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Im Jahre 1547 setzte der Metropolit von Rußland die kaiserliche Krone Iwan IV. auf, einem 17jahrigen Jüngling, der bereits angefangen hatte, sich jenen Namen zu verdienen, unter dem er in der Geschichte bekannt ist: Iwan, der Schreckliche. Klug und weitsichtig, in der Heiligen Schrift bewandert und nach außen hin fromm, war er launenhaft wie nur je ein Wahnsinniger, der auf dem Thron gesessen hat. Ständig den Namen Gottes auf den Lippen befahl er für viele Tausende den Martertod, wobei es ihm Vergnügen bereitete, besondere Foltermethoden zu ersinnen und dem Todeskampf der Opfer zuzuschauen. Waren sie jedoch tot, schickte er Listen mit ihren Namen in die Klöster, damit für ihre Seelen gebetet werde. Eben noch ruhig und vernünftig, konnte er im nächsten Augenblick in einem Wutausbruch die Hinrichtung eines Elefanten befehlen, weil er nicht vor ihm hatte niederknien wollen. Hatte er gerade ein Blutbad unter seinen Untertanen angerichtet, brachte er es fertig, auf die Vorhaltungen des Metropoliten mit einem von Selbstmitleid erfüllten Seufzer zu antworten, auf den Kirchenmann zu weisen, der außer sich war vor Empörung, und zu sagen: "Sieh wie meine Freunde und Nachbarn sich gegen mich empören und Böses gegen mich im Schilde führen." (1)
Iwan, der Schreckliche wurde am25.August 1530 in Kolomenskoje bei Moskau geboren. Sein Vater war Wassilij III. und seine Mutter war Helena Glinskaja. Er war der Enkel von Iwan III. , der unter dem Beinamen der Große bekannt ist. Iwan war beim Tod seines Vaters drei Jahre alt. Helena nahm in Vertretung ihres Sohnes die Regentschaft auf sich, doch sie starb bereits 1538 (möglicherweise an Gift). Danach entwickelte sich unter den Bojaren augenblicklich ein Machtkampf um die Beherrschung der Thrones.
Diese Adeligen, die seit der Festigung des Moskauer Reiches unter Iwan dem Großen ein Übermaß an zaristischer Selbstherrlichkeit erlebt hatten, behandelten seinen Enkel mit einer an Grausamkeit grenzenden Verachtung. Sie unterbanden jeden Verkehr mit seinen Freunden und Lieblingsdienern und lümmelten sich seiner Gegenwart mit ihren Stiefeln auf dem Bett seines verstorbenen Vaters. Einmal stürzten etliche Bojaren im frühen Morgengrauen heftig diskutierend in das Zimmer des Jungen und erschreckten ihn fast zu Tode. In der Öffentlichkeit schlugen sie mit der Stirn vor ihm auf den Boden, doch wenn er alleine war, mußte Iwan hungern und hatte nichts Richtiges anzuziehen. Möglicherweise ist es eine Folge dieser Behandlung, daß Iwan bereits frühzeitig jene sadistische Haltung entwickelte, die für sein ganzes Leben bezeichnend war. Als Kind vergnügte er sich damit, kleine Tiere aus den Kremeltürmen zu werfen; als er alt genug war um zu reiten, trabte er durch Moskau und schlug seinen Untertanen mit der Knute ins Gesicht.
Mit 13 wurde Iwan sich offenbar zum ersten über das ungeheure Ausmaß seiner Macht klar und schlug zurück. Er ließ den ersten Bojaren ergreifen und von den Hundewärtern des Kremls ermorden.
Mit 17 nahm er, nachdem er vor seinem Gefolge eine verblüffend reife Rede über die Vorteile und Nachteile ausländischer und inländischer Eheschließung gehalten hatte, die ebenso kluge wie schöne Anastasia Romanowna, die Tochter eines Bojaren zur Frau; gleichzeitig ließ er sich zum Zaren krönen und legte besonderen Wert darauf, sein "Erwähltsein" in der Zeremonie, die er sich selbst ausgedacht hatte, darzustellen. Die Macht des russischen Zaren war damals nicht unumstritten: Viele Adelige unterhielten nämlich auf ihren eigenen Ländern Privatarmeen, sprachen auch Recht und waren weitgehend von ihrem Herrscher unabhängig. Iwan begann nun, die Rechte der Bojaren zu beschneiden: Er erließ zwar keine neuen Gesetze, aber er ließ einen Teil von ihnen zwangsversetzen, andere enteignete er oder ließ sie ins Kloster stecken.
