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Caesar, de bello gallico VI 11-20 :
Der Gallierexkurs
I. Einleitung
II. Die Absichten Caesars im Bellum Gallicum
III. Der Zweck des Gallien-Exkurses
1. Stellung und Inhalt des Gallien-Exkurses
2. Zweck des Gallien-Exkurses
IV. Der Quellenwert des BG unter besonderer Betrachtung des Gallien-Exkurses
V. Quellen
Um den Gallierexkurs des Bellum Gallicum eingehend zu betrachten, ist es unabdingbar, sich mit einer grundsätzlichen Frage zu beschäftigen: Was wollte Caesar mit dem Bellum Gallicum bewirken und welche Mittel nutzte er dazu? Erst nach einer eingehenden Klärung dieser Frage ist es möglich, auch den Gallierexkurs in seiner Funktion und seiner Wirkung zu verstehen. Deshalb soll ein erster Abschnitt dieser Hausarbeit sich mit dem Bellum Gallicum generell beschäftigen.
In einem zweiten Abschnitt werde ich versuchen, die Absichten Caesars innerhalb des Gallien-Exkurses darzulegen und ihn mit dem Germanen-Exkurs vergleichen. Dieser Vergleich drängt sich meiner Meinung nach nicht nur aufgrund der Stellung innerhalb des Textes geradezu auf, da beide Exkurse auch inhaltlich eine besondere Stellung innerhalb des Bellum Gallicum einnehmen. Im dritten Abschnitt werde ich resümierend den allgemeinen Quellenwert des Bellum Gallicum untersuchen, eine Frage, die bis heute stets sehr unterschiedlich beantwortet worden ist und wohl auch in der Zukunft keine endgültige Antwort erfahren wird.
"Es wurde schon früh festgestellt, daß die commentarii de bello gallico vor allem den Zweck verfolgen, dem römischen Volk die Leistungen des Autors als Statthalter () vorzustellen." Die commentarii Caesars sind also keine reine Berichterstattung, es geht Caesar hierbei vielmehr um Darstellung und Profilierung seiner Person im Senat und bei den Adelskreisen in Rom. Für Caesars Ehrgeiz war es unbedingt nötig, sich mittels seiner Statthalterschaft in Gallien für weitere Amter in Rom zu qualifizieren. Dafür waren die commentarii natürlich ein gutes Mittel. Caesar konnte sich sicher sein, daß seine Schilderungen des Kriegsgeschehens in den wichtigen Kreisen zur Kenntnis genommen wurden.
Immer wieder fällt eine subjektive Darstellung der Gegebenheiten auf, Caesar stellt seine Feinde dar, wie es in sein Gesamtbild des Krieges paßt. Als Beispiel hierzu sei die Darstellung des Ariovist genannt. In BG I führt Caesar diesen als hominem barbarum, iracundum et temerarium ein, der superbe et crudeliter herrscht. Es fällt auf, daß hier schon eine Charakterisierung beginnt, die immer wieder auftaucht und im Gallier- bzw. Germanen-Exkurs am deutlichsten zutage tritt: Die Gallier werden von Caesar stets als zivilisierte Nation dargestellt, von der sich die Germanen durch ihre Grausamkeit deutlich unterscheiden. Und hier mag Caesar zwar einen grundsätzlichen Unterschied durchaus festgestellt haben, jedoch übertreibt er deutlich. Daß der Unterschied nicht so gewaltig gewesen sein kann, erkennt man schon an der Tatsache, daß die Germanen teilweise als keltischste der Kelten, zu denen ja auch die Gallier gehören, dargestellt wurden. Eine solche Darstellung wäre aber nicht im Sinne Caesars gewesen.
