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Faust I
Schulaufgabe im Grundkurs Deutsch
Textgrundlage: Szene "Ein Schüler tritt auf"
Ausführungen:
Der erste Teil des Goethe'schen Faust I wird oftmals als Gelehrtendrama angesehen. Im Gegensatz zum bürgerlichen Trauerspiel der Gretchenhandlung setzt sich Goethe hier mit verschiedenen Einstellungen zur Wissenschaft und verschiedenen Arten des Strebens nach Wissen auseinander. Ein Teil dieser Tragödie, sie muss wohl aufgrund der Tatsache, dass es Faust trotz der Hilfe Mephistos nicht gelingt, vollkommenes Wissen zu erlangen, als solche gesehen werden, ist die Schülerszene, deren Analyse die Aufgabe folgenden Textes sein soll.
Zunächst soll der Aufbau der Szene beleuchtet werden: Mephisto, als Faust verkleidet, führt den Schüler, der "wünscht, recht gelehrt zu werden" (V.1989), in die Welt der Wissenschaft ein. Dabei gibt er einen Überblick über die Fakultäten, die in der damaligen Zeit Gegenstände des Studiums waren. Beginnend mit dem Collegium logicum, über Metaphysik bis hin zur Juristerei beleuchtet Mephisto die einzelnen Gebiete sehr negativ, so dass der Schüler noch keinen Entschluss fassen kann, wo er sich bei seinen Studien aufhalten soll. Nachdem er die Theologie noch relativ positiv abgehandelt hat, führt Mephisto auf Anfrage des Scholastikus einige Gedanken zur Medizin aus, die dem Schüler, der auch dem Lebensgenuss nicht abgeneigt ist, recht angenehm erscheinen müssen. Schließlich entlässt der vermeintliche Professor den Schüler mit dem berühmten Spruch der Schlange aus der alttestamentarischen Paradies-Geschichte, den er in des Schülers "Stammbuch" schreibt.
Die Szene in ihrer humoristischen Ausführung, geprägt durch die Travestie mit Mephisto in der Rolle des Faust, bildet eine Auflockerung gegenüber dem ernsten Thema der vorausgegangenen Paktszene und weist gleichzeitig auf den "Auerbachs Keller" hin, in dem ebenfalls eine humorvolle Handlung dargestellt wird. So könnte man ohne weiteres auch den Schüler unter den "fröhlichen Gesellen" wiederfinden, nur eben am Abend nach vollendeten Studien. Wenn man natürlich oberflächlich an die Szene herangeht, so könnte man sie als bloße Wissenschaftssatire begreifen, was sie sicherlich auch ist, Aber es steckt noch viel mehr dahinter: Nicht nur die oben angesprochenen Hinweise und Kontraste zu angrenzenden Szenen, sondern auch die Vorstellung einer weiteren Art des Strebens nach Wissen innerhalb des Gelehrtendramas weisen auf eine starke Integration der Szene in den Gesamtzusammenhang hin.
Besonders deutliche Bezüge ergeben sich zu den Szenen "Nacht" (mit Fausts Monolog) sowie "Vor dem Tor" (Gespräch Faust-Wagner). "Habe nun ach Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie! Durchaus studiert mit heißem Bemühen." (V.354-357). Die Reihenfolge der hier aufgeführten Fakultäten differiert zwar, wohl aber sind Gebiete selbst identisch. Faust berichtet hier, dass ihn seine Studien nicht weitergebracht haben. Dieses Motiv des Unwissens findet sich in der Schülerszene wieder: einmal eben im Unwissen des Schülers, der selbst noch nicht weiß, was er studieren soll, aber dennoch "was auf der Erden und im Himmel, erfassen" (V.1899,1900) möchte. Andererseits wird von Mephisto das "Unwissen" angeprangert, das Wissen hier im Sinne von viel zu komplizierter und das Ganze aus den Augen lassender Vermittlung des Wissens (Collegium logicum), Erfassen des "Nichtzuerfassenden" (Metaphysik), Erlernen von Vernunft, die Unsinn geworden ist (Juristerei), das Hören nur auf einen Lehrer (Theologie) und dem Scheinwissen "um es am Ende gehen zu lassen, wie's Gott gefällt" (V.2013,2014) (Medizin).
