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1.1 Biografie Henrik Ibsens
Henrik Ibsen wurde als Sohn eines Kaufmanns am 20. März 1828 in Skien (Norwegen) geboren. Er besuchte die Mittelschule seiner Heimatstadt und kam, nachdem sein Vater verarmt war, 1844 zu einem Apotheker in die Lehre nach Grimstad. 1850 zog er nach Oslo, um das Abiturentenexamen (Matura) nachzuholen. Der Versuch missglückte. Er erhielt aber bald eine Anstellung als Dramaturg und Regisseur an der Nationalbühne in Bergen, die er bis 1857 innehatte. Danach war er als künstlerischer Direktor am Norwegischen Theater in Oslo tätig. Als das Schauspielhaus 1862 den Konkurs anmeldete, ging er als künstlerischer Berater an das alte Christiania-Theater. (Christiania ist der alte Name Oslos.) Im Frühjahr 1864 verliess Ibsen nach öffentlichen Anfeindungen das Land (»alle waren wider mich, ich wurde in Acht und Bann getan«)[1]). Mit seinen Gegnern, deretwegen er das Land verliess, rechnete er in seinem Stück "Ein Volksfeind" ab.
Zunächst verbrachte er vier Jahre in Rom. 1886 siedelte er nach Deutschland um. Erst 1891 kehrte Henrik Ibsen, zu europäischen Ruhm gelangt, nach Oslo zurück, wo er am 23. Mai 1906 verstarb.
Henrik Ibsen gilt als einer der bedeutendsten Wegbereiter des europäischen Naturalismus. Seine Dramen waren Vorbild für viele der ihm nachfolgenden Naturalisten.
1.2 Auswahl seiner Werke
Die Helden auf Helgeland.. 1857
Die Kronprätendanten 1864
Brand.. 1866
Peer Gynt. 1867
Kaiser und Galiläer. 1873
Die Stützen der Gesellschaft. 1877
Ein Puppenheim (dt. Nora). 1879
Die Gespenster.. 1881
Ein Volksfeind.. 1882
Die Wildente.. 1884
Die Frau vom Meer. 1888
Hedda Gabler. 1890
Baumeister Solness. 1892
Klein Eyolf.. 1894
John Gabriel Borkmann 1896
Wenn wir Toten erwachen.. 1899
Das
Stück spielt in einer Norwegischen Küstenstadt in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts. Das Schauspiel ist in fünf Akte gegliedert und wurde am
12. Januar 1883 in Christiania (heutiges Oslo) uraufgeführt.
Der Badearzt Dr. Stockmann entwickelt die Idee, seine Heimatstadt zum Kurort zu machen, und verhilft der Stadt damit zu Wohlstand und Ansehen. Sein Bruder Peter, ein einflussreicher Beamter, realisiert das Vorhaben. Alles ist in bester Ordnung, doch dann entdeckt Dr. Stockmann, dass das Wasser der Badeanstalt nicht heilend, sondern gesundheitsschädlich ist. Die Wasserleitung führt durch einen giftigen Sumpf, und so wird das Wasser mit Keimen infiziert. Dr. Stockmann möchte seine Entdeckung sofort publik machen, um den Missständen Abhilfe zu verschaffen. Zuerst findet er Unterstützung bei der Zeitung des Ortes, deren Redakteure diesen Skandal vor allem gegen die Obrigkeit benutzen wollen. Stockmann ist sich sicher, die Mehrheit der Bürger auf seiner Seite zu haben. Doch bevor der Skandal in der Zeitung veröffentlicht wird, sucht Peter die Redakteure der Zeitung auf. Er macht ihnen klar, dass die Sanierung der Badeanstalt Unsummen an Steuergeldern verschlingen würde, und dass die Anstalt für mindestens zwei Jahre geschlossen werde müsste. Nach und nach kündigen alle Dr. Stockmann die Gefolgschaft auf und er steht mit seiner Forderung nach Veröffentlichung der Missstände und deren Sanierung allein da. Trotzdem läßt er sich nicht beirren und möchte an die Öffentlichkeit treten. Doch kein Buchdrucker ist bereit, für ihn Flugblätter zu drucken, und niemand stellt ihm einen Saal zur Verfügung. Schliesslich kommt es dennoch im Saal des Hauses von Kapitän Horster, der als einziger Bürger der Stadt zu ihm hält, zu einer Bürgerversammlung, bei der Tomas Stockmann seine Ideen vortragen und seine Anklagen erheben kann. In seiner Rede weicht er weitgehend vom Thema ab und kritisiert die Obrigkeit und die Mehrheit der Masse, die immer auf Kosten einer Minderheit entscheidet. Während dieser Rede verliert er auch seine letzten Sympathisanten, wird als "Volksfeind" beschimpft und aus der Halle gejagt.