Ebenso fällt auf, daß Caesar eigene Fehler gut zu verbergen oder als unumgänglich darzustellen weiß. Als Beispiel hierzu soll die Schlacht gegen die Belger in BG II dienen. Diese Schlacht nimmt anfangs einen für die Römer katastrophalen Verlauf, die sonst so hervorragend ausgebildeten Soldaten vergessen alle militärischen Regeln und sind somit in ihrer Kampfkraft eingeschränkt. Caesar jedoch stellt dies alles anders dar: Die loci natura und necessitas temporis hätten die Soldaten dazu veranlaßt, ihre militaris ratio atque ordo außer Acht zu lassen. Er stellt es also nicht als einen Fehler der Soldaten dar, sondern als eine Notwendigkeit. Hier tritt besonders deutlich ein Mittel auf, daß die gesamten commentarii kennzeichnet: Caesar kann die Fehler zwar nicht verschweigen, dies würde den Bericht unglaubwürdig klingen lassen, jedoch beschönt er sie und führt sie nicht im Zusammenhang mit seinem Namen an. Sein Name taucht erst wieder auf, als die Lage wieder von den Römern kontrolliert wird, nun heißt es: cuius (i. e. Caesaris) adventu spe illata militibus ac redingredato animo . Somit versteht es Caesar, seinem Namen mit der positiven Wendung, nicht aber mit dem negativen Beginn in Zusammenhang zu bringen.
Weniger Beachtung muß man wohl der jeweiligen Rechtfertigung für die Kriege schenken, da es in der Außenpolitik des Römischen Reiches selbstverständlich war, Kriege auch ohne einen in der heutigen Zeit verständlichen Grund anzufangen. Als Beispiel hierzu sei der Beginn des Krieges gegen die Germanen genannt, wie er ihn BG IV beschrieben wird. Der von Caesar genannte Grund, die Gallier seien teilweise schon zu den Germanen übergelaufen, ist weder zu beweisen noch zu widerlegen, jedoch verwundert es, daß Caesar keine Namen der Stämme oder gar Zahlen nennt und den übrigen Galliern diesen Grund verschweigt. Die Informationen zu diesen angeblichen Überläufern sind spärlich, obwohl es doch in Caesars Interesse liegen sollte, den Kriegsbeginn deutlich zu rechtfertigen. Doch hier sehen wir nur allzu deutlich einen Grundsatz römischer Außenpolitik: Die Gründe für einen Krieg mußten nicht immer klar dargelegt werden, da es zum römischen Selbstverständnis gehörte, daß jeder Krieg gegen Barbaren von vornherein iustum sei. Schulte-Horney meint dazu: "Wichtiger aber ist noch der Einwand, daß sich Caesar mit seiner Eroberung Galliens von vornherein in voller Übereinstimmung mit der offiziellen römischen 'imperialistischen' Außenpolitik befand." Zeitler schreibt: "Nach Scipios bzw. Ciceros Auffassung muß es ein Segen für die fremden Völker sein, aus den Sklavenfesseln eigener Grausamkeit unter die Knute römischer Zivilisation zu gelangen." Eine derartige Außenpolitik war für ein Reich, das in einem solchen Maße expandierte, notwendig, da neu gewonnene Gebiete an den Grenzen abgesichert werden mußten. Ein weiteres Vordringen war somit die Garantie für ein Bestehen und einen Ausbau der Kolonie. Aus diesem Grund mag es in der heutigen Zeit der UNO und der zumeist gleichberechtigten Stellung der Staaten scheinheilig erscheinen, wie Caesar seine Kriege begründet, für die römische Außenpolitik war ein solches Vorgehen jedoch selbstverständlich.
Es bleibt also festzustellen, daß Caesar in seinen commentarii versucht, einen akzeptablen Mittelweg zwischen geschichtlicher Schilderung und Propaganda in eigener Sache zu finden und dies auch meisterlich schafft. "Er hatte es nicht nötig, sich selbst von seiner eigenen Größe zu überzeugen. Er war nur bestrebt, es anderen unmöglich zu machen, diese Größe zu leugnen, zu unterschätzen oder unbelohnt zu lassen."[9] Wie er dieses schafft, drückt Adcock etwas Beschönigend aus: "In der Rechtfertigung seiner Taten vor sich selber und vor anderen mag er sich gewiß den 'Vorteil eines Zweifels' eingeräumt haben, und er war nicht gewissenhaft bis zum eigenen Nachteil" . Etwas neutraler, aber nicht minder prägnant, drückt Richter es aus: "Das Problem der sachlichen Redlichkeit betrifft nicht so sehr den Schriftsteller Caesar () als vielmehr den 'Historiker' Caesar, der sich () in dem Dilemma jedes Politikers befand, sein eigenes Handeln in einer seinen Absichten nicht diametral zuwiderlaufenden Weise zu erläutern, ohne sich in handgreifliche Widersprüche zu verwickeln." . So zeigt sich, daß Caesar zweifellos nicht ein neutrales Geschichtswerk schreiben wollte, und gewiß auch nicht geschrieben hat, sondern eine Schilderung der Geschehnisse mit dem ständigen Blick auf sein Bild in der Öffentlichkeit.