Da sich der Zar im Kriegsfall nicht nur auf die unzufriedenen. Bojaren verlassen wollte, schuf er eine neue Klasse: eine Art "Dienstadel", die dem Zaren zu Lehensdiensten verpflichtet waren und als Ausgleich für geleistete Militärdienste Land (meist Grenzland) auf Lebenszeit zugewiesen bekamen. Arbeitskräfte Auf diesen Ländern waren die Bauern, deren Abwanderung man nur dadurch verhindern konnte, indem man sie fest ans Land band. Und das funktionierte am besten auf dem Weg der Verschuldung: Ein Gutsherr schoß einem Bauern Geld vor; dieser mußte dann bis zur Begleichung seiner Schuld auf dem Gut bleiben und hätte dann zu dem nächsten Gutsherren weiterziehen können. Er war in der Realität jedoch kaum jemals in der Lage, mehr als nur die Zinsen seiner Schulden zurückzuzahlen. So wurden die Bauern immer mehr in den Zustand der Leibeigenschaft übergeführt. Nur wenigen Mutigen gelang die Flucht und sie suchten ihre Freiheit am Rand des Reiches und schlossen sich den Tartaren oder den freiheitsliebenden Kosaken am Don an, die zwar nach ihren eigenen Gesetzen lebten, aber den Zaren immer wieder bei kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Nachbarvölkern unterstützten. Trotz dieser Hilfeleistung waren die Kosaken eine ständige Brutstätte für Aufstände und Anarchie.
Die ersten Jahre der Regierung Iwans werden gewöhnlich seine "gute" Periode (seine "hellen" Jahre) genannt, obwohl er Zeit seines Lebens ein sehr schwankender Charakter war. Nach einem unangenehmen Zwischenfall wenige Monate nach seiner Thronbesteigung, bei welchem er die Abgeordneten der Stadt Pskow mit kochendem Wein übergießen ließ und ihre Bärte versengte, wurde Iwan bald ruhig und vernünftig und erwarb sich bald den Ruf, einer der fähigsten Männer zu sein, die jemals Moskau regiert hatten.
Das Wohl seines Volkes stand für ihn immer im Vordergrund. Er wählte sich eine Anzahl humanitärer Ratgeber aus, darunter den Metropoliten, den Hofkaplan Silvester, seinen Beichtvater, sowie den Kammerherrn Alexei Adaschew, der nur ein unbedeutender Schreiber aus kleinem Landadel war, und ließ sich von diesem "Erwählten Rat" in allen Belangen unterstützen und beraten. Die Auswahl dieser beiden Männer stellte sich sehr bald als äußerst klug heraus:
Silvester motivierte ihn, eine flammende Rede an das Volk von Moskau zu halten, in welcher er sprach: "Gott hat mir sein Volk anvertraut! Ich bitte Euch, Gott zu vertrauen und mich zu lieben. Ich werde in Zukunft Euer Richter und Euer Beschützer zu sein." Als Iwan während dieser Rede in Tränen ausbrach, kam Beifall auf und zwischen dem Herrscher und seinem Volk entstand ein enger, persönlicher Kontakt. Von der Ernennung Adaschews erhoffte sich der Herrscher, daß er ihm bei der Bekämpfung der Korruption helfen und auch gesellschaftliche Probleme in den Griff bekommen werde.(2)
Als Iwan erkannte, daß sein Volk in technischen Belangen hinter dem übrigen Europa zurückstand, ließ er aus Westeuropa Gelehrte und Ingenieure ins Land kommen.
1550 berief er zum erstenmal den "Semski Sobor" ein, eine Landesversammlung, in der Klerus, Erbadel, Dienstadel und sogar Kaufleute vertreten waren. Es handelte sich hier aber um kein Parlament, da die Mitglieder nicht gewählt, sondern nur ernannt worden waren und eigentlich nur die Vorschläge des Zaren gutzuheißen hatten. Iwan hörte sich aber auch Beschwerden der Bevölkerung an und unternahm manchmal sogar den Versuch, deren Ursachen zu beseitigen. In diese Zeit fielen auch die Neufassung und Liberalisierung des Gesetzbuches (genannt "Sudjebnik"), das die Korruption in der Rechtsprechung eindämmen sollte, eine umfassende Reform der Provinzialverwaltung und des Steuerrechts sowie die Neuregelung der Rechte der Kirche. Die Kirchenreform fand nach dem Konzil 1551 in einem Dokument mit dem Titel "Stoglaw" (100 Kapitel) ihren Niederschlag. Darin wurde ausdrücklich auf die bei Geistlichen erwünschten Tugenden hingewiesen und die Notwendigkeit der Ausbildung junger Geistlicher betont, die bis dahin oft nicht einmal lesen und schreiben konnten.
