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Referat Gallierexkurs und herrschafts¬rechtfertigung

latein referate

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GALLIEREXKURS  UND HERRSCHAFTS­RECHTFERTIGUNG

Caesar, Bell. Gall. VI, 11ff

Im Gallierexkurs, beil. Gall. VI,l1,13,20, schreibt Caesar unter anderem folgendes:

In Gallia non solum in omnibus civitatibus atque in omnibus pagis partibusque, sed paene etiam in singulis domibus faationes sunt; eorum hominum, qul aliquo sunt numero atqtie honore, genera duo sunt; nam plebs paene servorum habetur loco.

Habent legibus sanctum, si quis quid de re publica a finitimis rumore ac fama acceperit, ut ad magistratum deferat neve cum quo alb communicet, quod saepe homines temerarios atqtie imperitos falsis rumoribus terren et ad facinus impeih cognitum est.

In Gallien gibt es nicht nur in allen Stämmen, ja in allen Gauen und Bezirken~ sondern auch fast in jeder einzelnen Familie Partei­en; von den Menschen, die einiges Ansehen genießen, gibt es nur zwei Stände; der gemeine Mann nämlich wird fast wie ein Sklave behandelt.

Sie haben es gesetzlich festgelegt, dass, sollte irgendjemand ir­gendetwas über Staatsangelegenheiten von den Nachbarn gerüchtewei­se oder durch Hörensagen vernehmen, er dies nur der Behörde meldet und es sonst niemandem mitteilt, weil man vielfach die Erfahrung gemacht hat, dass sich die unbesonnenen und unerfahrenen Leute durch falsche Gerüchte einschüchtern und zu einer schlimmen Tat hinreißen lassen.

Militärische Abwehr und territoriale Herrschaftssicherung stehen im Vordergrund der kriegerischen Aktionen Caesars in Gallien. Eine Reihe iuristischer, historischer und politischer Begründungen wird dem römischen Leser geboten, um das Vorgehen Caesars als notwendig und im Sinn eines bellum iustum legal erscheinen zu lassen. Den Krieg gegen die Helvetier, Ariovist und die Belger rechtfertigt Caesar vor seinen Lesern nach folgendem Schema:

* Ein auf altes Recht gestützter römischer Herrschaftsanspruch,

* eine Verschwörung der Feinde und die dadurch verursachte Bedro­hung der römischen Provinz sind Anlass genug, auch außerhalb röm. Grenzen militärische Präventivmaßnahmen zu ergreifen. Als Caesar ein dauerndes römisches Regiment für ganz Gallien durchgesetzt hatte, änderte er seine Argumentation. Es geht nun nicht mehr um eine plausible Darlegung offensiver Kriegsführung, sondern um die Rechtfertigung langfristig ausgeübter Herrschaft. Dem Gallierex­kurs kommt dafür besondere Bedeutung zu.

Es ergibt sich folgender thematischer Aufbau des Exkurses:

* c 11 - 12: Gallisches Parteiwesen und ordnendes Eingreifen Caesars; diese Kapitel zeigen die negativen Folgen gallischen Partei­wesens und die Segnungen römischer Herrschaft, wie sie Caesar den Kelten vermittelt hatte. Caesar schildert die umfassende politi­sche Spaltung eines Volkes in Parteien, und zwar auf zwei Ebenen:

von der untersten Einheit der Familie bis zum Stamm und in Gallien insgesamt, das geprägt ist von einem Parteiendualismus. Als Ver­treter der factiones erscheinen die principes (vgl. z.B. Orgeto­rix, Dumnorix). Diese principes heben sich als potentiores aus der plebs - ein typisch römischer Begriff - durch ihre auctoritas her­vor. Sie werden in den vorhergehenden Büchern dargestellt als Volksführer mit eigenen Zielen. Caesar beschreibt ein dem römi­schen Klientelwesen eng angelehntes soziales System;

In c. legt Caesar dar, wie sich dieser allgemeine Sachverhalt auf die konkrete politische Situation bei seiner Ankunft in Galli­en auswirkte. Haeduer und Sequaner werden als Häupter zweier Par­teien vorgestellt, die ganz offensichtlich eine innergallische Führung anstreben; in Umkehrung der alten Machtverhältnisse ge­lingt dies den Sequanern mit Hilfe der Germanen Ariovists. Im Ver­gleich zu I 31 fällt auf, dass die Rollen von Sequanern und Germa­nen vertauscht sind: Erscheinen in I 31 vor allem die Germanen als Unterdrücker, die auch die verbündeten Sequaner unter ihre Macht zwangen, so ist in VI 12 der germanische Einfluss deutlich abge­schwächt. Der gewaltsame Aufstieg der Sequaner, durch den die Hä­duer größten Schaden erlitten, führte zur necessitas der Häduer, bei der aber der römische Senat nicht half - eine deutliche Kri­tik. Es ist Gewaltherrschaft, die fremdes Land besetzt und zumin­dest über die Häduer Knechtschaft gebracht hat. Die Sequaner wer­den als Gewaltherrscher vorgeführt, die sich Land der Häduer an­eignen, sie versklaven und zusätzlich zur Oberherrschaft die Kli­entel der Häduer übernehmen. Durch die vereinfachende Zuspitzung des Konflikts auf nur zwei keltische Stämme interpretiert Caesar die Auseinandersetzung dieser Jahre als vorwiegend innergallische Streitigkeiten. Er bietet so nicht nur ein anschauliches Beispiel keltischen Parteiwesens, sondern liefert auch einen Beleg für po­litische Knechtschaft unter den Galliern selbst. Das aus Parteiung entstehende Streben der einen nach Herrschaft bedeutet Unterdrückung für die anderen und ständigen Unfrieden im Volk. Wirkungsvoll unaufdringlich führt sich nun Caesar ins Geschehen ein, vor allem angesichts zahlreicher Kämpfe, die die Sequaner und die Germanen zu ihrem Sieg benötigen. Dagegen kommt römisches Eingreifen offen­bar ohne Gewalt aus, denn das knappe adventu Caesaris facta commu­tatione rerum übergeht den Ariovistkrieg. Caesar handelt von sich aus - anders als der untätige Senat. Wie rasch und scheinbar ge­waltlos die römische Ordnungsmacht die früheren Zustände zugunsten der Häduer wiederherstellt, berichtet Caesar in der Kürze des Kom­mentarienstils: obsidibus Haeduis redditis, veteribus dientelis restitutis, novis per Caesarem comparatis.. reliquis rebus eorum gratia dignitateque amplificata - die Häduer hatten ihre Geiseln zurückerhalten, die alten Schutzverwandtschaften hatte Caesar wie­derhergestellt und neue gebildet; auch sonst hatte er ihren Einfluss zu stärken und ihre Stellung zu heben gewusst; die Berechti­gung dieser Eingriffe erweist er durch den eingeschobenen Kausalsatz "weil diejenigen Stämme, die sich an die Häduer freundschaftlich angeschlossen hatte, unter besseren Verhältnissen und unter einem gerechteren Regiment lebten, wie sie merkten." Bessere Ver­hältnisse und gerechtere Herrschaft legitimieren die Präsenz rö­mischer Macht in Gallien; alte Feinde der Häduer traten freiwillig in ein Klientelverhältnis zu den belgischen Remern, die ebenso in Caesars Gunst standen und nach dem Vorbild der Häduer ebenfalls Schutzherrschaft im römischen Auftrag üben sollten. Der Erfolg rechtfertigt auch diese Maßnahmen: ,,Diese betreuten sie gewissen­haft und wussten so ihren jungen und plötzlich gewonnenen Einfluss zu behaupten.' Die auctoritas der Remer hat die potentia der ger­manisch- sequanischen Machthaber abgelöst. Mit Häduern und Remern, Vertretern römischen Herrschaftswillens, soll sich ein Regiment in Gallien etablieren, das aufgrund besserer Herrschaft mehr Freiheit und Frieden garantieren kann, als es dauernder Parteizwist und gegenseitige Schwächung vermögen. Das vorläufige Ergebnis des ord­nenden Eingreifens Caesars dokumentiert der Schluss des Kapitels:

