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Auditive Beurteilungen vom
Stimmstörungen
Referentin: Annette Schlindwein
Inhalt:
1.
Reine auditive Bewertung einer Stimmstörung ist nicht möglich
2. Vier Stimmeinsätze
2.1 Was auditiv festzustellen ist
3.
Wie wird beobachtet ?
4. Zwei Stimmstörungen und ihre
auditiven Merkmale
4.1 Hyperfunktionelle Dysphonie
4.2 Recurrensparese
5.2
Anleitung und Durchführung
5.3 Ergebnisse
1. Rein auditive Bewertung
einer Stimmstörung ist nicht möglich
Um eine Stimmstörung zu beurteilen, empfiehlt es sich,
die Gesamtheit des Körpers
zu beachten.
Eine wichtige Rolle dabei spielen:
- Körperhaltung
- Atmung
- Atemrhythmus
- Atemvolumen
- Spannungszustände im Sprechapparat
- Entwicklungsstand des Sprechapparates (bei Kindern)
Verläßt man sich auf eine rein auditive
Beurteilung, so ist die daraus folgende Diagnose
sehr ungenau. Jedoch kann das geübte Ohr eines Arztes mit großer Sicherheit
eine
Diagnose nach rein auditiven Beurteilungen stellen, doch auch der Arzt würde
und darf sich nicht auf dieses Urteil alleine verlassen.
2. Vier Stimmeinsätze
Wir sprechen von vier Stimmeinsätzen:
- fester Einsatz
- harter bzw. gepreßter Einsatz
- gehauchter Einsatz
- weicher Einsatz
Fester und harter Stimmeinsatz unterscheiden sich durch die Stärke des
glottalen Verschlusses
und den Übergang in den nachfolgenden Vokal.
Fester Einsatz = leichtknallend und anschwellend
Harter Einsatz = starker Druck, knallend und überleitend
Sehr stimmschädigend!
Gehauchter Einsatz = beginnt mit einem h, es ist kein Glottisstop vorhanden
Weicher Einsatz = beginnt mit Vokal
2.1 Was auditiv festzustellen ist:
Stimmklang:
Zur Charakterisierung der akustisch wahrnehmbaren Stimmveränderung, ist eine
Beschränkung auf wenige Attribute wichtig. Aperiodizitäten der Stimmlippenschwingung
führen zu einer rauhen oder knarrenden Stimme,
während Luftturbulenzen im Kehlkopf in Folge von Tumor- oder Defektbildung
sowie mangelhafter oder aufgehobener Schwingungsfähigkeit einer Stimmlippe zur
auditiven Beurteilung Heiserkeit führen können. Mit der Zunahme
der nichtharmonischen Klanganteile (Geräusche), schwinden die harmonischen
Anteile und damit die klare Ausbildung von Formanten, die Vokaldifferenzierung
leidet.
Weiterhin muß vermerkt werden, ob der
Stimmschluß gut ist ('dicht') oder ob ein
Glottisspalt besteht. Je nach Menge der entweichenden (sogenannten
'wilden') Luft
wird der Stimmklang behaucht bis verhaucht.
Diese Begriffe enthalten zum Teil schon eine
Beschreibung des Schweregrades, wie die
Reihenfolge behaucht, verhaucht, aphonisch.
Bei der Beschreibung einer Heiserkeit
oder einer knarrenden Stimme sind die
Bezeichnungen gering, mittel oder hochgradig hinzuzufügen.
Auch eine Differenzierung nach dem Auftreten
der Stimmklangstörung während der Einschwingphase und der Ausschwingphase
spielt für die Beurteilung des Schweregrades einer Stimmstörung eine Rolle. So
kann in der kritischen Einschwingphase ein Knarren auftreten, während die
Vollschwingphase noch ungestört ist.
(Nach: Biesalsky, Peter / Frank, Friedrich: 1994, S. 185/186.)
Weiterhin sind auditiv bestimmbar: Die
Sprechtonhöhe, der Stimmumfang und die
Sprechmelodie sowie die Lautstärke, Abweichung vom stimmlichen Normalverhalten,
wie z.B. Resonanzarmut, innere Energie, Überspannung, harter oder gepreßter Stimm-
einsatz, überhöhte Stimmlage, überlaute Stimme, Verhauchung, müde, leise,
kraftlose Stimmgebung, fehlerhafter Atemansatz, Atemverschwendung, abnorme
Druckspannung
im Kehlkopf, knödelige Stimmgebung (Schluckstellung), tiefes, kehliges
Sprechen,. Doppelstimmigkeit und Fisteln.
