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Referat Generationenkonflikt in der Literatur

literatur referate

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Generationenkonflikt

in der Literatur

in Deutsch

Beim Konflikt zwischen Vater und Sohn handelt es sich um einen Machtkampf, der ausbricht, wenn die junge Generation zu Selbständigkeit herangereift ist, die alte aber die Herrschaft noch in Händen hält und auch noch die Fähigkeit besitzt, sie auszuüben. Normalerweise ist in einer Familie nur für einen Mann Platz zum Besitzen und Befehlen, und normalerweise fügt sich der Junge in die Abhängigkeit, bis der Alte gewillt oder durch Schwäche gezwungen ist, abzutreten. Ob die zwangsläufigen Reibungen zum offenen Konflikt führen, hängt von dem Temperament der Beteiligten, dem geltenden Sittengesetz und den sozialen Gegebenheiten ab. Der Kampf des einen gegen den anderen oder die Vernichtung des einen durch den anderen ist jedenfalls kein Naturgesetz. Bei nahezu allen Kulturnationen mit vaterrechtlicher Prägung gilt im Gegenteil liebevolle Fürsorge auf der einen, pietätvoller Gehorsam auf der anderen Seite als naturgemäß.

Interessant ist die Beobachtung, daß nur der Vater, der sich ungekränkt seiner Herrschaft erfreut, die Gegnerschaft des Sohns herausfordert. In ihrer Ehre gekränkte, verfolgte, mißachtete, tote oder fern vom Sohn lebende Väter erregen die Verehrung des Sohns.

Die Beziehungen zwischen Vater und Sohn erleiden meist erst in der Zeit des Reifens der jungen Generation Störungen: Jetzt erst erkennt der Vater, daß der Sohn nicht so wurde, wie er ihn sich erhoffte, und der Sohn begreift, daß der Vater nicht dem Ideal seiner Kindertage entspricht. Je größer die Liebe war, um so größer ist die Enttäuschung und Erbitterung. Ahnlichkeit der Charaktere kann genauso zur Feindschaft führen, wie deren Gegensatz. Die Unähnlichkeit kann auf Erbfaktoren von mütterlicher Seite beruhen. Nicht immer sind Charakterzüge, die bei der Ehefrau reizvoll waren, beim Sohn willkommen, und oft waren als fremd empfundene Züge auch schon an der Mutter nicht gern gesehen. Treten geistesgeschichtliche Umwälzungen zwischen die Generationen, bei denen sich der Junge in der Regel dem Neuen anschließt, so verstärkt sich die Kluft und erweitert sich zur weltanschaulichen und politischen Gegnerschaft. Dabei fällt dem Vater, als dem an Erfahrung reicheren, die größere Last zu, denn er muß das Alte gegen das Neue abwägen, während der Sohn nur das mit ihm und seinen Altersgenossen heraufgekommene Neue sieht. Im Vater lebt das Streben nach Selbstbewahrung. Es drängt sich ihm aber auch der Schutz für die Jugend auf, der er das Leben gegeben hat, auch wenn sie sich gegen ihn wendet. Er möchte den Sohn auf seine Seite bringen, denn er weiß, daß dessen Vernichtung ihn selbst und sein Fortleben zerstören würde. So wird in den meisten Fällen der Junge der Erreger des Konflikts, dessen verblendetes und tragisches Opfer er werden kann, und der Vater ist der leidende Gegenspieler. Die Bewertung der immer als tragisch empfundenen Situation verschob sich im Zug moderner emanzipatorischer Bestrebungen zuungunsten des Vaters.


Der Vater-Sohn-Konflikt schlug sich in der älteren Literatur und in den aus dieser Frühschicht stammenden Stoffen vor allem als Kampf um die Herrschaft und die Thronfolge nieder. Gemäß der dem Vater zukommenden Machtstellung endete dieser mit dem Triumph des Alten. Im Werk Theogonie (6. Jhd. v. Chr.) von Hesiod verschlingt der Titan Chronos seine eigenen Kinder, weil ihm weisgesagt wurde, daß er durch eines von ihnen die Herrschaft verlieren wird, was dann allerdings später sein heimlich geretteter Sohn Zeus wahrmacht.

