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»Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, heisere Aufschreie im Zuschauerraum. Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht.«
Was an diesem Theaterabend in Mannheim man schrieb den 13. Januar 1782 hervorbrach, war die leidenschaftliche Rebellion gegen eine als morsch empfundene Welt. Und wie niemals zuvor und wie später kaum mehr gab sich das Publikum, ein Augenzeuge berichtete davon, frenetischem Beifall hin; unter stürmischen Tumulten feierte es das Stück, dessen Uraufführung es erlebt hatte. Das Stück hieß Die Räuber, und der Verfasser war ein unbekannter Regimentsmedikus aus Stuttgart, Friedrich Schiller.
Sieben Jahre vor der Französischen Revolution brachen hier all die angestaute Wut, Hass und Rachegelüste gegen die Willkür und Ungerechtigkeit des absolutistischen Staates, ja gegen die ganze bestehende Welt aus. Karl Moor, der Held des Dramas, weist nach einer von seinem Bruder Franz angezettelten Intrige, durch die sich sein Vater und die Geliebte von ihm abwenden, jegliche Ordnung von sich. Enttäuscht von den Menschen, der Welt und Gott, wird er zum Hauptmann einer Bande von Räubern und Mördern, um sein Leid an »diesem Jahrhundert« zu rächen. Er fordert Freiheit, muss freilich bald erkennen, dass grenzenlose Freiheit die verletzte göttliche Weltordnung nicht wiederherstellen kann. Durch die Untaten der Bande in immer tiefere Schuld verstrickt, löst er sich von ihr und stellt sich der Justiz: »da steh ich am Rande eines entsetzlichen Lebens, und erfahre nun mit Zähnklappern und Heulen, dass zwei Menschen wie ich den ganzen Bau der sittlichen Welt zugrund richten würden. Gnade Gnade dem Knaben, der Dir vorgreifen wollte«.
Karl muss erkennen, dass die irdische Ordnung immer nur das unvollkommene Abbild der vollkommenen göttlichen Ordnung darstellt. Trotz dieser idealistischen Lösung des Konflikts wurde Karl Moors Aufbegehren als das verstanden, was es war: ein politisch-revolutionärer Aufschrei gegen tyrannische Staatsgewalt. Willkür, Korruption und Ungerechtigkeit des absolutistischen Fürsten hatte Schiller am Stuttgarter Hof aus nächster Nähe beobachten können.
Am 10. November 1759 in Marbach als Sohn eines herzoglich-württembergischen Offiziers geboren, hatte Schiller in Lorch und Ludwigsburg eine angeblich glückliche, idyllische Kindheit verbracht. 1773 aber trat ein Ereignis ein, das seine Jugend fortan bestimmte.
Der württembergische Herzog Karl Eugen hatte zur Rekrutierung geeigneten Offiziers- und Beamtennachwuchses eine militärische Pflanzschule gegründet; um sie mit Schülern zu füllen, erging in selbstherrlicher Manier an seine Offiziere und Beamten die Weisung, begabte Söhne dafür abzustellen. Am 16. Januar 1773 lieferte der Hauptmann Schiller seinen Sohn in der bei Stuttgart gelegenen Solitude ab.
Sieben Jahre lang war Schiller in das Korsett penibelster Ordnung gepresst; es gab keine Schulferien, keinen Urlaub, kaum freie Stunden, Spaziergänge mit den Eltern wurden unter militärischer Bewachung vorgenommen. Sieben Jahre der militärischen Disziplin, der Entwürdigung da dem Herzog Schillers rotes Haar nicht gefiel, musste er es weiß pudern!, der Demütigung. Am Ende, 1780, konnte Schiller auf ein abgeschlossenes Medizinstudium zurückblicken, zwei Jahre noch lebte er als berüchtigter Regimentsmedikus in Stuttgart, seinem »Loch der Prüfung«.