Der Exkurs über die Gallier, der mit dem Exkurs über die Germanen aus später noch zu behandelnden Gründen als Einheit betrachtet werden kann, folgt im sechsten Buch direkt an die Unterwerfung der Menapier, im Anschluß an die begonnene Überquerung des Rheins. Nachdem Caesar die Menapier unterworfen hat, die über Ambiorix mit den Germanen verbündet waren, plant er, die Germanen anzugreifen. Doch hier liegt eine klare Fehleinschätzung Caesars vor. Er glaubt, durch die nun fehlende Unterstützung der Menapier seien die Germanen entscheidend geschwächt, ohne zu sehen, daß das römische Heer durch vorhergehende Kämpfe nicht in der Lage ist, die großen und überaus kampfstarken Germanen zu besiegen. Erst als er mit seinen Truppen schon über den Rhein in germanisches Gebiet eingedrungen ist, weiß er diese Stärke wohl einzuschätzen. Im Widerspruch zu seiner Schilderung, er befürchtete, die Getreidevorräte würden für einen weiteren Vorstoß nicht reichen, läßt er sein Heer nicht verweilen, sondern zieht sich wiederum auf die gallische Seite des Rheins zurück. Es ist sogar nicht völlig auszuschließen, daß ihn vereinzelte Kämpfe zu diesem Entschluß trieben, warum sollte Caesar sonst auf einmal seinen Plan aufgeben und nicht die Stellung halten, sondern sich zurückziehen? Caesar will allerdings den Eindruck entstehen lassen, sein Vorgehen sei nicht auf einen Fehler seinerseits, sondern auf die Stärke der Germanen zurückzuführen.
Die Stellung des Exkurses zeigt wieder einmal die genaue Strukturierung und die Konsequenz, mit der Caesar sein Ziel verfolgt. Der Exkurs, der grundsätzlich an vielen Stellen hätte vorkommen können, wird von Caesar ganz bewußt eingesetzt, um nicht nur Informationen über die Gallier und die Germanen weiterzugeben, gleichzeitig nutzt Caesar ihn, um von der Sinnlosigkeit seines Plans abzulenken, nach Germanien einzuziehen.
So beginnt er seinen Exkurs mit den Worten: quoniam ad hunc locum perventum est, non alienum esse videtur de Galliae Germaniaeque moribus et, quo differant hae nationes inter sese proponere. Diese Einleitung kann als Verweis auf die Bedeutung des Folgenden für seine Handlung verstanden werden, aber auch eine Bemerkung, jetzt sei ein Zeitpunkt für eine allgemein notwendige Charakterisierung der Gegner gegeben, kann hier herausgelesen werden. Ein direkter Zusammenhang mit seiner Handlung ist auf alle Fälle nicht eindeutig gegeben. Zugleich steckt in dieser Einleitung auch schon die Quintessenz des Exkurses: Es geht Caesar darum, die Unterschiede zwischen Galliern und Germanen darzustellen. Schon aus diesem Grund ist eine allein auf den Gallier-Exkurs beschränkte Interpretation nicht sinnvoll.
Caesar schildert in seinem Exkurs anfangs die Herrschaftsstruktur in Gallien, das innerhalb jeder Gruppe, sei es in den Gauen, in den Gemeinden oder in den Familien, von dem angesehensten Mitglied geführt wird. Hierbei betont Caesar besonders, daß die Anführer dabei stets auf Gerechtigkeit achten, neque, aliter si faciat, ullam inter suos habet auctoritatem. Man kann wohl annehmen, daß bei den Germanen ein ähnliches System existierte, von diesem spricht Caesar jedoch nicht.
In den folgenden Abschnitten 13 und 14 berichtet Caesar über die Druiden, die mit den Rittern zusammen die beiden größten Stände bilden. In der Hand der Druiden liegen religiöse und intellektuelle Aufgaben wie Opferungen, Priesterdienste, Schriftkenntnisse aber auch die Rechtsprechung. Die Ausbildung der Druiden ist seiner Schilderung nach sehr umfangreich ist besteht unter anderem aus dem Lernen von Versen, dem Erlernen der griechischen Schrift, und philosophischem, astrologischem und theologischem Unterricht. Bei den Opferungen werden vornehmlich Verbrecher geopfert, jedoch sind auch Opferungen von Unschuldigen möglich. Die Götterwelt beschreibt Caesar als der römischen sehr ähnlich, de his eandem fere quam reliquae gentes habent opinionem , er nutzt gar die römischen Namen für die gallischen Götter.