Mit weit humaneren Mitteln siegt König David über den Sohn Absalom, dem er den Brudermord verzieh und der trotzdem dem Vater die Gunst des Volkes stahl und sich empörte. Die Erzählung ist ganz darauf angelegt, die rechtmäßigen Ansprüche, Demut und Großmut des Königs zu unterstreichen, der seinen Sohn schonen möchte und seinen Tod beweint. Sein Sieg wird als wohlverdient dargestellt.

Bedeutende literarische Stofftraditionen knüpften sich an Herrscherpersönlichkeiten der neueren Geschichte, die ihren unliebsamen und vielleicht auch gefährlichen Thronfolger beseitigten: an Soliman II., der seinen Sohn Mustapha töten ließ, Philipp II. von Spanien, dessen Sohn auf ungeklärte Weise im Kerker umkam, und Peter den Großen von Rußland, dessen aufständischer Sohn hingerichtet wurde.

Anders liegt der Fall bei Vätern, die dem Sohn nicht das Erbe verwehren, sondern ihn für das Erbe erziehen wollen und glauben, dessen individuelle Neigungen ersticken zu müssen. Ihr Bild in der Literatur schwankt und wird auch als das eines Tyrannen widergespiegelt. Die Unterordnung von König und Kronprinz unter den Staat wird oft als die Idee dargestellt, die die beiden verbindet.

Trotz der im Recht verankerten Vormachtstellung des Vaters kennt auch die Frühzeit schon Sympathie für den aufsässigen Sohn. Herodot berichtet von Lykophron, dem Sohn des korinthischen Tyrannen Periandros. Dieser haßte den Vater als den Mörder der Mutter und verharrte so lange in Ablehnung gegen den einsamen Alten, bis Periandros sich zur Abdankung entschloß. Da ereilte Lykophron der Tod, und Periandros starb ohne Erben in Gewissensnöten.

In Gerhard Hauptmanns Drama Indipohdi (1920) ist es der Vater, der durch ein Opfer dem feindseligen Sohn die Augen öffnet: Für den, der ihn einst entthront und vertrieben hat, leidet er stellvertretend den Tod, der ihm von Inselbewohnern bestimmt wurde.


Die neuere Literatur verlegte den Kampf um das Erbe, falls sie nicht auf mythische und historische Stoffe zurückgriff, vielfach in bäuerliches oder diesem verwandtes Milieu. Sie modellierte den Typ des lebensstarken, harten Vaters heraus, der die Herrschaft nicht abtreten will. Bei Ludwig Anzengrubers Drama Der Meineidbauer (1871) hat er den Besitz durch Testamentsfälschung erschlichen, schießt zu dessen Wahrung sogar auf den eigenen Sohn und zahlt dafür mit Wahnsinn und Tod, bei Schönherrs Drama Erde (1908) entscheidet sich der Kampf zugunsten des sich hohnlächelnd wieder vom Krankenbett erhebenden Alten und gegen den zum Knecht geborenen Sohn, den auch die nach eigenem Boden strebende Geliebte verläßt. Bei Ludwig Thomas Roman Der Wittiber (1911) begehrt der Sohn auf, weil eine zweite Heirat des Vaters sein Erbe zu schmälern droht. Thoma läßt den Vater durch seine Selbstherrlichkeit seine Familie zerstören: Der Sohn tötet die Geliebte des Alten und kommt ins Gefängnis, der Alte verfällt dem Alkohol.


Die Liebe des Sohns zur Mutter, die dazu führt, daß aus einem Stoff, in dem eigentlich keine Vater-Sohn-Feindschaft besteht, eine entsteht, trägt in vielen Plots zur Verschärfung der Gegensätze bei. In den meisten Fällen rivalisieren jedoch Vater und Sohn nicht in der Liebe der Mutter, sondern der Sohn ergreift für die Mutter gegen einen ihr abgeneigten Vater Partei. Herodots Lykophron fühlte sich, wie erwähnt, als Rächer seiner vom Vater zu Tode mißhandelten Mutter. Weniger gewalttätig ist die Abrechnung des für die Mutter eintretenden Sohns bei Albert Emil Brachvogels Drama Ein weißer Paria (1851), hat jedoch den Selbstmord des Vaters zur Folge. Das von Siegmund Freud in die Diskussion gebrachte Inzest-Motiv wirkte dann seit dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts auf literarische Gestaltungen des Vater-Sohn-Konflikts ein.

Liebesrivalität zwischen Vater und Sohn bezieht sich zwar selten auf die Mutter, oft aber auf eine andere Frau. Einen versöhnlichen Plot schrieb Johann Christian Hallmann: Die merkwürdige Vaterliebe oder der vor Liebe sterbende Antiochus (1684).

