"Die letzten Tage der Menschheit"
Fünf Akte lassen die Ereignisse je eines Kriegsjahres in bunter
szenischer Folge Revue passieren. Schon im Vorspiel, das mit der
marktschreierischen Ankündigung - "Extraausgabe! - Ermordung des Thronfolgers!
Da Täta vahaftet!" - eines Zeitungsausrufers beginnt, wird der durch das ganze
Stück verfolgte Zusammenhang von Mediokrität und politischem Verbrechen
deutlich. Unablässig wechselt der Schauplatz: Von Wien aus führt Kraus an alle
Fronten, blendet Episoden aus der Etappe ein und wendet sich, vom dritten Akt
an, mehr und mehr Deutschland und der Kritik des dort herrschenden
wilhelminischen Ungeistes zu.
Sarkastisch konfrontiert Kraus preußisches und österreichisches
Militär, um die groteske Ungleichheit der beiden im Zeichen eines blutrünstigen
Patriotismus verbündeten Partner bloßzustellen. Bitter wird registriert, daß
"die Suggestion einer von einem abgelebten Ideal zurückgebliebenen Phraseologie"
die Gehirne der Massen benebelt und zur Rechtfertigung einer Politik der
Unmenschlichkeit führt. Je gespenstischer die darzustellende Wirklichkeit
wird, desto häufiger nimmt Kraus beziehungsreiche Allegorisierungen vor. So
entsteigen in der letzten, "Liebesmahl bei einem Korpskommando", betitelten
Szene dem Wandgemälde "Die große Zeit" Figuren, die auf unheimliche Weise mit
den im Saal anwesenden Militärs identisch sind und geisterhafte Pantomimen des
Grauens vollführen. Schließlich, nach der Klage des "Ungeborenen Sohnes" bricht
völlige Finsternis herein, eine Flammenwand lodert am Horizont auf, man hört
Todesschreie. Der Epilog "Die letzte Nacht" deutet das Kriegsende als
Apokalypse der Menschheit: Die "elektrisch beleuchteten Barbaren" dieser Erde
werden von Marsbewohnern "ausgejätet", während - wie in einem mittelalterlichen
Weltuntergangsspiel - ein Feuerkranz am Himmel erscheint und Blut-, Aschen-
und Meteorregen auf das Wrack der Welt niederprasselt. Ein langes Schweigen
folgt, in das die "Stimme Gottes" den Satz spricht, mit dem der deutsche Kaiser
seine Kriegserklärung kommentiert hatte: "Ich habe es nicht gewollt."