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Euthanasie
Euthanasie ist im Zusammenhang mit der Bioethik wieder zu einem viel diskutierten Thema geworden. Wenn beim Beginn menschlichen Lebens nichts mehr dem Zufall überlassen wird, muss auch das Ende des Lebens vom Menschen gestaltet werden. Schlagworte wie " Wert bzw. Unwert des Lebens", Selbstbestimmung des Endes, ja sogar das "Recht auf Leben" werden diskutiert und neu definiert, nicht zuletzt mit dem Hinweis, daß menschliches Leben ja kein um jeden Preis schützenwertes Gut sei, wie die Abtreibungsregel zeige.
Das große Geheimnis des Todes
Schon immer bereiteten die Religionen den Menschen auf das Sterben vor. Und schon die Gräber der Steinzeitmenschen und die gewaltigen Grabstätten der Agypter zeugen von einem Glauben an ein Leben nach dem Tod. Und bis heute stimmen alle großen Religionen darin überein, daß der Mensch, so wie er gewöhnlich lebt, unwirklich lebt, unfrei, nicht mit sich identisch, daß also der Jetzt-Status des Menschen unbefriedigend, leidvoll, unglücklich ist. Und warum? Weil der Mensch getrennt, entfremdet leben muß von jener verborgenen, allerletzten, allerhöchsten Wirklichkeit, die seine wahre Heimat ist, seine eigentliche Freiheit ausmacht, seine wirkliche Identität bedeutet und die man das Unverfügbare, Unbedingte, Unaussprechliche, das Absolute, die Gottheit, Gott oder auch anders nennt. Der Sinn des Daseins vollendet sich in seinem Ende. Der Tod - das große Geheimnis: Kein Verenden, sondern die Vollendung.
Dabei handelt es sich nicht etwa nur um den Glauben der Christen an eine Auferweckung, die ein die Dimensionen von Raum und Zeit sprengendes, völlig anderes Leben im unsichtbaren, unbegreiflichen, göttlichen ereich meint, der symbolisch "Himmel" genannt wird.
Und es handelt sich auch um die Überzeugung der Buddhisten von einem "Nirvana", von einem Endzustand ohne Leiden, Gier, Haß und Verblendung, der von den wenigsten Buddhisten als totale und restlose Vernichtung verstanden wird.
Sowohl im Christentum wie im Buddhismus geht es um eine andere Dimension, etwas Transzendentes, die wahre Wirklichkeit, von der man nur in Sinnbildern reden kann.
Trotz aller Unterschiede läßt sich eine Konvergenz der Vorstellungen nicht übersehen:
Die Buddhisten hüten sich zwar im allgemeinen, vom Fortbestehen des Individuums im Nirvana zu sprechen. Und doch machen sie so viele positive Aussagen über den leidlosen Endzustand, daß eine gewisse Übereinstimmung mit der christlichen Vorstellung von einem "ewigen Leben" nicht von vornherein ausgeschlossen ist.
Die Christen legen zwar ihrerseits darauf Gewicht, daß die Vorstellung von einem "ewigen Leben" ein Fortbestehen der menschlichen Person einschließt. Doch bleiben sie sich durchaus bewußt, daß ihre Aussagen vom "ewigen Leben" nur Bilder sind für das Unvorstellbare, und daß das Personsein in der Dimension des unendlichen Jenseits von Raum und Zeit alle Beschränktheit des irdischen Lebens verliert.
Nach christlicher, aber auch jüdischer und muslimischer Vorstellung stirbt der Mensch im Tod nicht ins Nichts hinein. Vielmehr wird er aufgenommen in jene unbegreifbare und unfaßbare letzte und erste Wirklichkeit hinein, die jenseits von Raum und Zeit reine Geistigkeit, die ewige wirklichste Wirklichkeit ist. Eine Transformation durch Neuschöpfung und eine ewige Geborgenheit in Gott.
Der Begriff Euthanasie im Wandel der Zeit
Denken Menschen an den Tod, dann wünschen sie sich in erster Linie schmerzfrei und ohne Leiden zu sterben. Dieser Wunsch ist bis in die Antike hinein belegbar. Bereits Cicero beschreibt mit dem Begriff Euthanasie einen ehrenvollen, ruhmreichen Tod und Sterben. Er versteht darunter ein schnelles Sterben ohne Qualen, wie er es für Kaiser Augustus beschreibt. Euthanasie meint in der Antike immer den natürlichen Tod oder den Tod im Kampf.
Im Mittelalter fehlt der Begriff Euthanasie, da hier der Tod als Sünde verstanden wurde und von daher nicht "gut" sein konnte.
Das Christentum lehnte schon in seinen Anfängen jegliche Form von Selbsttötung ab. Da nach christlicher Vorstellung Gott jeden Menschen individuell geschaffen hatte, stand es Gott allein zu, dieses von ihm geschaffene Leben zu beenden. Selbsttötung galt deshalb als anmaßender Eingriff in die göttliche Schöpfung. Hinzu kam die Vorstellung, daß nichts zwischen Himmel und Erde geschehe, das nicht mit dem Willen des allmächtigen Gottes entsprungen sei. Also waren auch die Schmerzen der Kranken und Sterbenden gottgewollt und mußten von den Gläubigen geduldig ertragen werden.
Als das Christentum im 4.Jahrhundert zur Staatsreligion des Römischen Reiches avancierte, wurde die Selbsttötung als Selbstmord gebrandmarkt, dem Selbstmörder das christliche Begräbnis verweigert, Grundbesitz und Vermögen des Opfers von den staatlichen Behörden konfisziert.
Das Verbot der Selbsttötung wirkte sich natürlich auch auf das Verhalten der Arzte aus, denen jegliche Sterbehilfe untersagt war.