,,Die Lage war also die: als die bei weitem angesehensten galten die Häduer, und an zweiter Stelle im Rang standen die Remer.' In ge­drängter Kürze wird hier ein gleichsam politisch entschärftes und von Parteihader befreites Gallien präsentiert, in dem Häduer und Remer nicht mehr als Anführer von factiones erscheinen, sondern als Führungsmächte kraft moralischer Integrität und politischer Berechenbarkeit - eine Rolle, der vor allem die belgischen Remer gerecht werden. In c.ll und 12 heben sich die Errungenschaften rö­mischer

Herrschaftspraxis besonders deutlich von derjenigen der Kelten ab: Die innergallische Parteiung weicht konstruktiver Poli­tik im Anschluss an Rom; Gewaltherrschaft wird durch Autorität er­setzt, die sich durch besseres Herrschen legitimiert, knechtische Klientelverhältnisse werden gelöst, an die Stelle von Fehde tritt Friede.

c.         13 - 15: Soziale Spaltung  und keltisches Staatswesen:

Unterschicht - Druiden - Adel. Diese Kapitel haben ergänzende und vertiefende Funktion. Sie belegen Parteiung, Unzufriedenheit und Unterdrückung auch für den sozialen gesellschaftlichen Bereich; sie veranschaulichen die eigenartigen Organisationsformen der gal­lische Stämme. Der Leser soll einsehen, dass die Gallier einen Staat besitzen, in dem politisch-soziale Missstände fundamental und aus eigener Kraft nicht zu beheben sind. Das Eingreifen einer Macht, die über eine geordnete Staatlichkeit verfügt, erscheint angesichts solcher Zustände als fast zwangsläufig. Der in c. 12 beschriebene politische Dualismus findet seine Entsprechung in der keltischen Sozialordnung: in omni Gallia eorum hominum, qui aliquo sunt numero atque honore, genera sunt duo. In Gallien gibt es also nur zwei politisch maßgebliche ,,Stände' neben einer breiten Unter­schicht, deren Angehörige zu den staatlichen Beratungen nicht hin­zugezogen und überdies wie Sklaven behandelt werden. Zur politi­schen Parteiung und Machtlosigkeit der unteren Volksschicht gehö­ren somit soziale Spannungen und Unterdrückung. Politische Fried­losigkeit verbindet sich mit sozialem Unfrieden, der von denselben potentes zu verantworten ist, die nach Caesar auch Kriege und Knechtschaft über ihre Stammesgenossen gebracht haben. Zwei füh­rende Stände werden beschrieben: equites und Druiden. Den equites widmet Caesar nur wenige Worte, den Druiden dagegen einen langen Absatz; sie sind jene gallische Opposition, die ihm - wie man an­nimmt - großen Widerstand leistete. Caesar schildert die Druiden als Priester, Richter, Lehrer und Gelehrte mit außerordentlichen Kompetenzen und fast übermächtigem Einfluss. Ihre Befugnisse grün­deten sich nicht wie in der römischen res publica auf eine um­schriebene Amtsgewalt, sondern auf honor. Streitigkeiten jeder Art werden durch sie entschieden; praemia poenasque sprechen sie aus. Die schwerste Strafe ist der Ausschluss von den Opferhandlungen. Der Ausgeschlossene wird als Außenseiter gemieden. Auch innerhalb der Druiden gibt es eine Rangabstufung: omnibus druidibus praeest unus. Gesteigert werden diese Kompetenzen noch durch den stammes-übergreifenden Charakter und die herrschaftliche Struktur des Dru­idenverbandes, an dessen Spitze ein einziger Mann steht. Darüber hinaus haben die Druiden entscheidende Sonderrechte, besitzen das Bildungs- und Schriftmonopol und daraus erwachsend auch Verwal­tungsaufgaben (Urkundenschreiber) . Druiden leisten keinen Kriegs­dienst und keine Abgaben. Die religiöse Lehre wird nur mündlich überliefert, ihre Kenntnis ist auf einen exklusiven Kreis be­schränkt; so nimmt sie fast bedrohliche Züge an und verstärkt wei­ter die Unberechenbarkeit im politischen Alltag der Gallier. Der röm. Leser gewinnt den Eindruck eines Staates im Staat, der in beinahe alle Lebensbereiche der Stammesangehörigen eingreift und durch Androhung religiöser Strafen wirksame Kontrolle ausübt. Nach den Fürsten nennt Caesar mit den Druiden die zweite Gruppe jener Mächtigen, die die freie Entfaltung staatlichen Lebens hemmen und weitreichende Abhängigkeitsverhältnisse in den gallischen Stämmen entstehen lassen. Die Behauptung, die Lehre der Druiden sei in Britannien aufgekommen und von dort nach Gallien gebracht worden, verleiht auch den Kriegen auf der britischen Insel zusätzliche Be­rechtigung. Caesar bekämpft nicht nur Stämme, die aufständische Festlandkelten mit Hilfstruppen unterstützt haben, sondern führt zugleich einen Feldzug gegen die geistige Kommandozentrale aller gallischen Stämme. Mit den Überfahrten nach Britannien will Caesar auch eine wichtige Quelle vielfachen Missstandes und potentieller Unruhe beseitigen, aus der die Machenschaften des Druidenverbandes jederzeit neu auf Gallien übergreifen können. Trotz der Kürze be­handelt Caesar auch bei der Darstellung des Adels- oder Ritter-Standes alle

wesentlichen Themen: den politisch-militärischen Un­frieden, der sich in fast jährlichen Feldzügen äußere, das Fehlen einer staatlichen Ordnung in Friedenszeiten, denn die Gallier kannten nur ein kriegerisches Gefolgschaftswesen. Auch der poli­tisch einflussreiche Adel nimmt auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens keinen konstruktiven Einfluss; seine Aufgabe erschöpft sich in ständiger Kriegsführung. Als Kontrast zu den kriegerischen Un­ternehmungen der Gallier stellt Caesar noch einmal einen Vorzug römischer Herrschaft heraus: die geringere Häufigkeit der Kriegs-Züge und damit mehr Frieden seit dem Eingreifen Caesars in Galli­en.

