Franz Kafka - Vor dem Gesetz
Die Erzählung Kafkas beschreibt eine Situation, in der ein uns als
„vom Lande“ und damit fremd und leicht verunsichert
vorgestellter Mann zu einem Tor gelangt, hinter dem sich „das
Gesetz“ befindet. Vor diesem Tor erblickt er einen Türhüter, den er
um Einlass bittet. Seine Bitte wird abgelehnt, und der Fremde verbringt den
gesamten Rest seiner Lebenszeit um Einlass bittend vor dem Eingang zum Gesetz.
Kurz bevor er verstirbt, erfährt er noch vom Türhüter, dass kein anderer Mensch
den Eingang zum Gesetz frequentierte, da dieser ausschließlich für ihn bestimmt
war und nun, angesichts seines Todes, geschlossen werde.Während der Fremde sein
Leben wartend verbrachte, stand die Tür zum Gesetz ununterbrochen offen. Er
hätte also jederzeit hineingehen können. Die Vorraussetzung dafür wäre
allerdings gewesen, dass sich der Mann aus seiner bittenden Rolle gegenüber dem
Türhüter löst und diesen passiert. Er wäre dabei nicht aufgehalten worden, wenn
man davon ausgeht, dass das Gesetz hinter dem Tor zu finden ist. Denn ein
Gesetz verdient nur dadurch seinen Begriff, dass es für alles die gleiche
Gültigkeit und Offenheit besitzt. Doch anstatt sich aus der Illusion zu
befreien, der Türhüter sei ein Hindernis für den das Gesetz Aufsuchenden,
vertieft sich der Fremde immer in die Betrachtung des Türhüters. Er sieht ihn
ununterbrochen an und entdeckt immer mehr Details, die ob ihrer Winzigkeit den
Türhüter noch größer und unüberwindbarer erscheinen, seine Autorität ins Unendliche
wachsen lassen. Daran wird deutlich, dass der Fremde nicht genug Glauben und
Verständnis für das Gesetz mitbringt. Mit zunehmendem Alter nimmt er es
offensichtlich zwar als einen schwachen Schein, der aus der Tür fällt, wahr,
seine Untätigkeit lässt uns jedoch darauf schließen, dass diese Wahrnehmung zum
Erkennen des Gesetzes nicht ausreicht. Aufrecht erhalten wird dieser Mangel
dadurch, dass der Türhüter stets auf dem Sprung in die Zukunft existiert.
Jedesmal, wenn er behauptet, das Betreten des Gesetzes sei für den Fremden
grundsätzlich schon, jedoch nur aktuell noch nicht möglich, spricht er eine
selbsterfüllende Prophezeihung aus. Denn er leugnet damit die reelle Existenz
des Gesetzes hinter dem Tor nach der vorangegangenen Definition. Man kann ihm deshalb
auch am Ende nicht vorwerfen, gelogen zu haben„Vor dem
Gesetz“ ist von Franz Kafka in einer sehr subjektiven, von dem
Fremden ausgehenden Ansicht verfasst. Es erscheint uns als eine Parabel, in der
der Türhüter als projizierter Zweifel, also als eine im Fremden existente
Instanz verstanden werden kann. Fast unmerklich wird auch für den offenen Leser
dieses Hindernis immer mächtiger und überwältigender geschildert. Durch
Detailbeschreibungen bekommt es eine immer präsentere und autoritärere Maske,
sodass sich der Leser am Ende selbst fragen muss, ob sein Idealismus und sein
Glaube für das Passieren des Zweifels ausreichend gewesen wären.Kafka schildert
in „Vor dem Gesetz“ das Schicksal eines Menschen, der sich
seiner Freiheit nicht bewusst selbst gefangenhält und somit die Objektivität in
seinen Gedanken nicht erfassen kann.