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Die Rolle der Medien während des Kosovo-Krieges
Brandherd Balkan
Deutsche Medien
Französische Medien
Deutsche Medien
Darstellungen Im Fernsehen
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Das Verhalten der Zuschauer hat sich in den letzten Jahren stark geändert. Während 1991 wegen des Golfkrieges die Narren auf die Übertragung des Karnevals verzichten mussten, sahen sich am Ostermontag 1999 mehr als acht Millionen Menschen den Katastrophenfilm "Twister" an. Besonders die Jüngeren ließen sich mit einem Marktanteil von fast 40 Prozent für dieses Hollywood Spektakel begeistern. Auch die Fußballfans lassen sich vom Krieg nicht beirren, denn 10 Millionen Zuschauer sahen sich das Champions-League-Spiel Bayern gegen Kiew an. Die ARD konnte mit ihrer Sendung Brennpunkt gerade einmal die Hälfte der Quote der gleichzeitig laufenden Sat-1-Action-Serie "Benzin im Blut" erzielen.Auch die Talkschows behandeln weiter ihre Themen wie "Meine Eltern sind voll Daneben"(Andreas Türck) bis "Baby mach dich nackig"(Hans Meiser), Pro-Sieben zeigt die Serie "Jets-Leben am Limit" und in den Seifenopern wie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" oder "Marienhof" ist Krieg kein Thema, dass erwähnenswert erscheint.
Auf den ersten Blick erscheint es, als ob die Deutschen fest entschlossen währen, sich vom Fersehen mit Unterhaltung betäuben zu lassen, als sei der Krieg auf dem Balkan eine Pflichtübung für Nachrichten und nicht mehr. Doch dieser Eindruck täuscht. Auch in der dritten Kriegswoche war das Interesse an Nachrichtensendungen nahezu unverändert hoch. Der Leiter der ZDF Hauptredaktion Außenpolitik, Peter Frey: " Wir blasen nichts künstlich auf, die Zuschauer interessieren sich in den aktuellen Sendungen überhaupt nicht für andere Themen als das Kosovo." 1)
Der Nachrichtensender n-tv konnte seinen Marktanteil seit dem Beginn des Nato-Bombardements fast verdoppeln(siehe Grafik) und auch Phönix erzielt mit der Übertragung von Pressekonferenzen große Zuschauerresonanz. Das erste mal läuft live ein zweites ARD "Nachtmagazin".
Zitat: Der Spiegel 16/1999 Seite 113
Bilder?!
Obwohl Reporter ohne Grenzen das serbische Staatsfernsehen RTS als Propagandainstrument und Waffe im Dienste des Regimes von Slobodan Milosevic betrachtet, bedauert die internationale Menschenrechtsorganisation zur Verteidigung der Pressefreiheit die Entscheidung, keine Bilder des Senders mehr zu übernehmen und weiterzuverbreiten. Diese am 26. Mai von der Telekommunikationsorganisation Eutelsat getroffene Maßnahme ist Einschränkung der Informationsfreiheit. RTS präsentiert die aktuellen Ereignisse nur in Ausschnitten, entstellend und irreführend. Als Hauptinformationsquelle für die serbische Bevölkerung zeigt dieses Fernsehprogramm systematisch gefälschte Reportagen über den Kosovo-Krieg. Die NATO und die internationale Gemeinschaft werden als 'Faschisten' und 'degenerierte Kriminelle' beschimpft. In regelrechten Säuberungsaktionen wurden alle kritischen Journalisten des Senders zum Schweigen gebracht: Im Januar 1993 verloren 1500 MitarbeiterInnen ihre Stellung, nachdem sie ihr Mißfallen über die redaktionelle Linie zum Ausdruck gebracht hatten. Reporter ohne Grenzen erinnert aber daran, daß die Entscheidung der Eutelsat-Länder der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention widerspricht, der die Informations- und Meinungsfreiheit garantiert. Ausdrücklich gilt dies nicht allein für Informationen oder Ideen, die allgemeinen Anklang finden oder deren Urheber als friedlich und überparteilich gelten können, sondern ebenso für solche, die verletzen,schockieren oder den Staat bzw. die Bevölkerung beunruhigen.