Wenn der Sohn nicht die Rechte des Vaters verletzt, sondern beide sich wetteifernd um eine Frau bemühen, verlangt die Logik im allgemeinen, daß die Jungen zueinanderfinden und der verliebte Alte den kürzeren zieht. Der in neueren Werken oft auftauchende Sieg des Vaters fungiert als Beweis für dessen größere Vitalität oder Brutalität. In Max Dreyers Drama Die Siebzehnjährigen (1904) begeht der bei seiner ersten Liebe vom Vater Ausgestochene Selbstmord. Der Heidereiter Bocholdt von Theodor Fontanes Ellernklipp (1881) erobert das Mädchen, indem er den Sohn beseitigt.


Nicht nur zwischen Vater und Sohn stehende Menschen verursachen oder steigern den Konflikt, sondern auch geistige Kräfte, Ideen und Parteien. Einer von ihnen oder beide fühlen sich einem höheren Gesetz verpflichtet als den Familienbanden. Der Vater kann zum Richter des Sohnes, der Sohn zu dem des Vaters werden. Nach Livius verurteilte der ältere Brutus seine beiden Söhne, als sie sich an einer Verschwörung zur Wiedereinsetzung der von ihrem Vater vertriebenen Tarquinier beteiligten - ein gern genutzter "römischer" Stoff (Hirzel, Brutus Dr. 1761). Der Hildebrand im Hildebrandslied (810/20) achtet das Gesetz der Kriegerehre höher als die Blutsverwandtschaft und zieht das Schwert gegen seinen Sohn, der ihn nicht erkennt und beleigigt, obwohl er ahnt, daß er im Kampf sein Geschlecht ausrotten wird.

Christliche Söhne bekämpfen in mittelalterlichen ihre im Heidentum verharrenden Väter Epen (Wolfram von Eschenbach, Willehalm um 1215). Schillers Ferdinand in Kabale und Liebe (Dr. 1784) wird durch die Intrigen seines Vaters gegen die Familie Miller gezwungen, ihm mit der Aufdeckung seiner unsauberen Karriere zu drohen, und der Idealist Max in Wallenstein (1798-99) trennt sich von seinem berechnenden und hinterhältigen Vater und geht den Weg des Selbstopfers, als er den Glauben an Wallenstein verloren hat. Der Kriegsheimkehrer Edward in Alfred Döblins Hamlet oder die lange Nacht nimmt ein Ende (1956) wirft sich mit seinem Wahrheitsdrang zum Richter der Eltern auf und versöhnt sich mit dem Vater erst an dessen Sterbelager.

Im allgemeinen steigern sich die ideologischen Vater-Sohn-Konflikte in der modernen Literatur aber nicht bis zur Richterfunktion einer der Parteien, sondern stellen sich als dauernde Auseinandersetzung und Feindschaft dar. Die Väter vertreten das Althergebrachte, die Söhne die neuen Ideen. Es kann sich um neue Glaubensvorstellungen handeln, wie den Darwinismus, der Johannes Vockerath in Gerhard Hauptmanns Einsame Menschen (Dr. 1891) seinem pietistischen Vater entfremdet, um humanitäre Ideen, oder - in modernem bürgerlichen Milieu - um Vorurteilslosigkeit, Sauberkeit und Gerechtigkeit auf der einen, Geschäftsgeist, Korruption und starre Konvention auf der anderen Seite. (Heinrich Böll, Billard um halbzehn 1959). Seit dem späten 19. Jahrhundert schlägt sich der Gegensatz häufig in Parteinahme des Sohnes für den Sozialismus nieder, während der Vaters eine konservativer, militaristischer und kapitalistischer Haltung einnimmt (F. Werfel, Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig Nov. 1920). Selten findet sich eine Vertauschung der Rollen, so daß der Junge auf der Seite der Unfreiheit steht, wie der von Liebe bestochene Sohn in Friedrich Maximilian Klingers Damokles (1788).