Die Intoleranz erreichte im 13. Jahrhundert mit Thomas von Aquin ihren Höhepunkt. In seiner "Summa theologica" entwickelte er eine Synthese philosophischer und theologischer Argumente gegen die Selbsttötung. Selbstmord war in seiner Sicht nicht nur ein Verstoß gegen das fünfte Gebot, er war vielmehr die folgenschwerste Sünde, weil der Sünder sich damit die Möglichkeit der Reue nahm. Sich das Leben zu nehmen, war ein Verstoß gegen das Naturgesetz, gegen das Gebot der Nächstenliebe, war eine Mißachtung der göttlichen Allmacht. Kurzum, im Verlauf von 12 Jahrhunderten war der Selbstmord zu schwersten christlichen Todsünde geworden.
War es für Griechen und Römer noch wichtig gewesen, bei klarem Verstand würdig zu sterben, weil die Art des Todes auch etwas über die Qualität des zu Ende gehenden Lebens aussagte, so hatten solche Überlegungen für die Christen keinerlei Bedeutung. Als Anhänger einer verfolgten Minderheit hatten sie ihre Leiden schon frühzeitig durch paradiesische Jenseitsvorstellungen zu kompensieren gelernt. Auch das qualvollste Sterben war für sie nur ein Teil jenes irdischen Jammertals, für das sie Gott im Jenseits entschädigen würde. Diese Glaubensvorstellungen prägten das Kirchenrecht und schließlich die staatliche Gesetzgebung: Wer die Todsünde des Selbstmordes beging, mußte wie ein Schwerverbrecher behandelt werden.
Francis Bacon (16. Jahrhundert) greift den Begriff der Sterbehilfe erstmals wieder auf und unterscheidet zwischen euthanasia interior und euthanasia exterior. Unter dem ersten versteht er eine spirituell-geistige Vorbereitung und Einübung auf das Sterben und den Tod. Die euthanasia exterior dagegen war die Aufgabe des Arztes: Er sollte den Kranken leichter und schmerzloser aus dem Leben scheiden lassen. Euthanasie meint bei Bacon nicht mehr nur die Art des Sterbens, sondern sie wird zu einem aktiven Geschehen, das für den Betroffenen so leicht wie möglich gestaltet werden soll. Euthanasie wird bei Bacon das erste Mal im Sinne von Sterbebegleitung verstanden.
Gewiss wurde zu allen Zeiten auch über die direkte Tötung Kranker und Leidender gesprochen und diskutiert, doch meinte Euthanasie bis zum Ende des 19. Jahrhundert immer Sterbebegleitung ohne direkte oder indirekte Lebensverkürzung. Sie war von daher nicht dem Tätigkeitsbereich des Arztes zugeordnet, sondern gehörte zur Krankenpflege und Seelsorge.
Der entscheidende Wortbedeutungswandel tritt mit der Veröffentlichung der programmatischen Schrift von A. Jost "Das Recht auf den eigenen Tod" (Göttingen 1895) ein. Jost verlangt in ihm die gesetzliche Freigabe für Tötung auf Verlangen bei unheilbar Kranken und bei Geistesgestörten. Euthanasie wird hier als aktive Tötung verstanden, als gutes Sterben, da die Kranken ja vom Leiden erlöst werden. Diese Bedeutungsvariante ist das Ergebnis der gesellschaftlichen Veränderungen der damaligen Zeit.
Durch die Industrialisierung wurde das soziale Gefüge der Menschen tiefgehend erschüttert. Das heißt, daß sozial Schwache oder problematische Personen in eigenen Institutionen untergebracht wurden: Die Waisen in Waisenhäusern, die Geistesgestörten in Nervenkliniken, die Alten in Altersheime und so weiter. Aus Armut, die es immer gegeben hat und auf die jeder eine eigene Antwort finden mußte, entstand die gesellschaftliche relevante Folge, die da heißt: Was machen wir mit den industriell unbrauchbaren Menschen, wozu sind sie da und wie viel Geld wollen wir für sie ausgeben?
Diese am Rand der Gesellschaft stehende Menschengruppe wurde im 19. Jahrhundert auch Gegenstand medizinischer Untersuchungen. Warum ließen sich diese Außenseiter nicht integrieren? Man vermutete die Schädigung zuerst im Gehirn, dann in den Genen. So wurden die für die Industrie unbrauchbaren Menschen als Hirnkranke, dann aber vor allem als Erbkranke bezeichnet, ohne daß diese Behauptung beweisbar wäre. 1892 wurden sie aus eugenischen Gründen zwangsterilisiert. Damit war die Vision von der Machbarkeit des leidensfreien Menschen geboren. Der damals berühmte Sozialpsychiater und Sozialreformer August Forel dazu:
"Wir bezwecken keineswegs eine neue menschliche Rasse, einen Übermenschen, zu schaffen, sondern nur die defekten Untermenschen allmählich zu entfernen, das heißt durch willkürliche Sterilität die Träger schlechter Keime zu beseitigen und dafür bessere, sozialere, gesündere und glücklichere Menschen zu einer größeren Vermehrung zu veranlassen."
In dieser Tradition steht also Jost, der noch einen Schritt weitergeht. Seiner Auffassung nach kann der Wert eines menschlichen Lebens auf Null sinken. Ja es kann sogar in den Minusbereich absinken. In diesem Fall ist der Nullwert eines raschen schmerzlosen Todes dem Negativwert eines Lebens in Leiden vorzuziehen. Hier steht erstmals der Wert eines menschlichen Lebens zur Diskussion. Wie aber lässt sich der Wert eines Menschenlebens definieren? Diese Frage wird bis heute in der Euthanasiedebatte immer wieder gestellt.
Jost beantwortet sie wie folgt:
"Der Wert eines Menschen bestimmt sich aus der Differenz von Freude und Schmerz, die sein Leben für ihn selbst und aus der Abwägung von Nutzen und Schaden, die es für die Gesellschaft darstellt."
Daraus ergibt sich, dass es für lebensunwertes Leben, dessen gesellschaftlicher Wert unter Null sinkt, einen "Abflusskanal" geben muss.
