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Josef Hauer wurde am 19. März 1883 als Sohn des Gefangenenaufsehers Matthias Hauer und der Maria Hauer, geb. Wallner, in Wiener Neustadt geboren.
Nach Angaben die Hauer seinen Freunden gemacht hat, waren seine Vorfahren pfälzische Weinbauern aus der Gegend Kaiserslautern. Von der Bezeichnung
" Weinhauer " oder kurz " Hauer " für Weinbauer leitete er auch seinen Namen her. Über Hauers Kindheit und Jugend, die er in seinem Geburtsort verlebte, ist nur wenig bekannt. Über die erste musikalische Ausbildung, die Hauer von seinem zitherspielenden Vater erhielt, berichtet er selbst in einem Kapitel seines Buches Deutung des Melos ( 1923 ), das den bezeichnenden Titel Wie ich als kleiner Junge die Grundzüge der europäischen Kompositionsweise erlernte trägt.
Mein Vater entschloß sich mir Zitherunterricht zu erteilen. Ich bekam einige Stunden, in denen ich trotz meiner kleinen Hände die nötigen Griffe erlernte. Bald konnte ich die Zither auch stimmen und hatte so gleichzeitig den Quinten- und Quartenzirkel, die Tonarten und ihre Vorzeichen kennen gelernt.
Das Notenlesen und- schreiben verursachte mir gar keine Schwierigkeiten, sodaß ich also schon Notenschreiben und Zitherspielen konnte, bevor ich in die Volksschule eintrat. Mein Vater komponierte selbst einige Stücke, und wenn ihm jemand etwas vorsang, so konnte er es geschickt für die Zither arrangieren.
Diese Kunst imponierte mir damals gewaltig, und eines Tages versuchte ich ebenfalls, ein Stück, das ich auf einer Drehorgel hörte, für die Zither zu übertragen.
Meine Freude am Terzen- und Sextenfauxbourdon dauerte nicht lange, denn bald bemerkte ich, daß es sich bei Melodien nicht immer ausging, weder mit Terzen, noch mit Sexten.
Wir spielten oft zusammen zweistimmig ohne Noten, und das Vergnügen lag darin, einer fing eine Melodie an und der zweite fiel sofort mit der Begleitstimme ein. Dabei kamen von selbst Nachahmungen, Variationen und kanonartige Gebilde zum Vorschein.
Diese Art des Musizierens war natürlich sehr lustig, und ich hätte mir es damals nicht träumen lassen, daß das das Um und Auf der europäischen Musik ist, von der ich mich in meinem Leben ganz abwenden sollte.
Nach dem Besuch der Volks- bzw. Bürgerschule trat Hauer 1897 in die Wiener Neustädter Lehrerbildungsanstalt ein, um sich auf den Beruf eines Volksschullehrers vorzubereiten. Nach dem Abschließen der Reifeprüfung erhielt Hauer eine Stelle als provisorischer Unterlehrer in Krumbach in der buckligen Welt.
1904 legte er in Wien die staatliche Lehrbefähigungsprüfung ab. Hauer erwarb bei dieser Gelegenheit auf Grund einer zusätzlichen Prüfung auch die Befähigung zur Erteilung des katholischen Religionsunterrichtes an Volksschulen und wurde nach Wiener Neustadt versetzt, wo er- mit kriegsbedingten Unterbrechungen- bis zu seiner endgültigen Pensionierung im Jahre 1919 unterrichtete.
Seine Frau Leopoldine, geb. Hönig, hatte Hauer als junges Mädchen in Krumbach kennengelernt, wo sie mit ihrer Mutter zur Sommerfrische weilte.
Er ehelichte die noch nicht Neunzehnjährige am 18. Februar 1907 in Wiener Neustadt. Dem Ehebund entstammen drei Kinder: Martha, Bruno und Elisabeth.
Der Sohn, Bruno Hauer ist heute als Komponist populärer Wienerlieder, als Musikverleger und als Schallplattenproduzent in Wien tätig.
Die Gattin starb frühzeitig am 16. Oktober 1934, Hauer hat sie 25 Jahre überlebt.
Eine vertretene Ansicht war, daß Hauer in musikalischen Dingen ein reiner Autodiktat gewesen sei, der nie einen regelrechten Musikunterricht genossen habe. Hauer hat aber sogar aus eigenem Antrieb in den Jahren 1906, 1907 und 1909 drei staatliche Lehramtsprüfungen abgelegt, die ihn zum Unterricht im Gesange, im Violin- und Klavierspiel an Mittelschulen und Lehrerbildungsanstalten berechtigten.
In den Jahren 1911/1912 vollzog sich in Hauer eine innere Wandlung.
