Georg Büchner, Woyzeck:
Charakterisierung des Doktors
Die Person des Doktors nimmt in Georg Büchners
Fragment Woyzeck eine der zentraleren Rollen ein. Er gehört zur über
Woyzeck stehenden Gesellschaftsschicht und ist mitverantwortlich für dessen
geistige Verwirrung und Wahnvorstellungen. Der Doktor führt mit Woyzeck
Experimente durch, so setzt er ihn zum Beispiel auf streng monotone (Erbsen-)
Diät und freut sich über alle Resultate, egal ob sie den Gesundheitszustand
seines "Versuchskaninchens" positiv oder negativ beeinflussen. Der Charakter
ist nicht authentisch sondern wurde vom Autor eingefügt. In der Vorlage zum
Drama, dem original Mordfall Woyzeck in Leipzig aus dem Jahr1821, wird mit
keinem Wort irgendein Doktor erwähnt, ansonsten sind nahezu alle anderen
Hauptpersonen ihren echten Vorbildern nachempfunden . Büchner gestaltete die
Figur des Mediziners nach einem halb verrückten Professor an der Gießener
Universität, der dort während Büchners Medizinstudiums lehrte.
Der Doktor ist ein verantwortungsloser
Wissenschaftler. Er hat keinerlei Interesse daran Menschen zu helfen und sieht
die Leiden anderer Personen nur als "interessanten Kasus" (=Fall) an (S.19,
Z.30). Er hat keine Skrupel Woyzeck, der für ihn ohnehin nur ein "Subjekt" (S.19,
Z.30) darstellt, für "zwei Groschen täglich" (S. 18, Z.19) für seine
Experimente auszunutzen, selbst auf Kosten von dessen Gesundheit. Der Doktor
bezeichnet Woyzecks psychisch Erkrankung als "schönste Aberratio,;sehr schön
ausgeprägt" (S.19, Z.20), anstatt ihm zu helfen gibt er ihm bloß mehr Geld.
Diesen unmenschlichen Charakterzug zeigt er nicht nur gegenüber Woyzeck,
sondern auch bei anderen Patienten. So redet er mit dem Hauptmann über eine
Patientin, die "in vier Wochen tot" (S.35, Z.14) sein wird und bezeichnet sie
hierbei lediglich als "interessant[e]s Präparat" (S.35, Z.18). Auch als er beim
Hauptmann ein "apoplectische Constitution" (S.21, Z.10) diagnostiziert, will er
nach dessen Schlaganfall lediglich " die unsterblichsten Experimente" ( S.21,
Z.17) mit ihm durchführen, anstatt ihm jetzt zu helfen, vorbeugende Maßnahmen
zu ergreifen. Der Mediziner verhält sich anderen gegenüber hochmütig,. er
benutzt sehr viele Fachbegriffe um seine höhere Bildung zu betonen. Auch
gebraucht er das nicht existierende Wort "Hyperoxidul" (S.18, Z.28), was darauf
hindeutet das er nicht wirklich qualifiziert für seinen Beruf ist. Teilweise
fällt er aber, während er zu den Studenten redet ("als wär's sei
Großmutter", S.37, Z13), in den hessischen Dialekt zurück und benutzt einmal
sogar Fäkalwörter ("pissen", S.18,Z.29), wodurch demonstriert wird , daß er im
Grunde nicht so sehr zur Bildungselite gehört.
Der Doktor ist skrupellos, menschenverachtend,
arrogant und pflichtvergessen. Er trägt, neben den anderen Personen die ihn
ausnutzen, einen großen Teil der Schuld an Woyzecks geistiger Umnachtung.
Dadurch, daß Woyzeck nur Erbsen essen darf, wird seine Gesundheit nicht nur in
geringem Maße gefährdet. Nichtsdestotrotz ist die Person Doktor ebenso wie der
Hauptmann wichtig für das Drama, da an solchen Figuren die Gesellschaftskritik
festgemacht wird, die Büchner hier versucht zu vermitteln. Obwohl Büchner
selbst Wissenschaftler war, konnte er, wie viele andere auch, Menschenversuche
und Experimente, die anderen schaden, nicht gutheißen. Gleichwohl existierten
solche Menschen in hohen Positionen ( Büchners Universitätsprofessor), an denen
keiner direkte Kritik zu üben wagte. Dies konnte nur auf indirektem Weg wie
eben durch Dramen erfolgen