* c 16 - 18: Religion und Opferwesen; Der dritte Teil des Exkurses setzt die religiöse Thematik der Druidenkapitel verallgemeinernd fort. Auch im Bereich der Religion und des Opferwesens werden die Kelten als eine Völkerschaft auf niedriger, barbarischer Entwick­lungsstufe dargestellt. Das wird sichtbar an den grausamen Men­schenopfern - auch Unschuldige werden geopfert. Caesar beschreibt eine Religiosität, die die Menschen zu Gefangenen ihrer eigenen Re­ligion werden lässt. Damit erhält auch im Kult das servitus-Thema seinen Platz in der Bestrebung Caesars, Knechtschaft als von Gal­liern selbst verursacht nachzuweisen. Die überragende Stellung der Götter für das Alltagsleben der Kelten zeigt sich auch in der Tat­sache, dass die Kriegsbeute dem entsprechenden gallischen Gott ge­weiht und geopfert wird. Zuwiderhandelnde begehen ein schweres re­ligiöses Delikt und werden hart bestraft; das unterstreicht noch einmal den Zwangscharakter der keltischen Religion.

* c18-19: Familie - Privates: dieser vierte Teil führt aus der politischen, rechtlichen, sozialen und religiösen Sphäre in den familiären Lebensbereich der Kelten. Auch hier kommen Parteiwesen und Unterdrückung ebenso vor wie Freudlosigkeit, primitives Brauchtum und Grausamkeit. Das Leitthema servitus ist konsequent durchgeführt. Von der allgemein politischen Ebene über die inner-gesellschaftliche und die religiös-kulturelle erreicht es die kleinste Lebenseinheit, die Familie, in der die Frau weitgehend rechtlos und untergeordnet erscheint. Auch das weitere Hauptthema Unfriede wird wieder aufgegriffen: Nach dem Bericht über den poli­tischen Unfrieden zwischen und innerhalb von Stämmen und über den sozialen Unfrieden zwischen den Ständen belegt Caesar die Fried­losigkeit in der Familie: ,,Hinterlässt ein Mann von vornehmer Ab­kunft bei seinem Tod Familie, so kommen seine Verwandten zusammen, und wenn wegen seines Todes Verdacht besteht, stellen sie mit der Frau des Verstorbenen ein peinlicher Verhör an. Erweist sich dabei der Verdacht als begründet, so muss sie unter allen möglichen Martern den Feuertod erleiden'. Offensichtlich ist der unnatürliche gewaltsame Tod von vornehmen Familienhäuptern nichts Ungewöhn­liches, bezeugt aber nicht Familien- und Ehefrieden.

* c 20: Gallische Mentalität; das letzte Kapitel beschreibt be­hördliche Einrichtungen, um den wiederholten Nachweis der staat­lichen Ohnmacht Galliens zu führen, die durch die Willkür der Herrschenden und die fehlende Staatsverfassung geprägt ist. Caesar berichtet von einer gesetzlichen Verordnung (legibus sanctum), dass jeder sofort der Obrigkeit melde, was er über den Staat (de re publica) von den Grenznachbarn aus Gerüchten gehört habe; die Be­hörden handeln nach eigenen Interessen und teilen der Menge nur mit, was ihnen nützlich erscheint. Die Mehrheit des Volkes wird so in politischer Unmündigkeit gehalten aus einem Grund, der auf gal­lische Mentalität und Eigenart ein bezeichnendes Licht wirft: ,,man hat vielfach die Erfahrung gemacht, dass sich diese unbesonnenen und unerfahrenen Leute durch falsche Gerüchte einschüchtern, zu einer schlimmen Tat hinreißen und zu einem Beschluss von größter Tragweite bestimmen lassen'. Seiner ganzen Veranlagung nach ist der Gallier also nicht in der Lage, die Spielregeln eines geordne­ten Staatswesens zu befolgen. Diese Aussage gibt eine wirkungsvol­le Erklärung der zuvor beobachteten politischen Missstände und lässt den großen Einfluss der Fürsten und Druiden im Leben der gallischen Stämme

verständlich werden. Die mühelose Verführbarkeit der Kelten werde durch sein sprunghaftes Wesen begründet. Dieses psychologi­sche Moment stellt eine nicht unwesentliche Komponente dar im in­neren Verlauf der zahlreichen gallischen Erhebungen, wie Caesar sie schildert.

Die Stilmittel im Gallierexkurs tragen wesentlich zum Eindruck der Sachlichkeit und Objektivität bei. Im Unterschied etwa zur Oritog­natusrede, bei der ein metapherreiches Pathos den appellativen Charakter verstärkt, gibt hier Caesar eine nüchterne Schilderung ohne bildhafte Vergleiche. Trotzdem verzichtet er nicht auf Ana­phern, Alliterationen, Parallelismen im Satzbau, Chiasmen, die den Aussagen prägnante Eindringlichkeit verleihen. Den factiones auf inhaltlicher Seite entspricht die antithetische Struktur auch for­mal. Auch die Verwendung der partizialkonstruktionen, die den so umschriebenen Ereignissen eine allgemeine Bedeutung geben, objek­tivieren den Bericht. Ihr Urheber bleibt zwar gegenwärtig, dies aber immer in Distanz; so können z.B. Misserfolge eher aus der Situation erklärt als Caesar angelastet werden - eine Technik, die sich im gesamten Werk bewährt. Die formale Gestaltung der Kapitel 11-20 beweist, dass der Gallierexkurs mit aller Sorgfalt konzipiert ist und damit auch stilistisch jenes Gewicht gewinnt, das ihm ent­sprechend seinem Inhalt zukommt.

Anders sein, sich anders verhalten wird von Caesar nicht respek­tiert. Wer seine eigenen Interessen zu wahren sucht, gegen den wird vorgegangen. Man muss sich anpassen. Diese röm. Einstellung wird noch zusätzlich deutlich gemacht durch eine Objektivität sug­gerierende Sprache: nüchtern, gepflegt, distanziert, folgerichtig, sachlich. Auch die Kolonial- und Industriestaaten im 18. und 19. Jhdt. glaubten, mit ihren Machtmitteln in den sogenannten Entwick­lungsländern die Zivilisation auszubreiten. Auch Caesar hat die Gallier im Gallierexkurs so beurteilt: befangen in unerträglichen politischen Strukturen, friedlos, willkürlich, unberechenbar, un­kundig - sie dürfen gar nicht sich selbst überlassen werden; erst durch sein Auftreten seien geordnete Verhältnisse geschaffen wor­den.

Das Verhältnis des Exkurses zu bell. Gall. I-VI: Die Fürsten er­scheinen im Gallierexkurs als die ausschlaggebenden Faktoren. Ent­sprechend ist jede keltische Erhebung zunächst eine coniuratio we­niger Fürsten, die die Mentalität ihrer Stammesangehörigen genau kennen und für ihre Pläne dienstbar machen. Analog zu VI,20, wo die Disziplinlosigkeit der Kelten in politischen Dingen hervorge­hoben wird, müssen die principes nicht mit überzeugenden Argumen­ten werben, sondern hemmungslose, die Emotionen ansprechende Pro­paganda genügt, um den Stamm für den Krieg zu gewinnen. Orgetorix z.B. zettelt eine Verschwörung unter dem Adel an und redet den Helvetiern die Notwendigkeit ihres Auszugs ein; die Fürsten der Veneter wiegeln die Küstenstämme auf; die Häduer werden durch ihre Fürsten zur Erhebung verführt usw. Die gallischen Verschwörungen sind keine von unten ausgehenden und geplanten Volksaufstände, sondern Ergebnis eigensüchtiger Fürstenpolitik, die auf Macht- und Herrschaftsvergrößerung abzielt. Caesar lässt keinen Zweifel daran, dass alle - Orgetorix, Casticus, Dumnorix, Vercingetorix - die Kö­nigsherrschaft anstrebten, unter dem Deckmantel wirkungsvoller Freiheitsparolen das verführte Volk für ihre Pläne benutzten. Or­getorix z.B. will mit seinen Verbündeten Dumnorix und Casticus ganz Gallien beherrschen; Vercingetorix meinte sogar, den ganzen Erdkreis unterwerfen zu können. Die Diskrepanz von vorgegebenem Patriotismus, angestrebter Machtsteigerung der Fürsten und zu er­wartender Unterordnung der beteiligten Stämme gibt den keltischen Aufständen das Gepräge. Das servitus-Thema des Gallierexkurses ist in jeder Schilderung gallischer Erhebungen enthalten und soll be­weisen, dass Gallier von Galliern versklavt werden. Caesar geht noch weiter: Selbst im politischen Alltag der keltischen Völker ist gegenseitige Unterdrückung keine Seltenheit. Die Veneter an der Küste z.B. führen ein Regiment über tributpflichtige Nachbarn-Stämme, das Auflehnung herausfordert.