Je stärker mit der zunehmenden Psychologisierung der neuzeitlichen Literatur die zuerst erahnte, dann erbbiologisch begründete Möglichkeit einer naturgegebenen Disharmonie zwischen Vater und Sohn ins Bewußtsein trat, um so häufiger wird diese Disharmonie aus den Charakteren entwickelt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entsteht das typische Gegeneinander vom empfindsamen Jüngling und nüchternen Vater, der in dem Sohn nur die Untüchtigkeit sieht (Goethe Wilhelm Meisters Lehrjahre 1795-96). Durch Koppelung mit dem Motiv der verfeindeten Brüder ergibt sich die Variante, daß der eine der Brüder sich vom Vater zurückgesetzt fühlt (Friedrich Maximilian Klinger, Otto 1775, Die Zwillinge 1776, Stilpho und seine Kinder 1777). Der andere Sohn kann in einem guten Verhältnis zum Vater steht, aber durch die Intrige des Bruders daraus verdrängt werden (Schiller Die Räuber Dr. 1781). Der Gegensatz einer idealistischen oder künstlerischen Lebensauffassung zu einer nüchtern spielt in Thomas Manns Buddenbrooks (1901) eine Rolle. Als psychologisch interessant erwies sich die Entwicklung der Problematik aus der Gleichartigkeit der Charaktere oder der Begabung, wie z.B bei Theodor Storm, der selbst von einer Spannung zu seinem Sohn betroffen war. Storm läßt einen begabten Sohn im Werk Der Herr Etatsrat (1881) im Schatten der mathematisch-technischen Erfolge des Vaters verkümmern. Bei Gerhard Hauptmanns Michael Kramer (1900) wird der zwar künstlerisch geniale, aber untüchtige Sohn durch den Fleiß und die Ermahnungen des auf dem gleichen Feld tätigen Vaters in den Selbstmord getrieben, weil er wenig Kraft zur Rebellion hat.


Dieses Spektrum von Motivvarianten, die durch die Jahrhunderte gleichzubleiben scheinen, unterlag seit der Mitte des 18. Jahrhunderts dem allgemeinen Abbau der Autorität. Wenn sich in der sonst so revolutionären Sturm-und-Drang-Epoche eine gegenteilige Tendenz zeigt, so markiert sich damit der Wechsel von vaterfeindlichen zu vaterfreundlichen Generationen, der schon in früheren Jahrhunderten erkennbar ist, aber infolge des übergeordneten Pietätsgrundsatzes nicht so deutlich hervortritt. Von der Mitte des 18. Jahrhunderts an bringt jedoch jede neue antiautoritäre Welle einen weiteren Abbau der Autorität. Die Betonung der Pietät innerhalb der Familiensphäre hängt im Sturm und Drang auch mit der rückwärtsgewandten, an "bessere" Zeiten anknüpfenden Tendenz zusammen. Bevorzugt werden liebevolle Jünglinge, bei denen die Vaterliebe mehr spontane Kraft als Pflichtübung ist, sowie verehrungswürdige Väter, und fast immer sind es die schlechten Söhne, die vaterfeindliche Anschauungen vertreten (Jakob Michael Reinhold Lenz, Die beiden Alten 1776; Ludwig Tieck, Geschichte des Herrn William Lovell 1795-96). Immerhin bleibt das Recht tyrannisierter Söhne, sich gegen ihre unväterlichen Väter zu empören, in dieser antityrannischen Zeit gültig.

Der nächste Stoß gegen die Vaterautorität läßt sich als Nachwirkung der Französischen Revolution erkennen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts traten wieder mehr konservative Anschauungen in den Vordergrund, die dem Vater eine tragische Rolle zuwiesen, da er vielleicht durch Strenge und Verbot, aber auch durch zu große Nachgiebigkeit Fehler machen kann und dafür büßen muß.

Unter dem Einfluß der Vererbungslehre wurde die Auffassung von einem unlösbaren Gegensatz zwischen Vater und Sohn vertreten. In Ludwig Anzenbrubers Das vierte Gebot (1881) sind Eltern nicht als solche zu schätzen, sondern nur, wenn sie es als Menschen verdienen. Bei Ibsens Gespenster (1881) stellt sich Vaterverehrung als eine von der Mutter lügnerisch suggerierte Idealisierung eines Unwürdigen heraus. C. Alberti (Die Alten und die Jungen R. 1889) behandelte zum ersten mal das Thema, daß der Junge nicht gezwungen werden darf, Berufs- und Geschäftsnachfolger seines Vaters zu werden, sondern das Recht hat, seinen eigenen Weg zu gehen. Die Kettung an die Familie hat Neurose oder Tod zur Folge (Gerhard Hauptmann, Das Friedensfest 1890), und nur Flucht in ein von autoritärer Unterdrückung freies Leben kann Rettung bringen (Frank Wedekind, Frühlings Erwachen 1891). Kennzeichnend für die Stimmung dieser Zeit ist Richard Dehmels Lied An meinen Sohn (1893) mit den damals aufsehenerregenden Versen: "Und wenn dir einst von Sohnespflicht, mein Sohn, dein alter Vater spricht, gehorch ihm nicht, gehorch ihm nicht!" Daher ist Trennung von Elternhaus und Vater geradezu Pflicht, und nur der Schwächling bleibt unter dem väterlichen Dach.

