Moderne (Literatur), unscharfe Bezeichnung für
diverse Abgrenzungsbestrebungen junger Literaten gegenüber der älteren
Generation (so in Aufklärung, Romantik und Jungem Deutschland), zumeist jedoch
für die umfassenden ästhetischen Neuerungsbestrebungen der Literatur, aber auch
der Musik, der Architektur und der bildenden Kunst, zwischen 1870 und 1920. Der
Begriff "die Moderne" wurde 1886 von Ernst Wolff für die Literatur des
Naturalismus geprägt. Der österreichische Kritiker Hermann Bahr (Zur Kritik
der Moderne, 1890) weitete ihn später auf postnaturalistische Strömungen
wie Impressionismus, Symbolismus, Décadence oder Jugendstil aus. Inzwischen
werden alle Bewegungen der klassischen Avantgarde einschließlich des
Expressionismus mit dem Schlagwort belegt. Neben regionalen Aspekten (siehe
Berliner Moderne, Wiener Moderne) betont die neuere Forschung den
länderübergreifenden Charakter der Moderne. So werden etwa Gustave Flaubert,
T. S. Eliot, William Butler Yeats, Marcel Proust, James Joyce, Henrik
Ibsen, Paul Valéry, Stéphane Mallarmé, Charles Baudelaire, Ezra Pound, Robert
Musil, Alfred Döblin, August Strindberg, Hermann Broch und Virginia Woolf der
Moderne zugerechnet.
Voraussetzung für das Entstehen einer deutschsprachigen,
teils auch einer europäischen Moderne war die Erschütterung des traditionellen
Weltbildes etwa durch Albert Einsteins Relativitätstheorie (1905), Max Plancks
Quantentheorie (1900) und Sigmund Freuds Untersuchung zum Unbewussten (Die
Traumdeutung, 1900). Deren neue Sicht der Wirklichkeit, die das Zufällige,
Heterogene und Disparate allen Geschehens betonte, forderte den Künstlern eine
neue ästhetische Konzeption ihrer Werke ab. Freuds Psychoanalyse beeinflusste
zudem das literarische Verfahren des Stream of consciousness zur
direkt-assoziativen Darstellung psychischer Befindlichkeiten.
Zu den herausragenden Werken der literarischen Moderne
gehören Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz (1929), Robert Musils Der
Mann ohne Eigenschaften (1930-1952), Hermann Brochs Die Schlafwandler
(1931-1932), Marcel Prousts A la recherche du temps perdu (1913-1927),
T. S. Eliots The Waste Land (1922, Das wüste Land), Ezra
Pounds Cantos (1917-1970), Virginia Woolfs Mrs. Dalloway (1925)
und James Joyces Ulysses (1922). All diesen Werken ist ein Stil eigen,
der auf je spezifische Art und Weise die Zersplitterung von Erfahrungswelt
reflektiert und nach neuen Formen des Ausdrucks sucht. Die Stringenz von
Handlung ist zugunsten eines Geflechts von Bezügen aufgegeben: Das Kunstwerk
wird, wie Umberto Eco herausstellte, "offen", d. h. frei für den
polyperspektivischen Zugang des Interpreten. Statt inhaltlicher Kriterien rückt
hierbei oftmals die Sprachlichkeit (das Material) des literarischen
Produkts selbst ins Zentrum des Interesses. Auch der von Mallarmé und Valéry
geäußerte Wunsch nach einer Musikalität dichterischer Außerung bezieht
sich auf eine Betonung des Lautbildes, des Signifikanten, gegenüber dem
Vorstellungsinhalt, dem Signifikat (siehe de Saussure; Semiotik).
Als Gegenströmungen zur Moderne entstanden zur Mitte des
20. Jahrhunderts Bewegungen, die das Innovationsstreben dieser Richtung
selbst als automatisiert ansahen. Die Postmoderne bezieht diesen Aspekt einer
programmatischen Abgrenzung dadurch, dass sie den Begriff der Moderne
negativ anzitiert, bewusst mit ein. Siehe auch Poststrukturalismus