Ein weiteres wichtiges Dokument aus dieser Zeit, das der Erziehung der Bevölkerung dienen sollte, war der "Domostroj" ( "dom" = Haus, "stroj" = Aufbau, Ordnung). Dieses Werk war für die damalige Zeit fortschrittlich, obwohl Furcht und Strafe die Voraussetzungen für Gehorsam waren und für Jahrhunderte die Grundlage jeder russischen Hausordnung bildeten.
Nach diesen hoffnungsvollen Ansätzen im Inneren, wandte sich Iwan der Ostexpansion zu. 1552 zog er an der Spitze eines Heeres von 100000 Mann gegen das Khanat Kasan in den Krieg. Bei diesem Feldzug bediente sich Iwan der Hilfe westeuropäischer Belagerungsexperten. Sie zeigten, wie man eine Festung mit Schanzen und Gräben einschloß, fahrbare Belagerungstürme montierte, Mauern aus Holz, Steinen und festgestampften Lehm unterminierte und Pulverfässer in den Schächten installierte. Am zweiten Oktober 1552 nahm Iwan die große Festung an der Wolga ein und machte den Weg für den langen russischen Vormarsch nach Asien frei. Als er nach der gewonnenen Schlacht in Moskau wie ein gottähnlicher Friedensfürst einzog, war sein Volk begeistert. "Angetan mit dem Festgewand wie am lichten Tag der Auferstehung Christi in Gold und Silber über den Panzer, eine goldene Krone auf dem Haupt"(3) ritt er auf dem Zarenross ein. Zur Erinnerung an diesen historischen Sieg ließ Iwan die Basiliuskathedrale (Pokrowski Kathedrale) bauen, die mit Ihren vielen Farben und Kuppeln noch heute jeden fasziniert.
Ab diesem Zeitpunkt hatte eine neue Epoche der russischen Geschichte begonnen, da Iwans Volk von nun an fremde Völker mit eigener Religion und Geschichte beherrschte.
Dies war die Geburtsstunde des Nationalitätenproblems im russischen Vielvölkerstaat.
Während der nächsten Jahre gelang es Iwan, auch das Khanat Astrachan zu unterwerfen und sich das Zartum Sibir untertänig zu machen .( Es wurde erst nach dem Tod Iwans IV. endgültig erobert.) Nun gehörte das gesamte, von der Wolga durchflossene Gebiet endlich zum russischen Reich. Iwans Siege über die Tartaren machten ihn bei seinem Volk sehr beliebt und selbst seine späteren Grausamkeiten konnten dieser Einstellung kaum etwas anhaben. Sein Beiname "der Schreckliche" bedeutet eigentlich "furchteinflößend", und zwar gegenüber seinen Feinden und nicht gegenüber der Bevölkerung seines eigenen Landes.
1553 kam der englische Forschungsreisende Richard Chancellor auf der Suche nach einem nördlichen Handelsweg zum Orient ins Weiße Meer hineingesegelt und "entdeckte" Rußland. Dieses war in der damaligen Zeit nach Meinung der Westeuropäer ein Reich "der Kannibalen, voll mit phantastischen Tieren." Es gelang Chancellor, mit Iwan einen Handelsvertrag, der den englischen Kaufleuten volle Handelsfreiheit und umfassende Privilegien gewährte, abzuschließen. Ab diesem Zeitpunkt entwickelten sich die Beziehungen zwischen England und Rußland immer besser und Iwans Vorliebe für England bestimmte jahrelang seine Politik. Er führte auch einen jahrelangen Briefwechsel mit der jungfräulichen Königin Elisabeth I. und plante sogar, um ihre Hand anzuhalten. Doch dieses Vorhaben scheiterte, da die englische Königin sich nicht mit jemandem vermählen wollte, der Iwan der Schreckliche hieß.
