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Die mittelalterlichen Helden Helvetiens
Das Land der Helvetier, also die Schweiz, was hat sie in sich, was so fasziniert? Vielleicht die Geschichte über einen Haufen Plebejer, die sich unter der Führung von Wilhelm Tell vor 700 Jahren vom dem österreichischen Despotismus befreit haben sollen, was den Weg zur Entstehung der Schweizer Eidgenossenschaft bahnte? Oder vielleicht verblüfft uns die Tatsache, dass die Schweiz eine der besten Armeen besitzt und trotzdem in der neusten Geschichte sich nie aktiv an Kriegen beteiligt hat?
Am Ende des 13. Jahrhunderts kommt die Einheit des germanischen Imperiums ins Wanken. Der Freiheitsdrang der unterworfenen Länder regt sich, besonders in einigen Talschaften der Schweiz, die sich in einem Bund zusammenschlossen gegen Albert von Habsburg, Sohn und Nachfolger Rudolfs. Albert erwies sich als guter Organisator; er verstärkte die Macht über seine Besitztümer mit Hilfe der Regierungsbeamten, die u. a. auch eventuelle Aufstände niederzuschlagen hatten. In diesem politischen Klima kommt es zum "Schwur der drei Kantone", zu Füßen des Rütli-Massivs, Ursprung der Confoederatio Helvetica. Als Jahr gibt Tschudi[1] 1308 an; in Wahrheit (wie man heute anhand des wiedergefundenen Originals weiß) wurde der Pakt am 1. August 1291 geschlossen, kaum 14 Tage nach dem plötzlichen Tod Rudolfs von Habsburg. Man setzte anscheinend wenig Vertrauen in seine Erben und hatte Eile mit Schutzmaßnahmen. Die "drei Schweizer", die von dem skrupellosen Reichsvogt Gessler bedrängt werden, sind Werner Stauffacher aus Schwyz, Arnold von Melchthal aus Unterwalden und Walter Fürst aus Uri. Wilhelm Tell gehört - entgegen der mündlichen Überlieferung - nicht zu den Verschwörern.
Mit dem "Ewigen Bund" versicherten sie sich im geheimen Rütli-Schwur gegenseitige Hilfe im Kampf gegen die Habsburger und alle aufgezwungenen Rechte und Urteile. Sie setzten den Tag fest, an dem sie die Burgen brechen werden und die Vögte vertreiben, wofür sie Leib und Leben einsetzen werden. Der Widerstand, der den Habsburgern geleistet wurde und die Gegenwehr gegen die Unfreiheit, nicht selten mit Gewalt, fanden ihren Ausdruck in der Legende von Wilhelm Tell - Sagengestalt, Nationalheld und bescheidener Jäger aus dem Dorf Bürglen im Kanton Uri. Der Sage zufolge weigerte sich Tell, dem habsburgischen Landvogt Gessler die geforderte Ehrenbezeugung zu erweisen, und wurde deshalb von ihm gezwungen, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schießen. Hermann Gessler wurde kurz vorher zum Königsvertreter und Verwalter von Uri und Schwyz ernannt. Er befestigte seinen Hut auf einem Pfahl auf dem Stadtplatz in Altdorf. Jeder Vorbeigehende musste sich vor dem Hut beugen, um seinen Respekt und Annerkennung für die Herrschaft der Habsburger zu erweisen. Jedoch Wilhelm Tell ging an dem verehrungswürdigen Hutstück achtlos vorbei. Nach dem Weißen Buch von Sarnen[3], das wahrscheinlich von Hans Schriber verfasst