Aufgrund
der Veröffentlichungen sinken die Aktien der Badeanstalt rapide im Wert.
Dr. Stockmanns Schwiegervater nützt dies aus und kauft, mit dem für Dr.
Stockmanns Frau und die Kinder vorgesehenen Erbteil, einen Grossteil der
Aktien. Der Schwiegervater möchte den Badearzt dazu überreden, seine
Behauptungen zurückzunehmen, um das Erbe der Kinder zu sichern. Doch Dr.
Stockmann bleibt bis zuletzt der unbeugsame und kompromisslose Idealist, der er
immer war. Obwohl er Haus und Anstellung verliert, möchte er im Ort bleiben und
weiter seinen Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit führen.
3 Die Brüder Stockmann
Die Brüder Stockmann sind eigentlich Brüder wie sie im Buche stehen. Der eine ein gebildeter Arzt, der ab und zu gerne populärwissenschaftliche Artikel veröffentlicht, der andere ein erfolgreicher Politiker und Amtchensammler. Der eine ein Liberaler, der andere ein Konservativer. Diese Gegensätzlichkeit der Charaktere beinhaltet natürlich genügend Zündstoff für heftigste Meinungsverschiedenheiten und andere, auch persönliche, Streitereien.
3.1 Der Badearzt Dr. Tomas Stockmann
Bei aller Bildung und wissenschaftlicher Gründlichkeit ist Dr. Stockmann ein grosses Kind, naiv und unbefangen. Es fehlt ihm an der nötigen Menschenkenntnis. So hält er seinen Bruder für ein gutes Stadtoberhaupt und die freisinnigen Phrasen von Billing und Hovstad nimmt er ihnen für wahre Gesinnung ab. Seinen Schwiegervater hält er für einen harmlosen Sonderling, obwohl dieser in Tat und Wahrheit ein reicher Mann ist.
Dr. Stockmann ist unfähig, sich vorzustellen, wie armselig und erbärmlich seine Mitmenschen sind. Seine Söhne will er zu freien, grosszügigen Menschen erziehen und ihnen ein Beispiel sein. Er gibt sich ihnen gegenüber eher kameradschaftlich und kehrt nicht die Seite der väterlichen Autorität heraus.[5])
Dr. Stockmann lebt gern behaglich und umgeben von Unruhe. Gastfreundlich öffnet er jedem sein Haus und sucht Kontakte sowie Geselligkeit. Er isst und trinkt ausserordentlich gern und gibt immer etwas mehr aus, als er hat. ) Im Hinblick auf die Zukunft ist er begeistert und optimistisch zugleich. Kommt noch hinzu, dass er ein starkes Verantwortungsgefühl gegenüber der Gesellschaft besitzt .Für das Volk will er Bildung und Fortschritt. Der Badearzt stösst aber in durch seine Verwerfung des Alten so manchen vor den Kopf. )
Er ist ein Individualist, der auch gerne einmal streitet und nicht nur mit Worten angreift. In seiner Wirkung kommt er als undiplomatisch daher. So ist es nicht erstaunlich, dass ihm alles Politische verhasst ist. Er sieht es als doppeldeutiges, doppelzüngiges Schleichertum feiger Opportunisten.