Die guten Kontakte zu England motivierten Iwan, sich noch enger an den Westen anzuschließen. Die einzige Möglichkeit dazu sah er darin, bis zu Ostsee vorzudringen. Davon versprach er sich einen eisfreien Hafen sowie ein "Fenster", durch das der Warenaustausch stattfinden könnte. Die Häfen des Weißen Meeres waren nämlich allzu oft durch Eis blockiert und daher als Handelsplätze ungeeignet. Doch der Weg zur Ostsee wurde durch die Deutschordensritter versperrt, die das Küstengebiet zwischen Schweden und Polen besetzt hielten, das damals Livland hieß. 1558 griff Iwan Livland an und erzielt beträchtliche Anfangserfolge. Doch bald traten sowohl Polen als auch Schweden in den Krieg ein, und es kam zu einem 25 Jahre dauernden Blutvergießen, das erst 1583 mit einer russischen Niederlage endete. So schlug Rußlands erster großer Versuch, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen mit dem Westen anzuknüpfen, fehl und es wurde besonders von Schweden und Polen, die Rußland in seiner Isolation belassen wollten, abgeschirmt
Während sich der Livländische Krieg in die Länge zog, begann Iwans "Schlechte" Lebensperiode (seine dunklen Jahre). Doch dies geschah nicht von heute auf morgen; es begann mit Spannungen im Erlesenen Rat, dessen Mitglieder die Herrschsucht Iwans, eines Jünglings nicht länger hinnehmen wollten. Der junge Zar, der mit seiner Frau Anastasia und dem kleinen Thronfolger Dmitrij Iwanowitsch (* Oktober 1552) ein glückliches Privatleben Führte, fühlte sich durch die belehrenden Sprüche seines Beichtvaters Silvester nur noch belästigt. Auch sein Freund Alexeij Adaschew, dem er immer vertraut hatte, enttäuschte ihn durch respektlose Außerungen über die einfache Herkunft seiner geliebten Anastasia. Im März 1553 erkrankte Iwan schwer und rechnete mit seinem Tod. Um seine Nachfolge zu sichern, ließ Iwan alle Mitglieder des Erlesenen Rats dem kleinen Zarewitsch und seiner Mutter die Treue schwören und zur Bekräftigung das Kreuz küssen. Diese Zeremonie war notwendig, da es in Rußland kein eindeutiges Erbfolgerecht gab. Am Krankenbett soll Iwan in einem wachen Moment gesagt haben: "Wenn ihr nicht das Kreuz küßt in Treue zu meinem Sohn, dann habt ihr schon einen anderen Herrscher im Sinn Wer jetzt dem kleinen Herrscher nicht dienen will, der will auch dem großen, also mir selbst nicht dienen"(4) Doch der Kleine sollte niemals Zar werden. Auf einer Pilgerfahrt, die der Zar und seine Frau nach Iwans Genesung zum Grab des heiligen Kirill unternommen hatten, fiel der Bub in die Scheksna und ertrank (26.Juni 1553). Nach Dmitrijs Tod bekam die Zariza noch zwei Söhne, Iwan 1554 und Fjodor 1557. Doch bedauerlicherweise erkrankte sie drei Jahre später und starb im August 1560. Nach dem Verlust seiner gütigen, stark liebenden Frau, der Iwan stets hatte vertrauen können, hatte der Zar den Mittelpunkt seines Lebens und den Halt verloren. Iwan war überzeugt, daß man an seine Frau vergiftet hätte und der Zorn des Zaren richtete sich zunächst gegen Adaschew und Silvester, die beide verbannt wurden. Nachdem diese engsten Berater in Ungnade gefallen waren, verlor der Erlesene Rat an Bedeutung. Iwan wechselte nun sehr schnell seine Favoriten, denen es ein Anliegen, war seine früheren Ratgeber und Freunde vor dem Zaren schlecht zu machen. So wurden alle Angehörigen seines ehemaligen Freundes Adaschew auf Befehl des Zaren ermordet, wobei Iwan das erste Mal selbst einen Menschen mit eigener Hand erschlug. Niemals zuvor war in Rußland eine vergleichbare Untat gegen eine einzige Familie begangen worden. Iwans Schreckensherrschaft hatte begonnen.