Er, der sich oft geringschätzig über die Werke der Klassiker geäußert hatte- die Symphonien Haydns nannte er z.B eine Greißlerware- und der besonders die Richtung der Programmusik, die von Beethoven und Wagner ihren Ausgang genommen hatte, als äußerst bedenklich bekämpfte, begann nun plötzlich in einer Art zu komponieren, die seinen Freunden gegenüber der herkömmlichen Musik ganz fremd und andersartig erschien.
Anfang des Jahres 1913 überraschte er die Leute mit einer neuen Komposition, mit seiner ersten Symphonie. Später nannte er sie Nomos I .
Es war eine fremde Welt der Töne, die da zum Klingen gekommen war.
Hauer hatte als Musiker und Komponist sich selbst gefunden !
Als Entstehungsdatum seiner ersten Symphonie gibt Hauer den Spätherbst des Jahres 1912 an. Hauer hat diese siebensätzige Symphonie, die ursprünglich für große Orchesterbesetzung gedacht war, schließlich umgearbeitet und sie später als Opus I mit der Bezeichnung Nomos in sieben Teilen für Klavier zu 2 und 4 Händen ( Harmonium ) veröffentlicht.
Hauer brachte folgende Anmerkung, die vielleicht einen Rückschluß auf die Vorstellungen ziehen läßt, die ihn bei der Komposition des Werkes geleitet haben: Nomos ist eine Sonatenform in 5 oder 7 Teilen von Olympos, Terpandros ( 700 v. Chr. ).
Aufbau: 1. Vorgesang, 2. Anfang, 3. Übergang, 4. Hauptsatz, 5. Rückwendung, 6. Schluß, 7. Epilog.
Im Jahre 1913 komponierte Hauer noch eine zweite und eine dritte Symphonie, bearbeitete die zunächst geplanten Instrumentalfassungen gleichfalls für Klavier und Harmonium und publizierte die Werke später als Opus 2, Nomos in fünf Teilen bzw. als Opus 5, Apokalyptische Phantasie.
Die dritte Symphonie erlebte am 9. Mai 1914 im Verlauf eines Modernen Musikabends, den Hauer in seinem Heimatort Wiener Neustadt veranstaltete, ihre Uraufführung. Doch dort fanden die Schöpfungen Hauers keine so freundliche Publikumsaufnahme wie in Sankt Pölten.
Der musikbesessene Wiener Neustädter Lehrer ließ sich durch den Mißerfolg nicht beirren. 1914 versuchte er sich auf dem Gebiete der Vokalkomposition.
Ein Freund machte Hauer auf Hölderlin aufmerksam, und er begann Hölderlinlieder zu komponieren. Diesen ersten Hölderlin- Vertonungen- fünf Liedern für eine Singstimme und Klavier, op.6, die Hauer der gefeierten Wagner- Sängerin Anna Bahr- Mildenburg widmete- folgten später noch viele andere ( op. 12, 21, 23, 32, 40 ). Sie waren es, die in erster Linie sein Ansehen in der Musikwelt begründen halfen.
Eine eigene Bewandtnis hatte es mit Hauers dritter Symphonie, die später den Namen Apokalyptische Phantasie erhielt.
Sie ist die vollkommene künstlerische Konkretion der abstrakten Theorie der Klangfarbenlehre des Komponisten.
Bei der Bekanntschaft von Hauer und dem Maler Johannes Itten meinte er, was Hauer komponiert, das sind seine Bilder.
In einer Broschüre Über die Klangfarbe, die 1920 unter dem Titel Vom Wesen des Musikalischen neu aufgelegt wurde, entwickelt Hauer seine Ansichten über die Farbenwirkung der Musik die er aus Intervallverhältnissen ableitet.
Den natürlich bedingten Klangfarben der Musikinstrumente stellt Hauer nun die vom Geiste hergestellten Klangfarben gegenüber, die den eigentlichen Sinn- die urmusikalische Bedeutung der Intervalle offenbar machen, und damit Sinn und Bedeutung der Melodie. Hauer faßt das Intervall als eine geistige Bewegung, als eine Gebärde auf, die etwas bestimmtes auszusagen habe. Die höchste Stufe der Vergeistigung in der Musik wird aber in der gleichmäßigen Verwendung aller Intervalle ( des ganzen Farbkreises ) erreicht.
In einem kleinen Passus seiner Schrift spricht Hauer den Wunsch nach einer neuen Notenschrift aus, die er kurze Zeit später tatsächlich entwickelt und dann in seinem Buch publiziert hat. Er meinte, daß zum Aufschreiben seiner neuesten Musik eine Notenschrift erwünscht wäre, die für jeden Ton der Temperatur ( c, des, d, es, e, f, fis, g, as, a, b, h ) ein eigenes Zeichen ( Punkt ) hätte.
