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Interview mit Ceija Stojka
Wir: Erzählen Sie uns doch bitte über Ihren Schreibbeginn und über die Reaktionen Ihrer Mitmenschen auf Ihr Schreiben!
Ceija Stojka: Als ich begonnen hab' zum Schreiben überhaupt- als Zigeunerin, als Außenseiterin- also als Unterdrückte- und, und, und .
Wir: Sie waren die erste?
Ceija Stojka: Ja, ja, von Österreich überhaupt, als Zigeunerin, die etwas geschrieben hat und äh, dann hatte ich natürlich auch mit meinen Verwandten Probleme, gell . Bis sie dann- ich hab' gesagt, ich muß geduldig sein und ich muß mir Zeit lassen, irgendwann einmal werden sie das einsehen, daß es der richtige Weg ist, nicht. Aber es hat sich dann ergeben, na daß er selber geschrieben hat, gell.
Wir: Denn am Einngang hat der Karl ja gesagt, daß ihr Geschreibe nur Gekritzel ist. Das habe ich in einem Interview gelesen.
Ceija Stojka: Der Karl? Echt ?
Wir: Ja! Das steht in ihrem Buch "Wir leben im Verborgenen".
Ceija Stojka: Wirklich?- Ja , das ist schon richtig.
Wir: Und daß er dann nachher selber zu schreiben beginnt, da haben wir gedacht, das ist vielleicht
Ceija Stojka: Das ist aber schön, daß ihr mir das sagt. Das find ich Ja, ihr müßt euch vorstellen, ihr seid's Mädchen, sagen wir jetzt, Frauen und habt eine Familie, habt dann Kinder, und da sind Brüder dazwischen, die sich also irrsinnig wichtig vorkommen. Und diese kleine Frau hat mit der Welt zu tun, gibt die Hand den Höchsten und redet mit ihnen. Und in diesem Raum da, wo ihr jetzt seid's, da sind schon ganz große Menschen gewesen und ganz kleine. Und jetzt kommt er. Ich habe auch heute noch- aber es ist schön, es freut mich unhamlich, daß ihr mir das gesagt habts, und es wär' auch schön, wenn s'mir so a Blatt zukommen lassen würdets.
Wir: Das ist in ihrem Buch drinnen, "Wir leben im Verborgenen", im Interview mit der Karin Berger. Da sagen sie das am Anfang über ihren Schreibbeginn, daß Sie ihm das gezeigt haben und daß er es dann abgewertet hat.
Ceija Stojka: Ja, das ist schön, daß ihr das also wieder . Ja, es ist ja auch später dann immer wieder abgewertet worden. Und es ist, daß ihr das behalten habt's und daß ihr über das reden wollt's und auch das Ganze auseinandernehmen wollt's, das ist etwas Wunderbares- wenn das geschieht, gell. Es ist, die Probleme zwischen den älteren Brüdern- er ist nicht viel älter, um zwei Jahre, aber doch. Und jetzt muß man sich vorstellen: er, der eitle Karl Stojka, gell, wird von der kleinen Schwester- alsound da hat man so gewisse . Er hat auch zu mir gesagt: "Dieses Gekritzel wird nie jemand lesen !" Und ich hab' gesagt: "Das macht nichts"- "Ja", sagt er, "und wie viele Bücher werden da vielleicht."- "Na", hab ich g'sagt, "vielleicht sind's zwanzig oder zehn, oderdann liegen eben zehn Bücher irgendwo in einem Haushalt, wo man darüber reden kann. Und das eine Buch wandert von einem zum anderen, und irgendwo in Österreich liegen zwei, drei Bücher. Und das is' ja schon was! Und das hätten sie sich nie gedacht, daß es dann so ein also daß es so eingeschlagen hat. Und ich hab' noch heute meine Probleme mit den Geschwistern. Aber er ist dann vier Jahre später mit einem Buch herausgekommen, gell, und ich weiß, daß ich heute noch sehr, sehr daran zum Nagen hab', gell, weil er ist ja doch ein Mann, gell! Und ich denk' mir: "Ach Gott, ich muß ja nicht überall dabei sein!" Aber er versucht also dann überall dabeizusein, wo er dann glaubt, er könnte alles in einem riesen Karton einschnüren und verstecken- nur ergell, also .
Wir: Das ist uns eh auch aufgefallen, daß Sie eigentlich kaum über ihn schreiben in ihrem Buch, sondern eher über den Ossi oder über die Kathi, aber weniger über ihn. Und er aber auch! Er macht sich auch irrsinnig wichtig, also er setzt sich immer in den Vordergrund, er bezeichnet sich immer als schön, er sagt, daß er die Familie gerettet hat,
Ceija Stojka: Das ist alles nicht richtig . Ich hab' zu ihm gesagt: "Karli, das ist das erste Buch, was rausgekommen ist". Als ich das Buch geschrieben habe- und das ist die Wahrheit- vor zehn Jahren, da hab' ich mich gelöst, also den Druck aus meinem Bauch, wo man immer gesagt hat "Auschwitzlüge" und "das Gelogene", wo dann mein Bruder, also ich habe nicht geschrieben für die Öffentlichkeit, ich hab' für mich geschrieben. Und wenn ich einmal meine Augen zumache: für meine Kinder. Ich hab' nie gedacht, daß es an die Öffentlichkeit kommt. Ich hab' auch nicht gerechnet, daß es jemand nimmt und zu einem Verlag Ich wär' sowieso nie damit gegangen!
Wir: Wie ist das passiert?
Ceija Stojka: Ich hab' einen lieben Menschen kennen gelernt- das wär' ich euch auch erzählen- das ist die Karin Berger. Die hat mich gesucht, die hat einen Hinweis- von wo weiß ich bis heute nicht . Und diese junge Frau war damals so 30, gell, und die hat g'sagt: " Könnt' ich ein Interview haben von Ihnen. Sie sind eine Zigeunerin und mir fehlt in meinem Buch ein, ein ganz kurzer wenigstens zwei Wörter." Sie hat ein Buch herausgegeben und das heißt "Ich gebe dir einen Mantel, den du in der Freiheit auch noch tragen kannst". Und es war niemand bereit, ihr ein Interview zu geben. Und ich hab' g'sagt: "Warum eigentlich nicht!". Ich hab' sie bestellt, und wir sind zur Schwester gefahren und da hab' ich ihr das Interview gegeben. Und im Laufe der Zeit, waren meine Blätter- so wie ihr jetzt da habt's- Blätter, nur Blätter, und da hat ihr meine Schwester gesagt: "I sag' dir was: Die hat auch geschrieben- alles was sie im KZ erlebt hat." Das hat sie behalten und dann ist sie immer gekommen auf einen Café , immer auf einen Café . Ich wußte schon, warum sie kommt, gell, daß sie da reinschauen wollte. Aber ich hab' ihr das nicht gezeigt, und fast ein Jahr nicht, gell. Und der Café wurde immer länger, länger, länger, bis ich einmal g'sagt hab': "Jetzt kenn' ich dich so gut, okay, da hast du alles und mach' daraus etwas, weil ich werd' mich natürlich nie also bei einem Verlag oder so ." Ja, sie hat sich bemüht, hat das geschrieben und ist zu einem Verlag, und der Verlag, der Verlag wollte aber die Originale haben, gell. Die wollt' ich nicht rausgeben, weil so viel Fehler drinn sind, weil ich ja nicht lesen und schreiben . Also ja, dann hat sie das also in einem also alles richtig getippt. Es muß alles richtig geschrieben sein. Wenn's ich lesen kann, kann's ein anderer auch lesen, aber deswegen werd' ich das nicht so an die Öffentlichkeit geben. Und es ist so schnell gegangen dann mit der, mit der Öffnung, gell, also mit der Präsentation. Ja, und es ist also hat fast Amerika, dann Japan, und es ist sehr . In Japan gibt's es auch das Buch- und übersetzt. Und ich kann sagen, daß fast in Deutschlandalso ist es, äh, fast auf jeden Tisch- was Kultur anbelangt.
Wir: Aber hier auch. In den Bibliotheken, das finden wir super, wir haben es in jeder Buchhandlung gefunden.
Ceija Stojka: Ja, dann hab' ich natürlich mit den Geschwistern die wahnsinnigen Probleme gehabt.
Wir: Warum? Wollten sie nicht, daß es veröffentlicht wird?