Das Gefühl, vieles versäumt zu haben, wurde Schiller sein Leben lang nicht los. Seine Dynamik, geistige wie körperliche, erwuchs daraus, aber auch stetige Unrast, der Drang, alles, was versäumt, was ihm verwehrt worden war, mit ungeheurem Aufwand an Energie doch noch zu erzwingen. »Kein Deutscher ist wie er so ganz Bewegung«, schrieb dazu 1905 Hugo von Hofmannsthal, »sein Leben und sein Tod gleicht dem des Fackelläufers, der in sich verzehrt aber mit brennendem Licht ans Ziel kam, sterbend hinstürzte und so stürzend, so sterbend ein ewiges Sinnbild blieb.«
Trotz seiner Krankheiten und Gebrechen, trotz der Hinfälligkeit des Leibes, die er selbst schmerzlichst erfahren musste, forderte er von und für sich Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Epigramme wie das folgende sprechen es lakonisch aus: »Würde des Menschen. Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen. Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst.«
Bereits 1777, noch als Zögling der Stuttgarter Militärakademie, begann er die Räuber. Getrieben vom Hass auf Herzog Karl Eugen, das Schicksal des Dichters Schubart vor Augen, der insgesamt zehn Jahre lang auf der Festung Hohenasperg eingekerkert war und dem er den Stoff zu den Räubern verdankte, sollte es ein Buch werden, »das aber durch den Schinder absolut verbrannt werden muss!«
1781 schließlich war es beendet. Auf eigene Kosten ließ er es drucken, über den Buchhändler und Kammerrat Schwan in Mannheim gelangte es zu von Dalberg, dem Intendanten des Mannheimer Hof- und Nationaltheaters. Von Dalberg zeigte sich interessiert, und nach einigen Umarbeitungen fand dort schließlich die Uraufführung statt. Schiller war mit einem Schlag berühmt.
Im Juli dieses Jahres allerdings wurde er für vierzehn Tage in Arrest genommen, da er sich wie schon bei der Uraufführung ohne Urlaub nach Mannheim begeben hatte. Im August schließlich untersagte der Herzog Schiller das »Komödienschreiben«.
Schiller floh aus Württemberg. Mit seinem Freund, dem Musiker Andreas Streicher, von dessem Geld er hauptsächlich lebte, quartierten sie sich nach kurzen Aufenthalten in Mannheim und Frankfurt inkognito in Oggersheim ein. Den Fiesko, den er mittlerweile fertig hatte, lehnte von Dalberg ab. Als vermeintliche Häscher des württembergischen Herzogs auftauchten, drängte man erneut zur Flucht. Eine mütterliche Freundin aus Stuttgart, Frau von Wolzogen, stellte ihr kleines Gutshaus im thüringischen Bauerbach zur Verfügung.
Bis Mitte des nächsten Jahres blieb Schiller dort, entwarf Pläne für Don Carlos und Maria Stuart und schrieb Kabale und Liebe, eine scharfe Anklage gegen die leeren Konventionen einer ehrlosen Adelsschicht, deren Intrigenspiel zwei Liebende zum Opfer fallen.
1783 war er wieder in Mannheim, wo von Dalberg ihm die Stelle des Theaterdichters angetragen hatte. Nach Ablauf des einjährigen Kontraktes war Schiller mit Schulden überhäuft, seine Gesundheit schwer angeschlagen; das »kalte« Fieber, eine Seuche aus den versumpften Festungsgräben der Stadt, das er sich kurz nach der Ankunft zugezogen hatte, ließ ihn den gesamten Winter nicht los. Von Gläubigern und dem Fieber gepeinigt, wurde das Leben ihm zur Qual.
In dieser Situation erinnerte er sich an einen Brief, den vier unbekannte Verehrer, der Konsistorialrat Körner, der Lektor Huber und ihre Verlobten, zwei Schwestern, bereits sieben Monate vorher geschrieben hatten. Er antwortete und erhielt prompt die Einladung, nach Leipzig zu kommen.
Die folgenden zwei Jahre, 1785 bis 1787, verbrachte Schiller als Gast Christian Gottfried Körners in Leipzig und Dresden. Eingebettet in den schwärmerischen Freundeskreis, getragen von den Finanzen Körners, entstanden hier die Prosaerzählungen, begann er die Arbeit am Geisterseher und seine historischen Studien.
1787 allerdings drängte es ihn weiter, in die Nähe des intellektuell weit reizvolleren Weimar, wo Goethe der sich gerade nach Italien beurlaubt hatte, Herder und Wieland lebten.