Umgang mit Reportern
Ausländische Journalisten müssen den Kosovo verlassen, nachdem die serbische Regierung die Ausweisung von aus Nato-Staaten stammenden Reportern angeordnet hat. Eine niederländische TV-Journalistin wurde am Freitag, den 26.03.1999 als vermißt gemeldet - sie wird von der serbischen Polizei festgehalten. Auch Mitarbeiter deutscher Fernsehsender und Zeitungen werden massiv behindert. Leib und Leben sind in Gefahr. Ein Kameramann des Hessischen Rundfunks wurde am Vortag im mazedonischen Skopje von demonstrierenden Serben schwer verletzt. Bei einer Anti-Nato-Demonstration hatte er sich in sein Auto gesetzt und wurde nach Steinwürfen von einem Glassplitter im Hals getroffen, wie ein Redakteur des Senders berichtete. Nach einer Operation im Bundeswehrlazarett in der Grenzstadt Tetovo sei er jedoch auf dem Wege der Besserung. «Es wird für uns zunehmend schwieriger, über die Folgen der Nato-Angriffe zu berichten und uns auf Quellen zu stützen, denen wir vertrauen können»2), sagt ZDF-Hauptabteilungsleiter Peter Frey. Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Hermann Meyn, mahnte: «Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch auf Information jenseits von Kriegspropaganda.»2) Gerade jetzt sei eine umfassende Berichterstattung für die Bevölkerung Jugoslawiens und die Weltöffentlichkeit von großer Bedeutung - vor allem im Interesse eines baldigen Friedens.
Die Realität sieht anders aus: Die meisten deutschen Journalisten können die Einschläge der Bomben und deren Folgen nicht mehr selbst beobachten. Sie wichen vom Kosovo meist nach Mazedonien oder Kroatien aus. Zuvor war ihre technische Ausstattung zum Teil beschlagnahmt worden; zusammenbrechende Sende- und Telefonleitungen hatten die Übermittlung von Berichten erschwert. Nicht alle Reporter sind jedoch aus dem Kosovo geflohen: Der ARD-Hörfunk-Korrespondent Elias Bierdel beispielsweise berichtete am Freitag noch aus dem Kriegsgebiet. Er wird jedoch aufgefordert zu seiner eigenen Sicherheit das Land zu verlassen. Augenzeugenberichte aus Jugoslawien zu bekommen, gestaltet sich nach den Worten des Chefredakteurs des Bayerischen Fernsehens, Sigmund Gottlieb, zunehmend schwierig. Freie Journalisten berichteten auf eigenes Risiko. Das ZDF bemüht sich unter anderem, deutschsprachige Hochschullehrer und Wissenschaftler ausfindig zu machen.
Fehler?
Im Krieg der modernen Informationsgesellschaften, und um einen solchen handelt es sich beim Kosovo-Konflikt, werden Bilder mit Funktionen und Bedeutungen überladen. Das fotografische Abbild gilt von jeher als ideales Beglaubigungsinstrument. Die Bildpolitik der Nato bewegt sich ganz in dieser Tradition, Fotos und Videos sollen das eigene Handeln legitimieren. Doch die Reichweiten und Potentiale der Bilder stoßen ganz eindeutig an Grenzen. Auf einer Pressekonferenz glaubte Verteidigungsminister Rudolf Scharping, die Luftangriffe auf Jugoslawien durch Fotos rechtfertigen zu können, die er eigenhändig präsentierte, die neu aufgetaucht seien und ein Massaker an der Zivilbevölkerung im Kosovo dokumentierten, das vor dem Kriegsausbruch stattgefunden habe. Es erwies sich allerdings recht schnell, daß die Fotos längst bekannt waren. Der moralische Rechtfertigungsdruck führt zu übereilten Bilddemonstrationen, die nur fehlschlagen können.