Ceija Stojka: Ja, also mein Bruder, nein, er wollte eben nicht. Er wollte eben kein Zigeuner also nicht das zeigen .
Wir: Aber er hat ja selbst schon gemalt zu der Zeit, oder ?
Ceija Stojka: Er hat zu dieser Zeit schon, richtig
Wir: Vielleicht weil Sie eine Frau sind. Wahrscheinlich weil sie an die Öffentlichkeit gegangen sind als Zigeunerin und noch als Frau.
Ceija Stojka: Noch drauf. Aber dann die Anerkennung, gell, weil in diesen Räumen waren so viele Menschen - kleine, große. und das hat er für sich nicht verkraften können. Ja, ja , er will immer der . Ich bring' euch jetzt den Café!
[Ceija serviert uns Café mit Gugelhupf]
Wir: Ihre Beziehung zur Natur ist auch irgendwie ganz anders. Das kann man auch in ihren Büchern herauslesen.
Ceija Stojka: Ja, naja, man muß sich vorstellen: Ein Kind, das immer bei der Mutter ist, gell. Und erst , ah, dann losgelassen wird, wenn es also das Leben fordert. Ich war immer im KZ mit der Mama. Wär' sie nicht gewesen, hätt' ich nicht durchg'halten, und bin dann auch sehr früh Mutti geworden- mit 16 hab' ich schon einen Buam g'habt- und hab' mein Leben gemeistert heut'. Und das Leben, was mich geprägt hat, ist auch heute noch in mir drinnen, ja.
Wir: Sie haben da von diesem Baum da geschrieben- dem "Lebensspender"
Ceija Stojka: Ja, da hab' ich also . Also nach dem Buch, gell, ist das sehr rasch- das Buch kam raus und es hat sehr rasch, also, Deutschland und so, die KZ auch gleich erreicht, und da wurde gleich schnell eingeladen, 50 oder 52 Jahre danach- nein 51 Jahre danach- in Bergen Belsen, gell. Ja, und man kann sich vorstellen, wenn man da hingeht, mit der Enkelin, die ziemlich jung war damals, mit meiner Schwiegertochter . Und es ist alles dort flach, gell, also grün- wie eine Heide. Nur mit diesem Wind, ja, und ich hab' zu meinen Kindern g'sagt, ich kann mit den allen Juden nicht gehen also es wäre für den nächsten Tag ein großes, also Treffen, mit zwei- oder dreitausend Juden . Und ich hab' gesagt: "Ich war da drinnen. Ich hab' da drinnen geschlafen, gegessen und ich bin dort gequält worden. Ich muß alleine gehen, weil nur so kann ich das Ganze wieder, also, aufnehmen und eventuell etwas finden." Und als wir reingegangen sind, sagt meine Schwiegertochter: "Du mußt zu dieser Tafel gehen! Die Tafel- dort gehen alle hin, immer zu dieser Gedenkstätte. Da muß eine Tafel sein und da stehen Namen drauf."- Sag' ich: "Die Tafel hat's ja früher nicht gegeben! Also die ist ja erst viel später gekommen. Aber laßt's mich in Ruh'!" Und ich bin dann gegangen, über Hügeln und über dieses Gras da. Plötzlich stand ich vor einem Abschnitt ja, und ich hab' meine Mama gesehn -in diesen Hügeln, diesem Wahnsinn. Und ich war auf diesem kleinen Fleck, wo ich rausgegangen bin vor 54 Jahren. Wenn man das wiederelebt, auf einer Fläche, wo man kaum etwas finden kann, wo man sich nichts vorstellen kann.
Wir: Wir finden das überhaupt sehr beeindruckend, wie Sie das beschreiben, wie Sie ihre Gefühle beschreiben, daß sie so viel schon im Vorhinein spüren können- das ist so esoterisch Also für uns ist es ein total ungewöhnliches Buch!
Ceija Stojka: Als ich dort reingekommen bin, gell, und ich geh' und steh' so . Ja, das ist es, das ist es: Ich spür' meine Mama dort sitzen- nur ohne Gras, der trockene Boden . "Aber jetzt eine Bestätigung," sag' ich, " die müßte ja da sein!" Und das war der Baum. Aber der Baum- es hat ja alles gebrannt, beim Verlassen, gell- aber er war so jung, der Baum, daß er auch den Brand überstanden hat. Und das Schöne ist, er muß noch viele, viele Jahre -also wunderschön g'wachs'n. Er hat Millionen Asterln g'habt, kleine Aste- wie eine graue Frau, die uralt wird und die Haare ganz unten am Boden . Und die Kinder sind unten, also durch, durch die Aste, da hab' ich g'sagt: "Schaut's einmal mitten, wo der Ast sich also auseinandergeht, da muß ein Einschnitt sein- wenn es dieser Platz ist und dieser Baum ist, der jetzt schon zehn Mal so groß ist." Und die Kinder sind durch und da haben sie zum Weinen, zum Schreien ang'fangt. Und wenn ich daran denke, muß ich auch weinen, weil dieser Ast, der ist noch immer dort gewesen- mit dem Einschnitt! Natürlich sind dort ganz, ganz viele Einschnitte.
Wir:[] Bei dem Versuch eine chronologische Biographie zu schreiben, haben wir uns sehr schwer getan, da es manchmal zum Beispiel Widersprüche und so gibt. Dann haben wir aber begonnen die Bücher unter einem anderen Aspekt zu lesen, nämlich daß die Zeit und das Raumgefühl für Sie komplett anders sind, als diese "Schemawelt". Wir möchten nicht unangenehm sein, aber es ist total wichtig für unsere Analyse, daß wir Sie fragen, ob es bewußt eingesetzt ist- manche Fehler
Ceija Stojka: Nein, nein! Es ist meine Geschichte. Und wenn in dem Buch Fehler vorhanden sind, dann hat es sicher entweder war es Karin Berger, die also mit der Zeit gegangen ist und den Fehler nicht auskorrigiert hat, oder es sind Fehler unterlaufen. Aber von mir aus ist alles richtig!
Wir: Denn es gibt einen witzigen Fehler: Am Anfang schreiben Sie, daß Sie 6 Jahre alt waren und irgendwann ist rausgekommen, daß Sie 10 waren.
Ceija Stojka: Naja, das ist der Fehler von, von, von der, die das ausgebessert hat.
Wir: Und daß der Vater um zwei Jahre jünger war als die Mutter [während ein anderes mal geschrieben steht, daß die beiden gleich alt waren] und daß der Vater [laut Karl] nach Mauthausen geführt wurde und einmal [laut ihrer Aussage] nach Dachau.
Ceija Stojka: Nein, nein, mein Vater ist in Dachau gestorben. Karl, mein Bruder, behauptet, er ist in Mauthausen gestorben. Das sind so Fehler . Schau, man muß das auch ,ah, er war ein Junge gell, und ziemlich ein wilder Junge und war nie zu Hause und hat sich nie gekümmert um etwas. Und auch nach dem KZ hat es ihn nicht interessiert, während ich mit meiner Mutter immer wieder, immer wieder- auch als ich schon Frau war ja, und schon Großmutter geworden bin- immer wieder noch zur Mama und Erinnerungen ausgetauscht. Zum Beispiel von der Kartoffelschale, die eine Frau, also eine Weißrussin, verloren hat. Und ja, da hab' ich gesagt. "Mama, kannst dich erinnern?" und sie hat immer gesagt: "Ja, wenn du schälst eine Kartoffel- dann schäl' sie dick!". Das sind dann diese Erinnerungen, die in mir stark hochgekommen sind: "Mama, kannst du dich erinnern, wenn das noch stärker gewesen wäre, hätten wir noch mehr Kraft gehabt". Aber das war's nicht.
Wir: Sie erwähnen in einem Interview auch, daß Sie nie mit Ihrer Mutter wirklich darüber gesprochen haben, daß das immer eine Lücke geblieben ist.
Ceija Stojka: Ja, sie hat es immer nur angedeutet, aber sie konnte nie etwas ganz zu Ende- dann ist schon der Schmerz gekommen. Und dann waren ihre Augen schon ganz gläsrig gell, diese blauen Augen, und ich mußte schon mit meiner Stimme also spielen, und sie hat immer g'sagt: "Jetzt geh' aber raus. Trink' deinen Café und geh' raus in den Garten! Ja, das ganze ist nicht einfach und Buben . Er hat, mein Bruder,- ich liebe ihn und er liebt mich auch, sicher ich bin seine Schwester- aber da ist ein Machtkampf zwischen Aussagen und Aussagen. Weil er der Mann ist, glaubt man, er müßte alles wissen nicht, und ich tu' auch mit meiner Schwester, die mich sehr gut versteht -Kathi- die immer sagt: "Ja, du weißt doch eh wie die Buam sind! Und der kann es nicht wissen." Und er weiß heute noch sehr wenig.