An diesen geschichtlichen Fakten lässt sich eine weitere Beobachtung anschließen:
Es gibt eine Dynamik des Denkens, die ausgehend von der Tötung auf Verlangen bei aussichtslos Erkrankten am Ende ihres Lebens immer mehr leidvolle Situationen eines Lebens mitbedenkt, bis eine Tötung auch ohne Verlangen sinnvoll scheinen kann.
Nach dem ersten Weltkrieg fanden die bis dahin wenig beachteten Gedanken Josts vermehrt Anhänger. Zahlreiche Kriegsinvaliden, die das ohnehin geringe Sozialbudget belasteten, machten dieses Gedankengut einer Abwägung im oben dargestellten Sinne attraktiv. 1920 erschien ein Buch von dem Juristen Binding und von dem Mediziner Hoche mit dem Titel "Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens, ihr Maß und ihre Form". Dieses Buch kann als Wegbereiter für das entsprechende nationalsozialistische Gedankengut verstanden werden.
1929 sagte Hitler auf dem Nürnberger Parteitag:
"Würde Deutschland jährlich eine Million Kinder bekommen und 700.000 bis 800.000 der Schwächsten beseitigen, dann würde am Ende das Ergebnis vielleicht sogar eine Kräftesteigerung sein. Das Gefährliche ist, dass wir selbst den natürlichen Ausleseprozess abschneiden (durch Pflege der Kranken und Schwachen). Der klarste Rassenstaat der Geschichte, Sparta, hat diese Rassengesetze planmäßig durchgeführt."
Dieses Zitat weist bereits auf die später durchgeführte Aktion "Gnadentod" hin: Die breit angelegte Euthanasieaktion begann mit Zwangssterilisation und Zwangsabtreibungen und gipfelte dann in der planmäßigen Vernichtung behinderter Menschen als Euthanasieaktion T4 (benannt nach der streng geheimen Organisationszentrale der Aktion in Berlin) . Im Laufe dieser Aktion wurden erwiesenermaßen 70.273 Menschen, vermutlich sogar bis zu 120.000 Menschen, die entweder alt oder behindert waren, getötet. In den Schubladen der Machthaber lagen noch weitere Pläne zur Masseneuthanasie, die man jedoch noch nicht umzusetzen wagte. Die Aktion T4 wurde dann aufgrund von Protesten der Angehörigen und der Öffentlichkeit auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu beobachten, wie diese Ermordung auf eine für die Gesellschaft akzeptable Weise verkauft wurde. Man sprach immer nur von einem "Gnadentod", der aus Mitleid mit den armen am Lebensende stehenden Menschen gewährt wurde. Falsches Mitleid ist auch heute noch ein nicht zu unterschätzendes Motiv der Euthanasiedebatte.
Die Motive während der nationalsozialistischen Diktatur hemmten lange Zeit in Deutschland und Österreich die Diskussion und die Initiativen zur Euthanasie beträchtlich. Als common sense in der Nachkriegszeit galt:
"Sterbehilfe unter Einschluß lebensverkürzender Maßnahmen ja, direkte Euthanasie nein, unter keinen Umständen aber die Qualifizierung menschlichen Lebens als wert und unwert."
Erst in den 70-er Jahren, als auch das Thema Abtreibung viel diskutiert wurde, faßten Euthanasiebestrebungen wieder Fuß. Wortführer waren die Arztin Postma van Bovel und der Arzt Julius Hackethal. Sie sprachen sich für ärztlich assistierten Selbstmord bei alten Menschen und unheilbar kranken Menschen aus, für die der Tod eine Erlösung sein sollte. Heute werden Schwerstbehinderte und schwerbehinderte Kinder in die Überlegung mit einbezogen.
Begriffserklärung:
Euthanasie (griechisch) bedeutet wörtlich übersetzt eu = gut und thanatos = Tod, guter Tod beziehungsweise schönes Sterben.
Aktive Euthanasie: Das bedeutet Tötung auf Verlangen, das heißt der Tod wird durch die Gabe einer körperfremden Substanz auf Wunsch des Patienten herbeigeführt.
Passive Euthanasie: Der Arzt verzichtet auf Wunsch des Patienten auf lebens- verlängernde Maßnahmen, indem er keine intensivmedizinischen Interventionen vornimmt und zum Beispiel kein Beatmungsgerät anlegt. Der Patient stirbt infolge seiner Erkrankungen und der Arzt lässt das Sterben zu.
Indirekte Euthanasie Um die Schmerzen in einem für den Patienten erträglichen Rahmen zu halten, muss die Dossierung von Opiaten manchmal so hoch angesetzt werden, daß eine lebensverkürzende Wirkung wahrscheinlich ist. Der Arzt beabsichtigt aber nicht die Tötung des Patienten, sondern ermöglicht ihm ein erträgliches Sterben. Indirekte Euthanasie unterscheidet sich also von aktiver Euthanasie in der fehlenden Tötungsabsicht des Arztes. Indirekte Euthanasie ist rechtlich zulässig.
Freiwillige Euthanasie: entspricht der aktiven Euthanasie; unfreiwillige Euthanasie ist dagegen die Tötung eines Patienten, der seinen Willen nicht artikulieren kann (Neugeborene, Geisteskranke) und fällt in den Ermessenskreis des behandelnden Arztes.
Beihilfe zur Selbsttötung (assistierter Suizid): Das meint die Beschaffung eines tödlichen Giftes oder das Anlegen einer tödlichen Infusion, die der Patient aber selbst einnimmt beziehungsweise auslöst. In Österreich ist die Beihilfe zum Suizid strafbar. Anders stellt sich die Rechtsituation in Deutschland dar: Da Suizid nicht strafbar ist, ist auch die Beihilfe dazu nicht strafbar. Dies gilt nur dann, wenn der Suizid ganz sicher völlig freiwillig begangen wurde und die Beihilfe nicht zu Tötung auf Verlangen wurde.