Zitat: ap-pressemeldung, 26,03,1999(aus Yahoo!Schlagzeilen)
Die täglichen Nato-Pressekonferenzen in Brüssel finden in einem Kinosaal statt, die Leinwand ist das Zentrum dieser Veranstaltung. Um die internationale Presse zu beeindrucken, werden dort Videos gezeigt, die in gestochener Schärfe mit Bordkameras den punktgenauen Angriff der Flugzeuge auf die anvisierten Ziele festhalten. Mit jeder Panne, jedem fehlgeleiteten Geschoß, das auf der gleichen Pressekonferenz zugestanden werden muß, büßt die Präzisionsästhetik jedoch an Überzeugungskraft ein. Die irrtümliche Bombardierung der chinesischen Botschaft beschädigte schließlich nachhaltig diese High-Tech-Inszenierung.
Der Krieg im Internet
Serbische Desinformation
Die jugoslawische Regierung Milosevics versucht ihre eigene Bevölkerung, aber auch die Weltöffentlichkeit durch gezielte Falschinformation und Propaganda zu desinformieren. Instrument dieser gezielten Politik ist die staatliche Nachrichtenagentur TANJUG, aber auch das Internet, das gezielt eingesetzt wird, um in englischer Sprache Propaganda zu betreiben. Unter den homepages: https://www.gov.yu/presscvj und HYPERLINK https://www.serbia-info.com/news/1999-04/08/10628.html werden täglich Meldungen, Artikel und Publikationen verbreitet, die die NATO und ihre Mitgliedstaaten diskreditieren, verleumden und denunzieren. Darüber hinaus werden auf über 40 homepages entsprechende Falschinformationen offiziell verbreitet. So wird in einem Artikel vom 10. Mai 1999 (https://www.gov.yu/presscvj/konf/1005/1005matic.htm) der Außenminister Jugoslawiens Goran Matic zitiert, der der NATO unterstellt, sie transportiere Flüchtlinge in der Region vom Kosovo nach Mazedonien und Albanien und zurück in den Kosovo um die Flüchtlingsvertreibung vorzutäuschen und die Angriffe auf Jugoslawien zu rechtfertigen. Auf einer anderen Seite (https://www.gov.yu/presscvj/clanci/46_cl/46cl.htm) wird am 22. Mai 1999 der NATO sogar unverblümt unterstellt, sie inszeniere Massaker, die sie dann serbischen Sicherheitskräften in die Schuhe schieben wolle. ("The fact that a group of some 5000 Albanian refugees coordinated by NATO are wandering around KosMet, destined to be used as massacre victims at a given moment followed by accusations against Yugoslav Army and Serbian security forces, of committing the massacre.") Im gleichen Artikel wird mit dem Szenario eines Nuklear-Krieges zwischen den USA auf der einen und Rußland sowie China auf der anderen Seite gedroht.
Ein leicht nachvollziehbares Beispiel serbischer Desinformationspolitik und Propaganda ist der sogenannte mit großem Aufwand verkündete "Teilabzug" serbischer Kräfte aus dem Kosovo vom 10. Mai 1999. Ebenfalls auf einer homepage (HYPERLINK https://www.gov.yu/presscvj/ dpregl/dp1105/dp1105.htm) der jugoslawischen Regierung war bereits an diesem Tag die Originalerklärung des jugoslawischen Armee-Oberkommandos zu lesen. Aus dem verbreiteten Text ging klar hervor, daß es sich um einen Rückzug von "Teilen" handeln würde, die Reduktion der Kräfte sich auf das Niveau vor Beginn der Auseinandersetzungen beschränken würde und weiterhin serbische Sicherheitskräfte auch nach einem Abkommen mit den Vereinten Nationen verbleiben würden.