Wir: Ich habe ihn schon persönlich in einer Vorlesung gesehen, in der er allen irgendwie ein schlechtes Gewissen eingeredet hat, weil wir die Nachkommen der Generation sind, die ihm das alles angetan haben. Er war ziemlich aggressiv usw.
Ceija Stojka: Ja, aber das kann man nicht , man kann nicht also das auf andere Menschen übertragen.
Wir: Es waren auch alle ziemlich geschockt, denn wie kann er uns Schuldgefühle einreden!
Ceija Stojka: Nein, das darf man nicht. Er ist ziemlich ich komm auch mit ihm nicht zurecht. Ah, es sind zum Beispiel Kleinigkeiten: Ich sag' zu ihm: "Morgen hat mein Schwager Geburtstag- der 31. Mai, nicht". Das war für mich so selbstverständlich wie wenn man Café kaufen geht und Zucker. Und er sagt zu mir: "Du bist blöd! Es gibt doch keinen 31. Mai!" Da hab' ich gesagt: "Karli bitte, es gibt einen 31. Mai, immer." Dann hat er also so mit den Fingern abgezählt und ist auf die Höhe gekommen, nicht. "Ich will ja nichts sagen- du bist ja mein Bruder und ich liebe dich." Aber es sind so Kleinigkeiten und viele andere Sachen, wo er nach Amerika schreibt und geschrieben hat, und sagt: "Meine kleine Schwester, die kann das nicht wissen- die war viel zu klein!" Jetzt hat man ihm aber zurückgeschrieben: Herr Karl Stojka, können Sie nicht zurückdenken, wie alt war ihre Schwester wirklich? Ich kenne Menschen, die sich ab drei Jahre erinnern können. Wie alt war ihre Schwester und wie ist ihr Erinnerungsvermögen? Jetzt hat er es zum ersten Mal nach so langer Zeit zugegeben, daß ich mich doch erinnern kann.
Wir: Wir alle haben bemerkt, daß Sie keinen Haß verspüren und auch niemandem Vorwürfe machen. Bei Karl ist das ja umgekehrt. Glauben Sie, daß es auch mit dem Alter zutun hat?
Ceija Stojka: Weil er um zwei Jahre älter ist? Nein, nein, das glaub' ich nicht! Er hat vielleicht mehr wie soll ich sagen es ist die Zigeunerwelt sehr klein, sehr jung mit dem Schreiben und überhaupt mit Aussagen. Bis jetzt waren sie ja im Verborgenen und die meisten sind es heute noch , ja. Jetzt gibt es aber einen kleinen Teil, der sich öffnet und dann sagt man: "Wieso hab' ich nicht vorgegriffen?" Es gibt Frauen bei uns - bei den Zigeunern- die sagen: "Wenn ich schreibe, dann muß es ein Bestseller werden!" Ich sage, es soll kein Bestseller werden. Ich bin glücklich, wenn ein Buch gekauft wird und wenn ein junges Mädchen, das nicht mehr Geld hat, und es für dieses Buch opfern muß- ich hab' sowieso nichts davon- kauft es, liest es und sagt: "Ja, das war's." Und sagt zu ihrer Freundin: "Du, lies es auch!" Und die nächste gibt es dann weiter. Dann ist mein Buch ein größerer Bestseller, dann ist dieses kleine Buch durch mehr Hände gegangen daß man nicht zählen kann, durch viele Hände gegangen, ja. Und da ist aber der Machtkampf zwischen den Männern- jetzt sind wir wieder dort: Männer. Hätte er früher, hätte ich keine Chance überhaupt, eine Aussage zu machen. Bei mir hat er alle Chancen: Ich bin eine Frau! Ich weiß, was ich sage, ich rede mit Menschen, und wenn er glaubt, daß er auf diese Art- also seinen Haß auf das Geschehene geben muß, daß er andere Menschen dadurch in den Schmerz hereinbringt- das ist nicht richtig! Weil, was kann die nächste Generation- ich bin nicht einmal auf den Hitler böse, weil ich sage, er war ein Narr: er hat seine eigenen Menschen vernichtet. Er muß ein Irrer gewesen sein! Er hat Kinder an die Front geschickt !
Wir: An manchen Stellen im Buch sind wir uns nicht sicher, ob sie zynisch und kritisch schreiben. Zum Beispiel bei der Schilderung über die "armen" Nazis, die auch gerne zu Hause gewesen wären mit ihren Familien- aber weil sie es nicht konnten, haben sie einfach den Frust auf die Insassen abgelassen.
Ceija Stojka: Ja, bin ich auch, aber es ist so: Wenn dieser junge Mann, der gerade eine Frau geheiratet hat und ein Baby kriegt und verliebt ist und der muß nach Auschwitz rein und den Wahnsinn dort miterleben muß, dann ist es ja ganz klar, daß er sagt: " Diese Kreatur, wenn die nicht da wäre, dann wäre ich zu Hause". Und so war es. Und es ist so. Es waren nicht alle böse. Es hat Ausnahmen auch damals gegeben. Ein Nazi ist auch nur ein Mensch. "Nazi" ist nur die Bezeichnung für das, was er tut in seinem Leben, wo er sich hinwendet, aber in Wirklichkeit ist er ein Mensch!
Wir: Uns ist auch aufgefallen, daß Ihr Bruder Ihre Mutter nur in ihrer Rolle als Mutter gesehen hat, also er beschreibt immer nur, wie gut ihr Essen war und was ihre Pflichten waren und was üblich war für Roma damals. Sie hingegen beschreiben sie eher von der mütterlichen Seite, aber nicht im Dienste einer Frau, sondern als Mutter und "Lebensretterin".
Ceija Stojka: So war es auch. Ich war damals also 12 - also mit nicht ganz 10 kam ich nach Auschwitz, mit 10 Jahren ist man schon ein großes Mädel, und wir haben das beste daraus gemacht. Es ist ein Kleiner gestorben und Karli und Hansi, Mitzi und Kathi sind alle weg gewesen. Die Kathi war noch mit uns bis Ravensbrück, gell. Dann war Kathi auch weg und ich kam mit Mama am Ende nach Bergen-Belsen. Also Auschwitz war ja die Hölle, und dann dieses Frauenlager, wo die Frauen schlechter waren, schlechter als die Männer. In diesem schrecklichen Ravensbrück, wo die Frauen also.wirklich unbeschreiblich, daß kann man nicht .Da gab es eine, die hat Pinz geheißen und sie war schlimmer wie jeder Mann! Sie fuhr mit die Rädern in die Frauen hinein, hat ihnen die Füße mit dem Rad aufge.äh, also es ist eh klar. Und wir haben alle gefrorene und geschwollene Füße gehabt- wir haben ja alle keine Schuhe gehabt und wenn man einmal einen Fetzen erwischt hat, den man sich über die Füße gerollt hat, haben sie, und hat eine, meiner Mama ihren Kopf geschlagen und mich geschlagen. Sie hat nur geschlagen, sie war böse.
Und für mich war meine Mama das ähwenn sie mich mit ihre Augen angesehen hat, habe ich den Hunger und den Durst und alles vergessen, weil es war jemand da, der ein Stück -ja mir gehört, wo ich Fleisch und Blut bin, ja. Das war diese Wärme, obwohl es eiskalt war, aber sie hat zu mir gesagt: "Du mußt durchhalten, wir müssen stark sein! Du bist du, Ceja, du bist du. Nur du nur du kannst deinen Füßen jetzt das sagen, daß sie laufen und daß sie warm werden. Und nur du kannst in deinem Kopf jetzt das ganzedaß du keinen Hunger hast. Du mußt durchhalten, denn wir müssen raus und Karli, Hansi wartet, Kathi, Mitzi wartet." Das wäre anders nicht möglich gewesen, es sind ja täglich so viele gestorben. Und es wär' anders nicht möglich gewesen. Oft haben auch ein Gefühl gehabt, wo wir g'sagt haben: "Wer weiß, was mit den anderen ist. Wir machen die Augen zu", und in der Früh, also, wären wir weg gewesen, weil die Kraft ja nicht da war, wir hätten ja rübergeschlafen, aber sie war immer diejenige, die immer wieder gesagt hat: "Schau, hast g'hört: irgendwo ist ein Vogel!" Obwohl er nicht über das Lager geflogen ist. Weil es hat in diesem Lager so gestunken, daß sogar kein Vogerl nicht hingekommen ist, oder eine Ratte, ich habe keine Ratte gesehen. Und wenn es einewahrscheinlich haben sie die anderen schnell gegessen.