wurde, war sich Tell nicht bewusst, dass man dem Hut auf der Stange sein Tribut geben musste. Nach den mündlichen Überlieferungen der Legende , war sich Tell zwar über diese Vorschrift im Klaren, befolgte sie aber nicht, weil er sich nicht entwürdigen wollte. Gessler, der wusste, dass Tell bekannt für seinen meisterhaften Umgang mit dem Bogen ist, beschloss, dass er und sein Sohn mit ihren Leben für die Beleidigung der Majestät zahlen werden, es sei denn, Tell schießt einen Apfel vom Kopf seines Sohnes herunter. Zur Enttäuschung von Gessler ist dies Tell gelungen. Er merkte zudem noch, dass Tell einen zweiten Pfeil versteckt hatte, der für ihn vorgesehen war. Wilhelm wurde gezwungen zuzugeben, dass dieser Pfeil für Gessler bestimmt war, falls er sein Ziel verfehlte und sein Sohn verletzt würde. Der Königsvertreter nahm Tell fest und wollte ihn mit dem Schiff nach Küssnacht bringen und in einen Kerker werfen. Während der Überfahrt kam ein Unwetter zusammen, welches das Schiff zum Schaukeln und beinahe zum Kentern brachte. Tell, der auch ein hervorragender Steuermann war, wurde entfesselt, damit er das Ruder des Schiffes übernehmen konnte. Wilhelm nutzte die Gelegenheit, und lenkte das Boot in Richtung Ufer, wo er auf die Felsen sprang, an der Stelle, wo heute die Tellskapelle steht, und stieß das Schiff gleichzeitig von sich zurück in den stürmischen See. Nach dieser Flucht wurde Tell klar, dass er und seine Familie nie in Sicherheit leben könnten, solange Gessler lebt. Er begab sich auf den Weg nach Küssnacht, um dort mit dem Tyrannen abzurechnen. Er versteckte sich in der tiefgelegenen Hohlen Gasse. Als der königliche Verwalter mit seinem Gefolge ausreichend nahe herangekommen war, spannte Tell seinen Bogen und schoss einen Pfeil ab, der Gessler mitten ins Herz traf und ihn auf der Stelle umbrachte. Diese Tat war der Anstoß zur Erhebung der Schweizer gegen die österreichische Herrschaft und deren spätere Unabhängigkeit.
Aber auch der Herr von Landenberg wurde nach dem Tod Rudolf I. übermütig und vergaß seine Pflichten. Er trieb Mutwillen mit dem Volk und wollte es sich, ebenso wie Gessler, unterordnen und in seine Gewalt bringen. Im "Weißen Buch von Sarnen", das als einzigartige Aufzeichnung über den Ursprung der Eidgenossenschaft erhalten blieb, ist die Geschichte über Arnold von Melchtal geschildert.
Der Herr von Landenberg, welcher Vogt von Sarnen war, wusste, dass im Melchtal ein Bauer wohnte, dessen prachtvolle Ochsen er begehrte. Als er sie für sich haben wollte, sandte er einen seiner Knechte, der die Ochsen holen sollte und dem Bauer zu verkünden hatte, dass er ab sofort die Pflüge selber ziehen solle. Aber dieser Bauer hatte einen Sohn, Arnold. Als der Knecht die Tiere ausspannen wollte, ergriff Arnold einen Stock und schlug zu. Nach dieser Tat musste Arnold in die Berge fliehen. Landenberg befahl den alten Bauern auf seine Burg nach Sarnen zu führen. Er nahm ihm alles, was er besaß und ließ ihm beide Augen ausstechen.