Allerdings reicht hier das auditive Beurteilen alleine nicht mehr aus. Die
Beschränkung des akustischen Gedächtnisses wird offenbar wenn bei späteren
Kontrolluntersuchungen der Vergleich anhand der gemachten Aufnahmen oft sehr
schwer fällt. Deshalb sollte und kann auf keinen Fall auf
Untersuchungsmethoden, wie z.B. Stroboskopie, digitale
Hochgeschwindigkeitserfassung der Stimmlippenbewegung, Glottographie, u.a.,
verzichtet werden. (Siehe auch Punkt 1.)
Zur Feststellung von Stimmstörungen und
Stimmbildungsfehlern sind genaue Beobachtung
unter Berücksichtigung der aufgezeigten Laut- und Stimmbildungssituation beim
Lesen,
Erzählen, Vortragen oder Diskutieren notwendig.
Im Folgenden eine Anleitung bzw. Beispiele für zu sprechende Sätze:
- Summen: MA-ME-MO-MUM
(Tonstärke und Tonhöhe ändern)
- Tonhalten: a---------, m---------
(laut anhalten)
- Lachen: Ha-ha-haaa
- Rufen: Hehe! Hallo! Heino!
- Befehlen: Hände weg! Weg damit!
- Atemverteilen: Meine Mutter macht mir
Mehlmus.
- Hinter Hansens Hirtenhäuschen hackt Hans Holz.
- Stimmeinsatz: Onkel Otto hat immer ein offenes Ohr.
- Schnellsprechen: In der Frische fischte Fischers Fritz frische Fische.
Ein Krummer Krebs kroch über eine Krumme Krabbe.
- Singen: Tonfolgen: la-li-lo-lei
(kleine Melodien oder Lieder)
(Wulff, Henning: 1993, S. 41)
Wulff empfiehlt auch ein Protokoll über die Untersuchung und die Auffälligkeiten, die auditiv festgestellt wurden, anzufertigen, um Stimme und Atmung besser beobachten zu können:
Unklar ist meiner Meinung nach, wie das
Protokoll auszufüllen ist, bzw. ob Kreuze oder
Werte gesetzt werden sollen. Bei der Eintragung von Werten (z.B. Zahlen in
einer vor-
gegebenen Skala) bekäme dieses Protokoll einen repräsentativen Wert, es wäre
mit anderen
Protokollen leichter vergleichbar und einfacher auszuwerten.
Protokoll über Stimme und Atmung:
Körperhaltung: normal _ eingesunken/Rundrücken
_ verspannt/Hohlrücken_verkrampft/hohlrunder Rücken
Stimmeinsatz: weich ____________ gehaucht _____________ fest __________________
hart (gepreßt)
Stimmkraft: normal (mühelos) _______________ verhaucht (kraftlos) _____________
überlaut (überspannt)
Stimmlage: ruhig __________ ______ ____ __________ ______ ____ ____
überhöht
Stimmklang: klangvoll (oral) __________ ______ ____ ________________
klangarm (nasal)
Stimmbildung: weich _ verschleiert _ knarrend _ brüchig _ scheppernd _ schrill
_ kehlig _ dünn _ brummend
Stimmumfang: normal (Tonleiter) __________ ______ ____ _____ _______ ______ ________
gering
Tonhalten: mühelos __________________ verkürzt ________________ absacken
_____________ umkippen
Tonhöhe: mittel __________ ______ ____ ______ hoch
_____ _______ ______ _______________ tief
Resonanzraum: geweitet
__________ ______ ____ _____ _______ ______ ____________ eingeengt
Sprechmuskeln: divergierende Bewegungen _____ _______ ______ _______________
konvergierende Bewegung
Zunge: natürliche Bewegung _____ _______ ______ ______ verspannte Haltung __________
unnötige Bewegung
Atemtyp: Mischatmung _____ _______ ______ __________ Bauchatmung ____________________
Brustatmung
Atemansatz: von unten
__________ ______ ____ __________ ______ ____ __ flach
Atemführung: oral _______________ gezielt ____________________ nasal
__________________ ungezielt
Atemfrequenz: normal
__________ ______ ____ _____ _______ ______ _____________ übersteigert
Atemverteilung: eingeteilt
__________ ______ ____ _____ _______ ______ _________ verschwendet
Atempausen: angepaßt _____ _______ ______ _____________ zu häufig
_____ _______ ______ __________ zu selten
Besonderheiten: Räusperzwang _ Diplophonie _ Atemgeräusche _ inspiratorisches
Sprechen _ Trockenheitsgefühl _ Schmerzen _ Mimik _ Mitbewegungen
__________ ______ ____ _____
(Wulff, Henning: 1993, S. 42)
4. Zwei Stimmstörungen und ihre auditiven Merkmale
4.1 Hyperfunktionelle
Dysphonie
Die Ursachen einer Hyperfunktionellen
Dysphonie können folgende sein:
- unökonomischer Stimmgebrauch
- Laryngitis mit ungenügender Stimmschonung
- Diskrepanz von individueller Stimmleistung und Anforderung an die
Stimmfunktion
- Schwerhörigkeit
Die Symptome sind folgende:
- heißer, gepreßt, rauh, knarrende, klangarme Stimme
- lauter, pathologisch harter Stimmeinsatz
- Hochatmung
- mittlere Sprechstimme ist oft erhöht
- Räusperzwang
- Wund- und Trockenheitsgefühl
- Schluckzwang
- Globusgefühl
- Empfindung vermehrter Verschleimung
- schnelle Stimmermüdung
Recurrensparese ist die allgemeine Bezeichnung
für Kehlkopflähmung.