Wir: Im Gegensatz zu Karls Buch, beschreiben sie die Tatsachen nicht so grausam bis in das letzte Detail.
Ceija Stojka: Ich habe nie, also, an ein Buch gedacht, das in die Öffentlichkeit kommt und ich mich protzen will mit was ich geschrieben hab, ich habe etwas geschrieben für meine Kinder, damit die Urenkel einmal sagen können, was da einmal wirklich war. Was war mit unserer Urgroßmutter? Die wollen das wissen. Damit die Kinder da einmal Einblick haben. Nur hat sich, wie das Leben halt sich abspielt und wie die Strahlenwährend ich da geschrieben habe, haben sich irgendwo, so wie ihr jetzt, auch drei Mädchen zusammengetan, die auch geschrieben haben über Widerstandskämpferinnen damals, gell. Und die sind dann auf mich zugekommen. Und ich habe dem einen Mädchen dann gesagt: "Da hast du das Geschriebene und kümmere dich darum, daß es in die Öffentlichkeit kommt, denn mein Bruder hat zu mir gesagt: "Schmeiß' doch den Dreck weg. Wer wird denn das lesen?". Da habe ich gesagt: "Mein Gott na, und wenn es nur zwei lesen oder werden es vielleicht fünfzig Bücher"-"Na stell dir vor was du da sagst: fünfzig Bücher! Das ist ja irrsinnig viel!"
Wir: Sie beschreiben auch den engen Zusammenhalt der Frauen im KZ, daß sie viele Freundinnen gefunden haben, während ihr Bruder jeglichen Zusammenhalt abstreitet. War es wirklich so, daß man zusammengehalten hat?
Ceija Stojka: Ich denke, daß es damit zutun hat, daß er das Leid, das er dort mitgemacht hatschon alleine, wie er die 75 Hiebe bekommen hat, gell, und ich ihn gepflegt habe - ab diesem Zeitpunkt vor den Augen eine Rollo herunterlassen hat und einfach nur darauf gelebt hat und nicht registriert und nicht aufgenommenUnd dadurch ist es auch in seiner Niederschriftes war nicht nur böse, denn wir Insassen, wir Opfer, wenn die eine einen breiten Rock gehabt hat, dann hat sie ein Teil abgeschnitten, rausgenommen und gesagt: "Du, du kannst aus dem den Kindern Unterhemderl machen. Oder aus einer alten Decke.Und es istauf diese Art und Weise hat man auch überleben können. Ich hab' zu ihm gesagt: "Karli, wenn du deine ganze Geschichte noch einmal überdenkst und den wahren Weg gehst, den du wirklich erlebt hast- die Wahrheit- dann ist es viel schöner, einfacher und schöner, ja. Aber dieses Übertreiben, das bringt nichts und hat auch keinen Sinn!
Wir: Er schildert ja auch bis ins Detail, wie die Gefangenen umgebracht wurden. Vielleicht wollte er ja auch schockieren!
Ceija Stojka: Ja sicher, er wolle schockieren, aber es ist schlimm, es ist schlimm! Es kommt immer drauf an, wie weit man reingehen kann ,gell. Sicher hätte ich viel stärkere Sachen gehabt, um in dem Buch zu geben, aber man soll damit gut umgehen können! Das Böse weiß der Mensch ja dann selber. Man hat ja selber
Wir: Sie haben ja alles viel symbolischer ausgedrückt. Zeit hat für Sie immer bedrohlich gewirkt, es war immer eine Eingrenzung in der Gadsche- Welt. Kennen Sie Miso Nicolic´?
Ceija Stojka: Ja, ja, ich bin bei ihnen also Vice- Obfrau in diesem Verein! Im Romano- Centro.
Wir: Wir wollen nämlich auch seine Erzählweise mit ihrem Schreibstil vergleichen. Sie beschreiben nämlich, was Sie selbst alles erlebt haben. Er hingegen schreibt nur über seine Eltern.
Ceija Stojka: Ja, ja, ein Gedicht kenn' ich von ihm: "Das Bündel", glaub ich.
Wir: "Ein Teller voll Dukaten" kennen Sie nicht?
Ceija Stojka: Au! Na Moment, Moment! Jetzt bin ich Miso. Nein, ich mein den Illias!
Wir: Ich hab' mir auch überlegt, ob ich nicht auch zu ihm gehen soll, aber mir kommt auch vor, daß er sich ein bißchen wichtig macht.
Ceija Stojka: Bitte, darf ich dir jetzt etwas sagen- diese ganzen die Ehrlichkeit liegt in dem kleinen Buch "Wir leben im Verborgenen" , ja! Das ist die Wahrheit. So war es im KZ, und so haben wir gelebt. Und das andere ist dann also sie wollen etwas erreichen. Das ist jetzt das selbe, wenn ich jetzt sage: "Du schreib', du wirst besser als ich!". Das kann nicht sein! Dieses kleine Buch "Wir leben im Verborgenen", das kann niemand wiederholen. Und es kann niemand einholen, weil es war einmalig, es war nicht beabsichtigt, was da rausgekommen ist, und es ist einmalig. Und das kann niemand erreichen. Und es geht immer nur um ihr Werk und um ihre Aussage, ja, und ich weiß, daß der Miso ein jeder möchte versuchen, etwas zu bringen, zu sagen- es ist ja schön das Leben! Aber haben wir jetzt nicht ein Leben vor uns, wir vier, das auch ein Stück wert zu schreiben ist? Wie das Leben läuft und wie das Leben ist.
Wir: Wann verwenden Sie eigentlich die deutsche Sprache und wann sprechen sie Romanes? Wenn Sie schimpfen, tun Sie das dann eher auf Deutsch?
Ceija Stojka: Ja, auch! Schimpfen tu' ich auch auf Deutsch.
Wir: In ihrem Buch schreiben Sie auch oft zuerst auf Romanes und dann erst die deutsche Übersetzung.
Ceija Stojka: Ja, die Mama! Ja, ja. Sie war eine ewige Österreicherin, die ewig den Einschlag ein biß'l also nie richtig Deutsch hat können, gell. Man hat das sehr stark g'spürt bei ihr-aber sie war so super!
Wir: Was ist eigentlich mit ihrem Vater?
Ceija Stojka: Mein Vater, also der ist in Dachau gestorben, gell, und der Karli behauptet- das ist ja eben dieser Unterschied, der der mir das Leben ziemlich schwer g'macht hat, gell: Ich als Schwester, bei Zigeuner also, da muß ich immer einen Schritt zurück sein, gell. Aber umgekehrt wollte ich mir auch meine Rechte nicht nehmen von ihm und meine Behauptung gelten lassen- was wahr ist, was stimmt, nicht. Und ich habe die ganzen Unterlagen bekommen, gell, von Dachau- wo mein Vater war- auch es scheint sein Name genau auf, gell, und ich hab' schon früher gewußt, wie mein Vater umgekommen ist dort in diesem KZ.
Wir: Durch wen?
Ceija Stojka: Ja, ich hab' Suchaktionen also eingeleitet. Ich war- wie soll ich sagen- als KZ-Kind bin ich nie damit fertig geworden, gell, obwohl die anderen schon immer das eigene Leben gelebt haben, hab' ich mich noch als 18-jährige gefragt: Wieso ist das eigentlich geschehn? Warum ist das geschehn ? Wieso mein Vater? Ich war ein Mädchen mit 18 Jahren- wie gern' wär' ich mit meinem Vater
Wir: Sie waren schon stolz auf ihn, oder?
Ceija Stojka: Ja, ja.
Wir: Sie erwähnen ja such oft, wie sehr er ihnen gefehlt hat- als Vorbild usw.