Die politischen und psychologischen Voraussetzungen der gallischen Erhebungen sind aus dem Gallierexkurs bekannt:

* die politische und soziale Spaltung zwischen und innerhalb von Stämmen

* das keltische Naturell, das Abenteuer und Veränderung als Eigenwerte ansieht, leicht beeinflussbar ist und sich schnell und auf

bloße Gerüchte hin zu entscheidenden Handlugen hinreißen lässt. Vom

3. Buch an spielt dieses Moment in der Darstellung Caesars eine

große Rolle, im 4. Buch ist ihm sogar ein ganzes Kapitel gewidmet.

* Das zu geregelter politischer Form ungeeignete Wesen der Gallier garantiert den Fürsten erst den Erfolg ihrer Verführungskünste und das weitere Verfolgen ihrer nur scheinbar gemeinnützigen Ziele. Auch auf einzelne militärische Aktionen wirkt sich diese sprung­hafte, leichtgläubige Art kampfentscheidend aus: Die Veneter und ihre Verbündeten z.B. müssen sich auch deshalb geschlagengeben, weil sie einem angeblichen Überläufer ohne nähere Prüfung der Lage geglaubt haben.

* Der politische Ausgangspunkt der gallischen Revolten ist die Parteienbildung in den Stämmen und in Gallien insgesamt. Bei den Häduern streiten der romfreundliche Diviciacus und dem Caesargeg­ner Dumnorix um die Macht, Cingetorix und Indutiomarus ringen um den Einfluss bei den Treverern, die Helvetier sehen sich Häduern, Ambarraren und Allobrogern gegenüber, bei den belgischen Völkern sondern sich die Remer ab, in Gallien kämpfen Häduer und die ver­bündeten Arverner und Sequaner um die Vorherrschaft.

* Verstärkt wird diese politische Polarität durch ein soziales Ge­fälle, auf das der Gallierexkurs verallgemeinernd hinweist, das nach Caesar besonders im Gegensatz zwischen Adel und unterer Volksschicht deutlich wird. Dieser sozialen Spaltung bedienen sich die Fürsten nicht nur einmal: Dumnorix verdankt seine einflussreiche Position anscheinend auch dem Einfluss, den er durch seine Freigebigkeit beim einfachen Volk besitzt; Vercingetorix stützt sich anfangs auf "ärmliches Gesindel" des Landes, weil seine Pläne bei der Mehrzahl des avernischen Stammesadels auf Ablehnung sto­ßen.

Keltische Auf stände soll der Leser nicht als Reaktion auf römische Gewaltpolitik werten, sondern als zwangsläufige Folge der in poli­tisch-sozialer Spaltung, Fürstenpolitik und gallischer Mentalität bedingten mangelhaften politischen Organisation der keltischen Stämme. Caesar suggeriert also dem Leser, dass nicht die römische Herrschaft für servitus verantwortlich ist, wie es die gallischen Fürsten behaupten, sondern die von denselben Fürsten mitverantwor­tete und für ihre Pläne ausgenutzte Anarchie der keltischen Völ­ker. Vor diesem Hintergrund ist die röm. Herrschaftsbegründung nicht mehr schwer:

* Caesar bewahrt die Gallier vor allzu großer Machtsteigerung der Fürsten, indem er diese mit Waffengewalt niederzwingt. Befreiung von Gewaltherrschaft und Unterdrückung ist das Verdienst der Römer -eine wirksame moralische Rechtfertigung für das röm. Regiment.

* Er verhindert die drohende helvetische Hegemonie und befreit Gallien von der Gewaltherrschaft des Ariovist.

* Caesar tritt als Befreier von negativen Auswirkungen keltischen Stammeslebens auf, da er - im Unterschied zur Unterwerfung - zu­gleich die grundsätzlichen Missstände und ihre auslösenden Faktoren zu beseitigen versucht. Deshalb greift Caesar zum Vorteil der Gallier - so soll der Leser meinen - schiedsrichterlich in Konflikte ein, vermittelt, entscheidet über zwei Kontrahenten, schafft neue, gerechtere Klientelverhältnisse, löst alte, knechtische Verbindun­gen, stellt Stämme unter seinen Schutz, meist sogar auf Ersuchen der Gegner. Caesar lässt sich segensreiche Ordnungsfunktion aus gallischem Mund bestätigen, einmal mit der Aufforderung, militä­risch einzugreifen: so meint der allerdings romtreue Diviciacus, nur Caesar könne Gallien vom Willkürregiment Ariovists befreien. Bestätigend wirkt, dass sich einige Stämme früh auf die Seite Roms stellen und die Maßnahmen Caesars

unterstützen. Besonders Häduer und Remer bewähren sich als Exponenten seiner Politik.

Das  Verhältnis des Exkurses zu bell. Gall.VII: Parteiwesen und ge­genseitiges Misstrauen belasten den Aufstandsversuch von Beginn an. Es gibt keine echte Volkserhebung, der sich bedenkenlos alle an­schließen, sondern nur eine kleine Gruppe, die mit Bestechung und zweifelhaften Versprechungen schwankende Fürsten anwerben muss. Un­schlüssige werden durch harte Strafen zum Mitmachen gezwungen. Nicht einmal im Stamm des Vercingetorix ist der Plan umstritten; von einigen Avernerfürsten wird er als Abenteuer abgetan. Es ver­stärkt sich der Eindruck, dass dieser Krieg keine gesamtgallische, von allen Stämmen getragenen Bewegung ist. Bezeichnend ist die Abneigung der Häduer an einer weitere Teilnahme am Aufstand. Andere Stämme stehen ganz abseits (Remer, Lingonen, Treverer). Vercinge­torix erkennt zwar die Notwendigkeit einer Vereinigung ganz Galli­ens, um gegen Caesar bestehen zu können, aber der consensus totius Galliae bleibt ein unerreichbares Ziel. Charakteristisch für Gal­lien ist die Situation der Häduer, wie sie im 7. Buch geschildert wird. Der Stamm ist aufgrund innerer Führungskämpfe gespalten. Wieder wird deutlich, dass man in Gallien solchen Zwist nur mit Waffengewalt austragen kann; Parteiung und Friedlosigkeit gehören -ganz im Sinn von VI,12 - ursächlich zusammen. Die Verschwörung der Häduer ist das Werk weniger unbesonnener Adeliger, die sich zwar der gemeinsamen Freiheit verschreiben, aber auch wissen, dass sie zur Herrschaft geboren sind. Um weitere Stammesgenossen für sich zu gewinnen, scheuen sie vor lügenhafter Propaganda nicht zu­rück - was entsprechend der leichten Beeinflussbarkeit der Kelten rasch zum Erfolg führt. Wenn ein Stamm nur widerwillig und gezwun­genermaßen am Aufstand weiter teilnimmt, dann ist das für Caesar eine wirkungsvolle Bestätigung seiner Politik und ihrer Verdien­ste.