Doch Ende 1564 schien der Zar amtsmüde geworden zu sein. Mitte November rief Iwan IV. Bojaren und Geistliche im Moskauer Kreml zusammen und verkündete, dass er auf den Thron verzichten wolle, um sich in ein Kloster zurückzuziehen, da er von Untreue und Verrat umgeben sei. Nach dieser Rede legte er zwar seine Krone, das Zepter und den Ornat ab, ließ sie sich aber von seinen Dienern nachtragen. Wenige Tage später verließ der Zar in einem Zug von mehr als hundert Schlitten, die mit Teilen des Zarenschatzes, Ikonen und Reliquien aus den Moskauer Kirchen, sowie mit Vorräten aller Art beladen waren, die Stadt. Der Zar wurde von seiner Familie, Bewaffneten und einigen Würdenträgern begleitet und kam Ende Dezember auf Alexandrowa sloboda, einem befestigten Landsitz etwa 100 km nordöstlich von Moskau an. Über die Umgestaltung seines Reiches hatte sich Iwan, der angeblich kein Zar mehr sein wollte, bereits Gedanken gemacht. Durch den Auszug Iwans wurde die Lage in Moskau äußerst schwierig. Das niedere, schwarze Volk (tschernj) war völlig bestürzt und fühlte sich verwaist, aber auch die Kaufleute wüßten ohne ihren Herrn nichts anzufangen. Eine Monat lang ließ Iwan nichts von sich hören. Danach ließ er Botschaften verlesen, in denen er seinen Thronverzicht erklärte, weil er von Verrätern umgeben und von allen im Stich gelassen worden sei. Iwans Groll richtete sich hauptsächlich gegen die Bojaren, die ihm seine Kindheit verdorben hatten, sowie gegen die Geistlichen; das Volk von Moskau nahm er ausdrücklich aus. Nun fühlte sich das Volk wirklich verlassen, da es keine Autorität, keinen Schutz und kein Recht mehr gab. Sie stürmten zum Sitz des Metropoliten und klagten: "Wehe uns, die wir vor Gott gesündigt und den Zaren erzürnt haben an wen sollen wir uns nun halten, wer wird uns vor den Überfällen der Feinde schützen. Wie sollen denn Schafe ohne den Hirten sein, wie können wir ohne den Zaren bestehen?"(5) Der Metropolit ließ eine Delegation zusammenstellen, die mit einer Petition zum Zaren reisten um ihn wieder zurückzuholen. Unter zwei Bedingungen war Iwan IV. Wassiljewitsch bereit, als Zar nach Moskau zurückzukehren. Erstens wollte er mit denjenigen, die er für Verräter hielt nach seinem Willen verfahren, da er "Herr über Leben und Tod" sei. Die zweite Bedingung für die Rückkehr nach Moskau, war eine vollkommene Umgestaltung des russischen Staates.
Iwan wollte sich eine Opritschnina einrichten; darunter verstand man ein Sondergebiet, in dem kein Bojar Grund und Boden besitzen durfte und das ohne jede Zwischeninstanz seine Vorstellungen von einem gut funktionierenden Staat verwirklichen sollte. Eine Sondertruppe, die Opritschniki, sollten ihn dabei unterstützen. Das übrige Rußland nannte er Semschtschina und dieses sollte, nach altem Brauch, von einem Bojarenrat verwaltet werden. Iwans Bedingungen wurden akzeptiert und im Februar 1565 kehrte er nach Moskau zurück. Doch sein körperlicher Zustand war schlecht. Er war gealtert, wirkte krank und zerfahren und hatte kaum mehr Haare auf dem Kopf. Schnell begann Iwan mit der Umgestaltung seines Reiches. Seine Hauptgegner kamen zunächst aus den Reihen der Geistlichkeit, die gegen den wachsenden Terror den der Zar ausüben ließ, energisch protestierten. Doch sie alle wurden ihrer Amter enthoben, verbannt und bald darauf ermordet, da sie den Wünschen des Zaren nicht gehorchten.