In "Vor dem Tor" diskutieren Faust und Wagner über das Lebensglück, wobei sich Faust als jemanden darstellt, der sowohl wissen, als auch genießen will, wie eben der Schüler, der zwar "mit Seel und Leib" (V.1904) beim Studium ist, aber er hätte auch gerne "Ein wenig Freizeit an schönen Sommertagen" (V.1906,1907). Somit könnte der Schüler auch als junger Faust gesehen werden, der bezeichnenderweise ebenfalls dem Teufel in die Hände gerät. Eine Parallele zur Ansicht Mephistos bezüglich der Medizin weist Fausts Denken in "Vor dem Tor" auf, der mit seinem Vater der Pest entgegentrat, ohne jedoch etwas zu bewirken und es somit auch so gehen lassen musste, wie's Gott gefällt.
Der Schüler wirkt in der zu betrachtenden Szene sprachlich gesehen ein wenig "überrannt", den langen Ausführungen Mephistos hat er oftmals nur kurze teilweise verwirrte Antworten entgegenzusetzen. Er ist überfordert, den Beschreibungen des "Professors" zu lauschen, sich über die Wahl einer Fakultät Gedanken zu machen und gleichzeitig ein hohes sprachliches Niveau beizubehalten. Noch dazu wird er zu Beginn durch Mephistos Erklärungen zum Collegium logicum eher verwirrt ("Kann euch nicht eben ganz verstehen" V.1942; "Mir wird von alledem so dumm, als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum" V.1946-47). Seine gesamte Rede ist geprägt von ehrlicher Höflichkeit, und vollem Vertrauen, wenn nicht sogar Hingabe zum Professor, man kann in seinen Worten keine bösen Hintergedanken vermuten.
Auffallend ist das sich ändernde Reimschema: Am Anfang, in förmlichen Gespräch (Begrüßung V.1868-71; Bekundung des unguten Gefühls V. 1881-1887) benutzt er den Paarreim, nach der Aufforderung eine Fakultät zu wählen, geht er zum Kreuzreim über, in seiner verwirrten Rede benutzt er den Paarreim (V.1946-1947). Das Floskelhafte an seiner Antwort in V.1964-1967 wird durch den Reimwechsel zum umarmenden Reim unterstützt, den er noch kurz bei seiner Frage nach der Medizin wieder aufnimmt, um schließlich das Ende der Szene ab V.2005 erneut mit Paarreimen zu gestalten. Daraus lässt sich eine gewisse Unsicherheit erschließen, die sich ob seiner teilweise recht gelehrten Sprache (Fortführen des Bildes der personifizierten Weisheit in V. 1894) nicht verstecken lässt. Insgesamt spricht er jedoch, wie man es auch erwartet, eine recht einfache Sprache, zwar nicht so vulgär und primitiv wie die der Bauern und Handwerksburschen, doch hat er Mephisto eigentlich schon auf sprachlicher Ebene nichts entgegenzusetzen.
Mephisto dagegen, der ganz in der Rolle des Professor Faust aufgeht, bedient sich einer Sprache, die die Ironie der Szene auf die Spitze treibt. In seiner altertümlichen Sprache wirkt er wie eben ein alter Professor, gelehrt, sich gleichzeitig auf höheren Ebenen bewegende, und vor allem am Anfang durch viel zu komplizierte Darstellung der einzelnen Fakultäten verwirrend. Er benutzt Vergleiche ("wie mit einem Webermeisterstück" V. 1923; "wie eine Krankheit" V.1973), außerdem versucht er seine Ausführungen mit Hilfe von Metaphern ("falscher Weg", "verborgenes Gift", "sichre Pforte", "Tempel der Gewissheit" V.1985-1992) zu verdeutlichen. Insgesamt benutzt er bis V.2000 eine relativ trockene Sprache (wie er ja auch selbst sagt: "Ich bin des trocknen Tons nun satt" V.2009), eben die eines altertümlichen Gelehrten, die durch den Knittelvers unterstützt wird.
Ab V.2011 jedoch tritt eine radikale Veränderung ein: Mephisto bedient sich ab hier überwiegend freier Rytmen, wechselt das Reimschema und betrachtet die Medizin mit den Augen des Verführers, des Lustgierigen, was sich in der Wortwahl niederschlägt: Da ist die Rede vom angeblichen "Weh und Ach" der Frauen (V.2024), von "halbwegs ehrbar tun" (V.2027), "Siebensachen" (V.2031). Hier ist am besten Mephistos Manipulationskunst zu entdecken. Er will dem Schüler suggerieren ,die Medizin sei doch etwas für ihn, macht sie ihm schmackhaft mit einer einfachen, leicht erotisch angehauchten ("schlanke Hüfte" V.2035) Sprache. Prompt sieht das für den Schüler "schon besser aus" (v.2037), wodurch Mephisto sein Ziel erreicht hat. Ahnlich geht er bei der Theologie vor, wo er den Schüler auf einen einzigen Lehrmeister, nämlich ihn, hören lassen will, kurios in Szene gesetzt dadurch, dass der Teufel plötzlich Lehrmeister der Gotteswissenschaft sein soll. Der Höhepunkt des Kuriosen ist Mephistos Eintrag in des Schülers Stammbuch: "Ihr werdet wie Gott seine, wissen, was Gut und Böse ist". Den Verführerspruch der Schlange, die Adam und Eva den Apfel schmackhaft machen will, steht hier für die Verführung des Schülers, der Mephisto ins Netz gegangen ist.
