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Sinti und Roma
Sinti und Roma, in kleineren Gruppen über den gesamten Erdball verstreut lebendes Volk, das über gemeinsame kulturelle und sprachliche Wurzeln verfügt. Obwohl Sinti und Roma seit mehr als 500 Jahren in Europa leben, wurde die Frage nach ihrer Herkunft erst Ende des 18. Jahrhunderts geklärt. Offenbar stammen sie aus dem nordwestlichen Indien, was sich aus der Verwandtschaft ihrer Sprache (dem Romani) mit Dialekten der indo-europäischen Sprache dieser Region herleiten läßt. Gemäß der immer noch gängigen Vorurteile werden Sinti und Roma weniger als ethnische Gruppe, sondern vielmehr als nicht seßhafte Menschen aufgefaßt, die einen hemmungslosen und extravaganten Lebensstil führen. In diesem Zusammenhang werden sie immer wieder abfällig als Zigeuner bezeichnet.
Geschichte
Über die frühe Geschichte der Sinti und Roma kann man nur spekulieren. Es ist nicht geklärt, ob sie als Unberührbare am Rande der indischen Gesellschaft lebten, ob sie einer oder mehrerer hinduistischer Kasten angehörten oder ob sie sich aus Angehörigen mehrerer sozialer Schichten und Volksgruppen zusammensetzten. Sicher ist, daß sie ihre nordindische Heimat in mehreren Auswanderungswellen seit dem 5. Jahrhundert verließen. Eine massive Auswanderung setzte im 11. Jahrhundert ein. Vermutlich wurde diese von den Einfällen muslimischer Truppen in Indien ausgelöst. Die Sinti und Roma zogen zunächst über Persien nach Kleinasien und in das Byzantinische Reich. Von dort aus gingen die meisten zu Anfang des 14. Jahrhunderts Richtung Griechenland. Ihre Route läßt sich anhand von Lehnwörtern rekonstruieren, die sich in den europäischen Romani-Dialekten finden. Sämtliche Dialekte weisen Bezüge zum Persischen, Kurdischen und Griechischen auf. Nachdem sich die Sinti und Roma etwa hundert Jahre lang in Griechenland aufgehalten hatten, verteilten sie sich bis zum Ende des 16. Jahrhunderts über den gesamten europäischen Kontinent.
In Spanien waren Sinti und Roma unter der Herrschaft der Mauren frei. Dies änderte sich jedoch mit der Vertreibung der Mauren 1492. Zwischen 1499 und 1783 wurden mehr als ein Dutzend Gesetze erlassen, die den Gebrauch von Tracht, Sprache und Gebräuchen unter Stafe stellten, um eine Assimilation zu erzwingen. Die ersten offiziellen Unterdrückungsmaßnahmen in Frankreich gehen auf das Jahr 1539 zurück. Damals wurden Sinti und Roma aus Paris vertrieben. 1563 zwang man Sinti und Roma in England unter Androhung der Todesstrafe, das Land zu verlassen. Während des 17. Jahrhunderts mußten viele von ihnen in Ungarn und Rumänien in die Leibeigenschaft gehen. In Rumänien wurden sie erst im Jahre 1855 befreit.
Dagegen unterschied sich die Stellung von Sinti und Roma im zaristischen Rußland kaum von der der Masse der verarmten Bauern. Während der 500 Jahre währenden türkischen Herrschaft auf dem Balkan genossen jene Sinti und Roma Privilegien, die zum Islam übertraten. In einigen Republiken des früheren Jugoslawien entsprach ihre Stellung in etwa der anderer Minderheiten.
Die Diskriminierung von Sinti und Roma hält in den meisten europäischen Ländern bis zur Gegenwart an. Im 20. Jahrhundert erreichten die Verfolgungen einen Höhepunkt, als während des Nationalsozialismus etwa 250 000 Sinti und Roma in Konzentrationslagern ermordet wurden.
Gegenwärtige Verteilung
Weltweit leben heute noch etwa zwölf Millionen Sinti und Roma (in Europa acht Millionen). Die meisten von ihnen sind auf dem Balkan (insbesondere in Rumänien), in Mitteleuropa und in den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion angesiedelt. Ein geringerer Teil lebt in Westeuropa, dem Nahen Osten, in Nordafrika und in Nord- bzw. Südamerika.