Die jugoslawische Propaganda schreckt nicht davor zurück, völlig unglaubwürdige und rasch zu widerlegende Falschinformationen zu verbreiten, um der eigenen Bevölkerung jugoslawische Stärke vorzutäuschen und die internationale Öffentlichkeit wenigstens kurzfristig zu verwirren. So verbreitete das Informationsministerium (homepage HYPERLINK https://www.serbia-info.com/news/1999-04/08/10628.html) am 8. April 1999, eine NATO-Brigade der "kriminellen NATO" bestehend aus 1500 deutschen Soldaten habe ihr Lager in Petrovac verlassen und sei unter Hinterlassen ihrer Waffen nach Griechenland geflohen. Am 22. April 1999 verbreitete das jugoslawische Ministerium auf der gleichen homepage, NATO-Truppen seien mit Unterstützung ihrer Mütter, die sie mit ziviler Kleidung versorgt hätten, nach Griechenland in dort wartende Taxis desertiert. Betroffen seien französische, italienische, deutsche und holländische Truppen. Eine genaue Anzahl Deserteure könne nicht genannt werden, weil die NATO-Kommandeure es "wie erwartet"ablehnten, diese Frage zu diskutieren. Jugoslawien meldet laufend "Verluste",die die NATO erlitten hätte. So werden am 22. April 1999 insgesamt 81 tote NATO-Soldaten gemeldet, die seit Kriegsbeginn gefallen seien. Seit Beginn der Luftangriffe verbreitet die jugoslawische Agentur regelmäßig Meldungen über angebliche Abschüsse von Flugzeugen der NATO. Tatsache ist, daß die NATO am 27. März 1999 mit einer F-117 notlanden mußte und am 2. Mai 1999 eine F 16 über Westjugoslawien verloren hat. Am 28. April 1999 wurde der jugoslawische Generalstabschef auf der Internetseite des jugoslawischen Informationsministeriums zitiert: "Seit Beginn der NATO-Agression gegen Jugoslawien am 24. März 1999 hat die jugoslawische Armee 46 Flugzeuge, einschließlich eines Spezialflugzeuges F-117A, sechs Hubschrauber, acht unbemannte Flugkörper und 182 Cruise missiles abgeschossen." Am 17. Mai 1999 wurden diese Phantasiezahlen "aktualisiert" und von Milosevic bekannt gegeben, die jugoslawischen Streitkräfte hätten inzwischen etwa 85 Flugzeuge, zehn Hubschrauber und viele Drohnen sowie über 200 cruise missiles abgeschossen. Deutsche Agenturen zitierten TANJUG am 24. März 1999 mit einer Abschußmeldung, am 29. März 1999 (zwei angebliche Abschüsse), am 5. April 1999, am 5., 24. und 26. Mai 1999 (wieder zwei Abschüsse). Alle diese sogenannten Abschußmeldungen waren falsch! Gezielt werden auch Meldungen eingesetzt, die behaupten, albanische Flüchtlinge würden nach Ankunft in den albanischen Flüchtlingslagern gewaltmäßig für die UCK rekrutiert (Internet vom 25. April 1999).
Am 26. Mai 1999 stand unter der serbischen Internetadresse https://www.pancevo.co.yu/agresija/nato_gubici.htm: Seit Beginn der Luftangriffe der NATO am 24. März 1999 seien 75 Flugzeuge durch die serbische Armee abgeschossen worden. Die gesamte Karte (siehe unten) ist typisch für die serbische Desinformation.Sie zeigt, daß Milosevics Regime die eigene Bevölkerung von der Kampfkraft der serbischen Streitkräfte überzeugen will, die in der Lage seien, erfolgreich NATO-Flugzeuge und -Hubschrauber zu zerstören.Serbische Propaganda: Original Web-Seite
unabhängige Berichte
Die niederländische Initiative 'Help B 92' hat sich die Vermittlung von Berichten unabhängiger Journalisten aus Jugoslawien und dem Kosovo vorgenommen. Unter der Adresse https://helpb92.xs4all.nl/index1.html versucht sie, die Zensur zu umgehen und Licht in das Propaganda-Dunkel zu bringen. Sie will dem unabhängigen Belgrader Radiosender B 92 und anderen bei der Nachrichtenübermittlung helfen. Obwohl der Sender kurz nach Kriegsbeginn geschlossen wurde, ist B 92 weiterhin über die Datennetze zu erreichen. Auf der Homepage https://www.b92.net sind aktuelle Nachrichten nachzulesen und Bilder zu sehen, die beispielsweise Explosionen in Belgrad zeigen Außerdem finden sich Pressemitteilungen beispielsweise der ANEM, der Organisation unabhängiger elektronischer Medien in Jugoslawien, in denen etwa Verletzungen der Pressefreiheit angeprangert werden. Eine Augenzeugin aus Belgrad stellte einen E-Mail-Bericht über die Bombenangriffe bereit, in Audio-Dateien berichten Journalisten aus den Grenzgebieten. 'Im Dorf Globocice bei Kacanik an der Grenze zu Mazedonien gibt es keine Albaner mehr. Alle flohen vor der Armee über die Grenze (nach Mazedonien) und fanden in den Dörfern in der Nähe von Tetovo Zuflucht', berichten Mitarbeiter eines Fernsehteams mit Namen Art TV.