In der Geschichte der Entstehung der Schweizer Eidgenossenschaft ist es zu vielen Auseinandersetzungen zwischen den Habsburgern und den unterdrückten Schweizern gekommen. Die Sage der Heldentat von Arnold Winkelried ist im sogenannten Halbsuterlied von 1533 erstmals erwähnt worden. Der Habsburger Leopold der III., ein ehrgeiziger aber unbegabter Kommandeur und Politiker, war mit seinen Söldnern in Sempach in der Nähe des gleichnamigen Sees eingefallen. Den habsburgischen Truppen widersetzte sich eine bedeutend kleinere Armee, bestehend aus Einheiten aus den Ur-Kantonen Luzern, Uri, Schwyz und Unterwalden. Am 9.VII.1386 ist es zu einer Schlacht gekommen, deren Einzelheiten jedoch nicht bekannt sind. Man weiß, dass die Schweizer eine Keil-Formation bildeten, an der mehrmalige Angriffe der Kavallerie zerschellten. Anfangs gelang es nicht die geschlossenen Kolonnen des Feindes zu zerschlagen. Aber erst in der zweiten Phase der Schlacht, als die österreichischen Soldaten in ihren schweren Rüstungen der Ermüdung nahten, konnten die Schweizer den Ausgang der Schlacht für sich entscheiden. Die Durchbrechung der feindlichen Gefechtslinie ist nach der Legende dem Schweizer Arnold Winkelried zu verdanken. Er rief alle zu sich und bat mit bitterernstem Ton, dass, sie nach ihrem Sieg, zu Hause, für seine Frau und seine lieben Kinder sorgen sollen. Da wussten die Männer, dass sich Winkelried in die erste Reihe stellen wollte. Als er sah, dass man die feindliche Front nicht durchbrechen kann, soll er die feindlichen Speere auf seine eigene Brust gerichtet und somit sein Leben geopfert haben. Dank seiner Heldentat öffnete er die Gefechtslinie und ermöglichte es den Schweizern, in sie hinein zu dringen. Ab diesem Moment wurde den Habsburgern klar, dass ihre Niederlage unvermeidbar ist. Aber als sie sich zurückziehen wollten, stellte sich heraus, dass ihr Gesinde mit den Pferden geflohen war. Die dadurch entstandene Verwirrung ermöglichte es den Eidgenossen, die Feinde zu schlagen. Die Verluste der Österreicher waren erheblich. Auf ihrer Seite sind über 700 Kämpfer mit König Leopold gefallen, wobei die Schweizer rund 200 Leute verloren haben.
Der Topos 'einer opfert sich auf für alle' und 'eine Gasse schlagen in das feindliche Heer' finden auch in der Winkelried-Sage seinen Ausdruck. Die Sage wurde alsbald als nationalerzieherisches Exempel nacherzählt. Eine Winkelried-Tafel befand sich auch auf der Luzerner Kapellbrücke. Eine Holzbrücke, die um 1300 erbaut wurde und mit Giebelgemälden von Heinrich Wägmann im 17. Jahrhundert verziert ist. Sie verherrlichen Heldentaten der eidgenössischen und städtischen Geschichte. 1701 wurde ein Winkelried-Standbild auf dem oberen Dorfbrunnen von Stans errichtet.
Am Ende des Mittelalters ist noch eine bedeutende Persönlichkeit zum Vorschein gekommen. Es war Niklaus von Flüe. Er wird heutzutage zu den markantesten und rätselhaftesten Gestalten in der geistigen und politischen Geschichte der Schweiz gezählt. Nikolaus wurde 1417 auf der Flüe bei Sachseln im Kanton Unterwalden geboren. 