Die meisten christlichen Konfessionen akzeptieren die passive Sterbehilfe, das gleiche gilt für die meisten östlichen Religionen, auch wenn die letzteren sich nicht so deutlich zu dieser Frage äußern. Die meisten Kirchen sind auch damit einverstanden, daß man einem unheilbar Kranken erlaubt zu sterben, ohne ihn mit außergewöhnlichen Behandlungsmethoden künstlich am Leben zu erhalten, weil sie den Tod als eine göttliche Fügung ansehen. Nur die Mormonen, einige protestantische Kirchen und andere Konfessionen, die sich strikt an den Wortlaut des Evangeliums halten, gehören im Westen zu den Gegnern der passiven Sterbehilfe. Im Osten wird sie nur vom Islam abgelehnt.
Nach jüdischer Auffassung kann die passive Sterbehilfe nach sorgfältiger Prüfung aller Umstände zulässig sein. Jüdische Denker sprechen von "indirekter Euthanasie", wobei der Tod eines Patienten -analog zu katholischen Vorstellungen- nur das unbeabsichtigte Ergebnis der Verabreichung eines Medikaments ist, mit dem die Schmerzen gelindert werden oder die Folge eines Abbruchs einer Behandlung.
Ganz anders ist die Einstellung der Kirchen zur Selbsttötung oder zur aktiven Sterbehilfe. Sie werden in der Regel offiziell und grundsätzlich abgelehnt. Nur in manchen reformierten Kirchen überläßt man die Entscheidung dem Gewissen des Einzelnen.
Am unmißverständlichsten hat sich die römisch-katholische Kirche zur Frage der aktiven Sterbehilfe geäußert. In der Erklärung des Vatikans zur Sterbehilfe aus dem Jahr 1980 heißt es:"Der Freitod oder Selbstmord ist daher ebenso wie der Mord nicht zu rechtfertigen; denn ein solches Tun des Menschen bedeutet die Zurückweisung der Oberherrschaft Gottes und seiner liebenden Vorhersehung."
Dennoch gibt es auch in der katholischen Kirche Ausnahmen.
Da es für den Selbstmörder keine Möglichkeit der Reue gibt, ist der Selbstmord für Juden eine größere Sünde als der Mord. Aus diesem Grund ist auch die aktive Sterbehilfe, ob mit oder ohne Zustimmung des Betroffenen, verboten.
"Nach dem jüdischen Gesetz hat die Linderung der Schmerzen eines Patienten, besonders im Todeskampf, Vorrang vor allen Überlegungen, wenn notwendig ist sie sogar wichtiger als seine Fähigkeit, sich spirituell und weltlich auf den Tod vorzubereiten, aber die Linderung der Schmerzen und Beschwerden darf nicht mit dem Leben selbst erkauft werden. Der Grund ist, daß der Judaismus dem menschlichen Leben einen unendlichen Wert beimißt. Da die Unendlichkeit unteilbar ist, bleibt auch jeder Teil des Lebens, so gering die Lebenserwartungen oder die Heilungschancen auch sein mögen, unendlich wertvoll."
Es gibt jüdische Autoritäten, die jede aktive und vorsätzliche Beschleunigung des Todes als" reinen Mord" bezeichnen.
Die Anhänger der Episkopaalkirche und die Anglikaner billigen die aktive Sterbehilfe, so lange sie sich rechtfertigen läßt, ebenso auch die Methodisten, Unitarier und Quäker. Aber die führenden Persönlichkeiten in diesen Glaubensgemeinschaften haben sich nicht zu dieser Frage geäußert. Die Lutheraner verurteilen die aktive Sterbehilfe. Die Mitglieder dieser Kirche wurden in einem 1979 erschienenen offiziellen Bericht in den USA darauf aufmerksam gemacht, daß die aktive Sterbehilfe auch dann eine Sünde bliebe, wenn sie eines Tages in den Augen der Gesellschaft nicht mehr als Verbrechen angesehen werden sollte.
Nicht uninteressant ist, daß die Bibel, die üblicherweise als die Grundlage des christlichen Glaubens gilt, den Freitod sehr viel neutraler und toleranter beurteilt.
Der berühmteste biblische Selbstmord ist der des Judas Ischariot, den er aus Reue wegen seines Verrats an Jesus Christus verübte. Fast ebenso bekannt ist die Geschichte von Saul, der sich zusammen mit seinem Waffenträger das Leben nahm, weil er es nicht ertragen konnte, von seinen Feinden gefangengenommen zu werden. Wie die Bibel berichtet, haben auch weitere Personen Selbstmord begangen, ohne daß sie in den biblischen Erzählungen deshalb moralisch verurteilt werden.
Die Bibel erzählt an mehreren Stellen ohne zu moralisieren, daß einzelne Menschen daran gedacht haben, Selbstmord zu begehen, was auch vom Propheten Jona berichtet wurde. Und als Jesus seine Jünger auf seinen Tod vorbereitete, heißt es:
"Da sprach Thomas, der genannt ist Zwilling, zu den Jüngern: >Laßt uns mitziehen, daß wir mit ihm sterben<"
In der Offenbarung des Johannes finden wir den Satz: "Und in den Tagen werden die Menschen de Tod suchen und finden; werden begehren zu sterben, und der Tod wird vor ihnen fliehen." (Off.9,6)
Auch die Hindus und Sikhs überlassen die Entscheidung dem Einzelnen und seinem Gewissen. Orthodoxe Buddhisten lehnen die aktive Sterbehilfe ab.