Auch die unabhängige jugoslawische Nachrichtenagentur Beta berichtet im Internet. Unter https://www.beta-press.com gibt es Nachrichten und Hintergründe. Die Kontaktaufnahme bleibt jedoch auch über das Internet offensichtlich schwierig: Wie 'Help B 92' berichtet, ist es unklar, inwieweit die jugoslawischen Machthaber neben den Telefonen auch den E-Mail-Verkehr überwachen. Den Journalisten sei offiziell jede Kontaktaufnahme mit ausländischen Medien verboten. So müssen Interessierte auch auf andere Nachrichten zurückgreifen. Eine Initiative 'Crisis Center to stop Nato' ruft unter https://www.yu zu weltweitem Protest gegen die Luftangriffe auf. Wer sich auch für militärische Details interessiert, kann dieInternet-Seiten der Federation of American Scientists (FAS) besuchen. Eine Gruppe von Militäranalysten hat dort eine umfangreiche Quellensammlung (https://www.fas.org/man) angelegt, die von Kartenmaterial über Strukturen der serbischen Militärs und der Nato bis zum Wetterbericht für Belgrad reicht.
Frankreich
Am Montag, 12. April scheint die Hilfsbereitschaft der Franzosen zu erwachen. 'Flüchtlingshilfe - die außergewöhnliche Mobilisierung der Franzosen' schreibt zum Beispiel die Regionalzeitung Le Parisien als Aufmacher über einem großen Farbfoto. Vier kleine Albaner, die Arme voller Lebensmittel, strahlen vor Glück. Sämtliche Zeitungen veröffentlichen Spendenkontos und Anschriften von Hilfsdiensten, die Solidaritätswelle sei geradezu 'historisch', meint das Rote Kreuz.
Die Frauenzeitschrift Elle kostet diese Woche 14 Francs statt 13. Der Verlag legt noch einen Franc dazu, pro verkauftem Exemplar fließen so umgerechnet etwa 60 Pfennig an einen Hilfsfonds für Kosovo-Flüchtlinge. L'Humanité kostet am 13. April gleich doppelt soviel wie sonst. Mit dem Aufpreis, 7 Francs, beteiligt sich die kommunistische Tageszeitung ebenfalls an der humanitären Hilfe.
Dies ist in der Balkan-Krise mit Sicherheit eine der wenigen Informationen,
denen man Vertrauen schenken darf. Die Großzügigkeit der Franzosen steht der
Hilfsbereitschaft der Deutschen in nichts nach, nur hat sie andere Wurzeln als die deutsche Erinnerung an Care-Pakete oder Westsendungen: nämlich die jetzige Erfahrung mit Massenarbeitslosigkeit, Armut und sozialer Ausgrenzung.