Dass jemand eine Sache anders betrachten könnte als er, setzt ihn in Erstaunen. Sein Selbstbewusstsein ist ausgeprägt, doch würde er aus seinen Erfolgen nie materiellen Nutzen ziehen wollen. Er ist absolut uneigennützig. Dr. Stockmann teilt gerne und gibt im Hinblick auf seinen Bruder auch gern einmal der Sache wegen nach.[8])
Dabei ist Dr. Stockmann nicht eigentlich weltfremd. Jedoch sind es seine Menschenliebe, sein Idealismus, seine Bereitschaft, von jedem das Beste zu Glauben, die dazu führen, dass er seine Umgebung nicht durchschaut.
Dr. Stockmann ist ein Choleriker, stets aktiv und auf Dauer durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Doch ist er gleichzeitig auch sehr unbesonnen, leicht aufbrausend und neigt zu Übertreibungen.[9]) Eigentlich möchte er aber nur beliebt sein. So trifft es ihn hart, von Leuten, die ihm als Arzt alle nur Gutes zu verdanken haben, als Volksfeind verfemt zu werden.
3.2 Amtsrat Peter Stockmann
Peter Stockmann ist ein im schlechten Sinne Konservativer, engstirniger Honoratior, der in seiner Eitelkeit jede Kritik an den städtischen Angelegenheiten als ein Angriff auf seine Stellung und Popularität auffasst. Seine Würde ist leicht verletzbar, weil sie nicht echt ist. Für ihn ist es am besten, wenn das Volk ungebildet ist, da man es so besser lenken kann.[10])
An seinem Bruder kritisiert er stets herum, hält ihn für einen Verschwender und fühlt sich ihm in Weltkenntnis überlegen.
Wenn es darum geht Menschen einzuschätzen, so sind für ihn vor allem Stand und Herkunft entscheidend. Bei der Einschätzung von Dingen ist es vor allem der kommerzielle Nutzen. (Es interessieren ihn auch nicht die Heilerfolge am Badebetrieb, sondern die steigenden Grundstückspreise etc.) So verwundert es nicht, dass ihn die wissenschaftlichen Argumente des Doktors nicht überzeugen. Er sieht nur die finanziellen Aspekte einer Reparatur und eine Kritik an seiner Amtsführung.[11])
Von Journalisten und dazu noch liberalen hält er nicht viel, so wollte er die örtliche Zeitung, den Volksboten, ruinieren. Um jedoch zu verhindern, dass der Doktor seinen Artikel drucken kann, sind sie ihm nicht zu schlecht, um gemeinsame Sache zu machen und gegen den Doktor vorzugehen. Sein formal eingefädeltes Komplott am Abend der Volksversammlung zerbricht an der Unerschütterlichkeit des Doktors. Zunächst hat sein Appell an die Angst der Bürger Erfolg - sie fürchten, zahlen zu müssen - doch ist er nicht der Sieger des Abends.
Skrupellos überreicht er seinem Bruder am nächsten Tag die Entlassung und macht ihm das Angebot, er dürfe nach Widerruf seiner Aussagen seinen Beruf wieder aufnehmen. Auch typisch ist für ihn die "Hintertür", die feige Art, sich zu drücken, wenn es gilt, Farbe zu bekennen.
4 Dr. Stockmann: Vom Volksfreund zum Volksfeind
4.1 Der Volksfreund
Dr. Stockmann ist ein allgemein beliebter und geschätzter Bürger der Stadt. Er ist Arzt und insofern haben die Leute ihm nur Gutes zu verdanken. Von ihm stammt ursprünglich auch der Plan zur Errichtung der Badeanstalt, welche zu einem allgemeinen Aufschwung und einer Verbesserung des Wohlstandes in der Stadt führt. Seine Popularität verdankt Dr. Stockmann auch den zahlreichen, wissenschaftlichen Artikeln, welche er in der örtlichen Zeitung, dem Volksboten, veröffentlicht. Er zeigt sich zudem als ein liberaler Mensch und auch seine Kinder will er zu solchen erziehen.