Was jedem unbefangenen Beobachter der Kirchengeschichte auffällt, ist, daß katholische und lutherische Theologen Abtreibung, Freitod und aktive Sterbehilfe mit dem Hinweis auf die Heiligkeit des Lebens nicht selten geradezu eifernd ablehnen, die christlichen Konfessionen dieser Heiligkeit des Lebens in Kriegen, Inquisition, Hexenwahn offensichtlich aber nur wenig Bedeutung beimaßen. Manche Kleriker, die sich vehement gegen die aktive Sterbehilfe einsetzen, haben auch noch nie ein Wort gegen die Todesstrafe geäußert. Es ist jedenfalls seltsam, daß sich zwar alle westlichen Länder als christlich bezeichnen, aber nur einige die Todesstrafe abgeschafft haben, und daß sich in dem Land, das am stolzesten auf seine christliche Tradition ist, in den USA, die von den Gerichten angeordneten Hinrichtungen häufen.
Der ehemalige Professor an der Universität in Cambridge und heutige Dekan der Kathedrale von Durham, P.R. Baelz, ist einer der wenigen, die sich mehr von menschlichen Bedürfnissen als von der Doktrin leiten lassen, wenn er schreibt:
"Die Berufung auf die Heiligkeit des menschlichen Lebens bedeutet unter Umständen nicht mehr, als daß menschliches Leben nicht mit Gewalt beendet werden kann, wenn es dafür keine überzeugenden moralischen Gründe gibt."
Außerdem meint Baelz, schließlich müsse jeder, der in eine besondere Lage gerät, seinem eigenen Gewissen folgen und seine eigenen moralischen Entscheidungen treffen. Wenn ein Christ davon überzeugt sei, der Selbstmord sei in jedem Fall ein Verstoß gegen die Gebote Gottes, dann müsse er auch jeden Gedanken an den Selbstmord vermeiden.
"Wenn das jedoch der Fall ist, dann muß er versuchen die Vorraussetzungen zu bestimmen, unter denen der Selbstmord zulässig ist und ihn auf die Fälle beschränken, in denen der Vorgang des Sterbens die Menschlichkeit des Individuums zu vernichten droht, bevor der Tod selbst eingetreten ist."
Gerald A. Larue, der 1984 eine zusammenfassende Darstellung über die Haltungen der Religionen zur aktiven Sterbehilfe verfaßt hat, kommt dabei zu dem Schluß, daß die Stellungnahmen führender Persönlichkeiten das Problem aus theologischer und akademischer Sicht, aber nicht aus der direkten Erfahrung von Schmerz und Leid behandeln. Er stellte jedoch fest:
"Einige liberale protestantische Kirchen, die sich zwar auch weiterhin in spirituellen Fragen von der Bibel leiten lassen, nehmen bei der Behandlung des Problems der Sterbehilfe für sterbenskranke Patienten, die an unerträglichen Schmerzen leiden, eine eher humane oder personenorientierte Haltung ein, als daß sie nur versuchen festzustellen, was die Bibel dazu sagt oder nicht sagt."
Eine zumindest originelle These vertritt die Philosophin Margaret Pabst Battin, die behauptet, die christliche Kirche habe mit ihrem Verbot der Selbsttötung im 4.Jahrhundert nur den Freitod aus übertriebenem Glaubenseifer verhindern wollen. Dieses Verbot habe sich nicht gegen jene Art der Selbsttötung gerichtet, die durch körperliche oder seelische Leiden, Altersschwäche oder Altruismus motiviert war.
Stellungnahme des Christentums:
Der Katechismus der katholischen Kirche nimmt zum Problem der Euthanasie in einem eigenen Kapitel Stellung:
Menschen, die versehrt oder geschwächt sind, brauchen besondere Beachtung, Kranke oder Behinderte sind zu unterstützen, damit sie ein möglichst normales Leben führen können. Die direkte Euthanasie besteht darin, daß man aus welchen Gründen und mit welchen Mitteln auch immer dem Leben behinderter, kranker oder sterbender Menschen ein Ende setzt. Sie ist sittlich unannehmbar. Eine Handlung oder eine Unterlassung, die von sich aus der Absicht nach Tod herbeiführt, um den Schmerz ein Ende zu machen, ist ein Mord, ein schweres Vergehen gegen die Menschwürde und gegen die Achtung, die man dem lebendigen Gott, dem Schöpfer, schuldet. Das Fehlurteil, dem man gutgläubig zum Opfer fallen kann, ändert die Natur dieser mörderischen Tat nicht, die stets zu verbieten und auszuschließen ist.
Die Moral verlangt keine Therapie um jeden Preis. Außerordentliche oder zum erhofften Ergebnis in keinem Verhältnis stehende aufwendige und gefährliche medizinische Verfahren einzustellen, kann berechtigt sein. Man will dadurch den Tod nicht herbeiführen, sondern nimmt nur hin, ihn nicht verhindern zu können. Die Entscheidungen sind vom Patienten selbst zu treffen, falls er dazu fähig und imstande ist, andernfalls von den gesetzlich Bevollmächtigten, wobei stets der vernünftige Wille und die berechtigten Interessen des Patienten zu achten sind.
Selbst wenn der voraussichtliche Tod unmittelbar bevorsteht, darf die Pflege, die man für gewöhnlich einem kranken Menschen schuldet, nicht abgebrochen werden. Schmerzlindernde Mittel zu verwenden, um die Leiden des Sterbenden zu erleichtern selbst auf die Gefahr hin, sein leben abzukürzen, kann sittlich der Menschenwürde entsprechen, falls der Tod weder als Ziel noch als Mittel gewollt, sondern bloß unvermeidbar vorrausgesehen und in Kauf genommen wird.
Die Betreuung des Sterbenden ist eine vorbildliche Form selbstloser Nächstenliebe;
sie soll aus diesem Grund gefördert werden.
Die unumstrittene Sterbehilfe
Unumstritten ist die sittliche Verwerflichkeit jeglicher Zwangseuthanasie, die eine Pseudo-Sterbehilfe darstellt. Zwangseuthanasie ist undiskutabel und verstößt gegen elementare Menschenrechte.