Der Gallierexkurs dient der Verteidigung dauernder römischer Herr­schaft auf der Basis moralischer Kategorien. Wie wichtig Caesar diese Ebene seiner Argumentation ist, zeigt sich in der engen the­matischen Verknüpfung des Exkurses mit den 7 Büchern; die Bücher 1-6 legen in der konkreten Situation die Defizite keltischer Ei­genart dar; im 7. Buch wird gezeigt, dass es sich nicht um momenta­ne Folgeerscheinungen einmaliger Grenzsituationen handelt, sondern um gleichbleibende Symptome gallischen Charakters. Caesar begründet gallische Uneinigkeit, inneren und äußeren Unfrieden und gegen­seitige Unterdrückung als Folgen unentwickelter Staatlichkeit und mangelnder politischer Disziplin bei den Kelten, sodass positive Veränderungen aus eigener Kraft nicht zu erwarten und auch nicht möglich sind. Mit dieser moralischen Begründung erhält das ord­nende Eingreifen Caesars die eigentliche und beabsichtigte Dimen­sion seiner Berechtigung. Sozialer Unfriede und soziale Ungerech­tigkeit weichen dem Bemühen um eine Ordnung, die mögliche Kon­fliktstoffe zwischen Mächtigen und Schwachen auszuschließen sucht.

52v. sind fast alle gallischen Stämme niedergeworfen. Es kommt al­lerdings immer wieder zu Auf ständen. Der größte ist der des Ver­cingetorix, eines führenden Adeligen aus dem Stamm der Averner. Vercingetorix wird von den Seinen zum König gewählt und zum Führer der gewaltigsten Rebellion ganz Galliens gegen die röm. Herr­schaft gemacht. Ganz Gallien ist in Aufruhr; Caesars Erfolge ste­hen auf dem Spiel. Er treibt Vercingetorix durch Teilsiege in die Enge, sodass sich dieser nach Alesia zurückzieht. Hier kommt es zur Schicksalsschlacht für die Gallier. Die Stadt wird belagert, die Vorräte reichen nur für 30 Tage; man wartet auf ein gewaltiges Entsatzheer aus allen gallischen Stämmen. Als jedoch der Termin für dessen Ankunft verstrichen ist, kommt es unter den Führern der Belagerten zu einer Lagebesprechung. Man plädiert für die Kapitula­tion, aber auch für einen Ausbruch. An dieser Stelle lässt Caesar einen Gallier, den Averner Critognatus reden, einen Mann von ho­her Abkunft und hohem Ansehen, den man ,,wegen seiner einzigartigen und verbrecherischen Grausamkeit nicht übergehen dürfe'.

Die Critognatusrede im beil. Gall. ist geprägt vom Leitwort servitus ist Die Knechtschaft besteht in wirtschaftlicher Ausbeutung, in der Beseitigung der staatlichen Souveränität und damit in der Auf­hebung der nationalen Identität der Gallier. Critognatus lehnt so­wohl die Kapitulation wie auch den Ausbruch ab: das eine bedeute Auslieferung in eine schändliche Knechtschaft, das andere könnte als Feigheit empfunden werden, weil man Not und Leiden nicht er­tragen könne und sich geduldigem Ausharren durch den Tod entziehe. Das Schicksal von ganz Gallien stehe auf dem Spiel. Man müsse durchhalten und auf die Hilfe der Gallier warten. Caesar hebt in dieser Rede die Rohheit der Gallier hervor, die im Kampf gegen Kim-bern und Teutonen nur durch Kannibalismus überlebt hätten - sie hätten sich während der Belagerung vom Fleisch der Kriegsuntüchti­gen ernährt. Critognatus fordert zur Nachahmung dieses Beispiels auf. Die Worte des Critognatus charakterisieren die röm. Herr­schaft: sie wird abgehoben vom Vorgehen der germanischen Kimbern und Teutonen; jene hätten zwar eine gewaltige Katastrophe bei den Gallien angerichtet, doch sie seien wieder abgezogen und hätten ihnen ihre eigenen Rechte, Gesetze, Gebiete und Freiheit gelassen. Ziel der Römer aber sei die totale Versklavung der Völker, die An­derung von Recht und Gesetz, die dauerhafte Besitznahme ihres Lan­des, die Beseitigung ihrer Freiheit. Die Folge dieser Bestrebungen sei der Verlust der nationalen Eigenständigkeit und der Identität, schändliche, ewige Sklaverei. Die Motive der Römer seien Neid, Missgunst gegenüber fremdem Ansehen und fremder Macht. Habgier, Streben nach Besitzvergrößerung und Machterweiterung, nationaler Egoismus bestimmten ihr Handeln. Der Gegenbegriff dazu, die liber­tas, wird als Grundmotiv gallischen Denkens und Handelns angespro­chen. Der Freiheitssinn der Gallier und die aus Neid geborene Machtgier der Römer werden in eine scharfe Antithese zueinander gebracht. Die römische Weltherrschaft wird einer harten Kritik unterzogen. Ein die Menschenfresserei verherrlichender Barbar als Kritiker beweist wohl eher die Notwendigkeit römischer Herrschaft. Auf diese Einsicht legt Caesar die Leser schon von vornherein fest mit dem Hinweis auf die einzigartige, unmenschliche Grausamkeit des Redners.

Caesars gallische Kriege wurden in Rom keineswegs nur unter dem Aspekt der Nützlichkeit betrachtet und positiv beurteilt. Die po­litischen Gegner, allen voran Cato, warfen die Frage der Kriegsschuld auf. Vor allem im Zusammenhang mit dem Überfall auf die Usipeter und Tenkterer hielten sie Caesar die Verletzung völker­rechtlicher Grundsätze vor; sie forderten sogar seine Auslieferung an die Germanen, damit der Fluch seiner Frevel nicht Rom treffe, sondern auf ihn selbst zurückfalle. Sie fassten ihre Argumente un­ter dem Schlagwort bellum iustum zusammen. Caesar verbindet daher mit den Commentarii die Absicht, seine politischen und militä­rischen Maßnahmen vor dem senatorischen Publikum Roms zu recht­fertigen. Auch er stützt sich dabei auch auf die Theorie des ,,bellum iustum'. Caesar ging nicht davon aus, Kriege gegen Barba­ren bedürften, wie es der Theorie seit Platon entsprach, keiner Begründung. Er rechtfertigt jeden Schritt seines politischen Vor­gehens; er wollte sich gegenüber den politischen Gegnern in Rom absichern. Ein zweiter Grund hängt mit dem Charakter der Völker zusammen, die zur Zeit Caesars an der NW-Grenze des röm. Reiches ansässig waren. Man konnte sie nicht als Barbaren ansehen; sie wa­ren kulturell vielfältig durch den Mittelmeerraum beeinflusst und hatten zahlreiche politische Verbindungen zu Rom. Das traf vor allem für die mittelgallischen Stämme wie z.B. die Häduer zu. Die Kriegsschuldfrage ist das wichtigste Thema des ersten Buches. Immer wieder betont Caesar, dass er das den Häduern, verdienten Bundesgenossen, zugefügte Unrecht nicht ungerächt lassen kann. Die Helvetier werden als romfeindliche Aggressoren geschildert. Rom wird nach Caesars Bericht in den Krieg hineingedrängt. Gewaltpoli­tik, grausame Unterdrückung wehrloser mit Rom befreundeter Völker, dazu eine aggressive, unversöhnliche Gesinnung, verbunden mit man­gelnder Verhandlungsbereitschaft sind Elemente einer Situation