Ceija Stojka: Und wieso? Ich war jetzt 18, 19, 20 und dann hab' ich geschrieben an die Konzentrations- und Vernichtungslager. Hab' ich geschrieben und hab' nie eine Antwort zurück bekommen. Und eines Tages kam aber eine Antwort, und da steht drinnen: Karl Horvarth Wackar, wohnhaft - wo er gewohnt hat, die Gasse, alles, wo wir gewohnt- und die Bestätigung. Nur können sie nicht ganz genau sagen- das ist auch verständlich- wo er gestorben ist und wann, nicht. Weil die Papiere, die wir damals bekommen haben, die sind ja auch mit denen unserer Verhaftung an Ort und Stelle geblieben und da ist nichts mehr da, nicht. Da gibt's nichts.
Wir: Bei Karl ist uns auch aufgefallen, daß er sein eigenes Verhalten durch das seines Vaters gerechtfertigt hat, da dieser auch öfters seine Familie einfach allein gelassen hat- wie ihre Mutter erzählt hat- und im schönsten Anzug das Geld für Frau und Spiel ausgegeben hat.
Ceija Stojka: Ich kann das nicht sagen. Ich kann das nicht behaupten, ich weiß das nicht. Ich kann das nicht sagen. Ich hab' das nicht erlebt. Ich hab' meine Eltern nur von einer Seite kennen gelernt, die arm waren, die nicht viel gehabt haben, die unter dem braunen Regime auch noch unterdruckt worden sind, von ihrer Reise auf einen kleinen Platz- also in den 16. Bezirk- mußten, sie mußten auch- wie sagt man- registriert, gemeldet sein. Und mehr weiß ich da nicht, also kann ich nicht sagen: "Mein Vater war ein so ein Typ, der davongelaufen ist". Ich weiß nur: Wenn er verkauft hat, dann hat er es der Frauund wir haben gelebt davon und wir haben miteinander diesen Wahnsinn mitgemacht. Ich kann mich auch an Sachen erinnern, wo sich meine Schwester- meine älteste Schwester, die jetzt die älteste ist- gewundert hatich hab' sie vor zwei oder drei Jahren gefragt- das steht aber nicht im Buch drinnen-: "Sag' einmal Kathi, ich hab' eine Erinnerung, ich kann schlecht umgehen damit, aber es kommt immer: Und zwar ein, ein, ein Platz, wir wurden registriert, wir mußten alle hingehen, ein Sessel, der immer g'quietscht hat bei jeder Drehung- links, rechts - und Scheinwerfer. Und ich kann mich erinnern, mein Vater ist draußen mit uns am Gang gestanden voller Angst, meine Mama auch, und dann hat er denan Buam' jeden ein Stückl Knackwurst gebn - a Wurst- und mir hat er keine gegeben. Und wahrscheinlich ist es ja auch deswegen: Wenn er mir auch eine Wurst gegeben hätte, von der Knackwurst, dann hätte ich das wahrscheinlich auch vergessen. Aber daß mir mein Vater nichts gegeben hat, weil nur ein Stückerl war da, denan Söhnen aufgeteilt hat, und mir nichts dadurch ist die Erinnerung auch so stark bei mir drinn. Er hat mir nichts gegeben. Hab' ich ihn aber nie g'fragt, weil wir sind ja dann Z'aus, und hab' ihn nie g'fragt: "Warum hast du mir denn kein Stückerl gebn?" Aber es kommt ja etwas Interessantes aus dieser Sache heraus: Meine Schwester hat damals gesagt: "Wieso weißt du das? Also, ich hab' das vergessen, aber das stimmt- es ist war! Du bringst jetzt in mir etwas hoch, das was 50 Jahre da drinnen war. Ich hab' das total vergessen, aber es stimmt!" Sag' ich: "Also hat das gestimmt? Stimmt das? Sind wir auch geknipst worden?"
Wir: Vom Dr. Ritter und der Eva Justin? Wirklich?
Ceija Stojka: Ja, ja. Kein Mensch würde das erkennen. Kein Mensch. Ich kann mir nicht vorstellen, daß meine Schwester oder irgend jemand diesen Menschen da erkennt. Wenn das Bild da liegt, ganz ein kleines Bild, ich seh' aber schlecht, ich hab´ nur ein Auge Ich hab´ geglaubt ich bin in Auschwitz, ich hab einen Anfall gekriegt. Da ist das mein kleiner Bruder, da Ossi. Ein Bild, das weder von unseren Eltern gemacht wurde oder von unsren Freunden, sondern eben von dieser Justin, gö. Und wahrscheinlich war das auch diese Situation, wo ich die Wurscht nicht bekommen habe. Diese ganzen Bilder hat sie gebracht, mich, mein Bruder Karl, die Mitzi, die älteste Schwester, die Kathi, in Hansi, meinen Vater, meine Mutter, meine Großmutter, die ganze Familie liegt vor mir in den Bildern. Aber lauter Bilder, die keiner kennt. nicht einmal Karl Stojka, ja o.k.? Und natürlich ich war auch schockiert, ich muß Euch das ehrlich sagen. Aber meine Bestätigung, daß ich das damals eine Erinnerung gehabt hab hat sich bestätigt mit diesen Bildern. Sagte ich: Karin, wie hast Du das geschafft? Von wo hast Du die Bilder? Das sind Bilder lang vor unserer Verhaftung, das ist drei Jahre zuvor. Wir sind also 1940, ehhh ´43, verhaftet worden. Die Bilder sind aber beschrieben mit ´43. ahhh mit ´40. Wir sind ´43 verhaftet worden und mit ´40 sind diese Bilder alle registriert. alle Bilder. Darunter war sogar ein ganz kleines Farbphoto.. damals zu dieser Zeit.. wie ein Dias, ein farbiges. Und da frag ich mich, was haben sie vorgehabt mit diesen Bildern. Und ich kann mich erinnern, daß wir unsere Füße auch auf ein Kasterl gelegt haben, ich kann mich erinnern, aber gut das gibt's nicht. es wird vielleicht irgendwo vergraben sein.
Wir: Waren die Leute damals freundlich, oder war die Registration eher zwanghaft?
Ceija Stojka: Schau meine ganzen Geschwister haben diese Szene vergessen. Ich hab diese Szene immer in mir drinnen gehabt, vor allem dieser knackige Sessel, der sich immer, bei jeder Drehung, gezackt hat, und dann die Teilung von der Wurscht, von der Knackwurst, was ich nicht vergessen hab. Das war für ein Mädchen . der Vater hat mir ja nichts gegeben, die Buam hab´n nur kriegt und i nix, und es war für mich die Bestätigung plötzlich da durch diese Bilder. Wie es sich damals das ganze abgespielt hat war ganz normal. Das heißt man ist, es sind ja alle in einem Raum, wahrscheinlich auch alle Juden, auf diese Art und Weise registriert worden, ohne daß es den anderen aufgefallen wäre sind wir vorgeladen worden, sind fotografiert worden. Das ist so schnell gegangen, daß es viele wieder vergessen haben.
Wir: Das hat Karl Stojka ganz anders erzählt.
Ceija Stojka: Das kann nicht anders gewesen sein, man sieht ja die Bilder auf drei Seiten, links, rechts, das kann nicht anders sein. Man sieht auch den Sessel, man sieht die Mauer. Das kann nicht auf der Wankostätten sein.
Wir: Er hat auch ein Bild gezeigt.
Ceija Stojka: Das ist möglich, das kann ich aber nicht sagen. Er hat zu mir gesagt: "Schau auf das Bild! Ist das nicht die Großmutter?" Ich kann mich aber nicht auf den Wohnwagen erinnern . ein Wohnwagen, wie der andere. Ein Reihenhaus wie das andere, gell, da kann man sich nicht mehr so erinnern. Aber das weiß ich ganz genau, daß diese Bilder, diese Bilder, die ich meine, nur in einem Gefängnis, sagen wir Landesgericht, in einem kleinen Raum Ich kann mich erinnern, es war ein Licht, ein schreckliches Licht. Und vor allem hab ich Angst gehabt, weil der Weg von der Mutter zum Sessel und das Drehen und es ist immer geknipst worden Wer geknipst hat, das weiß ich nicht. Ich kann mich nur auf die Bewegungen erinnern. Vor allem an den schrecklichen Sessel. Und das ist sehr schnell gegangen. Wir waren auch alle sehr schnell wieder draußen. Aber ich habe die Wurst im ganzen KZ-Sein, mein Vater war schon tot, nie vergessen. Ich hab immer gesagt: "Wenn mein Vater gelebt hätte, hätte ich ihn fragen können, warum er mir von dieser Wurst nicht auch ein Stückchen geben hätte können." Ich hab das nicht überwinden können.
