Dreißigjähriger Krieg
Der Dreißigjährige Krieg war eine verwirrende Abfolge kriegerischer
Auseinandersetzungen zwischen mehreren europäischen Mächten auf deutschem
Boden. Im Gedächtnis der Nachwelt sind jedoch die machtpolitischen und
konfessionellen Motive der Staaten und die schließlich im Westfälischen Frieden
fixierten Ergebnisse weit weniger gegenwärtig als die schrecklichen Leiden, die
jene dreißig Jahre über zahllose Menschen brachten.
Das frühe 17. Jahrhundert kannte kein stehendes Heer und keine allgemeine
Wehrpflicht. Typisch für die Zeit waren Söldnerheere. Mit der Aufstellung einer
Armee - der »Armierung« - wurde erst begonnen, wenn man angreifen wollte oder
einen Angriff befürchtete. Den Auftrag dazu erteilte der Landesherr einem
bewährten Söldnerführer, der seine Werbeoffiziere ausschickte. Gesucht wurden
Männer, die entweder »schon gedient hatten oder zum ersten Mal probieren wollten,
ob der Plünderer nicht seinen Vorteil hätte im Vergleich mit dem Geplünderten«
(Golo Mann). Kriegführen war ein Beruf; man wechselte den Dienstherrn, wenn ein
anderer besseren Sold und höheren Beuteanteil bot. Das galt auch und besonders
für Offiziere. Ein Obrist, der nacheinander in schwedischen, polnischen,
kaiserlichen und kursächsischen Diensten stand, war keine Ausnahme.
Die Söldnerführer waren Unternehmer, die den Krieg als Geschäft betrieben. Am
reinsten verkörperte Wallenstein diesen Typus. Als er 1625 zum kaiserlichen
Oberbefehlshaber ernannt wurde, stellte er auf eigene Kosten ein Heer von
50.000 Mann auf und erhielt dafür die Vollmacht, in den eroberten Gebieten die
für die Versorgung der Truppe erforderlichen Mittel zu erheben. Doch er beschränkte
sich nicht auf eroberte, d.h. feindliche Gebiete, und die anderen Heerführer
taten das ebensowenig. Denn es gab kein funktionierendes Nachschubwesen; alles
Notwendige wurde an Ort und Stelle requiriert. Es galt der Grundsatz: »Der
Krieg muß den Krieg ernähren.«
So mußte denn das Land, in dem sich die Armee gerade befand gleichgültig, ob
feindlich, verbündet oder neutral, für Sold, Quartier und Verpflegung
aufkommen. Städte, die von Einquartierung verschont blieben, hatten dafür
stattliche Abstandsgelder zu zahlen. Manche Truppenbewegungen erfolgten gar
nicht aus militärischen Gründen, sondern wegen der Versorgungslage: Wenn ein
Landstrich restlos ausgesogen war, mußte das Heer wohl oder übel woandershin
ziehen.
Am meisten hatte unter dieser Kriegführung die Landbevölkerung zu leiden. Sie
war der Willkür der durchziehenden Heere schutzlos ausgeliefert, während die
Städter hinter ihren Mauern halbwegs sicher waren, falls sie nicht zum Öffnen
der Tore gezwungen wurden. Zu den »regulären« Requisitionen, die schon drückend
genug waren, kam das eigenmächtige Plündern (»Marodieren«) der Soldaten. Für
ungenügende oder ganz ausbleibende Soldzahlung hielten sie sich an den Bauern
schadlos. Wie grausam sie dabei vorgingen, ist unvergeßlich in Grimmelshausens
»Simplizissimus« geschildert. Die Verheerungen waren schrecklich. Brachliegende
Felder, niedergebrannte Häuser, leere Ställe blieben zurück, wenn die Soldaten
abrückten. Obdachlose und Flüchtlinge irrten umher; manche von ihnen schlossen
sich zu Räuberbanden zusammen.
Wie viele Menschenleben der Krieg forderte, ist nicht bekannt. In einigen
Gebieten ging mehr als die Hälfte der Bevölkerung zugrunde; freilich muß man
bedenken, daß die einzelnen Landesteile unterschiedlich hart vom Krieg
betroffen waren. Die Gefallenen und Erschlagenen waren nicht die einzigen
Opfer; viele verhungerten, und noch mehr starben an Seuchen. In den Jahren
1634-1640 wütete die Pest; sie konnte rasch um sich greifen, weil so viele
Menschen unterwegs waren. Erst nach einem Jahrhundert war im großen und ganzen
der alte Bevölkerungsstand wieder erreicht.