Nun stellt sich natürlich die Frage, welche Aussageabsichten Goethe verfolgt, wenn er mitten in die Tragödie eine solch humoristische Szene einflicht. Ein sehr wichtiger Aspekt ist der der Wissenschaftssatire: Goethe lässt Mephisto jede Fakultät ins Lächerliche ziehen. Besonders auffällig ist die übertrieben negative Sichtweise der Juristerei gegenüber. Wenn man jedoch bedenkt, dass Goethe selbst als Justizassessor in Wetzlar tätig war, und wenn man zusätzlich das Wissen hat, dass er nur mit Widerwillen und auch nur mit einem mittelmäßigen Ergebnis sein Jurastudium abgeschlossen hat, mag dieses Anhaltspunkt für eine Erklärung sein. Goethe sieht die Gesetze als etwas an, was ursprünglich einmal sinnvoll war, aber immer weltfremder wurde (s. Metapher von der sich forterbenden Krankheit V.~1970).
Weiterhin stellt Goethe auch erneut die Beziehung zum historischen Faust her, wenn er Mephisto die Medizin auf genannte Art und Weise beschreiben lässt. Eine gewisse Verachtung dieser Fakultät seitens des Dichters lässt sich aus V.2011-2012 ersehen: Fast jeder konnte also, wenn er wollte, Medizin studieren.
Außerdem beschreibt Goethe das Verhältnis zwischen Professor und Student in der damaligen Zeit, denn obwohl Mephisto ja eigentlich kein echter Lehrmeister ist, lassen sich aus dem Verhalten des Schülers Rückschlüsse ziehen, dass der Schüler damals dem Professor gegenüber doch recht unterwürfig und, positiv gesagt, "ehrerbietig" gegenübertrat. Ein weiterer Aspekt in dieser Reihe ist Goethes Auseinandersetzung mit der Frage der Wahl der Fakultät. Er selbst musste, nach dem Willen seines Vaters, studieren, doch was hätte er gewählt, wenn? Insgesamt lässt sich sagen, dass der Dichter aufzeigen will, mit welchen Problemen die Studenten seiner Zeit und der davor (Historischer Faust) zu kämpfen hatten: die der Wahl allgemein, die Probleme in Form der negativen Seiten der jeweiligen Fakultäten, die Mephisto ja explizit aufführt sowie die äußeren Umstände des Studiums, die in Form der Klage über die unwirtlichen Studiensäle (V.1881-1887), dem "leidlichen Geld" (V.1877), sowie in Form der Frage nach Freizeit (V.1904-1907).
Eine weitere Aussageabsicht zielt auf Mephisto ab. Ein erneuter Beweis seiner Manipulationskünste wird angeführt, der Teufel kann also überall seine Finger im Spiel haben, ohne dass der Mensch etwas merkt. Goethe stellt also die Kraft des Bösen als eine natürliche Kraft dar, die nicht unbedingt negativ sein muss. Hiermit präzisiert er auch erneut die Aussage des Herrn, der Teufel sei als Ansporn der Menschen gedacht (~V.340). Dass Mephisto dem Schüler nun gerade zur Medizin rät, ist wohl ein kleiner Hinweis, die Medizin als diabolische Kunst zu werten, die Theologie dagegen ist für den Dichter recht sinnwidrig, wenn er doch den Teufel als ihr Lehrmeister auftreten lässt.
Kurzum, Goethe karikiert in der Schülerszene das Studentenleben in allen seinen Formen, die Ironie der Szene ist in gelungener Weise konform mit seiner Sicht des Studiums.
Als abschließenden Gedanken möchte ich anführen, dass diese Szene, in der die Hauptfigur ja nicht einmal auftritt, in ihrer Bedeutung oft unterschätzt wurde. In vielen Interpretationen v.a. im letzten Jahrhundert, sah man sie oft nur als unbedeutendes Intermezzo, nur als Wissenschaftssatire. Ihre Bedeutung für den Gesamtzusammenhang, die aufgrund der begrenzten Zeit in vorliegendem Text nur bruchstückhaft herausgearbeitet werden konnte, erkannte man erst relativ spät, etwa in den Zwanzigern des 20. Jahrhunderts
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