Ebenfalls unumstritten ist die ethische Verantwortlichkeit der echten Sterbehilfe oder Euthanasie ohne Lebensverkürzung. Bei dieser beschränkt sich der Arzt auf Verabreichung schmerzstillender oder betäubender Mittel. Solche Sterbehilfe, die das körperliche Leiden des Menschen auf ein erträgliches Maß reduziert und die auch die menschliche Psyche durch Psychopharmaka in der emotionalen Bewältigung der letzten Lebensphase unterstützt, ist rechtlich unbedenklich, ethisch verantwortbar und medizinisch geboten.
Schließlich ist auch die passive Sterbehilfe oder Euthanasie mit Lebensverkürzung als Nebenwirkung ethisch verantwortbar: also eine indirekte Sterbehilfe durch Abbruch der künstlichen Lebensverlängerung.
Dies alles ist eine Sterbehilfe, bei der der Arzt passiv bleibt und die Lebensverkürzung indirekt eintritt, und über diese passive oder indirekte Sterbehilfe gibt es heute keinen Streit mehr unter Arzten, Juristen und Theologen.
Die umstrittene Sterbehilfe: der "Gnadentod"
Heftig diskutiert hingegen wird die aktive Sterbehilfe, die aktive Euthanasie, welche auf Lebensverkürzung abzielt.
Der Mensch hat aufgrund seiner autonomen Verfügungsgewalt über sich selbst das Recht auf aktive Sterbehilfe, und der liberale Rechtsstaat hat durch Gesetzgebung und Rechtssprechung die Wahrnehmung dieses Rechts zu ermöglichen -das sagen zumindest die meisten nicht christlichen oder nicht religiösen Befürworter. Wenn die Kirchen als weltanschauliche Minderheiten eine andere Auffassung haben, so haben sie die übrigen Menschen nicht zu bevormunden. Jeder Mensch, der es wünscht, soll, vorrausschauend, sterbeverzögernde Maßnahmen einer technischen Medizin durch eine individuell abgefaßte Patientenverfügung in Grenzen halten können. Seine Patientenverfügung soll auch für die Arzte rechtlich verbindlich sein, es sei denn, es gäbe beweißkräftige Gründe, daß sie dem akuten Willen des Patienten nicht mehr entspricht. Zugleich wird die Legalisierung der freiwilligen aktiven Sterbehilfe angestrebt. Nicht der Arzt ist Herr über Leben und Tod, sondern der betroffene Mensch allein, der gegenüber dem Arzt sein Recht geltend machen darf und soll.
Die vor allem christlich orientierten Gegner, unter denen sich nicht nur viele Theologen, sondern auch viele Juristen und Arzte befinden, sind strikt gegen aktive Sterbehilfe. Dem Menschen ist es sittlich nicht erlaubt, über sein Leben zu verfügen. Der Arzt ist (man zitiert den "hippokratischen Eid") zum Heilen und Lindern der Schmerzen da und nicht zum Töten. Juristen meinen, daß der Rechtsstaat im Interesse einer wohlverstandenen Freiheit der menschlichen Person die Tötung auf Verlangen nicht zulassen kann. Und manche Theologen nehmen als entscheidendes Argument, daß das menschliche Leben auf einem Ja Gottes zum Menschen beruhe, und es ist Gottes Schöpfung und Gabe und dadurch der menschlichen Verfügungsgewalt grundsätzlich entzogen.
Die Argumente der Theologie
Das menschliche Leben ist ein Geschenk der Liebe Gottes, eine Gabe Gottes und deshalb unverfügbar. Aber das Leben ist zugleich auch des Menschen Aufgabe und so in unsere eigene (nicht fremde!) verantwortliche Verfügung gegeben:
eine Autonomie, die in Theonomie gründet.
Das Leben ist allein Gottes Schöpfung. Aber ist es nicht nach des Schöpfers Willen zunächst freiwillige Schöpfung der Eltern, und gerade so von Anfang an in des Menschen Verantwortung gestellt?
Der Mensch muß bis zum verfügten Ende durchhalten. Doch welches Ende ist verfügt? Verfügt wirklich Gott die Reduktion des menschlichen Lebens auf rein biologisches Leben?
Die "vorzeitige" Rückgabe des Lebens ist ein menschliches Nein zum göttlichen Ja, eine Zurückweisung der Oberherrschaft Gottes und seiner liebenden Vorhersehung. Das käme einer Verletzung eines göttlichen Gesetzes, einem Verbrechen gegen das Leben gleich.
Hinter solchen und ähnlichen Argumenten steht ein schiefes Gottesbild das auf einseitig gewählten und wörtlich genommenen Bibeltexten beruht: Gott als der einfach über den Menschen souverän verfügende Schöpfer, sein unbeschränkter Herr und Besitzer, absoluter Herrscher, Gesetzgeber und Richter. Nicht aber Gott als der Vater der Schwachen, Leidenden, Verlorenen, der dem Menschen Leben spendet, der den Menschen als einen freien, verantwortungsvollen Partner haben will!
Es soll Theologen geben, die eine "leidfreie" Gesellschaft befürchten- und man fragt sich, in welcher Welt sie leben. Ja, es gibt Theologen, die in diesem Zusammenhang einen "Anteil am Leiden Christi" fordern- als ob Jesus selber die unerträglichen Leiden eines durch die Medizin am Leben erhaltenen Todkranken befürwortet hätte!