Der Ausbruch des ersten Weltkrieges bewirkte im kompositorischen Schaffen Hauers eine erzwungene Pause. Er wurde gleich bei Kriegsbeginn infolge der allgemeinen Mobilisierung zum Militärdienst einberufen.
Im Jahre 1918 wurde Hauer wegen seiner angegriffenen Nerven aus dem Heeresverband entlassen und mit 30. Juni 1919 wegen hochgradig neurasthenischer Zustände in den dauernden Ruhestand versetzt.
Im August 1919 entdeckte Hauer plötzlich das Gesetz seines musikalischen Schaffens- die Zwölftonregel- und wendete es in seinem Opus 19, das er wieder Nomos nannte, zum erstenmal konsequent und kompromißlos an.
In der atonalen Musik gibt es keine Toniken, Dominanten, Subdominanten, Stufen, Auflösungen, Konsonanzen, Dissonanzen mehr, sondern nur die zwölf Intervalle der gleichschwebenden Temperatur; ihre Tonleiter besteht also aus den zwölf temperierten Halbtönen. In der atonalen Melodie ist sowohl das rein Physische, Sinnliche als auch das Triviale und Sentimentale soweit wie möglich ausgeschaltet und ihr Gesetz, ihr Nomos besteht darin, daß innerhalb einer gewissen Tonreihe sich kein Ton wiederholen und keiner ausgelassen werden darf.
den tonalen, rhythmischen Pol und den atonalen, melischen Pol.
Die rein tonale Musik, am rhythmischen Pol, besteht im Trommeln auf einem Ton.
Den Gegensatz dazu bildet der rein atonale, rein melische Pol der Musik.
Rein atonal musizieren hieße, immerwährend die zwölf wohltemperierten Töne einstimmig, ohne jede Betonung, jeden gleich lang und gleich stark abzuspielen oder abzusingen.
Von seinem Opus 26 ( 1924 ) an schrieb er zunächst Werke für Kammermusikbesetzung und ab Opus 31, der 1924 entstanden, schließlich auch für große Orchesterbesetzung, wobei allmählich die verpönten Lärminstrumente- Pauke, Triangel, Becken und sonstiges Schlagwerk- einbezogen wurden.
In den Zwölftonspielen seiner letzten Schaffensperiode herrscht dann wieder eine neuerliche asketische Beschränkung auf das Klavier und das Cembalo vor; nur selten werden Streicher und vereinzelte Bläser verwendet.
Die Opera 15-19 ließ Hauer- wie bereits erwähnt- in seiner neuen, 1919 erfundenen atonalen Notenschrift drucken.
Diese Zwölftonschrift, wie er sie später nannte, weist jedem Ton der temperierten Skala einen eigenen Ort zu und macht Versetzungszeichen überflüssig. Sie ist der Tastatur des Klaviers nachgebildet.
Bei den in der Zwölftonschrift gedruckten Werken verwendet Hauer zur Lagebezeichnung einen d-Schlüssel: der Punkt des Schlüssels gibt die Lage des eingestrichenen d an.
Nach dem Opus 19 ließ Hauer keine Kompositionen mehr in der Zwölftonschrift drucken.
Im Jahre 1926 veröffentlichte Hauer in einem Aufsatz rückblickend eine kurze Übersicht und Charakteristik seines bisherigen Schaffens:
Nach vielen Improvisionen habe ich im Jahre 1912 mein Opus 1 ( sieben kleine Stücke für Orchester ) aufgeschrieben.
Opus 2 ( fünf kleine Stücke für Orchester ) verrät bereits meine lyrische Seite, ganz ähnlich wie in Opus 3.
Nach Opus 4 hat Opus 5 ( Apokalyptische Phantasie für Orchester ) vollends mir die Ohren geöffnet über den Weg, den ich nehmen werde und den ich auch tatsächlich genommen habe.
Nach einer längeren Pause kam dann, wie ein milder Regen, Opus 6
( Hölderlin- Lieder ).
Die erste Bekanntschaft mit dem großen Lyriker und Musiker Hölderlin war in vielen Dingen für mich richtunggebend.
Insgesamt schrieb er bis zu Opus 89, jedoch Opus 19 bedeutete einen Wendepunkt in seinem Leben.
Er hatte es wieder Nomos betitelt, in vollem Bewußtsein des Zwölftongesetzes.
