Das Septemberprogramm
des Reichskanzlers von Bethmann Hollweg
Am 9. September 1914 gab Reichskanzler
Theobald von Bethmann Hollweg sein "Septemberprogramm" bekannt. Im Großen und
Ganzen enthielt es eigentlich die Forderungen, die der Versailler Vertrag von
1919 dem Deutschen Reich auferlegte. Allein dadurch darf man den alliierten
Siegermächten von 1918 eigentlich keine moralischen Vorwürfe machen, denn von Bethmann
Hollweg hätte an der Spitze einer eventuellen deutschen Siegermacht nach einem
erfolgreichen Krieg wohl einen ähnlichen Vertrag den Besiegten auferlegt. Diese
Tatsache darf man allein schon deswegen nicht außer Acht lassen, wenn man die
Alliierten kritisieren will. Von Bethmann Hollweg wollte Luxemburg zu einem
deutschen Bundesstaat machen, er wollte Belgien und Frankreich in vollkommene
wirtschaftliche Abhängigkeit bringen und schlug eventuelle Annexionen von
belgischen und französischen Gebieten vor. Gleichzeitig sollte der französische
Küstenabschnitt mit den wichtigen Hafenstädten Dünkirchen und Boulogne den
deutschen zufallen, um dort militärische Stützpunkte errichten zu können. Des
Weiteren war ein einheitliches Zollsystem mit Frankreich, den Beneluxländern,
Dänemark, Österreich-Ungarn, Polen und eventuell Italien, Schweden und Norwegen
geplant. Frankreich sollten zudem so hohe Reparationen auferlegt werden, dass
es in den nächsten zwei Jahrzehnten nicht mehr zu einem Krieg gegen Deutschland
in der Lage gewesen wäre. Genau diese Intention hatte auch Frankreich bei den
Friedensverhandlungen in Versailles. Dies zeigt, dass die beiden Staaten ihren
Antagonismus von 1871 noch lange nicht bewältigt hatten und vor allen Dingen
ständig in Angst vor einem weiteren Krieg lebten. Der Begriff
"deutsch-französische" Sicherheit existierte faktisch nicht. Wahrscheinlich
hatte auch der Locarno-Vertrag von 1925 in dieser Hinsicht keine wirkliche
Abhilfe geschaffen. Durch ein solch angestrebtes Zollsystem, wie das von
Bethmann Hollweg, und die wirtschaftlichen Beziehungen, wäre das Deutsche Reich
praktisch die Wirtschaftsmacht des europäischen Kontinents überhaupt gewesen
und durch die zahlreichen Annexionen und die geplanten Marinestützpunkte an der
französischen Küste hätte das Deutsche Reich auch die militärische
Überlegenheit erreicht, insbesondere gegen die Seemacht Großbritannien. Von
Bethmann Hollweg strebte das an, was Bismarck geschaffen hatte, nur different,
in der Hinsicht, das Bismarck ein Deutsches Reich mit Preußen an der Spitze
schaffen wollte und von Bethmann Hollweg ein vereinigtes Europa mit der
Großmacht Deutsches Reich an der Spitze. Die hegemonischen Ambitionen des
deutschen Reichskanzlers rechtfertigen daher keinesfalls Buh-Rufe und Unverständlichkeit
gegenüber den Alliierten im Jahre 1919. Allerdings ist dies nur in
"menschlicher" oder nationaler Hinsicht gültig. Denn der Versailler Vertrag war
ein Diktat und der Grundstein für einen weiteren europaweiten Konflikt in der
nahen Zukunft. Hier hätten die Alliierten schlauer sein müssen, hier hätten sie
einen echten Friedensvertrag schaffen müssen und keine indirekte Aufforderung
zur Kriegserklärung, gültig für die Dauer des Versailler Vertrags.