Roma und Sinti zerfallen in Gruppen, die mitunter auch, ausgehend von ihrem Siedlungsgebiet oder ihrer Herkunft, als Nationen bezeichnet werden. Zu den europäischen Nationen gehören die Gitanos in Spanien, die Manouche in Frankreich sowie die Sinti in Deutschland.
Kultur und Gebräuche
Da sich die Siedlungsgebiete der Sinti und Roma über die ganze Erde verteilen, verfügen sie auch nicht über eine einheitliche Kultur oder Sozialorganisation. Allgemein lassen sich jedoch ein starker Gruppenzusammenhalt, eine große Traditionsverbundenheit sowie die Abschottung gegenüber der Außenwelt beobachten. Der Kontakt mit der Außenwelt gilt als "unrein", was vermutlich auf die religiösen Überzeugungen ihrer hinduistischen Vorfahren zurückgeht. Ein weiteres verbindendes Merkmal ist die gemeinsame Romani-Sprache, die aus einer Vielzahl von Dialekten besteht, die alle zum indischen Zweig der indoeuropäischen Sprachen gehören. Die meisten Nationen sprechen einen Dialekt des Romani. Andere verwenden Dialekte der lokalen Sprache, wobei sie häufig Gebrauch von Lehnwörtern aus dem Romani machen.
Am vielleicht grundlegendsten unterscheiden sich die einzelnen Nationen hinsichtlich der Religion, da sie in der Regel den Glauben des Landes angenommen haben, in dem sie leben. So finden sich unter den Sinti und Roma Katholiken, Orthodoxe und Muslime. Sie haben jedoch meist wenig Kontakt zu kirchlichen Organisationen und führen die religiösen Zeremonien innerhalb der eigenen Gruppe und im Zusammenhang mit eigenen Traditionen aus.
Die verschiedenen Nationen gliedern sich in einzelne Clans, die sich aus einer Reihe von Familien gleicher Abstammung oder Vergangenheit zusammensetzen. Die nominellen Oberhäupter dieser Clans werden mitunter auch als König oder Königin bezeichnet. Mit diesen Titeln geht keine allgemeine politische Führungsrolle einher. Sie sollen lediglich Respekt bekunden.
Bei Sinti und Roma spielt die Familie eine große Rolle. Die ältere Generation genießt Achtung und wird als Autorität anerkannt. Heiraten werden gewöhnlich abgesprochen. Oftmals basieren Ehebündnisse auf dem Wunsch, verschiedene Familien miteinander zu verbinden. Es herrscht eine strenge Sexualmoral vor. So ist es immer noch üblich, daß unverheiratete Mädchen nur in Begleitung einer Anstandsperson in der Öffentlichkeit auftreten. Bei einer ganzen Reihe von Gruppen hat sich zudem der Brauch des Brautpreises gehalten, einer Zahlung, die von der Familie des Bräutigams zu entrichten ist, um die Familie der Braut für den Verlust der Tochter zu entschädigen.
Eine weitere wichtige Einrichtung ist ein Gericht, das über Zwistigkeiten, zivilrechtliche Streitigkeiten und Fragen der Tradition entscheidet. Die Sinti und Roma sind relativ unabhängig von den formalen sozialen Strukturen der jeweiligen Gesellschaft, in der sie leben, da diese Aufgaben von ihren eigenen Gemeinschaften übernommen werden.
Handwerklich sind Sinti und Roma in den Bereichen der Schmiedekunst (Gold und Kupfer), der Korbflechterei sowie der Verarbeitung von Holz und Leder tätig.
Kulturell und wirtschaftlich am besten integriert sind Sinti und Roma in den weniger industrialisierten Regionen Südeuropas, des Balkans und des Nahen Ostens. In den früheren kommunistischen Staaten leiden sie gegenwärtig unter den wirtschaftlichen Verhältnissen. Fast überall stehen Sinti und Roma unter starkem Druck, ihre traditionelle Lebensweise aufzugeben. In Großbritannien etwa wurde ihnen in jahrelangen Gerichtsprozessen das Recht abgesprochen, Lagerplätze aufzuschlagen. Dennoch bleibt zu hoffen, daß die Kultur der Sinti und Roma überleben wird, da man sich in letzter Zeit wieder verstärkt der gemeinsamen Ursprünge, Sprache und Traditionen besinnt.
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