4.2 Ursachen des Kesseltreibens gegen Dr. Stockmann
Der Hauptgrund, wieso Stockmann plötzlich schief angesehen wird, liegt in seinem Gutachten über die äusserst bedenkliche Qualität des Wassers. Dieses Gutachten schädigt nicht nur den guten Ruf der Stadt, nein auch die willkommenen Einnahmen drohen zu verschwinden, da der Bau neuer Wasserleitungen den Kurbetrieb für mindestens zwei Jahre zum erliegen bringen würde. Kommt noch hinzu, dass der Bau neuer Wasserleitungen ein sehr kostspieliges Unterfangen ist, welches die Stadtkasse und die Steuerzahler über die Massen beanspruchen würde. Die Kritik an der lokalen Obrigkeit, indem er sagt, er habe schon vor dem Bau der Wasserleitungen, so wie sie jetzt stehen, gewarnt und mit negativen Nebenwirkungen gerechnet, stösst in der Bevölkerung auch sauer auf, da sie besserwisserisch wirkt.
Dr. Stockmanns Offenherzigkeit gegenüber den Journalisten ist ein zweiter Grund für das Kesseltreiben gegen ihn. Er wird für Hovstads Zwecke missbraucht. Die bestehen darin, dass er sich schon lange an der Stadtobrigkeit rächen und ihr eins auswischen will, weil diese Leute gegen seine Zeitung sind. Er will Stockmanns Artikel nicht aus Überzeugung, sondern viel mehr aus Wut drucken. Komm noch hinzu, dass Hovstad in Dr. Stockmanns Tochter Petra verknallt ist und hofft, mit dem Gefallen, den er ihrem Vater erweist, kommt vielleicht auch wieder etwas zurück. Bezeichnenderweise durchschaut Petra aber das Spiel. So fällt für Hovstad ein Grund weg, den Artikel zu drucken. Aufgrund seiner schlechten Menschenkenntnis merkt Dr. Stockmann nicht, dass Hovstad aus reinem Opportunismus heraus handelt und nimmt sein revolutionäres Gerede für bare Münze. So wird er von ihm auch im Stich gelassen, weil Hovstad erfahren hat, dass auch er als Steuerzahler für einen Wasserleitungsneubau bezahlen muss und der gute Ruf der Stadt dahin wäre, wenn er den Artikel druckt. Es bringt Hovstad also mehr Vorteile, wenn er den Artikel nicht druckt, und darum druckt er ihn auch nicht.
Dr. Stockmanns Konflikte mit seinem Bruder und Amtsrat wirken sich ebenfalls negativ auf sein Ansehen aus. Die beiden Brüder sind charakterlich von Grund auf verschieden (=> vgl.3). Dieser neuerliche Streit um das Gutachten und dessen Folgen lassen sie nun vollends zu Feinden werden. Als Amtsrat hat Peter, der Bruder, alle Vorteile auf seiner Seite und kann somit den Druck auf Dr. Stockmann sukzessive erhöhen. Zuerst fordert er, dass der Doktor schweigt, dann verlangt er den Widerruf seines Gutachtens und zuletzt droht er sogar mit Entlassung. Diese Querelen mit einer hochrangigen Amtsperson sind natürlich für das Ansehen von Dr. Stockmann in der niederen Gesellschaft, welche in der Mehrheit ist, auch nicht gerade förderlich.
4.3 Der Volksfeind
Die vielen Angriffe in Dr. Stockmanns Rede vor der Volksversammlung machen ihn nun zum Volksfeind. Er weicht von der Sache ab und spricht "über etwas ganz anderes". Er kritisiert in seiner Rede eigentlich alle Volksgruppen. Er geht gegen die Konservativen und Gestrigen vor, gegen die Liberalen, welche das Volk verführen und gegen die Bürger und ihr Massendenken.