allgemeinen Unfriedens. Ein kurzer, die Schuldigen treffender Krieg stellt nach Caesar gegenüber einem dauerhaften Unrechtszu­stand, in dem alle mittelgallischen Völker der Tyrannei der Helve­tier unterworfen wären, das geringere Übel dar. Im Krieg gegen die Helvetier erfüllt Caesar einen göttlichen Auftrag: es ist nicht nur die Sache Roms, sondern das Anliegen der Götter selbst, die Helvetier für ihre fortgesetzten Freveltaten zu bestrafen. Caesar erweiterte die bellum iustum-Theorie um das Element der religiösen Sanktionierung, das bei Augustinus und in der hochmittelalter­lichen Idee des hl. Krieges zur Entfaltung kommt. Caesar will durch seinen Bericht nahe legen, dass der Feldzug das letzte Mittel zur Abwehr einer umfassenden Bedrohung ist, nachdem Verteidigungs­maßnahmen sich als nicht zureichend erwiesen haben und Verhandlun­gen gescheitert sind. Er dient dazu, Feinde vom röm. Gebiet abzu­wehren, ein früher an Rom begangenes Unrecht zu sühnen, die Freun­de Roms zu schützen und eine gerechte Friedensordnung in Gallien zu etablieren. Auch die Germanen des Ariovist stellen eine Gefahr dar; wenn sie erst einmal ganz Gallien besetzt haben, werden sie auf die Gallia Narbonensis ausgreifen - man kennt das ja bereits von den Kimbern und Teutonen - und von dort nach Italien ziehen:

eine Gefahr für die Existenz des röm. Staates; Caesar betont immer wieder das Barbarentum, die Zügellosigkeit, die Grausamkeit und Wildheit der Germanen, besonders ihres Anführers Ariovist. Ver­handlungen mit den Germanen scheitern. Weniger als um die morali­sche Rechtfertigung kümmert sich Caesar um sakraljuristische und staatsrechtliche Gesichtspunkte. Auf die im Fetialrecht vorgesehe­nen Formen der korrekten Kriegsaufnahme durch rerum repetitio und indictio belli nimmt er nur ansatzweise Bezug. Eine offene Kriegs­erklärung unterbleibt. Nachdem die moralische Berechtigung des Krieges erwiesen ist, zählt nur noch der strategische und takti­sche Vorteil. Noch weniger sorgt sich Caesar um die staatsrecht­liche Unanfechtbarkeit seiner Maßnahmen. Im juristischen Sinn un­korrekt sind die Überschreitung der Provinzgrenzen und die Trup­penaushebungen über das zugewiesene Kontingent hinaus. Auch hier unternimmt Caesar keine Rechtfertigungsversuche. Er glaubt auf­grund der nachgewiesenen Schuld des Kriegsgegners seien militä­rische Maßnahmen gerechtfertigt. Die Einschaltung des Senats in den Fragen der Truppenaufstellung und der Provinzüberschreitung hätten seinen Aktionsradius eingeengt und eine schnelle Kriegsfüh­rung vereitelt. Caesar rechtfertigt nicht nur einzelne Feldzüge (gegen die Helvetier, gegen Ariovist), im Gallierexkurs weist er die Berechtigung des gallischen Krieges insgesamt nach; dazu stellt er die negativen Seiten des Galliertums heraus: Parteiun­gen, barbarische Religion, grausame Opferpraxis, Unfreiheit des einzelnen, Versklavung der Plebs, Unterdrückung der Frauen, Riva­lität der Stämme, Rivalität der Druiden, Gewinnsucht. Der Volks­charakter der Gallier, der zuständigen Kriegen und zur Unterdrüc­kung führte, machte ein röm. Eingreifen in gallische Verhältnisse notwendig. Erst mit Caesars Maßnahmen konnten die Stammesfehden beendet und eine dauerhafte Friedensordnung, das oberste Ziel je­der zivilisierten Kriegsführung, hergestellt werden.

Der Ursprung der Fragestellung nach dem gerechten Krieg liegt in der Antike, die wichtigsten Texte sind in lateinischer Sprache verfasst: Cicero, Caesar, Augustinus, Thomas von Aquin, Erasmus. Zur Frage, unter welchen Umständen Kriege als gerechtfertigt angesehen werden können, sind in Griechenland seit Platon (ca.400v.) und Aristoteles (ca.350v.) moralphilosophische Theorien, in Rom seit der frühen Republik praktische politische und sakralrecht­liche Grundsätze entwickelt worden. Die umfassendste Darstellung der Lehre vom gerechten Krieg liegt in Ciceros Schriften De re publica und de officiis vor. In Ciceros Ausführungen sind ur­sprünglich griechische (moralphilosophische) und ursprünglich rö­mische (sakralrechtliche) Vorstellungen zusammengeflossen und zu einer Einheit verschmolzen.

Folgende Bedingungen definieren den Begriff des gerechten Krieges:

* Gerechte Gründe:

- aggressiver und feindseliger Charakter des potentiellen Kriegsgegners (homines inimici et bellicosi)

- konkrete Übergriffe auf römisches Staatsgebiet bzw. auf das Ge­biet der Bundesgenossen (iniuria accepta)

- Barbarentum des potentiellen Kriegsgegners (homines barbari), d. h. insbesondere mangelnde Teilhabe an den Wertvorstellungen der zi­vilisierten Welt können einen Krieg auslösen; vor der Aufnahme des Krieges muss die Gesinnung des Gegners geprüft werden. Verhandlun­gen sind militärischen Auseinandersetzungen vorzuziehen.

- mangelnde Versöhnungsbereitschaft, die in vorausgegangenen Ver­handlungen festgestellt wurde.

Kriege, die ohne Feststellung eines vorausgegangenen Fehlverhal­tens der Gegenseite aus reiner Aggressivität aufgenommen werden, gelten als ungerecht. Neben die Betrachtung der Gründe tritt zum Nachweis des bellum iustum die Prüfung der

* Gerechtfertigten Absichten:

- Verteidigung der Grenzen des eigenen Staatsgebietes (salus rei publicae)

- Schutz der Bundesgenossen (fides)

- Verteidigung und Wiederherstellung der durch einen Angreifer ge­störten gerechten Friedensordnung (pax: ut sine iniuria in pace vivatur); es ist das natürliche Recht eines jeden Staates, sich vor äußeren Angriffen, die den Frieden stören, zu schützen.