Die Ritter dagegen sind für den Kriegsdienst zuständig, von dem die Druiden grundsätzlich befreit werden. Durch ständige Kämpfe versuchen die Ritter, Klienten und Sklaven um sich zu sammeln, um so an Macht zu gewinnen.
Eher barbarische Bräuche schreibt Caesar den Galliern innerhalb ihrer Ehen zu. Die Männer bestimmen nicht nur über ihre Frauen und ihre Kinder, in uxores sicuti in liberos vitae necisque habent potestatem . Und selbst nach dem Tode des Mannes wird die Frau verhört und bei Verdacht gefoltert und umgebracht.
Bei äußerer Gefahr werden die Beamten informiert, die wiederum, quae visa sunt, occultant, quae esse ex usu iudicaverunt, multitudini produnt .
Der angrenzende Germanen-Exkurs soll hier nicht gesondert zusammengefaßt werden, es sei nur auf die sehr aussagekräftige Einleitung verwiesen, Germani multum ab hac consuetudine differunt , da hier das Hauptgedanke beider Exkurse wieder auftaucht.
Wie schon oben erwähnt, dienen beide Exkurse dazu, die Unterschiede zwischen den beiden Stämmen zu betonen und somit das Vorrücken innerhalb Galliens und das Zurückweichen aus Germanien zu begründen. Durch das Einfügen von Exkursen weicht Caesar vom Sinn des commentarius ab. "Beide (die Reden und die Exkurse) sind dem commentarius grundsätzlich fremd; denn in einer Sachaufzeichnung gibt es keinen Anlaß, zu anderen Dingen abzuschweifen, "[18]
Im allgemeinen charakterisiert Caesar beide Völker wie folgt: Die Gallier sind kultiviert und sehr hoch entwickelt, trotzdem aber noch nicht mit den Römern gleichzusetzen, während die Germanen barbarisch und roh sind, von niedriger Kulturstufe und gefährlich als Gegner.
Um den Unterschied in der Kultur hervorzuheben, geht Caesar ganz besonders auf die Druiden ein, deren Beschreibung fast ebenso viel Platz einnimmt, wie die Beschreibung der Germanen, ausgenommen die Schilderung des Hercynthischen Waldes, die eventuell gar nicht von Caesar selbst stammt. Die Druiden repräsentieren bei Caesar alles, was kulturell hochwertig ist. Wie eine besonders hohe Auszeichnung wirkt das Graecis litteris utantur .
Daß die Gallier trotzdem ein ernstzunehmender Gegner sind, zeigt Caesar, indem er die Ritter als kriegserprobte Kämpfer darstellt: hi, cum est usus atque aliquod bellum incidit - quod anto Caesaris adventum fere quotannis accidere solebat, uti aut ipsi iniurias inferrent aut illatas propulsarent - omnes in bello versantur . Weiterhin hilft die Aussage, die Gallier würden an ein Weiterleben der Seele nach dem Tod glauben, bei der Erklärung des Todesmutes gallischer Kämpfer in den vorhergehenden Schlachten. Auf der anderen Seite wird bei der Beschreibung der Germanen zusätzlich betont, daß diese durch venationibus atque studiis rei militaris kampferfahren und abgehärtet sind. Das Bild wird durch die Schilderung abgerundet, bei den Germanen gelte es als hohe Ehre, einen möglichst breiten Streifen brachliegenden Landes um sein Gebiet zu besitzen, ein Zustand, der nicht von hohem Entwicklungsstand, wohl aber von hoher Wehrhaftigkeit zeugt. Caesar versucht also, die Germanen gegenüber den Galliern als barbarischer und kriegerischer darzustellen, ohne daß die Gallier dadurch zum nicht ernstzunehmenden Gegner degradiert werden.