Stockmann geht es in seiner Rede um "grosse Enthüllungen". Er ist zu der Erkenntnis gekommen, dass eine schlimmere Vergiftung im Gange ist. Er stellt die These auf: "das ganze geistige Leben ist vergiftet, die ganze bürgerliche Gesellschaft steht auf dem pestschwangeren Grund der Lüge".
Zur eigentlichen Anklage kommt es erst später. Er klagt die leitenden Männer an, da sie einem freien Manne im Wege stehen. Persönlich geht er gegen seinen Bruder vor. Der wirklich gefährliche Feind der Freiheit und der Wahrheit sei aber, so sagt Dr. Stockmann "diese verfluchte kompakte liberale Majorität".
Im Hauptteil der Rede legt er die Gründe für seine Behauptung dar:
Die Mehrheit hat zwar die Macht auf ihrer Seite, nie aber das Recht, welches bei den weniger zahlreichen Klugen liegt. Diese Klugen stehen auf "Vorposten" und kämpfen für die "jungen, keimenden Wahrheiten". Diese Wahrheiten sind aufgrund ihrer Jugendlichkeit aber noch nicht in der Mehrheit der Köpfe verwurzelt.
Der Einzelne, der klar sieht, muss Krieg führen gegen die Gesellschaftslüge und für die neuen Wahrheiten. Nur die alten, abgedroschenen Wahrheiten finden eine Mehrheit. Dr. Stockmann fügt an, dass eine Wahrheit höchstens zwanzig Jahre leben kann. Nachher ist sie ungeniessbar und führt zu "moralischem Skorbut". Was die Masse heute als "sichere Wahrheiten" ansieht sind Wahrheiten, die aus Grossvaters Zeiten stammen. Nur dank mutiger Vorkämpfer aber hätten diese alten Wahrheiten heute ihre Gültigkeit.
Stockmann nennt einige der veralteten Wahrheiten (dass die Menge, der grosse Haufen, der Kern des Volkes sei; dass der geistig Unreife das gleiche Recht auf Mitbestimmung habe wie der Vornehme und Freie).
Eine Irrlehre ist zum Schluss auch noch zu widerlegen. Dr. Stockmann ist der Auffassung, dass es falsch ist zu sagen, dass nur der einfache Bürger Moral besitzt und geistiger Schmutz und Verdorbenheit seien eine Folge der Kultur. Er zeigt auf, wie sich die liberalen Journalisten des Volksboten selbst widersprechen. Der Volksbote preist einerseits das einfache Leben als einzig moralisch und fordert gleichzeitig, dass die Masse zu höheren Lebensbedingungen geführt werden müsse.
Solche Aussagen und die finalen Angriffe gegen die Obrigkeit veranlassen die Bürger Dr. Stockmann offiziell als Volksfeinden zu betiteln. Dr. Stockmanns Tragik besteht darin, dass er in dem Augenblick als Volksfeind verfemt wird, in welchem er als Freund des Volkes den Menschen die Augen über den an ihnen verübten Betrug öffnen will.