In den nächsten Jahren schrieb er vor allem an historischen Darstellungen, der Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung, die ihm 1788 eine Professur für Geschichte in Jena eintrug, und an und der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Zuvor allerdings hatte er bei einem Besuch in Rudolstadt die Familie von Lengefeld kennengelernt; im Februar 1790 heiratete er die jüngere Tochter Charlotte. Und er war, am 7. September 1788, Goethe begegnet, der, geprägt noch von seinem Italienerlebnis, mit dem leidenschaftlichen Schiller wenig anzufangen wusste. »Schiller war mir verhasst«, lautete sein missgestimmtes und voreiliges Urteil. Erst im Sommer 1794 kam es zur erneuten und nun dauerhaften Annäherung der beiden Dichter. Doch dazwischen lag ein wesentlicher, intensiver Abschnitt ins Schillers Biographie, der sein weiteres Leben und Schaffen entscheidend prägte.
1791 erlitt er einen schweren gesundheitlichen Rückschlag, wahrscheinlich Folge des Mannheimer Fiebers, mit Fieberdelirien, Brust- und Unterleibskrämpfen; er gab Eiter und Blut von sich, zeitweilig setzte sogar der Puls aus. Anhand der Symptome diagnostizierte man eine Lungenentzündung mit Rippenfelleiterung; dass er überlebte, glich einem Wunder er sollte sich davon jedoch nie mehr erholen.
In dieser Zeit richtete sich Schillers Interesse zunehmend auf die Philosophie Kants. Aus der Beschäftigung mit dessen Schriften entstanden u. a. die Studien Über Anmut und Würde, Vom Erhabenen, Über die ästhetische Erziehung des Menschen und Über naive und sentimentalische Kunst, die bis heute zu den bedeutendsten und einflussreichsten Beiträgen zur Asthetik gehören.
Ein Gespräch mit Goethe über die Urpflanze und ein anschließender Brief Schillers begründeten im Sommer 1794 die Freundschaft zwischen den Dichtern. Nach sieben Jahren, in denen er ausschließlich historische und philosophische Werke verfasst hatte, kehrte er nun zur Dichtung zurück. Gemeinsam mit Goethe schrieb er für den von ihm herausgegebenen Musenalmanach die Xenien, 1797 entstanden im Wettstreit mit Goethe die Balladen (u. a. Der Taucher, Der Handschuh, Die Kraniche des Ibykus). Und er begann die Arbeit am Wallenstein, der 1799 beendet wurde.
Im Dezember dieses Jahres siedelte die Familie Schiller nach Weimar über. Kaum ein Tag verging, an dem sich Goethe und Schiller nicht getroffen und gesprochen haben. Und mit der ihm eigenen Energie, bereits im Zeichen des Todes lebend, machte er sich nun an die Dramenproduktion der letzten Jahre; 1800 beendete er Maria Stuart, 1801 Die Jungfrau von Orleans, 1803 Die Braut von Messina, 1804 schließlich sein letztes vollendetes Stück den Wilhelm Tell.
Das Stück, »ein herrliches Werk, schlicht, edel und groß, effektvoll und bewegend prachtvolles Theater und vornehmstes dramatisches Gedicht«, so Thomas Mann, wurde zum volkstümlichsten aller Werke Schillers. Die Idee der Freiheit erfährt hier ihre Verwirklichung in der Welt. Das unterdrückte Volk der Schweizer schüttelt die tyrannische Herrschaft des kaiserlichen Landvogts Geßler ab. Stellvertretend für das Volk begeht Tell aus Einsicht in die sittliche Notwendigkeit den Tyrannenmord, Menschlichkeit und Freiheit werden möglich.
Es hebt die Freiheit siegend ihre Fahne.
Drum haltet fest zusammen fest und ewig
Kein Ort der Freiheit sei dem andern fremd
Hochwachen stellt aus auf euren Bergen,
Daß sich der Bund zum Bunde rasch versammle,
Seid einig einig einig []
Im Winter 1804, kurz vor der Geburt seiner zweiten Tochter, zog sich Schiller eine Erkältung zu; die Fieberanfälle setzten wieder ein, Darmkoliken und Ohnmachten kamen hinzu. Die Bauchfellentzündung, an der er seit zehn Jahren litt, war wohl in eine Darmverschlingung übergegangen.
Am 9. Mai 1805 starb Friedrich Schiller im Alter von 46 Jahren.
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