Interessant ist auch die Darstellung der Götter. Während Caesar zu den Germanen nur sagt, sie hätten nur drei Götter, Solem et Vulcanum et Lunam . Hierbei stellt er wiederum die Germanen wie Tiere dar, da sie deorum numero eos solos ducunt, quos cernunt et quorum aperte opibus iuvantur . Ganz gegensätzlich dazu die Gallier: Sie pflegen die gleichen Götter wie andere Völker, um die Gallier den Römern möglichst nahe zu bringen, benutzt er gar die lateinischen Namen für die gallischen Götter. Dieses wurde in neuerer Zeit immer wieder als inkorrekt empfunden, so schreibt zum Beispiel Ellis: "Daß Caesar die keltischen Götter mit ihrem römischen Aquivalent gleichzusetzen sucht, macht seinen Bericht nicht nur nutzlos, sondern auch irreführend. In lateinischen Inschriften wurden nicht weniger als neunundsechzig unterschiedliche keltische Götter mit dem römischen Mars gleichgesetzt."
Diese Ausführungen sollen dem Leser klarmachen, daß die Gallier und Germanen sich so grundsätzlich voneinander unterscheiden, daß eine Eroberung Galliens richtig und sinnvoll ist, eine Eroberung Germaniens aber vollkommen sinnlos und unnötig riskant wäre. Zeitler schreibt hierzu: "Die Gallier, ein Volk, daß es verdient und das es nötig hat, römisch zu werden - die Germanen, ein Volk, an dem jede Muße hierfür vergeblich wäre."[23] Zeitler weiter: "Der Exkurs begründet diesen Rat (von einer Ausdehnung des Imperiums auf germanisches Gebiet abzusehen) materiell - bei den Germanen gibt es nichts zu holen, militärisch - die Germanen ziehen mit ihrem ganzen Lebensvollzug auf größtmögliche Kriegstüchtigkeit, psychologisch - die Germanen sind von ihrer Grundeinstellung kein Volk, das sich im geordneten Rahmen beherrschen läßt" Trotz all dieser Argumente zeigt Caesar jedoch nicht, warum er erst den Rhein überquert, um sich dann doch wieder zurückzuziehen.
Trotz aller bisher aufgeführten Argumente, welche die subjektive Berichterstattung Caesars erkennen lassen, ist der Quellenwert des Bellum Gallicum unbestritten. Der Leser muß sich nur stets über Caesars Beweggründe bewußt sein. Er hat sich stets die Frage zu stellen, wo Caesar Nutzen aus einer subjektiven Darstellung zog und wo sie überhaupt möglich war. Wie schon erwähnt, konnte Caesar bei der Schilderung des Verlaufs von Schlachten und bei der Angabe von Feindesstärke die Wirklichkeit nicht wesentlich verfälscht wiedergeben, da hier wohl die Berichte der Soldaten ihm deutlich widersprochen hätten. Die Angabe von Kriegsgründen ist oben schon behandelt worden, hier muß man den Bellum Gallicum stets mit Blick auf die römische Außenpolitik betrachten.
Ganz allgemein ist zu sagen, daß Caesar wohl die Wahrheit nur selten kraß verfälschen, öfter übertrieben wiedergeben und ebenso oft verschweigen konnte. So ist die Darstellung seiner Gegner meistens eine einseitige, überzeichnete Darstellung, die positiven Eigenschaften werden von Caesar verschwiegen, wenn sie nicht in das Bild des gefährlichen, ernsten Gegners passen, die negativen werden hervorgehoben und ausgemalt. Ich will an dieser Stelle nochmals auf die Charakterisierung Ariovists in BG I, 31 eingehen, da sie für das Vorgehen Caesars bezeichnend ist. Über Ariovist, der mit der Eroberung des Sequaner- und des Häduer-Gebietes durchaus militärische Erfolge vorzuweisen hat, berichtet Caesar nur hinsichtlich seiner crudelitas. Die Herrschaft des Ariovist mag zwar grausam gewesen sein, doch letztlich ist er wie Caesar Eindringling in ein fremdes Gebiet und auch Caesar ist bei der Eroberung Galliens gewiß nicht immer sanft vorgegangen. Doch wie es sich für einen Gegenspieler des Autors gehört, ist Ariovist in Caesars Darstellung die Verkörperung aller Barbarei.
Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Bearbeitung des Bellum Gallicum ist die unterschiedliche Auffassung eines Textes. Die Interpretation eines Textes ist stets gezwungenermaßen subjektiv. Wie in der Geschichte über die drei Blinden, die einen Elefanten jeweils an verschiedenen Körperteilen anfassen und somit zu völlig verschiedenen Eindrücken kommen, so wertet jeder Leser verschiedene Textstellen verschieden stark und empfindet sie verschieden. Und so wie Caesar durch seine Subjektivität in seiner Darstellung nicht frei war, so sind wir es heute durch unsere politischen Ansichten (man vergleiche das Verständnis vom bellum iustum), durch unsere Vorbildung (so zum Beispiel in der Schilderung des hercynthischen Waldes) und durch viele andere Einflüsse. Collins schreibt: "So in our attempts to understand a complex historical personality such as Caesar, we are blinded by the two thousand years of time, cultural change, and destruction of records that lie between us and him, and our different directions of approach are the varying emphases we lay on those parts of the raw stuff of the sources that strike our individual minds most strongly."[25]
Zum Quellenwert des Gallien-Exkurses muß grundsätzlich festgestellt werden, daß wohl nicht alle Aussagen aus Caesars eigener Erfahrung stammen. Klotz und Ellis sind sich einig, daß wohl Poseidonios Geschichtswerk als Quelle diente: "Es wird allgemein anerkannt, daß die Ausführungen Caesars aus Poseidonios' Geschichtswerk stammt."[26]. "Vieles spricht dafür, daß Poseidonios' Werk über die Kelten Galliens vier antiken Autoren als Quelle diente: Gaius Iulius Caesar " Es ist insbesondere zu bezweifeln, daß Caesar die genauen Angaben über die Ausbildung der Druiden aus eigener Erfahrung machen konnte, da der Kontakt vermutlich hauptsächlich zwischen ihm und den Rittern stattfand. Jedoch gerade die Tatsache, daß diese und ähnliche Schilderungen sowohl vorher als auch später immer wieder von verschiedenen Autoren überliefert wurden, läßt diese als relativ gesichert erscheinen. Caesars Angaben über den Glauben an die eigene Unsterblichkeit findet sich so ebenfalls bei Lukan, bei Diodorus und bei Strabo. Ebenso findet man Angaben über die Druiden auch bei letzteren beiden, wobei diese jedoch den Stand der Druiden in drei Stände aufteilen, nämlich in Vates, Barden und Druiden. Keltische Quellen bestätigen hier jedoch Caesar. Als letztes Beispiel soll noch das von Caesar dargestellte Verbot des Schreibens genannt werden, Ellis sagt dazu: "Die Lehre besagt, daß Wahrhaftigkeit und das Wort gleichbedeutend waren, und daß das Wort göttlich und heilig war und nicht entweiht werden durfte."
Doch auch innerhalb des Gallien-Exkurses müssen wir uns stets der Tatsache bewußt sein, daß Caesar kein genaues Bild zeichnen konnte, da er Feldherr und nicht Ethnologe war, und vermutlich auch nicht wollte. Gerade in diesem Abschnitt ging es Caesar um eine eindeutige Aussage in seinem Sinne, gerade hier macht es für ihn Sinn, einige Punkte stärker hervorzuheben, andere dagegen gar nicht zu erwähnen, um den eigentlich nicht so großen Unterschied zwischen Galliern und Germanen hervorzuheben.
Unter Berücksichtigung all dieser Argumente bleibt also festzustellen, daß Caesars commentarii de bello gallico bei richtigem und vorsichtigem Umgang einen sehr hohen Wert als Quelle besitzt, besonders innerhalb des Gallierexkurses.
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C. Iullii Caesaris Commentarii de bello gallico, erkl. von F. Kraner, W. Dittenberger und H. Meusel, Bd. I, 21. Auflage, Dublin/Zürich 1968 |
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Richter, W., Caesar als Darsteller seiner Taten, Heidelberg 1977 |
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Schulte-Horney, G., Untersuchungen zum gallischen Widerstand gegen Caesar, Diss., Münster 1969 |
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Adcock, F.E., Caesar als Schriftsteller, Göttingen 1956 |
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Ellis, P.B., Die Druiden, München 1996 |
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Zeitler, W.M., Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Berlin 1986 |
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Collins, J.H., Propaganda, ethics and psychological assumptions in Caesar's writings, Diss., Frankfurt 1952 |
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Klotz, A., Caesarstudien, Leipzig / Berlin 1910 |
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