Ein theologisch verantworteter Weg der Mitte
Selbst in der katholischen Moraltheologie betont man, daß nicht die maximale Verlängerung des Lebens im biologischen Sinn der letzte Bewertungsmaßstab sein muß, sondern die Verwirklichung der humanen Werte, denen das biologische Leben untergeordnet ist. So hat schon 1980 der katholische Tübinger Theologe Alfons Auer erklärt, die traditionelle theologische Begründung für die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens sei letztlich nicht überzeugend. Nicht jede Selbsttötung des Menschen (und damit auch nicht die aktive Euthanasie) sei deshalb von vornherein absolut und als unsittlich auszuschließen. Jeder Mensch hat nach Auer ein Recht darauf, seine Gewissensentscheidung von anderen respektiert zu sehen. Der ethischen Reflexion steht es nicht zu, persönliche sittliche Entscheidungen zu bewerten. Ihr obliegt die Aufgabe, in den verschiedenen Bereichen menschlichen Lebens Verbindlichkeiten sichtbar zu machen. Schon Karl Barth hatte als Grenzfall bejaht, daß nicht jede Selbsttötung an sich und als solche auch Selbstmord sei:
"Selbsttötung muß ja nicht notwendig ein Nehmen des eigenen Lebens sein. Ihr Sinn und ihre Absicht könnte ja auch eine bestimmte, allerdings extremste Form der dem Menschen befohlenen Hingabe seines Lebens sein."
Deswegen treten die meisten Christen und Theologen für einen theologisch und christlich verantworteten Weg der Mitte einzutreten: zwischen einem anti-religiösen Libertinismus ohne Verantwortung ("unbeschränktes Recht auf Freitod") und einem reaktionären Rigorismus ohne Mitleid ("Auch Unerträgliches ist als gottgegeben gottergeben zu ertragen.") Sie sind der Meinung, daß Gott dem sterbenden Menschen die Verantwortung und Gewissensentscheidung für Art und Zeitpunkt seines Todes überlassen hat.
Diese Selbstbestimmung ist kein Akt des Trotzes gegen Gott, sondern eine Abgrenzung gegenüber anderen Menschen: Wie kein Mensch einen anderen zum Sterben drängen, nötigen oder zwingen darf, so auch keiner zum Weiterleben. Und gibt es denn eine persönlichere Entscheidung als die des Todkranken über die Beendigung oder Nicht-Beendigung seines Leidens? Wenn das ganze Leben von Gott in die Verantwortung des Menschen gestellt ist, dann gilt diese Verantwortung auch für die letzte Phase seines Lebens.
Rechtliche Situation:
Grundsätzlich ist festzuhalten, daß Euthanasie im Sinne von aktiver Sterbehilfe in allen Ländern verboten ist. Die rechtliche Beurteilung der Beihilfe zur Selbstmord ist jedoch unterschiedlich:
Österreich:
: Wer einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet, ist mit Freiheitsstrafen von 6 Monaten bis zu 5 Jahren zu bestrafen.
Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren zu bestrafen.
In Österreich steht also sowohl aktive, als auch jegliche Form der Beihilfe zum Selbstmord unter Strafe und zwar ohne jede Einschränkung.
Deutschland:
§216: Tötung auf Verlangen: Abs.1: Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren zu erkennen.
Abs.2: Der Versuch ist strafbar.
Nicht strafbar jedoch ist in Deutschland die Beihilfe zum Selbstmord, sie gilt als "tatbestandslose Handlung". Besorgt also A für B ein Gift und nimmt B das Gift, bleibt A straffrei. Ist allerdings A bei der Gifteinnahme anwesend, droht ihm eine Bestrafung wegen unterlassener Hilfeleistung.
Australien:
1996 verabschiedete der australische Staat das weltweit erste Gesetz, das aktive Sterbehilfe und ärztlich Suizidbeihilfe für das Nordterritorium erlaubte, wenn:
der Patient 18 Jahre alt ist, psychisch gesund ist und unzumutbar leiden muß.
der Arzt sicher ist, daß der Patient die Entscheidung freiwillig, ohne äußeren Druck gefällt hat. Angehörige werden in die Entscheidungssituation nicht eingebunden. Er muß den Patienten umfassend über Krankheit, Prognosen und weitere Therapieformen informiert haben. Ein zweiter und dritter Arzt muss die Prognose bestätigen und sicherstellen, daß der Patient nicht an einer klinischen Depression leidet.
der Prozeß der Entscheidungsempfindung in folgenden Schritten vor sich geht: Bitte des Patienten um Sterbehilfe, nach sieben Tagen Unterschrift unter ein Formular mit allen nötigen Details, nach weiteren 48 Stunden kann die Euthanasie vorgenommen werde.
Niederlande:
Voraussetzung für ärztliche Tötung sind strikte Freiwilligkeit, dauerhaftes Todesverlangen und unerträglicher Leidenszustand des Patienten. Ende der 80er Jahre wurden Stimmen laut, dieses Provisorium in ein Gesetz zu verwandeln. Mit Juni 1994 trat ein geändertes Bestattungsgesetz in Kraft, nach dem Euthanasie als reguläre Todesursache anzugeben ist. Euthanasie bleibt also im Prinzip strafbar, bei Beachtung der Richtlinien kann der Arzt jedoch davon ausgehen, nicht bestraft zu werden.
Wie kann man eine Eingrenzung vornehmen?
Laut dem 1991 veröffentlichten Remmelink - Report wurden 1990 2300 Menschen durch aktive Euthanasie getötet, dazu kamen 400 Fälle von Beihilfe zu Suizid und ca. 5800 Fälle, bei denen eine hohe Dosis von Schmerzmitteln mit dem Ziel der Beschleunigung des Todes gegeben wurde. In 1000 Fällen gaben die Arzte Tötung des Patienten ohne Einwilligung des Patienten zu, wobei die Dunkelziffer wesentlich höher liegt.
Hauptmotive für den Wunsch nach Euthanasie waren:
Sterbende sind besonders sensibel. Sie spüren, daß sie für ihre Umgebung eine Belastung sind, daß ihr Leiden sinnlos ist, daß ihr Leben, in den Augen ihrer Umgebung, nicht mehr lebenswert ist und sie mit ihren Schmerzen und ihrer Eingeschränktheit eine Zumutung darstellen.