Theoretisch gestützt wurde diese Entwicklung durch emanzipatorische Bücher wie Kays Das Jahrhundert des Kindes (1900) und später Federns Die vaterlose Gesellschaft (1919) sowie durch Siegmund Freuds Theorie eines naturgegebenen, auf inzestuöser Neigung zur Mutter beruhenden Hasses gegen den Vater, Ödibuskomplex genannt, die sich zunächst in der vater-feindlichen Haltung des Expressionismus niederschlug. Die Wünsche der Jugend prägen den Charakter vor allem der expressionistischen Dramen, in denen die zur Schablone erstarrte Vaterfigur nur noch der Widerstand ist, an dem sich die Revolte entzündet (Arnolt Bronnen, Vatermord 1920, Franz Werfel, Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig 1920, Spiegelmensch 1920). Bei einigen Autoren der auf den Expressionismus folgenden Neuen Sachlichkeit weitet sich der Privathaß zum Kollektivhaß, und die Jungen suchen die Schuld am ersten Weltkrieg und seinen Folgen bei der alten Generation, (E. Glaeser, Jahrgang 1902 R. 1928, Frieden R. 1930; Erich Maria Remarque, Im Westen nichts Neues 1929).

Eine in persönlichen Glaubensvorstellungen und Erfahrungen begründete Variante des Motivs liegt im Werk Franz Kafkas vor, der die Lieblosigkeit der Väter anklagte (Die Verwandlung 1915, Amerika. 1927), den Vaterhaß aber als eine Art Sünde verdammte und den mit Mordgedanken spielenden Sohn sich dem Todesurteil des Vaters willig unterwerfen ließ (Das Urteil 1913). In den dreißiger Jahren zeigen die Söhne dann ein Bemühen um Verständnis für den Vater und seine Leistung, auch wenn sie den Bruch nicht vermeiden, und andererseits ernten liebevolle, aber in ihren Erziehungsmitteln eigenwillige Väter das Scheitern und den Untergang der jungen Generation.

Die jüngste antiautoritäre Welle knüpft z.T. an expressionistische Vorbilder an. Abermals wird die Schuld der Väter bei ihren falschen Wertvorstellungen, bei ihrer Mitwirkung am Krieg und ihrer mangelnden Bewältigung dieser Vergangenheit gesucht. (Renate Rasp, Ein ungeratener Sohn 1967; Siegfried Lenz, Deutschstunde 1968).

Siegfried Lenz: Deutschstunde


Auf den Roman "Deutschstunde" möchte ich jetzt noch näher eingehen, zuerst aber einige Worte zu Siegfried Lenz:


Siegfried Lenz wurde am 17.03.1926 in Lyck (Oberpreußen) geboren. Als Dreizehnjähriger wird er in die Hitlerjugend aufgenommen und in Wehrertüchtigungslagern ausgebildet. Mit 17 Jahren (1943) erläßt man dem jungen Lenz das Abitur, er wird zur  Marine eingezogen. Nach viermonatiger Ausbildung kommt er auf die "Admiral Scheer". Das Schiff wird versenkt, Lenz kann sich retten und wird zur weiteren Ausbildung nach Dänemark gebracht. Er desertiert, wird verfolgt, kann sich aber unerkannt durchbringen und gerät 1945 in englische Gefangenschaft. Dort wird er bald Dolmetscher einer amtlichen Entlassungskommission. Noch 1945 entläßt man ihn nach Hamburg, wo er Philosophie, Anglistik und Literaturwissenschaft studiert. Mit Schwarzhandel bringt er sich durch. Schon während seines Studiums arbeitet Lenz als Nachrichten-, dann Feuilletonredakteur.