- Herrschaft über einen politischen und militärischen Rivalen(imperium)

* Korrekte Eröffnung:

- Eröffnung erfolgte durch eine feierlich (nach einem festgelegten Ritual, dem ius fetiale) vollzogene Kriegserklärung (indictio bei-ii); Kriege sind dann gerechtfertigt, wenn eine vorausgegangene

- Schadenersatzforderung (rerum repetitio) für ein erlittenes Un­recht, die auch die Auslieferung von Einzelpersonen einschließen kann, erfolglos blieb;

- der pater patratus kündigt unter Schwur bei den Göttern, dass das gegnerische Volk ungerecht handle, den Krieg an; bei Nichter­füllung innerhalb von 30 Tagen (denuntiatio belli)

- Eröffnung des Krieges unter Beachtung der staatsrechtlichen Be­stimmungen, vor allem Einholen der Genehmigung des Senats bei Truppenaufstellungen und Provinzüberschreitungen. Die Entscheidung des Senats für den Krieg bei Nichterfüllung erfolgt nach 30 Tagen (senatus censet); die Kriegsführung wird durch die Volksversamm­lung bestätigt (populus iubet). Die offizielle Kriegserklärung wird mit einer symbolischen Geste im Feindesland verbunden (indic­tio beIlli)

Der Zustand nach dem Krieg muss durch ein foedus gesichert werden, das beide ehemals kriegsführenden Parteien bindet.

Die Unterscheidung von Kriegen mit Barbaren und Kriegen unter Kul­turnationen hat die hellenistische und die römische Theorie des bellum iustum beeinflusst. Die Herrschaft der dazu berufenen Men­schen und Völker gilt als gerecht und im Interesse der Unterworfe­nen nützlich. Auch im Rom zur Zeit Caesars bedurfte ein Krieg zwi­schen Römern und Barbaren keiner Rechtfertigung. Vor allem ist die aristotelische Auffassung, das Grundstreben der Menschen sei auf Frieden gerichtet und die Zweckbestimmung aller Kriege sei die Herstellung des Friedens, für die Theorie des gerechten Krieges wegweisend geworden. In Rom wurde die Frage der Rechtmäßigkeit eines Krieges bis in die Mitte des 2.Jhdts.v. nicht unter morali­schen, sondern nur unter kultischen Gesichtspunkten betrachtet. Wenn die Fetialen den Krieg in der rechten Weise unter Vollzug der vorgeschriebenen kultischen Handlungen eröffnet hatten, galt er als juristische abgesichert. Die Griechen (Karneades)

verurteilten diese Praxis. Bei Cicero überwiegen die moralischen Argumente. Die in der Antike grundgelegten und im lateinischen europäischen Schrifttum weitergedachten Prinzipien einer gerechten und humanen Kriegsführung werden bis in die Gegenwart diskutiert.

* Bei Augustinus (ca.400n.) und Thomas von Apuin (ca.1250n.) bil­det die Behandlung der Gründe und Ziele den Kernbestandteil der Lehre. Höchstes Gut, auf das sich alles Streben der Menschen rich­tet, ist der Frieden. Der Krieg ist dennoch ein notwendiges Übel. Als gerechte Kriegsgründe gelten wie bei Cicero feindselige Hand­lungen, unversöhnliche Gesinnung, ergebnislose Verhandlungen. Die wichtigsten Ziele sind pax und salus. Der Auftrag zur Aufnahme des Krieges wird von Gott erteilt: gerechte Kriege werden deo auctore geführt Wenn die Rechtmäßigkeit eines Krieges nachgewiesen wurde, spielte die Art der Kriegsführung keine Rolle mehr. Die Berechti­gung von Kriegen wird auch durch Verweis auf das NT, Lukas 3,14 nachgewiesen: Da fragten ihn (Jesus) die Soldaten und sprachen:

Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Ge­walt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold! Diese Ge­danken sind durch eine Symbiose  antiker und christlicher Vorstellungen geprägt.

* Heilige Kriege: Vom augustinischen Gedanken der Kriege deo auc­tore führt ein direkter Weg zur Kreuzzugsidee und zu den kirchlich

- ritterlichen Heidenkriegen des Hochmittelalters. Im Zusammenhang mit der Kreuzzugsidee wird im Hochmittelalter (11./12.Jhdt.) das Prinzip des allein erlaubten Verteidigungskrieges aufgegeben. Kriege werden nicht mehr mit moralischen, sondern mit religiösen Argumenten gerechtfertigt. Als erlaubt gilt auch ein Offensivkriege zur Ausbreitung des christlichen Glaubens. Zu den Ehrenpflichten des christlichen Ritters gehörte der Kampf gegen Ungläubige und Ketzer. Aus der missverstandenen NT-Stelle, Lukas 14,23 leitete man die Forderung einer Ausbreitung des Christentums mit Waffengewalt ab: ,,Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Land­straßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde.' Von solchen Gedanken getragen vollzieht sich ei­ne Entwicklung zu einer überwiegend religiösen Rechtfertigung des Krieges, die in der antiken Theorie gegenüber der ethischen Recht­fertigung eher eine sekundäre Rolle spielte.

* Erasmus von Rotterdam (ca.1500); bei ihm ist eine Loslösung von der antiken Lehre, die von einer prinzipiellen Justifizierbarkeit des Krieges ausgeht, zu erkennen. Er stellt die Berechtigung des Krieges prinzipiell in Frage. Kriege widersprechen dem natürlichen sittlichen Empfinden des Menschen und der Lehre der Schrift. Die Ideen des gerechten und des heiligen Krieges sind unhaltbar. Die Lehre von den gerechten Gründen und Absichten ist zurückzuweisen; die bellum iustum-Theorie ist ein unglaubwürdiges Propagandamittel. Ausschlaggebend für die Aufnahme eines Krieges sind nicht die in der Theorie genannten edlen Motive, sondern niedere Regungen wie Machtgier, Neid, Habsucht und Zerstörungswut. Zur Wiederher­stellung des Friedens und einer gerechten Friedensordnung sind Kriege untauglich. Sie führen nicht zum Frieden, sondern bergen die Saat neuer Kriege in sich - Prinzip der Kriegskette. Es gibt keinen noch so ungerechten Frieden, den man nicht einem noch so gerechten Krieg vorziehen müsste. Auch Krieg gegen Ungläubige und zur Verbreitung des Glaubens sind nicht gerechtfertigt. Der Krieg ist eine Geißel der Menschheit und sollte abgeschafft werden. In­ternationale Instanzen (Papst, Bischöfe, Abte) sollten ihn überflüssig machen. Diese Einstellung ist aufzufassen als eine Reak­tion auf den kriegerischen Geist der Herrscher und die Zerrissen­heit der europäischen Staatenwelt zu Beginn des 16.Jhdts.: Kriege Englands gegen Frankreich, Feldzüge des Papstes Julius II. zur Wiederherstellung des Kirchenstaates, Spannungen zwischen Frank­reich und dem

habsburgischen Kaiserreich, Auseinandersetzungen mit den Türken prägen das Bild der Zeit. Manche Kriegswirren hat Eras­mus selbst miterlebt. Während der Rüstung zum Frankreichfeldzug Heinrichs VIII. hielt er sich in England auf, wo er die mit den Kriegsvorbereitungen zusammenhängenden Teuerungen am eigenen Leib erfuhr. Seine Antikriegsschriften, z.B. Querela pacis, spiegeln die Friedenssehnsucht seiner Zeit wieder.