Ein mehr als beredete Sprache spricht schließlich der berühmte Stempel, den Hauer ( wahrscheinlich seit 1937 ) auf alle seine Briefe neben seine Unterschrift zu drücken pflegte:
" Der geistige Urheber und
( trotz vielen Nachahmern ! )
immer noch der einzige
Kenner und Könner der
Zwölftonmusik "
Um alle 479,001.600 Melosfälle, also alle Möglichkeiten der Bildung verschiedener Zwölfton reihen, überblicken und systematisch einteilen zu können, fand Hauer die 44 Tropen oder Wendungsgruppen, die er in seiner Tropentafel übersichtlich darstellt.
Er hatte eine Regel: gleiche Töne soweit wie möglich auseinander zu rücken, damit die größte Spannung im Melos, die stärkste Bewegung erzeugt wird.
Das erreichte er dadurch, das er immer je 6 Töne einer gewissen Konstellation, also zwei Gruppen innerhalb der zwölf Töne, forwährend abwechselnd in Verwendung brachte.
Für alle Melosfälle gibt es 44 Möglichkeiten ( Konstellationen ) dieser Teilung- daher 440 Tropen.
Die Lehre von den Tropen wurde 1925 abgefaßt und in dieser Schrift führt Hauer zwei Kanontechniken und ein Verfahren an, welches er obstinaten Kontrapunkt nennt.
Die erste Kanontechnik wächst aus den Tropen unmittelbar hervor, das heißt, aus Zwölftonkomplexen; nicht ein Motiv oder ein Thema ist das Erste dabei, sondern eben die Trope.
Bei der zweiten Kanontechnik wird nicht mehr von den Tropen allein ausgegangen, sondern von einem melischen Grundgedanken innerhalb einer Trope, der sich auf diese Weise mannigfaltig durchführen läßt.
Diese Technik unterscheidet sich von der vorhergehenden auch dadurch, daß das Einsetzen jedes neuen Tones eine Taktzeit für sich allein in Anspruch nimmt.
Im Jahre 1939 schrieb Hauer das letzte mit einer Opuszahl versehene Werk, die Zwölftonmusik für Orchester op. 89.
Schon damals bezeichnete er seine Zwölftonmusik als ein Spiel mit den zwölf temperierten Tönen der chromatischen Skala, für welches es strenge Spielregeln gebe. Die Zwölftonreihen müßten zuerst- am besten vierstimmig- in Harmonie gebracht werden, dann erst könnten sich daraus die Melodien mit ihren Rhythmen entfalten.
Als Josef Matthias Hauer am 22. September 1959 im Alter von 76 Jahren starb, konnte er auf ein langes, entbehrungsreiches Leben zurückblicken.
Die verspäteten Ehrungen, die ihm zuteil wurden- 1954 der Professortitel, 1956 der große Österreichische Staatspreis- hatten ihn wenig beeindruckt.
Unbeirrt zeichnete er bis zu seinem Tode die Melodien auf, durch die er sich von Gott angesprochen fühlte und die er den Menschen vernehmbar machen wollte.
( Stichworte )
Gestorben am 22.9.1959 in Wien
Er war zunächst Lehrer, wurde aber krankheitshalber 1919 vorzeitig pensioniert
Zu dieser Zeit war er als Organist, Chordirigent und Cellist tätig
Bezeichnete sich selbst als Autodiktat in der Komposition
1912 entstanden seine Stücke für Klavier ( Harmonium ) op. 1 und 2, die er als Nomoi publizierte
Im August 1919 hat er das Zwölftongesetz buchstäblich entdeckt, und zwar an seinen eigenen Kompositionen
Das erste Werk das darauf basiert, ist der Nomos op. 19 für Klavier
Seit 1921 komponierte er Opern, Kantaten, Orchesterwerke, Instrumentalwerke, Kammer- und Klaviermusik und zahlreiche Lieder
All diese schrieb er in der von ihm erfundenen Notenschrift, die er Zwölftonschrift nannte
Es gelang ihm eines Tages die 44 Tropenarten zu finden, die Tropen
Hauer glaubte mit seinem Zwölftongesetz das Urgesetz des Musikalischen, das gesuchte Objektive entdeckt zu haben
Im berüchtigten Prioritätenstreit um die Erfindung der Zwölftontechnik zwischen Hauer und Schönberg zeigte sich, daß ihre Methoden der Disposition des Zwölftonmaterials im Detail mehr Übereinstimmungen als Divergenzen aufweisen.
Für beide galt als verbindlich, daß man jeder Komposition eine bestimmte Anordnung der zwölf Töne zugrunde legen müsse
Nur wenige Werke Hauers brachten es zu einer gewissen Publizität: kleinere Klavierstücke und Lieder, die Siebte Suite für Orchester op. 48 und die beiden Kantaten auf Gedichte von Friedrich Hölderlin, Wandlungen op. 53, brachten ihm 1928 auf dem Kammermusikfest in Baden- Baden den größten Erfolg
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