Titel: Der Richter und sein
Henker
Autor: Dürrenmatt
Im Mittelpunkt des Romans steht der alternde, kranke Kommissar Bärlach.
Ihm bleibt nicht mehr viel Zeit, seine Wette zu gewinnen, die er einst in der
Türkei als junger Kriminalbeamter mit dem Verbrecher Gastmann abgeschlossen
hatte. Während Bärlach behauptete, daß 'die menschliche Unvollkommenheit,
die Tatsache, daß wir die Handlungsweise anderer nie mit Sicherheit voraussagen
können und daß ferner der Zufall, der in alles hineinspielt, der Grund sei, der
die meisten Verbrecher zwangsläufig zutage fördern müsse', sah Gastmann
darin gerade eine Möglichkeit, ein perfektes, unaufklärbares Verbrechen zu
verüben. Vor den Augen des Kommissars stößt Gastmann einen Unbeteiligten über
eine Brücke, Bärlachs Beteuerungen finden kein Gehör bei der Polizei, und in
der Folgezeit schützen internationale Beziehungen Gastmanns kriminelle Aktivitäten.
Esrt am Ende seiner Laufbahn bietet sich Bärlach die Chance, als ein Kollege
ermordet wird. Bärlach kennt den Mörder, den Polizisten Tschanz, aber er lenkt
den Verdacht auf Gastmann. Zu spät durchschaut dieser die skrupellose Intrige,
Tschanz erschießt ihn in angeblicher Notwehr, um sich selbst zu retten. In
einem, für Bärlach beinahe tödlich endenden Essen mit Tschanz gelingt es ihm
schließlich ihn zu überführen; Tschanz verunglückt auf der Flucht tödlich.
Die Figur des Kommissars hat ihre Vorbilder in den verlorenen Helden
der amerik. Autoren wie Chandler. Weniger diese literarischen Anleihen,
vielmehr die Verstöße dagegen machen den Reiz des Romans aus. Während für den
herkömmlichen Kriminalroman die Welt und das Verhalten der Menschen erklärbar
sind, ist in diesem Roman der Zufall bestimmend. (Ausspruch Bärlachs oben) Sie
spielen mit den Handlunsgmustern des 'Heldens', parodieren ihn
teilweise und negieren damit den Mythos der ausgleichenden Kraft der
Gerechtigkeit. So kann Bärlach nur Gerechtigkeit üben, indem er einen
kriminellen Akt begeht. Wie schwer nun das Verschweigen der Schuld Tschanz ist,
im Gegensatz zu der späten Gerechtigkeit, die ja mehr Jagdgelüste Bärlachs
waren, sei dahingestellt. Der Staatsbeamte Bärlach pflegt jedenfalls ein
ausgesprochen individualistisches Verhältnis zum Prinzip der Gerechtigkeit,
seine Handlungsweisen unterscheiden sich nur wenig von dem seiner Gegner. Er
soll dämonisch wirken, als ein verschwiegener Moralist mit dem Revolver in der
Tasche, gebannt vom Bösen, ein unheimlicher Richter, der seinen Henker
kaltblütig in den Tod schicken würde. Persönlicher klingen die Seitenhiebe auf
das helvetische Beamtenwesen und auf geduldete Schieberaffären, persönlich ist
natürlich auch das für die ganze Erzählung nicht unwichtige Dichterporträt. Der
mit den Polizisten konfrontierte Schriftsteller, dessen Beruf es auch ist, den
Menschen auf die Finger zu sehen und der sich seiner harmlosen Rolle schämt,
gleicht dem Verfasser.
Das Werk kann nur mit dem Werk 'Der Verdacht' gemeinsam
betrachtet und interpretiert werden.