In einer Stimmung, die Euthanasie straffrei lässt, kann es hier leicht zu einer Entscheidung den anderen zuliebe kommen. Denn die freie, selbstbestimmte Entscheidung über Leben oder Sterben wird in dem Moment unmöglich, wo der Patient auf einen anderen angewiesen ist.
Gilt die Tötung auf Verlangen als gesellschaftliche Normalität, so wird vielen von ihnen dieses Verlangen bald als soziale Pflicht erscheinen. Wohin diese Entwicklung in den Niederlanden führt, zeigt die jüngst aufgeflammte Diskussion in Den Haag, ob man todkranken Kindern ( eventuell ab dem Alter von 12 Jahren) das Recht auf Euthanasie einräumen soll ohne Berücksichtigung des elterlichen Willens.
"Sofern der Tod eines behinderten Säuglings zur Geburt eines anderen Säuglings mit besseren Aussichten auf ein glückliches Leben führt, dann ist die Gesamtsumme des Glücks größer, wenn der behinderte Säugling getötet wird. Der Verlust eines glücklichen Lebens für den ersten Säugling wird durch den Gewinn eines glücklicheren Lebens für den zweiten aufgewogen. Wenn daher die Tötung des hämophilen Säuglings keine nachteilige Wirkung auf andere hat, dann wäre es nach der Totalansicht richtig, ihn zu töten."
Bei der freiwilligen Euthanasie setzt Singer immer Personen voraus, die unheilbar krank an stark quälenden Schmerzen leiden. Diese Vision versetzt die Menschen in Furcht vor einem Leben, das im Sinne Singers nicht mehr lebenswert ist. Ihnen soll durch die freiwillige Euthanasie die Möglichkeit geboten werden, ihrem gequälten Leben ein legitimes Ende zu setzen.
Eine makabre Diskussion über das Lebensrecht eines Säuglings findet man bei Hoerster "Neugeborene und das Recht auf Leben" (1995). Im 2. Kapitel, das mit dem Titel "Kritik an der Position Peter Singers" überschrieben ist, diskutiert Hoerster die Frage, ab wann dem Säugling ein Lebensrecht zugesprochen werden muß. Während Singer dieses erst mit drei Monaten ansetzt und als "Sicherheitsspielraum" auf einen Monat nach der Geburt zurückgeht, kommt Hoerster nach langer Diskussion zu dem Ergebnis:
"Das Recht auf Leben erhält jedes geborene menschliche Individuum mit einem Gesamtalter von mindestens 28 Wochen. Unter dem "Gesamtalter" eines menschlichen Individuums verstehe ich dabei sein Lebensalter als Individuum, gerechnet vom Zeitpunkt der Empfängnis."
Der Wunsch nach Euthanasie ist in einer Zeit, in der Palliativmedizin immer größere Erfolge in der Bekämpfung unendlich starker Schmerzen aufweisen kann, immer auch der Ausdruck eines Gesellschaftsbildes, das keinen Platz mehr für Individuen hat, die nichts unmittelbar Produktives für die Gesellschaft bieten, und das läßt man kranke, alte und behinderte Menschen spüren.
Hospize waren durch Jahrhunderte hin Raststätten der Barmherzigkeit, wo Pilger, Reisende und Fremde auf ihrem Reiseweg Aufnahme fanden. Der Begriff hat heute eine neue Bedeutung gewonnen.
Hospize sind, das erkannten auch bald die Kritiker, keine Sterbehäuser, sondern die Antwort auf die heutige Frage nach Lebensorte für Sterbende.
Heute können Hospize Zwischenstationen, aber auch Endstationen bedeuten. Immer steht der Wunsche des Patienten im Mittelpunkt, wo er seinem Lebensende entgegengehen will. Die Familie ist in einer solchen Situation meist überfordert, eine Entscheidung zu treffen, die sowohl den Wünschen des Patienten gerecht wird, aber auch die eigenen Kräfte nicht überfordert. In der Geborgenheit eines Hospizes sind aber auch jene Menschen nicht einsam, die ihren letzten Weg allein antreten müssen, weil es keine ihnen mehr nahestehenden Menschen gibt.
Der Schmerz und das Leid lassen sich aus dem menschlichen Leben nicht verbannen. Der Mensch kann an der Annahme des Schmerzens, ob körperlicher oder seelische Art, reifen und wachsen, er kann daran auch zerbrechen beziehungsweise zugrunde gehen. Schmerzen können einen Menschen so beherrschen, daß alles andere davon überschattet wird.
Schmerzen zu ertragen wurde bislang als unumgängliches Schicksal betrachtet. Ein Umdenken hat aber bereits eingesetzt. Erst in den letzten Jahren wurde die Anwendung einer umfassenden und gezielten Schmerztherapie als wichtiger Bestandteil der medizinischen Behandlung todgeweihter Patienten angesehen. Für das Jahr 2000 hat daher die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Ziel formuliert, daß jeder Krebskranke künftig ohne Schmerzen und dadurch in Würde sterben könne. Die ursprünglichen Bedenken, das Leben des Menschen dadurch um Stunden oder Minuten zu verkürzen, wurden inzwischen zugunsten der dadurch gewonnen Lebensqualität bis zum natürlichen Lebensende zurückgestellt.
Zum Schluß bleibt nur noch zu sagen: Die Begleitung Schwerkranker, unheilbar Kranken ist in diesem Sinne als Hilfe im Sterben, nicht zum Sterben zu verstehen. Menschenwürdig sterben bedeutet, dem Sterbenden Raum für seinen Tod zu geben, ihm in der Annahme des Lebensendes nicht zu behindern, sondern zu begleiten.
Quellen:
Bioethik
Aktion Leben Österreich
Das Recht auf den eigenen Tod und eine menschenwürdige Sterbehilfe
Derek Humphry und Ann Wickett
Menschenwürdig sterben/ Ein Plädoyer für Selbstverantwortung
Walter Jens und Hans Küng
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