Wir: Haben die Männer bei den Roma das Hauptwort?
Ceija Stojka: Nein! Nur zum Schein. In Wirklichkeit kann es ja nicht sein, denn die Frau bekommt ja die Kinder, sie hat die Probleme.
Wir: Wie ist das bei Ihnen mit der Heirat? Sie erzählen ja nie in Ihren Bücher: "Jetzt habe ich mich verliebt." Es ist einfach der Sohn auf die Welt gekommen. ( zum Beispiel die Geschichte, als der Vater das Kind weggenommen hat ) Ware Liebe nicht wie ein Spiel?
Ceija Stojka: Das ist so und ich komm nicht wieder darüber hinweg. Ich kann es nicht mehr ändern.
Wir: Aber der schönste Satz ist: "Reisende kann man nicht aufhalten."
Was wir auch nicht verstanden haben: In Bergen-Belsen haben sie von einem Engländer eine Dose zum Essen bekommen. Sie sind von dieser Dose blind geworden.
Ceija Stojka: Schau , das werdet
Ihr gleich verstehen. Wenn Du Dir dem Körper alles entziehst, Du hast nur Rüben
und einmal alle drei Monate eine Kartoffel, und Regenwasser oder rostiges,
schmutziges Wasser. Zum Glück hast Du einen Magen, der alles gut verdaut. Du
trinkst viel Regenwasser. Du trinkst viel Tee, den Du Dir aus Brennesseln
machst. Du ißt das, was Du Dir gestohlen hast, eine Rübe, oder irgendwo
gefunden hast. Du ißt alles, aber viel zu wenig. Du hast keine Vitamine. Du
hast kein Brot. Du hast keine Milch. Du hast keine Butter. In Ausschwitz gab es
noch Butter, wo anders aber nicht mehr. Wenn Du das drei Jahre machst und dann
kommen die Amerikaner und bringen Dosen.. Die Dosen haben wir miteinander
vergewaltigt dann kam das Fleisch mit dem Schmalz und wir haben es
gleich gegessen. Das kann der Körper nicht aufnehmen. Es hat sich sofort auf meine
Augen geschlagen, da bin ich sofort blind geworden. Aber es war bald auch
wieder vorbei. Momentan, nach 5 Minuten ungefähr, hat meine Mama zu mir gesagt:
"Du bleibst jetzt hier, ich geh zu den Amerikanern. Ich komm gleich wieder
zurück." Währenddessen haben wir die Dosen aufgemacht und gegessen. Bis meine
Mutter nach 10 Minuten zurückgekommen ist, war mein Augenlicht weg. Also hat
sie mich bei der Hand genommen und hat gesagt: "Schnell, schnell, ich hab Dir
ein Zelt aufstellen lassen. Du bekommst dort alles, Häferl, Glaserl, Brot." Ich
habe dann gesagt: "Ja Mama, das ist alles sehr schön." Ich bin dann aber
geflogen, ich habe mir es zuerst nicht sagen getraut. Wenn sie das gehört
hätte. "Ja was ist denn los mit Dir? Schnell renn!" Nun mußt ich ihr das sagen:
"Mama i siech nix." Aber sie
war so gescheit, sie hat gleich gewußt, was los ist. "Du hast das Fleisch
gegessen," sagt sie.
Dann ist sie zu den Leuten gegangen, zu den Engländern. Sie haben mich in das
Zelt gebracht. Dann hat einer gesagt: "Gib bitte die Zunge heraus!" " Nein das
mach ich nicht!" Zwei Sekundendas ist gleich zergangen auf der Zunge. Sie
haben das ja gewußt.
Wir: Wir haben gedacht die NAZIS wollten Euch vergiften.
Ceija Stojka: Nein! Diese Schmalzbrot habe ich nicht angebissen, ich habe es nur angegriffen. Er hat gesagt: "Nimm Dieses Brot! Ich habe auch so eine Klene wie Du." Ich hätte das Brot nie gegessen, weil dazu sind wir von Ihnen zu sehr gezüchtigt worden. Die Dose, die ich von den Alliierten bekommen habe, die haben wir gegessen. Das Schmalz und das Fleisch war natürlich zu stark für meinen Körper. Und da habe ich mein Augenlicht verloren und die Alliierten haben auch gewußt, daß Menschen, die leiden, gewisse Medikamente brauchen. Das Pulverl war so klein, kaum zu sehen. Es ist sofort auf der Zunge zergangen und plötzlich sind meine Augen wieder da gewesen. Aber was sein muß, muß sein. Das Schicksal hat mich eingeholt. Vor fünf Jahren bin ich doch an dem einen Auge erblindet.
Wir: Was war die Ursache?
Ceija Stojka: Wenn Ihr das zweite Buch auch gelesen habt, wißt Ihr, ich hab einen zweiten Sohn auch noch gehabt. Er war ein schöner, fescher Mensch, ein super Musiker. Er war meine Sonne! Er war mein Leben, wie alle meine Kinder. Da gibt's keine Ausnahme, nicht das eine mehr, das andere weniger. Aber er war viel zu sensibel, viel zu schön für diese Welt. Diese reichen, hochgestellten, diese berühmten Menschen.. er als Zigeunerkind war ein zu sensibler Mensch.
Wir: Es hat uns so fasziniert, daß sie nie jemanden abgestempelt haben. Sie haben auch einmal erwähnt, daß die Süchtigen in unserer Gesellschaft gemieden und abgestempelt werden. Sie haben jedoch versucht, die schwierige Zeit mit ihrem Sohn durchzumachen, während andere Eltern ihre Kinder in eine Anstalt schicken .
Ceija Stojka: Ich würde jedes Kind von denen wegnehmen, weil diese Kinder haben keine Chance. Abschieben ist immer das einfachste.
Wir: Gehen wir vielleicht wieder zurück in die Zeit ihres KZ-Aufenthaltes. Für uns wäre es der größte Horror mit der Angst zu leben, vergewaltigt zu werden. War das auch bei Ihnen der Fall? Sie haben einmal in ihrer Autobiographie von den Weißrussinnen erzählt, die den KZ-Männern so gefallen haben. Waren sie Ihre Mädels, sozusagen?
Ceija Stojka: Das war sicher der Fall, aber wir nicht.
Wir: Waren sie sich zu gut dafür?
Ceija Stojka: Nein, nein! Das war ganz anders. Sie hätten schon gerne Zigeunermädchen gehabt. Am Anfang war es auch so, daß sie sich so manche herausgeholt haben und sie vergewaltigt haben. Aber das wußte ich damals nicht. Meine Mutter hätte mir das nie erzählt und hätte mich nie damit gequält. Ich hatte davon wirklich keine Ahnung, das hat mir meine Mama aus den Augen genommen. Aber als ich dann älter war hat sie mir das dann erzählt und daß diese Frauen sich dann auch selbst umgebracht haben. Die meisten haben Selbstmord gemacht, weil bei den Zigeunern ist es ganz schlimm, wenn eine Frau von anderen Männer Sie kann dann ihren Mann und dem Vater nicht mehr in die Augen schauen. Das ist eine gewisse Erziehung.
Wir: Je älter Du als Frau im KZ gelebt hast, je mehr hast Du noch diese zusätzliche Angst.
Ceija Stojka: Nur waren diese Mädchen und Frauen später, sie hatten das Glück, weil man ja verschiedene Krankheiten gehabt hatte. Und diese Frauen, die schönen Frauen, haben sich so manchen Dreck in die Augen geschmiert und haben sich so manche Wunden zugeführt, damit man sagt, sie haben Krebsen. Oder sie haben gesagt, sie haben irgendeine Geschlechtskrankheit. Und dann sind sie von ihnen in Ruhe gelassen worden.
Wir: Bei der Sterilisierung haben wir nicht genau verstanden, welches Gerät sie benützt haben.
Ceija Stojka: Ja, das war schlimm . Das war so ein Gerät Ein Lockenwickler. Da gibt es ja solche mit Strom. Solche Stäbe waren das. Ich hab's gesehen, weil ich stand mit meiner Schwester ja vor der Tür. Wir haben Glück gehabt. Er hat gesagt: "Leider heute ist nichts, heut ist kein Strom." Es war Stromausfall.