1436 bis 1446 nahm er am Züricher Krieg gegen Österreich teil und wurde zum Offizier befördert. Anschließend lebte er als Bauer auf der Flüe, wurde Vater von zehn Kindern und war Ratsherr und Richter. Mit 50 Jahren entschied er sich, am 16. Oktober 1467 seine Familie zu verlassen und alle Amter niederzulegen. Im Ranft, einer Schlucht, lebte er als Einsiedler bis zu seinem Tod am 21. März 1487. Als Bruder Klaus versuchte er für die Eidgenossen nicht nur einen äusserlich-politischen, sondern einen inneren Frieden mit Gott zu vermitteln. Dazu musste er beides von innen her kennen und lieben lernen: die Welt der Menschen und die göttliche Wirklichkeit. Durch sein Eingreifen in die Politik konnte er mehrmals die Eidgenossen vor Konflikten bewahren. Als Bruder Klaus schon im vierzehnten Jahr im Ranft lebte, trug sich für die Schweiz bis heute Entscheidendes und Zeichenhaftes zu. Am 14. Dezember 1481 schließt die Tagsatzung in Stans in unversöhnlichem Gegensatz zwischen den je vier Stadt- und Länder-Orten der Eidgenossenschaft. Klaus hat sein Ansehen, seine Ratsherren-Erfahrungen und seine Sorge für Land und Volk mit in den Ranft genommen. Er war in dieser Streitsache seit langem gut unterrichtet. Mit einem unbekannten Rat bewegt Bruder Klaus die Tagherren sogar zu Tränen und bringt sie noch einmal zum Zusammentreten. Nach nur zwei Stunden beschließen sie einhellig eine Lösung, die jeder betroffenen Partei entgegenkommt. Somit wird nicht nur die Gefahr eines zerstörerischen Bürgerkrieges gebahnt, vielmehr wird endlich der gemeinsame Bund der bisher nur locker verbündeten acht Orte beschlossen. Die Aufnahme von Freiburg und Solothurn. Die Erweiterung des Bundes wurde ermöglicht und beiläufig die Mehrsprachigkeit eingeleitet. So prägt sich, noch vor der Zerreisprobe der Reformation, Bruder Klaus als überragende und verbindende Christengestalt ein. Und so wird in Tat und Wahrheit eine 700jährige Geschichte der Eidgenossenschaft möglich.
Die von mir erwähnten Gestalten sind nur ein Teil der Schweizer, die auf das heutige Bild der Schweiz eingewirkt haben, denn wenn man das Wort Held mit besonderen und herausragenden Leistungen in Zusammenhang bringt und auch die Zeit nach dem Mittelalter analysiert, dann wird die Liste der nennenswerten Persönlichkeiten bedeutend länger und noch viel interessanter.
Zum Schluss möchte ich, als Schweizer, noch die Worte von Bundesrat Joseph Deiss, dem Vorstehenden des Eidgenössischen Departements, vom 9. Juli 2001 hinzufügen, die meiner Ansicht nach den Geist und die Lebenseinstellung der Schweizer sehr gut wiedergeben: "Wer solche Ahnen hat, darf ruhig etwas mehr Selbstvertrauen fassen. Winkelried, Tell und die Eidgenossen haben sich auch nicht von einer scheinbaren Übermacht abschrecken lassen. Wir können etwas ausrichten ()Wir brauchen nicht vor den Mächtigen zu kapitulieren. Wir brauchen ein gesundes Selbstvertrauen in die eigene Stärke und in die Stärke unseres Landes."
Literaturverzeichnis:
Bonjour Edgar, Feller Richard, Geschichtsschreibung der Schweiz Band I, Basel/Stuttgart, 1962, Verlag Benno Schwabe & Co.
Flüeler Niklaus, Gfeller-Corthesy Roland, Die Schweiz - vom Bau der Alpen bis zur Frage nach der Zukunft, Luzern 1975, Verlag Ex-Libris.
Honan Mark, Szwajcaria, Bielsko-Biala 1999, Wydawnictwo Pascal
Meyer Franz, Wir wollen frei sein Band 1 und 2, Aarau 1961, Verlag H. R. Sauerländer & Co.
Meyer Franz, Wir wollen frei sein Band 3, Aarau 1974, Verlag Sauerländer
Microsoft Encarta Enzyklopädie PLUS 2001.
Wojtowicz Jerzy, Historia Szwajcarii, Wroclaw 1989, Zaklad Narodowy im. Ossolińskich.
Die älteste literarische Quelle der Legende des Nationalhelden Wilhelm Tell ist das Chronicum Helveticum des Aegidius Tschudi, entstanden in den Jahren zwischen 1550 und 1570. Die Taten des Helden gehören in die historische Epoche nach dem Tod Rudolfs I. von Habsburg (1291) bis zur Schlacht von Morgarten (1315), in der die schweizerischen Verbündeten die kaiserlichen Truppen besiegten.
Vgl. Quellentext aus Microsoft Encarta Enzyklopädie 2001 PLUS zum Thema "Teatro alla Scala" in Mailand
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