Die Ursachen für eine Recurrensparese können folgende sein:
- Verletzung eines Nervs durch Operation
- Schlaganfall
Befund:
Stimmlippen sind in Paramedian- oder
Medianstellung fixiert und es ist oft nur eine
geringe Restbeweglichkeit möglich.
Bei Respiration steht die gelähmte Stimmlippe deutlich tiefer, bei Phonation
entsprechend höher.
Es besteht die einseitige Lähmung, aber auch die doppelseitige Lähmung.
Die Stimme klingt heiser und der Patient hat
zu wenig Atemluft.
Fragestellung: Ist
es für uns möglich, übereinstimmende auditive Beurteilungen einer
Stimmstörung zu treffen?
Um dieses Experiment durchzuführen, mußte gewährleistet sein, daß alles was auditiv beurteilt werden sollte, in ähnlichen Bezug zueinander steht. Folglich mußte ich Sprachsignale auswählen, in denen der gesprochene Text immer der selbe war.
Die im folgenden verwendete Sprachsignale sind
in einer Signaldatei im Institut für
Phonetik der Johann Wolfgang Goethe-Universität unter folgenden Kürzel
abgespeichert.
Jeder Sprecher spricht den Satz: 'Einst
stritten sich Nordwind und Sonne wer von ihnen
beiden wohl der Stärkere wäre.'
5.1 Sprachsignale
Aufnahme: Sprachsignal: Stimme:
1.) g1w tim (weiblich, ? Jahre) modale Stimme
2.) B3a 15 REC (weiblich, 68 Jahre) Recurrensparese
3.) B3a 31 HYP (männlich, 30 Jahre) Hyperfunktionelle Dysphonie
4.) B3a 32 HYP (weiblich, 20 Jahre) Hyperfunktionelle Dysphonie
5.) B3a 23 REC (männlich, 35 Jahre) Recurrensparese
6.) B2a 32 HYP (weiblich, 62 Jahre) Hyperfunktionelle Dysphonie
7.) g2m tim (männlich, ? Jahre) modale Stimme
8.) g1m tim (männlich, ? Jahre) modale Stimme
9.) B2a 29 REC (weiblich, 54 Jahre) Recurrensparese
10.) B2a 44 HYP (männlich, ? Jahre) Hyperfunktionelle Dysphonie
11.) B2a 3 REC (männlich, 43 Jahre) Recurrensparese
12.) g2w. tim (weiblich, ? Jahre) modale Stimme
5.2 Anleitung und
Durchführung
PROTOKOLL FÜR AUDITIVE BEURTEILUNGEN VON STIMMSTÖRUNGEN
Folgendes Protokoll wird an die
Seminarteilnehmer mit der Aufforderung ein Kreuz zu
setzen für 'Ja, das trifft zu!'
Aufnahme Auditive Urteile
modal behaucht knarren rauh weich Tonhalten nasal gepreß hoher
d t Luftverbrauc
stabil h
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
Zwölf, den Teilnehmern unbekannte
Sprachsignale (siehe 5.1), wurden nacheinander ohne Unterbrechung von einem
DAT-Band abgespielt.
Nach einmaligem Hören des kompletten Bandes mit allen zwölf Sprachsignalen wird
jedes
Sprachsignal einzeln erneut und in mehrmaliger Wiederholung vorgespielt. Nach
jedem Signal
gab es eine Pause, in der die Teilnehmer Zeit hatten um den Protokollbogen
auszufüllen.