Wir: Sind diese Frauen sofort gestorben?
Ceija Stojka: Nein! Ich hatte eine liebe Freundin, die Resi, .. Ach Gott, sie hat keine Mutter gehabt. Ich glaube sogar, daß die Resi um ein oder zwei Jahr älter war wie ich. Von der Größe und in der Erscheinung. Ja und sie hatte niemanden und ich war klein und immer irgendwo. Kann ich etwas organisieren? Wo gibt´ s eine liebe Stubenälteste, die eine Hilfe braucht, wo man aufpassen tut, oder den Mist raustragt. Dann kriegst Du einen Kartoffel. Da habe ich die Resi halt mitgezogen und zur Mama gesagt: "Mama, die hat niemanden." Und Resi, ja, sie wurde abgeholt und dann ist sie am Wagen gelegen. Da waren so viele auf diesem Wagen.
Wir: Gibt es da nicht auch ein Buch über diesen Leichenbretterwagen?
Ceija Stojka: Ja Moment. Es gibt ein Buch, das auch von Wissenschaftlern herausgebracht wurde und hier wird beschrieben: Was sagt uns Ceija? Ich hab die einzelnen Gegenstände so beschrieben, wie sie da drinnen benannt wurden. Bretterwagen da waren die Leichen oben. Es war kein normaler Wagen, die Toten kamen irgendwo hinauf. Es gab nicht einen besonderen Leichenwagen für verstorbene Menschen. Es war für sie Wurscht. Hauptsache sie sind tot. Hauptsache sie sind krepiert.
Wir: Wieviel waren Sie zum Schluß ungefähr?
Ceija Stojka: In Ravensbrück, Bergen-Belsen oder Ausschwitz?
Wir: Wieviel waren Sie nach Bergen-Belsen?
Ceija Stojka: In Bergen-Belsen, das ist auch sehr interessant. Obwohl der Abteil sehr groß war, wußte ich nicht, daß unmittelbar neben uns noch ein Abteil ist. Gel. Weil sagen wir diesen Abteil, den Du hier siehst, der war umrahmt von lauter Bäumen. Da gab es einen Zwischenraum von fünf Metern. Nachdem die nicht schreien durften und wir auch nicht, haben wir gar nicht gewußt, daß da noch ein Abteil ist, und noch einer, und noch einer Erst von oben, nach vierundfünfzig Jahren habe ich das Ausmaß der Größe gesehen, daß es noch einen Abteil gibt. Am Anfang als ich herausgekommen bin von dort hab ich geglaubt das ist alles, wo wir waren. Daweil war ein russisches Lager dort, dann waren Austauschjuden dort.
Wir: Waren Zigeuner immer in einer Gruppe?
Ceija Stojka: Nein! Nicht mehr in Bergen-Belsen. Da warst Du nichts mehr. Da warst Du kein Zigeuner, da warst Du ein niemand. In Bergen-Belsen da hast Du keine Registriernummer mehr gehabt. Da hast Du keine Namen gehabt. Da warst Du nichts.
Wir: Haben sie damals schon gewußt, daß der Krieg bald zu Ende sein wird?
Ceija Stojka: Ja, sicher. Man hat sich in Bergen-Beslen, das war ein Abteil ich habe Ausschwitz erlebt, ich habe Ravensbrück erlebt, ich habe von anderen gehört, aber es war ein Wahnsinnsort, dieses Bergen-Belsen. Diese Totenhügel und Leichenhügel, so groß wie dieser Raum hier. So hoch und eine Leiche über der anderen. Mitten drinnen Kinder, die noch geatmet haben. Das kann sich niemand vorstellen, all die Leute, die noch gelebt haben . mit offenem Mund, man hat ihnen die Augen zugemacht.
Wir: Es sind sicher sehr viele an Seuchen, Pest, Hunger gestorben?
Ceija Stojka: Seuchen jeder Art .
Wir: Warum glauben Sie, hat man zum größten Teil nur Juden und nicht auch Roma vergast?
Ceija Stojka: Das kann man nicht sagen. Es steht doch auf keinen Kopf jetzt, wenn wir jetzt runter gehen, da steht nicht geschrieben: wer ist Zigeunerin, wer ist Rumänin, wer ist Jugoslawin. Am Ende, sagen wir 1943, wurde alles was an dieser Straße nicht diesen hellen Gesichtern entspricht eingesperrt. Ich möchte nicht wissen, wieviel Zigeuner unter den Juden waren. Es ist auch eine Behandlung, die ungerecht ist. Es wird alles nur über die Juden gesprochen und die Zigeuner haben nichts erlebt. Wir werden auch unter den Minderheiten noch diskriminiert. Das ist das schlimme, das ich nicht verstehe. 50 Jahre Mauthausen. Ich hab aufgepaßt ob einmal jemand ein Wort von Zigeunern erwähnt und auch Roma oder Sinti. Vor kurzem wurde der Befreiungstag gefeiert. Mein Bruder war auch dort. Es hat niemand eine Erwähnung gemacht. Es hat auch keiner irgendeine Erwähnung gemacht, wenn irgend etwas passiert ist. So sehe ich es, daß wir unter den Minderheiten noch diskriminiert werden. und noch als Frau. Sicher waren zwischen uns auch Ungarn, Jugoslawen. Wir waren alle zusammen an einem Platz. Aber für uns ist es ja nicht um Grenzen gegangen. Für uns hat der Mensch gezählt. Man hat gelitten, man wollte helfen. Es ist auch selten vorgekommen, daß man gefragt hat, von wo bist Du. Du atmest, Du redest, Du lebst, Du bist noch am Leben. Man hätte da drinnen nie jemand gefragt: "Du bist aus Bosnien?" Da hätte man diesem Menschen weh getan. Dann hätte es geheißen: "Wieso weiß sie das? Sogar sie unterscheidet mich."
Wir: Traurig ist, daß so etwas heute wieder passiert.
Ceija Stojka: Heute in Deutschland .. Das ist schlimm, was bei uns alles passiert.
Wir: Kann man das wirklich verändern?
Ceija Stojka: Ich bin ganz glücklich, ich weiß ganz sicher, daß sich die Jugend heute von den Eltern nicht mehr manipulieren läßt und von den Alteren so ziehen läßt, wie noch zu meiner Jugendzeit. Das gibt mir die Kraft weiter zu leben, zu atmen. So weiß ich auch, daß . ein Teil von Euch das nicht zulassen. Aber die Alteren kommen von ihrer Einstellung nicht mehr heraus. Zu dieser Zeit damals haben sich auch einige Mädchen und Burschen getraut, Zetteln im Parlament zu verteilen. Dieser kleine Teil hat uns die Chance gegeben, um weiter zu leben. Versteht Ihr, was ich meine? Solange es diese Menschen gibt Man muß auf alle Fälle reden können. Ich hab immer gesagt: "Ich habe überhaupt keine Angst." Meine Angst liegt in Ausschwitz. Ich hab immer gedacht, egal was geschieht, ich werde es den Nazi sagen: Du bist ein armer Mann. Du bist ein armer Mensch, eine arme Frau, wenn Du so denkst. Weil Dein Leben nicht geklappt hat, müssen tausend andere darunter leiden. Es müssen tausend Kinder auf der Straße sterben. Du haust eine Bombe in ein Haus hinein, oder zündest es an. In Wirklichkeit sind das für mich arme Menschen. Ich habe Mitleid mit Ihnen. Ich lad´ gerne einmal einen ein und möchte mit ihm seine Gedanken austauschen.
Wir: Aber es ist sicherlich sehr schwierig, wenn jemand von seiner Sache so überzeugt ist.
Ceija Stojka: Ja, sicher. Die bringst Du nie weg. Er stirbt auch mit dem. Das was man ihm eingelegt hat Du mußt Dir vorstellen: ein Mensch, ein kleiner brauner Mensch, ist Adolf Hitler. Dabei war er auch nicht ein blonder Mensch, er war ja auch ein eher schwarzer Typ. Dann mußt Du Dir vorstellen, da stehen Millionen Menschen auf der Straße. Dieser eine Mensch kommt und alle brüllen: "Heil Hitler". Das zeigt, keine eigene Meinung zu haben.
Wir: Heute merken wir besonders wie Medien vor allem junge Menschen manipulieren können.