5 Was ist falsch an der Gesellschaft?
5.1 Fehlformen auf gesellschaftlicher Ebene
In gesellschaftlicher Hinsicht ist vieles nicht so, wie es in einer demokratischen, toleranten und freien Gesellschaft sein sollte. Dies drückt sich vornehmlich durch Verlogenheiten in den zwischenmenschlichen Beziehungen aus. So wird der Doktor vom Amtsrat als seinen "lieben Bruder" bezeichnet. Auch verschaffte der Amtsrat dem Bruder seine heutige Stellung als Badearzt. Dies geschah aber nicht etwa aus brüderlicher Liebe, nein der Amtsrat tat dies nur, weil er sich sonst für seinen Bruder hätte schämen müssen. Auch alle anderen "Freunde" des Doktors bleiben dies nur in guten Zeiten. Sobald es aber schwerer wird, verweigern sie ihm die Gefolgschaft und treten sogar gegen ihn los. Dies zeigt auf, wie hinterhältig die Gesellschaft ist. Denn vieles wird nur hinter verschlossener Tür preisgegeben. Verdächtigungen, z.B. vom Amtsrat betreffs den Motiven des Doktors und Intoleranz, vor allem in Bezug auf
andere Meinungen, sind genauso an der Tagesordnung wie Cliquenwirtschaft und Korruption. Viele Personen haben allergrösste Mühe, mit Kritik umzugehen. Sehr oft mangelt es an der nötigen Sachlichkeit und Unvoreingenommenheit, was an der Volksversammlung klar und deutlich zum Vorschein kommt. Die Meinungen sind bereits gefasst, bevor Dr. Stockmann seine wissenschaftlichen Argumente überhaupt vorbringen kann. Zudem herrscht in der ganzen Gesellschaft eine grosse Furcht vor freier oder eigener Meinungsäusserung und eigenem Handeln. Dies veranschaulichen vor allem die Reaktionen infolge der Volksversammlung. Man hat stets Angst, man könnte etwas falsch machen, das heisst, nicht so handeln, wie die Anderen und Oberen. Dies hätte dann mehr oder weniger schmerzhafte Repressalien zur Folge.
5.2 Fehlformen in der Politik
Auf politischem Gebiet sind Amtermissbrauch durch Kritiklosigkeit und Heuchelei stets präsent. So traut sich niemand (ausser dem Doktor), das Übel beim Namen zu nennen, weil man sich sonst all seine eigenen Chancen auf Macht und Ansehen verderben würde. Folglich können die Entscheidungen der Stadtobrigkeit nicht kritisiert werden, egal welcher Natur sie auch sein mögen. Viele Regierende können dadurch an ihren Amtern festkleben, oder sie sogar sammeln. So ist zum Beispiel Peter Stockmann nicht nur Amtsrat, sondern zugleich auch Polizeidirektor, Vorsitzender der Kurbadverwaltung usw. Auch der so unglaublich gemässigte Buchdrucker Aslaksen ist in Sachen "Amtleinsammeln" nicht gerade die Mässigkeit in Person. So ist er nicht nur Delegierter des Vereins für Mässigkeit, sondern gleichzeitig auch der Vorsitzende der Hausbesitzervereinigung. Und somit ist auch gleich ein weiterer Negativpunkt aufgedeckt, denn die Vereine und ihre Vorsitzenden verfügen über zu viel Einfluss. So hört man bei der Bürgerversammlung Sätze wie: "Diesmal hat der Bruder bestimmt Recht, denn weder bei der Hausbesitzervereinigug noch beim Bürgerclub wollten sie ihm einen Saal vermieten" oder "Achte nur auf den Buchdrucker Aslaksen und tu, was er macht". Des Weiteren ist auch die Meinungssteuerung durch die Presse zu kritisieren. Es kann doch nicht sein, dass alle Bürger zur Versammlung kommen und sich ihre Meinung, durch das was der Volksbote geschrieben hat, schon gebildet haben.
Die Gesellschaft in Ibsens "Volksfeind" kann voll und ganz als ein Negativ-Bild einer demokratischen Gesellschaft angesehen werden.