Seit 1951 lebt er als freier Schriftsteller. In den folgenden Jahren unternimmt er viele Reisen ins Ausland: 1968/69 hält er Vorträge in Australien und den USA. Zwischen 1965 und Anfang der 70er Jahre engagiert sich Lenz im Wahlkampf für die SPD. Auf Einladung von Bundeskanzler Willy Brandt reist er, zusammen mit Günter Grass, 1970 zur Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages nach Warschau. Den "Demokratischen Sozialismus" und die Aussöhnungspolitik mit dem Osten sieht er als das politische Pendant seiner Literatur. Siegfried Lenz arbeitet als Essayist und Kritiker für den Funk und mehrere Zeitungen. Er lebt seit 1951 in Hamburg und auf der dänischen Insel Alsen.

Siegfried Lenz werden im Laufe seines Lebens zahlreiche kleinmere und größere Literaturpreise zugesprochen, unter anderem der Rene-Schickele-Preis (1952), der Bremer Literaturpreis (1961) und der Gerhart-Hauptmann-Preis (1961). Zu seine bedeutenden Werken zählen Es waren Habichte in der Luft (1951), So zärtlich war Suleyken (1955), Der Mann im Strom (1957), Jäger des Spotts (1958), Brot und Spiele (1959), Der Spielverderber (1965), Heimatmuseum (1978), Der Verlust (1981), Exerzierplatz (1985) und sein bislang letzter Roman Die Auflehnung

Die beiden Hörspiele Zeit der Schuldlosen und Zeit der Schuldigen (beide von 1962) wurden im Drama Die Zeit der Schuldlosen, erschienen 1963, zusammengefaßt. 1964 folgte das Drama Das Gesicht, 1968 Nicht alle Förster sind fröhlich und 1970 Die Augenbinde.


Doch nun zu seinem bedeutendsten Werk Deutschstunde:


Der beherrschende Schauplatz des erinnerten Geschehens ist Rugbüll. Siggi Jepsen, die Hauptgestalt des Romans inzwischen Einundzwanzigjährig, befindet sich in einer Erziehungsanstalt und erinnert sich an das Jahr 1943, als er 10 Jahre alt war. Der ausgedehnten Erzählzeit steht ein begrenzter Erzählort gegenüber, extrem eingeengt durch die Situation auf der Insel, auf der sich die Jugendstrafanstalt befindet.


Siggi Jepsen wird in der Anstalt auf der Elbeinsel bei Hamburg von seinem Lehrer und Jugendpsychologen dazu veranlaßt, in einer nachgeholten Strafarbeit mit dem Titel "Die Freuden der Pflicht" sich die Erinnerungen an die NS-Zeit von der Seele zu schreiben. Er erinnert sich an den Konflikt zwischen seinem Vater, Jens Ole Jepsen, und dem Maler, Max Ludwig Nansen. Von den damaligen Machthabern wird im Zuge der Kampagne gegen Entartete Kunst ein Malverbot verhängt. Siggis Vater, Rugbüller Polizeiposten und Pflichtmensch, versucht mit bornierter Amtsautorität dieses in Berlin gegen Nansen erlassene Malverbot durchzusetzen. Der alte Jepsen observiert den Künstler und zerstört auch einen Teil seiner Werke. Er will Siggi zu seinem Spießgesellen machen, doch dieser wird Freund und Verbündeter des Malers und rettet einige seiner Bilder vor dem Zugriff des Polizisten-Vaters.

Siggi versteckt auch seinen Bruder Klaas, der eines Morgens auftaucht. Er ist aus dem Gefangenenlazarett ausgebrochen, doch zu Hause kann er nicht bleiben, da sein Vater und seine Mutter ihn verstoßen haben, weil er sich selbst verstümmelt hat. Auch den Verlobten von Hilke, sie ist Siggis Schwester, kann die Mutter nicht leiden, weil er ihrer Meinung nach ein Zigeuner ist. Jedesmal wenn er auftaucht sperrt sie sich in ihrem Zimmer ein.

Der die Familie zerstörende Zwangscharakter des alten Jepsens überdauert noch den Umschwung nach 1945. Obwohl das Malverbot längst aufgehoben ist, verfolgt Ole Jepsen den Maler in seiner wahnhaften Verbitterung weiter. Er fühlt sich unbeirrt in seiner alten Amtspflicht.

Dann wird Siggi bestraft; er wird als Bilderdieb verhaftet, obwohl er die Bilder nur vor den NS-Verfolgern in Sicherheit gebracht hat. Am Ende wird er jedoch wegen überdurchschnittlicher Leistungen aus der Anstalt entlassen.

