders notwendig sind.

Bei einem Hilfsmodell für Eltern, die ihre Kinder körperlich misshandeln, sollten folgende Gesichtspunkte berücksichtigt werden:

Eltern, die ihre Kinder misshandeln, dun dies in der Regel in persönlichen Notlagen, in denen sie keinen anderen Ausweg sehen. Es kann nicht umstandslos von einer Schuld der misshandelnden Erwachsenen gesprochen werden. Diese Eltern brauchen Hilfe, und eine sinnvolle Kinderschutzarbeit sollte Eltern und Kinder in ihren Notlagen verstehen und ihnen einen Zugang zu Hilfen ermöglichen. Es ist die Aufgabe des Sozialarbeiters, die Betroffenen zu befähigen, im Kontakt mit anderen, nicht zuletzt mit Sachverständigen und ernsthaft engagierten Mitarbeitern, ihre Probleme aus eigener Kraft zu bewältigen. Er soll dort Hilfe leisten, so der einzelne bzw. die einzelne Familie überfordert ist.

Wer Menschen helfen will, sollte sie nicht entmündigen. Die wie auch immer verschütteten Lebenskräfte und Erfahrungen der Betroffenen selbst müssen in die Arbeit miteinbezogen werden. Diese Art von Hilfe setzt weitgehende Freiwilligkeit der Betroffenen voraus. Die Freiwilligkeit findet jedoch ihre Grenzen, wo die Gesundheit oder das Leben eines Kindes gefährdet sind. Diese Hilfe baut nicht auf "guten" Rat, sondern versucht dazu beizutragen, gegenüber zerstörten und problematisch gewordenen Lebenszusammenhängen sukzessive neue, produktivere Lebens- und Erziehungsmöglichkeiten in Zusammenarbeit zwischen Betroffenen und Beratern zu schaffen.

Der enge Zusammenhang von lebensgeschichtlichen Konflikten und aktuellen Krisen des täglichen Lebens im Ursachenfeld von Kindesmisshandlung erfordert eine enge Verzahnung von Beratung bzw. therapeutischen Angeboten und vielfältigen lebenspraktischen Hilfen.

Ein Hilfsangebot für solche lebensbedrohlichen Notlagen muss auch zeitlich angemessen sein. Familienkonflikte richten sich nicht nach den Bürostunden des Sozialarbeiters.

Dieses oben beschriebene Hilfsmodell stellt natürlich hohe Anforderungen an den Sozialarbeiter, der sich diesen nicht selten nicht gewachsen fühlt. Daher ist gerade auch in dieser Sparte der Sozialarbeit Supervision von unermesslicher Wichtigkeit zur Psychohygiene.

Gerade in diesem Arbeitsfeld hat man einerseits mit gesellschaftlichen Missbilligungen zu rechnen und andererseits mit der Konfrontation psychisch oft sehr belastenden Situationen. Man ist zwischen den Qualen der Kinder, die man geahndet sehen möchte, und den trotzdem dringen vorhandenen Bedürfnissen der Täter hin- und hergerissen.

Möchte man aber effektiv die Kinder vor weiteren Misshandlungen schützen, so ist die Arbeit mit den Tätern unerlässlich und sollte eigentlich von allen als sehr wertvoll angesehen werden.

Literaturverzeichnis


Arbeitsgruppe Kinderschutz

Gewalt gegen Kinder

Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 1975

Gisela Zenz

Kindesmisshandlung und Kindesrechte

Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1979

Bundeskanzleramt, Bundesministerin für Frauenangelegenheiten

Gegen Gewalt an Frauen und Kindern handeln

Wien: Bundeskanzleramt, Bundesministerin für Frauenangelegenheiten, 1994

Wolfgang Wegner

Misshandelte Kinder

Weinheim und Basel: Beltz Verlag, 1997

Ray E. Helfer und C. Henry Kempe (Hrsg.)

Das geschlagene Kind

Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1978

Günter Pernhaupt (Hrsg.)

Gewalt am Kind

Wien: Jugend und Volk VerlagsGesmbH, 1983



Zit. N. Büttner & Nicklas, 1984

vgl. Reinhart Wolff; Gewalt gegen Kinder;1975, Seite 16

zit. Reinhart Wolff; Gewalt gegen Kinder; 1975, Seite 23

vgl. Wimmer-Puchinger 1991; Broschüre "Gegen Gewalt an Frauen und Kindern handeln"; 1994, Seite 39

vgl. Gisela Zenz; Kindesmisshandlung und Kindesrechte; 1979, Seite 185 ff.

vgl. Gisela Zenz; Kindesmisshandlung und Kindesrechte; 1979, Seite 189

zit. Gisela Zenz; Kindesmisshandlung und Kindesrechte; 19979, Seite 1991 f.

vgl. Wolfgang Wegner; Misshandelte Kinder; 1997, Seite 70

vgl. Gisela Zenz; Kindesmisshandlung und Kindesrechte; 1979, Seite 201

vgl. Gisela Zenz; Kindesmisshandlung und Kindesrechte; 1979, Seite 205

vgl. Gisela Zenz; Kindesmisshandlung und Kindesrechte; 1979, Seite 211

vgl. Hrsg. Ray E. Helfer u. C. Henry Kempe; Das geschlagene Kind; 1978, Seite 161 ff.

vgl. Hrsg. Ray. E. Helfer u. C. Henry Kempe; Das geschlagene Kind; 1978, Seite 174

zit. Hrsg. Ray. E. Helfer u. C. Henry Kempe; Das geschlagene Kind; 1978, Seite 175

zit. Hrsg. Ray. E. Helfer u. C. Henry Kempe; Das geschlagene Kind; 1978, Seite 187

zit. Hrsg. Ray. E. Helfer u. C. Henry Kempe; Das geschlagene Kind; 1978, Seite 194

vgl. Hrsg. Ray. E. Helfer u. C. Henry Kempe; Das geschlagene Kind; 1978, Seite 200

vgl. Günter Pernhaupt; Gewalt am Kind; 1983, Seite 193 ff.



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