Viele Geschichtsforscher meinen, daß Iwan, der sich besonders für römische Geschichte und den Cäsar Octavianus Augustus interessierte, von dort die Idee einer Opritschnina übernommen hätte. Auch Kaiser Augustus hatte die wichtigsten Provinzen des Römischen Reiches der Aufsicht des Senats entzogen und dort absolut regiert. Auch Iwan steigerte seine persönliche Macht, indem er die verhaßten Bojaren in die uninteressanten Randgebiete abdrängte, und diejenigen Territorien in die Opritschnina eingliederte, die dem Staat besonders viel durch Steuern und Zölle besonders viel einbrachten. Zu diesem Landesteil gehörten die wichtigsten Verkehrswege und natürlich auch der einzige Weg ins westliche Ausland, nach England. Im Opritschnina-Territorium setzte Iwan auch die Reformen seiner hellen Jahre, wie Selbstverwaltung und staatliche Besoldung von Richtern und Beamten, durch. Die negativste Begleiterscheinung von Iwans Perestrojka waren die sogenannten Opritschniki. Die Mehrheit dieser Leibgarde des Zaren stammte aus dem, die Iwan ihre Stellung verdankten und ihm Treue schuldeten, entstammten dem Dienstadel, nur wenige waren aus dem Bojarenstand. Sie bildeten eine Art Geheimpolizei, die in Schwarzen Kleidern auf schwarzen Pferden, von deren Sätteln Reisigbesen und Hundeköpfe baumelten, wild durchs Land stürmten und die Menschen terrorisierten. Die Hundeköpfe sollten symbolisch ihre Pflicht darstellen, den Feinden des Zaren Furcht einzujagen, die Reisigbesen zeigten ihre Absicht, den Verrat aus dem Land zu kehren. Annähernd acht Jahre hindurch wüteten die Opritschniki in Rußland. Und innerhalb dieser Zeitspanne wurden so viele Menschen enteignet oder umgebracht, daß Iwan, der früher stets Listen seiner Opfer angefertigt hatte, die Übersicht verlor und erklärte: "Gott allein kennt ihre Namen."
Nicht nur Einzelpersonen bekamen seinen Zorn zu spüren sondern auch Städte wie beispielsweise Nowgorod, das man der Konspiration mit Livland verdächtigte. Iwan IV., der vom Thronfolger, seinem Sohn, Iwan Iwanowitsch begleitet wurde, saß über die Nowgoroder selbst zu Gericht. Er ordnete ein Massaker an, welches sechs Wochen dauerte und zu den scheußlichsten Exzessen der Weltgeschichte zählt. 18.000 Menschen wurden verstümmelt oder auf öffentlichen Plätzen zu Tode geröstet während andere in den Fluß geworfen wurden und von den Opritschniki solange unter die Eisdecke gedrückt wurden, bis sie ertranken.
Danach verließ Iwan wiederum Moskau und verschanzte sich in Alexandrowsk, wo er mit seinen Opritschniki eine unheimliche Parodie auf das Klosterleben aufführte. Er selbst war der Abt, seine Männer die Mönche. Doch sein Schreckensregiment ging unvermindert weiter. Damit man sich eine Vorstellung von Iwans Grausamkeit machen kann, folgt hier ein Bericht seines Zeitgenossen, des Engländers Jerome Horsey: "Fürst Telupa, der als "Verräter wider den Zaren" gebrandmarkt wurde, setzte man auf einen langen zugespitzten Pfahl, der in den unteren Teil seines Leibes eindrang und zum Halse wieder herauskam; Woraufhin er 15 Stunden lang schrecklichste Qualen durchlitt und mit seiner Mutter, der Fürstin sprach, die gebracht wurde, auf daß sie diesen jämmerlichen Anblick sehe. Sie selbst, eine rechtschaffene Matrone, wurde von 100 Kanonieren zu Tode geschändet."(6)