Ceija Stojka: Es ist schön, daß Ihr diese Einstellung habt. Was ist das in Kroatien wenn Menschen die eigenen Brüder . Wo gibt es denn so etwas. Ich schreibe ja täglich meinen Lebensablauf, was ich sehe, was mir gefällt, was im Fernsehen gezeigt wird. Ich schreibe täglich was passiert. Und wenn ich dann nachblättere, dann denke ich: "Ach, da hast Du schon wieder etwas über Serbien geschrieben." Ja, weil es mich immer wieder aufdrängt. Im Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts gibt es sogar noch Massengräber. So wie damals der Jude auch der schöne Nachbar im Haus war, ist das heute wieder Dein Nachbar. Er hat der armen Bürgerin Brot gegeben, ihr Schilling geborgt und plötzlich war´ s der Jud´. Man hat ihnen alles weggenommen. Diese schönen Kinder. Ich muß immer weinen .. Der Pullover war dunkelblau . so ein blau, wie die Nacht. Diese langen Haare, der schöne Kopf. Das Kind mit den dunkelschwarzen Haaren und das blasse Gesicht. Seine wunderschöne Mutti. In Ausschwitz war sie in der Schreibstube und sie ist von diesem Kind nicht weggegangen. Meine Mama ist hingegangen und hat mit ihr geredet. Sie konnte nicht weggehen.
Wir: Was ist dann mit der Mutter passiert?
Ceija Stojka: Ich glaube, daß sie noch am Ende gestorben ist. Vor allem auf der Befreiung. Das schnelle Essen. Da sind noch sehr viele gestorben. Auch Theo. Theo war so ein schönes Kind und er hatte Lungenentzündung. Er war Lungenkrank.
Wir: Auch die Vorfälle mit Typhus konnten wir nicht verstehen.
Ceija Stojka: Ja, die Typhusläuse wurden eingezüchtet. Wenn ich heute über das nachdenke, hätte Mengeli und andere den Krieg gewonnen, so hätten heute manche zwei, drei Köpfe. Weil zu dieser Zeit hat doch dieser eine da mit den Zwillingen ermittelt: wieso haben die grüne Augen, wieso haben die braune Augen. Das alles haben diese Menschen in Deutschland unternommen. Die Forschung hat nie aufgehört.
Wir: Gab es auch im Lager Versuche?
Ceija Stojka: Natürlich, auf jede Art und Weise hat es die gegeben. Man hat ihnen die Haut abgezogen, man hat den Kindern das Geschlechtsteil weggeschnitten, man hat den Kindern den Bauch aufgeschnitten, man hat Zwillinge am Rücken zusammengenäht. Weißt du, er wollte wissen, ob es siamesiche Zwillinge geben kann, künstliche.
Wir: Das haben sie alles mit lebenden Menschen gemacht?
Ceija Stojka: Ja, Ja. Kinder waren das.
Wir: Haben Sie das selber gesehen?
Ceija Stojka: Nein, das habe ich, Gott sei Dank, nicht gesehen. Ich glaube, das hätten wir nicht geschafft, zu überleben. Nein, nein, das war ein ganz anderes Abteil. Dieser Mann, wie hat er geheißen? Mengele und? Eichmann! Der andere war Eichmann. Eichmann war der, der die Juden in den Ofen brachte, gell. Und Mengele war derjenige, der
Wir: Der die Versuche gestartet hat?
Ceija Stojka: Die Versuche gestartet
Wir: Wurden die Juden lebend verbrannt?
Ceija Stojka: Natürlich.
Wir: Das war billig
Ceija Stojka: Nicht wegen dem billig Sein allein. Es war Platz gleich zu machen, gell, weil, oft sind die ausgebrochen, weil sie nicht reingegangen sind. Jetzt waren aber zwanzig Juden mehr da, vielleicht war ein Bosnier dazwischen, vielleicht ein Zigeuner, daß weiß ja keiner. Auf jeden Fall sind die Leute herumgelaufen und wir haben das von oben gesehen und haben geschrien und gebrüllt. Ja, da ist ein Schacht gewesen - ich hab' irgendwo Bilder - Ja, diese Situation habe ich gemalt, gell, wo diese Menschen hineinfliegen, in diesen Schacht. Und da haben sie Öl draufgeschmissen. Öl oder Holz; es war ja Holz genug dort, im Wald, nicht? Und angezündet, es hat
Wir: Der Geruch muß schrecklich gewesen sein.
Ceija Stojka: Der Geruch eben. Die Haare und
Wir: Ich würde es mein lebenlang überall riechen.
Ceija Stojka: Ich war erst jetzt vor kurzem im "Fünfzig Jahre Ravensbrück". Ich bin mit einer Gesellschaft runtergefahren. Mit Frauen aus vierzig verschiedenen Ländern haben wir uns dort getroffen. Die sind von überall gekommen, nur wegen mir, um dort zu beten, in Ravensbrück. Für die Frauen, die erschossen worden sind. Die, wo die Seele keinen Frieden finden kann. Und, da waren diese Frauen, so - die konnten das auch nicht verstehen, so wie Ihr jetzt, ja. Und wir saßen, erstarrten und saßen. Teilweise gesessen, teilweise sind wir gestanden. Sonne, Wind, bei einer Mauer, gell. Und plötzlich kam durch das Feuchte, durch die Wärme, kam der Geruch aus dem Stein raus, als wäre es jetzt genau wieder so, wie es damals war. Ja, könnt Ihr das verstehen? Also, es riecht bis Also, dafür ich kann heute, wenn, wenn ich so ein Geselchtes habe ich Probleme mit dem, also, umzugehen. Es riecht genau so, gell. Nein, das kann man nicht essen, das geht nicht. Und wir haben dort Frieden getrommelt mit den Frauen, und dann sind wir nach Bergen-Belsen auch noch gezogen. Diese Frauen sind dann bis also von Auschwitz angefangen - geendet haben sie dann in Japan. Also das war
Wir: So ein Kreis?
Ceija Stojka: Ja, Kreis! Und so kann man schon dann, sehr stark sein, auch im Schmerz, den man nach so vielen Jahren Daß es solche Menschen gibt, die heute so was auf sich nehmen, um der Welt zu beweisen, daß es auch Menschen gibt, die gegen Unterdrückung, gegen alle Menschen sind, die sagen: "Raus!". Da ist eine Frau jetzt, die ihr Kind im Spital gelassen hat. Von Bosnien ist sie, ich glaube. Jetzt wird sie hinausgewiesen, obwohl sie in Österreich geboren ist. Ich kann das nicht verstehen. Sie hat gestern gesagt, sie war im Fernsehen und hat gesagt: "Ich habe schon ein Kind, das ist vier Jahre. Mein Mann ist weg, ich hab' ein kleines Kind, neugeboren. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich hab' nicht einmal Brot, geschweige Milch." Da verstehe ich nicht dieses Land Österreich. So ein großes Land, so ein reiches Land, so ein herzloses Land.
Wir: Und überall wird es als das schönste und herzlichste Land präsentiert; überhaupt Europaz.B. in der "Kronenzeitung"die ziemlich beliebt ist
Ceija Stojka: O ja, natürlich, wenn die Schauspieler kommen, auf den Opernball und die werden bezahlt von einem Herrn Lugner, dann ist es natürlich die schöne Seite, nicht? Aber die andere Seite; Österreich hat zwei Gesichter, oder drei. Du darfst nichts sagen. Du mußt dir deinen Teil denken, mußt denken darüber. Dann lebst du gut. Für mich war es schon eine Genugtuung, daß sie die Luft eingeatmet haben, wo wir waren.
Wir: Das haben Sie auch geschrieben. Und was machen Sie jetzt? Sie machen Lesungen in den Schulen?
Ceija Stojka: Ich mache Lesungen, ich - du siehst - Ausstellungen, ich male, also
Wir: Die Bilder, Sie malen Naturbilder oder auch Erinnerungen?
Ceija Stojka: Auch! Sehr viele. Ihr habt einen Katalog, aber da gibt's auch etwas. Wenn eine von euch da schauen will ihr könnts da Also, da gibt es z.B. eines: ein Kind hockerlt meistens. Wenn es spielt, dann geht's ins Hockerl. Und ich hatte immer - ich war so klein, ich habe immer nur die Stiefeln gesehen. Die Männer waren so groß. Diese "Braune Gesellschaft", die SS
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