So füllt Siggi Heft für Heft mit seinen Aufzeichnungen, nur manchmal unterbricht der junge Schreiber die Geschichte seiner Jugend in Rugbüll, um ein paar Neuigkeiten aus seinem gegenwärtigen Sträflingsleben einzuflechten.


Die Situation in der Anstalt bildet den Erzählrahmen, auf den im Laufe des Erinnerungsprozesses wiederholt zurückgeblendet wird. Von ihr nimmt die Romanhandlung ihren Ausgang, die schließlich, weitgehend linear aufgebaut, zum Anfang zurückkehrt. Das Werk wird in der Ich-Form erzählt.

Die Erinnerungsarbeit ist ein schöpferischer Prozeß, mit dem Ziel, die Gegenwart zu verstehen und sich in ihr zurechtzufinden. Es geht darum das Weiterleben durch erzählende Bewältigung des Vergangenen lebenswert zu machen. In der Zeitstruktur spiegelt sich auch die Orientierungsproblematik nach 1945.


Siggi Jepsen, 1933 im Jahr der Machtergreifung durch die Nazis geboren, erzählt seine eigene Geschichte. Er wird in Begegnungen und Erlebnissen, mitunter aus Verstecken, durch Fenster und Schlüssellöcher zum Beobachter und Zeugen seiner Zeit, die er von seinem 10. Lebensjahr an intensiv erlebt und die er kurz vor seinem 21. Geburtstag erinnert und zu begreifen beginnt. In der Strafarbeit behandelt er das gestellte Thema im Rückblick auf Selbsterlebtes, indem er nicht die Freuden, sondern die Leiden und Opfer der Pflicht darstellt. Erst jetzt überwindet er die Zwangsneurose, ständig angeblich gefährdete Bilder in Sicherheit bringen zu müssen. Reif wird Siggi, als er beginnt die passive Rolle des Danebenstehenden aufzugeben. Am Ende wird Siggi aus dem abgeschlossenem Erinnerungsraum, in dem er sich in sich selbst versenkte, entlassen.


Der Polizeiposten Jepsen ist der uniformierte Staatsbürger, pflichtbewußt, gehorsam bis zur Selbstaufgabe, loyal bis zur Menschenverachtung. Befehl ist für ihn Befehl. "Ich tu nur meine Pflicht." ist der Leitsatz seines Handelns.

[ich frage nicht, was einer gewinnt dabei, wenn einer seine Pflicht tut, ob es einem nützt oder so. Wo kämen wir hin, wenn wir uns bei allem fragten: und was kommt danach? Seine Pflicht, die kann man doch nicht nach Laune tun]

Über Generationen eingeschliffen, ist das preußische Vermächtnis, aufopferungsvoll seine Pflicht zu tun, zum Kadavergehorsam verkommen, der den unaufhaltsamen Anstieg des deutschen Faschismus erst ermöglichte.

Für den Polizeiposten ist das verhängte Malverbot unumstößliches Gesetz, dessen Einhaltung er, ungeachtet persönlicher Beziehungen, zu überwachen hat. Die eingebleute Pflichtausübung überdauert noch den Zusammenbruch des Faschismus. Auch nach 1945 fährt der Polizeiposten fort, den Bildern nachzustellen.


Der Maler Nansen ist der Gegenspieler des Polizeiposten. Der Maler wohnt außerhab des und schon der abseits gelegene Ort enthebt den genialen Künstler allem Provinziellen.

Nansen setzt gegen den blinden staatsbürgerlichen Gehorsam das eigene kritische Urteil: [ es kotzt mich an, wenn ihr von Pflicht redet. Wenn ihr von Pflicht redet, müssen sich andere auf was gefaßt machen.]

[wenn du glaubst, daß man seine Pflicht tun muß, dann sage ich dir das Gegenteil: man muß etwas tun, das gegen die Pflicht verstößt. Pflicht, das ist für mich nur blinde Anmaßung.]

Allein entscheidend ist das Gewissen des einzelnen für sein Tun. Wahre Pflicht ist der innere Auftrag, seiner Bestimmung treu zu bleiben, weiterzumalen trotz des Malverbots. Jede Abweichung bedeutet Verrat am eigenen Selbst. In seiner Kunst wie in seinem Handeln im Alltag dient Nansen dem Leben. Er war es, der seinen Jugendfreund Jens Ole Jepsen vor dem Ertrinken rettete, er ist es auch, der dessen desertierten Sohn Klaas vorübergehend bei sich aufnimmt.