Nach dem Hören der zwölf Signale und Ausfüllen
des Protokollbogens, wurden die
Protokollbögen eingesammelt.
Anschließend wurde das Band erneut abgespielt. Die Teilnehmer bekamen bei den
einzelnen Sprachsignalen mitgeteilt, ob es sich um eine modale Stimme, eine
Stimme mit
Recurrensparese oder um eine Stimme mit einer Hyperfunktionellen Dysphonie
handelt.
5.3 Ergebnisse
Auswertung der Protokolle:
Zahlen in Tabelle entsprechen: x von 11 Teilnehmern
Aufn. Auditive Urteile
modal behaucht knarrend rauh weich Tonhalten nasal gepreßt hoher
Luftverbrauch Summe
stabil
1. 11 1 0 0 0 9 0 1 2 24
2. 0 10 0 5 4 0 0 8 11 38
3. 9 2 3 3 1 11 1 1 0 31
4. 6 1 1 5 1 6 1 1 1 23
5. 0 7 5 7 2 0 0 5 3 29
6. 2 1 7 5 1 5 2 4 2 29
7. 9 1 0 0 3 10 4 0 1 28
8. 6 3 0 3 3 6 1 1 1 24
9. 0 9 8 4 1 1 0 7 8 38
10. 6 9 8 4 1 1 0 7 8 44
11. 1 6 2 6 3 3 1 4 8 34
12. 10 1 0 1 1 8 0 2 1 24
5 4,25 2,83 3,58 1,75 5 0,83 3,42 3,84
(Mittelwerte in letzter Zeile)
Als eindeutig modal konnten die Teilnehmer die Aufnahme 1 (gesunder Sprecher) erkennen.
Alle 11 Teilnehmer setzten hier ein Kreuz für modal. Die höchsten Mittelwerte der gesetzten Kreuze liegen in den Urteilen modal und Tonhalten stabil.
Bei den Aufnahmen 1,3,7 und 12 ist die Anzahl der gesetzten Kreuze in diesen beiden Beurteilungen hoch. Daraus kann man schließen, daß modal und Tonhalten Stabil am leichten zu erkennen waren. Der Mittelwert lag bei 5.
Besonders schwer waren offensichtlich nasal
mit einem Mittelwert von 0,83 sowie weich
mit einem Mittelwert von 1,75 zuzuordnen.
Die Aufnahmen 1, 7 und 12 stammten von von
gesunden Sprechern.
Aufnahme 3 dagegen war die Stimme eines an Recurrensparese erkrankten
Sprechers.
Ebenso eindeutig wurde die Aufnahme 2
(Recurrensparese, sehr stark) beurteilt.
Für hoher Luftverbrauch und behaucht wurden hier die meisten
Kreuze vergeben.
Unklar bzw. nicht eindeutig war der auditive
Eindruck für die Aufnahme 10 (Hyperfunktionelle Dysphonie). Die Beurteilungen
gehen hier weit auseinander.
An der Tabelle läßt sich auch ein Lernverhalten im Laufe der gehörten Aufnahmen beobachten. Den Teilnehmern fiel es nach eigenen Angaben im Laufe des Experiments immer leichter, eine kranke Stimme von einer gesunden zu unterscheiden. Schwierigkeiten gab es nur noch in den Unterscheidungen der Feinheiten. (z.B. rauh vs. gepreßt .)
Das Experiment zeigte, daß es offenbar nur
eingeschränkt möglich ist, eine Stimmstörung
rein auditiv übereinstimmend zu beurteilen.
Bei den feinen Differenzierungen z.B. rauh
vs. gepreßt konnten zwar auch vereinzelt Übereinstimmungen festgestellt
werden, die Unterscheidung von kranker und modaler Stimme fällt jedoch am
leichtesten.
Interessant wäre ein weiteres Experiment mit der gleichen Fragestellung, aber
einem
breiteren Feld der Wahlmöglichkeiten der auditiven Urteile sowie mehr
Teilnehmern um
die statistische Repräsentanz zu gewährleisten.
6. Literaturverzeichnis
Wulff, Henning: Diagnose von Sprach- und
Stimmstörungen.
München, 1993.
Biesalski, Peter/Frank, Friedrich: Phoniatrie
- Pädaudiologie.
Bd. 1 Phoniatrie.
2. Auflage, Stuttgart, New-York, 1994.
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