Als Iwan in Jahre 1572 endlich die Opritschnina aufhob, war der erbliche Adel als politische Macht tot. Die neuen höhergestellten Dienstmannen des Zaren hießen Dworowyje ljudy . Dieser neue Stand nahm die Reste des früheren Großadels in sich auf und im 17. Jahrhundert war Rußland der Idealstaat dieses Kleinadels. Iwan selbst fühlte sich schwach und leidend und schrieb an seine beiden Söhne: "Mein Leib ist erschöpft, mein Geist leidend; der Schorf meiner seelischen und körperlichen Wunden hat sich vermehrt, und es gibt Arzt, der mich heilen könnte. Ich sehnte mich nach einem Menschen, der meinen Gram mit mir geteilt hätte, aber niemand ist da. Ich habe keine Tröster gefunden. Gutes hat man mir mit Bösem vergolten und Liebe mit HaßSollte ich deshalb von den Bojaren aus meiner Herrschaft vertrieben werden, in fremden Ländern umherirren und durch meine Sünden auch über euch viel Unheil gebracht haben, so mögt ihr, um Gottes willen, euch nicht in Kummer verzehren."(7)
Offenbar rechnete Iwan immer damit, daß er gestürzt und aus Rußland vertrieben werden könnte. In dieser Zeit ging seine Schreckensherrschaft zu Ende. Von 1576 bis zu Iwans Tod 1584 sind Hinrichtungen politischer Gegner auf Anweisung des Zaren nicht bekannt. Er zog sich zurück, widmete sich alten Pergamenten und beschäftigte sich mit Zauberau und der Wirkung wertvoller Steine. Noch heute werden den Besuchern der Schatzkammer des Moskauer Kremls Diamanten gezeigt, die Iwan, der Schreckliche anstarrte und beschwor. Einige russische Historiker meinen, daß Iwan Grosny, abgesehen von Verfolgungswahn und Terror, in seinen letzten Lebensjahren nicht bei ganz klarem Lebensverstand gewesen sein kann. Ausländische Gesandte, die mit ihm verhandelten, fanden ihm zwar überlegen, zielstrebig und weitblickend, aber in Wahrheit war er ständig gereizt und von schweren Depressionen gequält. Im November 1581 hatten Iwans ständige Stimmungsschwankungen eine schreckliche Folge. In Jähzorn erschlug er seinen Sohn Iwan Iwanowitsch, der ganz nach seines Vaters Geschmack gewesen war.
Ab diesem Zeitpunkt trug Iwan niemals mehr die Krone oder noch sonst einen fürstlichen Schmuck. Einen Teil seines Vermögens stellte er Klöstern zur Verfügung, den anderen Teil suchte er regelmäßig in seiner Schatzkammer auf.
Iwan, der Schreckliche starb am 18. März 1584. In seinen letzten Tagen wanderte er heulend durch seinen Palast und suchte Trost bei Hexen und Zauberern.
Über seinen Tod hinaus hat Iwan IV. das Schicksal Rußlands beeinflußt. Unter seiner Regierung erlangte das Reich eine beachtliche Größe und das russische Staatsbewußtsein wurde gestärkt. Auch wenn Iwans Kriege und sein Terror Abscheu erzeugen, dürfen wir nicht vergessen, daß Iwan, der Schreckliche ein "Umgestalter" war, der mit revolutionären Mitteln seinen Staat festigen konnte. Bei jeder Perestrojka ist schließlich in Rußland Blut geflossen. Man denke nur an Peter I., den Großen, Lenin oder Stalin.
Iwan IV war es auch, der durch seine Kontakte mit England seinem Volk den Weg nach Europa zeigte und der den russischen Buchdruck einführte. (1. In Rußland gedrucktes Buch: Apostelgeschichte 1564)
Das Wahrzeichen Moskaus, die Basiliuskathedrale auf dem Roten Platz erinnert uns heute noch an diesen Herrscher, der für sein Volk nicht nur schrecklich war.
Quellenverzeichnis:
Wallace, Robert: Der Aufstieg Rußlands. Niederlande 1969, Time-Life
Eckhardt, Hans von: Iwan, der Schreckliche. Frankfurt/Main 1941
Romanow, Nikita/Payne Robert: Iwan, der Schreckliche. Bern und München 1980
Neumann-Hoditz, Reinhold: Iwan, der Schreckliche. Hamburg 1990 RoRoRo
Stählin, Karl: Geschichte Rußlands. 5 Bde. Graz 1974
Stender-Petersen, Adolf: Geschichte der russischen Literatur. 2Bde. München 1957
Anmerkungen:
Wallace, Robert: Der Aufstieg Rußlands. Niederlande 1969, Time-Life; S.77
Eckhardt, Hans von: Iwan, der Schreckliche.
Frankfurt/Main1941; S. 60
Romanow, Nikita/Payne Robert: Iwan, der Schreckliche. Bern
und München 1980; S.81f.
Stender-Petersen, Adolf: Geschichte der russischen Literatur. 2Bde. München 1957 S.198
Eckardt, a. a. O. S. 107
Romanow, a. a. O. S.121
Romanow, a. a. O. S.184
Wallace, a. a. O. S.83
Neumann-Hoditz, a. a. O. S.179
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