6 Schlussbetrachtung
Henrik Ibsen hat das Drama "Ein Volksfeind" vor mehr als einem Jahrhundert geschrieben. Sicherlich hat er damit auch etwas bewegen oder gar verändern wollen, wie dies die Schriftsteller auch heute vorhaben. Nüchtern betrachtet kommt man aber zum unerfreulichen Schluss, dass ihm nicht sonderlich viel gelungen ist. Ganz im Gegenteil: viele der angesprochenen Themen sind heute noch genau so brisant, aktuell und ungelöst wie zu Ibsens Zeit. Noch heute ist es in vielen Kreisen der Gesellschaft üblich, mehrere Mandate gleichzeitig auszuführen. Dass dies zwangsläufig zu einem Interessenskonflikt führen muss, liegt auf der Hand. Auch heute wird unser Leben noch viel zu sehr von Leuten und Verbänden bestimmt, die keine Kritik verstehen. Auch heute noch muss einer, der frei sagt was er denkt, mit Repressalien rechnen, oder er wird zumindest schief angesehen, wenn er nicht gleicher Meinung ist wie die Mehrheit, die immer noch glaubt, neben der Macht auch das Recht auf ihrer Seite zu haben. Die Fehlformen auf politischer, aber auch auf gesellschaftlicher Ebene, wie Ibsen sie zutreffend beschreibt, sind heute noch präsent
Ein weiteres Thema, nämlich das einer nachhaltigen Entwicklung, welches im Drama beschrieben wird, ist heute ebenfalls noch präsent und ich möchte gar behaupten noch fast unlösbarer und umstrittener als es von Ibsen beschrieben wird. Noch heute stehen bei vielen Entscheidungen die ökonomisch- kommerziellen Interessen im Vordergrund. Die Auswirkungen, welche diese Entscheide auf das Umfeld, haben sind meist von sekundärer Bedeutung.
Eine weitere, für mich wichtige Frage ist, ob ein Familienvater sein ganzes Einkommen und somit auch die Sicherheit der Familie in einem Kampf riskieren darf, wenn eine Niederlage mehr und mehr absehbar wird. Dass Dr. Stockmann am Schluss verliert und seine ganze Familie leiden muss, zeigt für mich, dass er dies eigentlich nicht dürfte. Mit einem solchen Schluss kann ich mich nicht zufrieden geben, denn ich bin davon überzeugt, dass jeder und jede für seine Sache einstehen muss, denn wenn man für seine Ideen und Werte nicht kämpft, kann man sie gleich beerdigen.
7 Literaturverzeichnis
ccc.or.at:
"Naturalismus 1880 - 1900". URL: https://www.ccc.or.at./schule/schulothek/deutsch.html [Stand 25.Nov.2001]
Ibsen Henrik:
Ein Volksfeind. Stuttgart: Philipp Reclam Jun., 1999
Kindlers neues Literatur Lexikon:
Kindlers neues Literatur Lexikon. W. Jens (Hg.). München: Kindler Verlag, 1990
Dr. Königs Wilhelm:
Erläuterungen zu den Klassikern. Erläuterungen zu Henrik Ibsen "Stützen der Gesellschaft" "Ein Volksfeind". 2. Auflage. Hollfeld / Obfr: C. Bange Verlag
Otto Nedden und Karl Ruppel:
Reclams Schauspielführer. Stuttgart: Philipp Reclam Jun., 1969
8 Bestätigung
Ich habe diese Facharbeit unter Benützung der angegebenen Quellen selbständig entworfen, abgefasst, gestaltet und geschrieben.
Kriens, 25. November 2001:
Michael C. Günter
9 Anhang (inkl. Fein- und Grobkonzept)
Kommentar zur geringfügigen Anderung des Feinkonzeptes:
Aufgrund der vorgegebenen Seitenzahl (ca. 12) konnte das Feinkonzept nicht genau eingehalten werden, da sonst die Arbeit zu umfangreich geworden wäre. Am ehesten war es möglich, die Gegenüberstellung der beiden Charaktere wegzulassen, da eine solche durch die Personenbeschreibungen bereits mehr oder weniger vorgenommen werden konnte. So habe ich also auf Punkt 3.3 des Feinkonzeptes verzichtet.
Es
war mir aber ein Anliegen, neben der Biografie des Autors auch einige seiner
Werke zu nennen. Als am besten erwies sich für mich die Art und Weise, welche
ich in
Punkt 1.2 angewandt habe.
) vgl. Rede, Akt IV, "Ja, meine Geburtsstadt liegt mir so am Herzen, dass ich sie lieber ruinieren will
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