Die Deutschstunde ist eigentlich ein moderner Bildungsroman, zugleich ist sie aber auch ein Zeitroman, der einen repräsentativen, subjektiv vermittelten Querschnitt durch eine Geschichtsphase heilloser Verstrickungen gibt.

In der Struktur des Romans spiegelt sich der verhaltene Optimismus des humanen Realisten, der den Menschen wieder eine Chance gibt, wenn sie aufhören an Ideale und Programme zu glauben. Sie müssen den Pedanten der Pflicht ebenso mißtrauen, wie den Besserwissern und offen werden für die Mitgestaltung einer Welt, in der alle in Freiheit und Frieden leben können. Eine solche Offenheit erfordert nie ermüdende Wachsamkeit und den Widerstand jedes einzelnen gegen die Mächtigen.

Lenz deckt darüber hinaus die Wurzeln des Nationalsozialismus auf, der nur auf einer Basis einer sklavisch ergebenen Führergefolgschaft gedeihen konnte. In der Familie wird das als negativ angesehen, was als negativ von oben verordnet ist. Das Fremde wie das Kranke widersprechen gleichermaßen dem auserwählten gesunden deutschen Volkstum, dem anzugehören sich der Kleinbürger schmeicheln darf. Völlig einig weiß sich das Ehepaar Jepsen gegen alles Fremdländische und Zigeunerhafte, im Haß gegen das, was der Führer als unwertes Leben verworfen hat. Als Eltern vertreten sie ihren Kindern gegenüber die Obrigkeit. Das Elternhaus verkommt zum Strafgerichtshof, der prügelnde Vater zum Vollstrecker. Fragen, Zweifel und Begründungen des eigenen Handeln sind ausgeschlossen in einer Gesellschaft der Geführten und Verführten. In Rugbüll spiegelt sich die verbrecherische Macht der Nazis wieder. Der Polizeiposten, mehr Opfer als Täter, macht auch die eigenen Kinder zu Opfern der allgemeinen Menschenverachtung. Während er seinen ältesten Sohn Klaas pflichtgemäß der Gestapo übergibt, nachdem dieser versucht hatte, durch Selbstverstümmelung dem Wehrdienst zu entgehen und unterzutauchen, treibt er Siggi, den er als Spitzel mißbraucht, in die zwangsneurotische Vorstellung, die gefährdeten Bilder in Sicherheit bringen zu müssen, indem er sie entwendet und versteckt. Wie die Pflichtbesessenheit dauert auch die Zwangsneurose über 1945 hinaus an und läßt Siggi zum Bilderdieb werden. In aller Breite schildert der Roman die Kälte in den Familienbeziehungen der Jepsens, die Beschränktheit des heimatlichen Dorflebens Diese bedeutet die Verkümmerung von Elternliebe, Freundschaft, Nachbarschaft und die Verhinderung des Individuellen und Lebendigen. Lenz begnügt sich jedoch nicht mit einem negativen Porträt der Provinz. In wenigen Gestalten und Szenen offenbaren sich Spuren von Menschlichkeit, die nicht nur als Kontrast gemeint sind, sondern in eine mögliche Zukunft weisen. Zum Beispiel die im Abseits von Rugbüll lebende Hilde Isenbüttel, die sich in ihrer Zuwendung zum Mitmenschen nicht irreführen läßt. Auf dem Hof beschäftigt sie einen belgischen Kriegsgefangenen, in den sie sich verliebt und von dem die schließlich ein Kind erwartet. Als ihr Mann als Krüppel aus dem Krieg zurückkehrt, nimmt sie sich seiner ohne zu zögern an.

Der Erzähler Lenz erweist sich einmal mehr als realistischer Optimist, der angesichts menschenverachtender Beschränktheit die Hoffnung auf Humanität aufrecht erhält.


Quellen:          Siegfried Lenz: Deutschstunde, dtv, 1973

Frenzel: Themen und Motive der Weltlitertur

J. B. Metzler: Metzler Autoren Lexikon, Verlagsbuchhandlung Stuttgart, 1986

Peter von Matt: Verkommene Söhne, mißratene Töchter, dtv, 1997

Encarta 98, Microsoft, 1998



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