* Martin Luther (ca.1500 n.) : Kriege sind eine Notwendigkeit. Ihre Abschaffung wäre utopisch. In der Situation allgemeinen Unfrie­dens, in der Gewalt, Unterdrückung, Raub und Mord herrschen, stellt der kleine Unfrieden, d.h. ein kurzer Krieg zur Beseitigung solcher Zustände, das geringere Übel dar. Der Krieg dient zur Be­strafung der Übeltäter. Er ist unter 2 Bedingungen gerechtfertigt:

einmal muss ein Verteidigungsfall vorliegen, zweitens müssen die Methoden der Kriegsführung - in der antiken Theorie ausdrücklich als irrelevant eingeschätzt - angemessen und gottesfürchtig sein. Auch der Verteidiger darf seinen Aggressionen nicht freien Lauf lassen; Luther strebt nur eine weitere, über die Antike hinausge­hende Humanisierung des Krieges an. Mit der Betonung des rechten Verhaltens während des Krieges als eigenständige Bedingung schließt Luther eine Lücke, die die antike Theorie gelassen hat; dort ist die Frage der Rechtfertigung mit dem Aufzeigen gerechter Gründe und Absichten sowie einer formaljuristisch korrekten Eröff­nung im wesentlichen beantwortet. Die Verfahrensweise im Kampf selbst unterliegt keinen weiteren Bestimmungen. Nach einer einmal festgestellten Berechtigung zur Kriegsaufnahme folgt die Kriegsführung selbst nur nach den Gesetzen der Taktik und Strategie. Selbst Augustinus vertritt diesen Standpunkt noch ausdrücklich. Der Ausgang des gerechten Krieges entspricht einem Gottesurteil. Luthers Gedanken entwickelten sich unter dem Eindruck der Bauernkriege mit ihren blutigen Ausschreitungen auf beiden Seiten.

* Neuzeitliche Positionen:

- In den Religionskriegen des 16. und 17.Jhdts. erwies sich das Definitionsmoment der causa iusta immer mehr als unpraktikabel und wurde deshalb aufgegeben. Beide Parteien waren überzeugt, die cau­sa iusta auf ihrer Seite zu haben; gerade dieses Bewusstsein führte zu Ausschreitungen und Grausamkeiten. Nunmehr wird die Berechti­gung des Krieges an der rechtmäßigen Autorität, der legitimen Absicht (pax) und dem modus debitus (Angemessenheit der Methode) ge­messen.

- Die dt. Aufklärung und der dt. Idealismus (l8./19.Jhdt.) verur­teilen den Krieg prinzipiell als den natürlichen Interessen des Menschen entgegenlaufend und der Vernunft widersprechend. Als ge­rechtfertigt gilt nur der Verteidigungskrieg bzw. Befreiungskrieg gegen einen Eroberer (wie Napoleon). Herder (ca. 1800) glaubt wie Erasmus an die Kraft der moralischen Belehrung und die Möglichkeit einer Bewusstseinsänderung, die zur Abschaffung des Krieges führen könne. Ergebnis eines erneuten Humanisierungsprozesses sind die Prinzipien der Unterscheidung von Militär und Zivilbevölkerung, Schonung der Kriegsgefangenen, die Einrichtung des Roten Kreuzes.

- Der Marxismus/Leninismus beurteilt die Berechtigung des Krieges vom Klassenstandpunkt aus; er unterscheidet zwischen progressiven/ gerechten und reaktionären/ ungerechten Kriegen. Berechtigt sind die Kriege der Unterdrückten gegen die unterdrückende Klasse, Befreiungskriege gegen imperialistische Ausbeutung und Kriege zur Sicherung der sog. sozialistischen Errungenschaften. Erst in der klassenlosen Gesellschaft wird der Krieg überwunden sein.

- In der Gegenwart wird die Theorie des gerechten Krieges zuneh­mend mit Skepsis betrachtet oder abgelehnt. Es scheint sich die Linie einer prinzipiellen Achtung des Krieges wie sie Erasmus ver­treten hat, durchzusetzen. Dafür kann man folgende Argumente an­führen:

* Die Lehre vom gerechten Krieg eröffnet Manipulationsmöglichkei­ten: Vortäuschung eines Verteidigungsfalls und anderer gerechter Kriegsgründe; gezielte Herbeiführung einer kriegsträchtigen Situa­tion durch provokante Politik. In ideologisch überformten Gesell­schaftssystemen erscheint die Gefahr unausweichlich, dass die in­tentio recta mit den Zielen der herrschenden Ideologie z.B. Herr­schaft der ,,überlegenen' Rasse, Ausbreitung des Sozialismus, Er­richtung eines islamischen Gottesstaates gleichgesetzt wird.

* Angesichts der Kriegsverbrechen ist der optimistische Glaube an eine Humanisierung des Krieges durch gesetzliche und moralische Festlegungen ad absurdum geführt worden. Der Krieg unterliegt offenbar einer Eigengesetzlichkeit, die sich gegenüber allen juri­stischen, moralischen und humanitären Erwägungen durchsetzt.

* Die Eigengesetzlichkeit des Krieges bringt einen sittlichen Ver­fall der kriegsführenden Parteien mit sich. Offensichtlich setzt der Krieg das sittliche Empfinden außer Kraft.

* Die Aufrechterhaltung der Idee des gerechten Krieges führt zu gewaltigen Rüstungsanstrengungen. Das durch die Hochrüstung er­zielte labile Gleichgewicht des Schreckens, die sog. pax atomica, könnte durch politische Entwicklungen (Aufkommen von Diktatoren) zerstört werden und in einer Weltkatastrophe enden. Angesichts der modernen Waffensysteme ist kein Krieg denkbar, in dem nicht auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen würde.

* Völlig konträr zum bellum iustum ist die Idee des totalen Krie­ges, in dem die gesamte Volkswirtschaft auf den Krieg ausgerichtet ist und die Zivilbevölkerung zu Kriegszwecken eingesetzt wird. Ge­rechte Kriege im Sinn der Theorie zielen nur ab auf die Zerstörung der feindlichen Streitkräfte und die politische Niederwerfung des Gegners. Ein totaler Krieg widerspricht dem Prinzip der Bestrafung der Schuldigen bei gleichzeitiger Schonung der Unschuldigen.

* Die Intention der pax iusta ist in der Gegenwart nicht mehr durch Kriege zu verwirklichen. Jeder Krieg bringt die Gefahr einer Ausweitung zum Atomkrieg mit sich, dessen Ausgang nicht die pax, sondern die Vernichtung der Menschheit wäre.

* Der Gedanke des Erasmus, dass Kriege ungeeignet sind als Mittel zur Wiederherstellung des Friedens, wozu sie der Theorie ent­sprechend dienen sollen, hat sich in der Geschichte bewahrheitet. Durch Kriege, auch wenn sie durch Verträge beendet werden, entste­hen Situationen neuen, oft weltweiten Unfriedens. Das Prinzip der Kriegskette, demzufolge ein Krieg weitere kriegsähnliche Situatio­nen und tatsächliche Kriege nach sich zieht, das bereits in der Antike (Polybios) erkannt und von Erasmus aufgegriffen wurde, hat angesichts der heutigen internationalen Verflechtungen und der da­durch gegebenen größeren Konfliktmöglichkeiten eine besondere Bri­sanz.



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