Seit in den Medien die 'humanitäre Katastrophe' im Vordergrund steht, seit Präsident Chirac und Premier Jospin im Fernsehen offiziell von gezielter Vertreibung durch den 'Diktator Milosevic' sprachen, seit der Schwerpunkt der Bildberichterstattung auf der Flüchtlingswelle liegt, seitdem hat sich die Einstellung der Franzosen zum Militäreinsatz gegen Milosevic geändert. In der ersten Kriegswoche verurteilte noch eine große Mehrheit der Bevölkerung die
'Nato-Luftangriffe in Jugoslawien'. Über die Verhandlungen in Rambouillet und deren Scheitern war zwar ausgiebig berichtet worden, aber es hatte in der Öffentlichkeit kein echtes Interesse hervorgerufen. Außerdem geschah am 24. März, an dem Tag, an dem der Nato-Lufteinsatz begann, das Unglück im Mont-Blanc-Tunnel.
Das Interesse der Öffentlichkeit wurde erst wirklich geweckt, als in der Nacht vom 2. auf den 3. April Bomben auf Belgrad fielen. Plötzlich wurde deutlich, daß in Europa Krieg geführt wird und daß Frankreich daran beteiligt ist. Der Schock war groß, die Ablehnung erreichte einen ihrer Höhepunkte. Zu den Kriegsgegnern gehörten bei weitem nicht nur Pazifisten.
Besonders heftig beschwerten sich die Kommunisten, aus ähnlichen Gründen wie die PDS in Deutschland. Anders als in Deutschland aber erhielten sie Unterstützung von breiten Fraktionen aus dem gesamten Parteienspektrum - und entsprechend in der Öffentlichkeit. Gemeinsamer Nenner der parteiübergreifenden Ablehnung: Anti-Amerikanismus. Die Schattierungen reichten von 'US-Imperialismus' bis zu 'Hegemonialbestrebungen' der Militär- und Wirtschaftsmacht USA, deren Opfer Europa - und ganz besonders Frankreich - sei.
Die Berichterstattung konzentrierte sich daher auf die innenpolitischen Auseinandersetzungen um die Rechtfertigung der 'amerikanischen' Luftangriffe und die Rolle Frankreichs (d.h. Europas) in Verteidigungsfragen. Die Dringlichkeit einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird erst jetzt allmählich thematisiert. Es hatte dabei den Anschein, als drohe nicht nur die Regierungskoalition, sondern das gesamte politische Gefüge Frankreichs auseinanderzubrechen. Hinzu kam, daß gleichzeitig Europawahlkampf herrschte, was die einzelnen Positionen zuspitzte und die Debatten noch weiter anstachelte
Wenige Tage später sieht alles anders aus. Meldungen zu den Luftangriffen laufen fast ebenso nebenher wie Börsenkurse. Berichtet wird über Vertriebene und Flüchtlinge im Kosovo. Plötzlich legitimiert die 'humanitäre Katastrophe' die Luftangriffe auf serbische Militäreinrichtungen. Umfragen zufolge befürworten drei Viertel der Franzosen (73 Prozent laut Ipsos-Le Journal du dimanche vom 11. April) die Nato-Luftangriffe, zwei Drittel (65 Prozent laut Ipsos, 63 Prozent laut Ifop-Dimanche Ouest France) plädieren sogar für den Einsatz von Bodentruppen, sollten die Luftangriffe nicht ausreichen, 'um die Massaker im Kosovo zu stoppen'. Die ausführliche Berichterstattung über Meinungsumfragen gehört ebenso zur Kriegsberichterstattung wie die Reportage vor Ort oder die Meldungen aus dem Nato-Hauptquartier. Das Thema 'Kosovo' - so der heutige Sprachgebrauch - bestimmt die Tagesordnung auch an der deutschen "Meinungsfront".
'Das Schlimme am Krieg ist, außer dem Krieg selbst, daß er uns nicht in Frieden läßt', so beginnt eine Glosse in Le Monde (9. April). Der 'Kosovo-Konflikt' verdrängt alles andere in den Hintergrund. Sämtliche Medien erzielen Rekordquoten. 14 Millionen Zuschauer schalteten am 25. März die Abendnachrichten des privaten Fernsehsenders TF1 ein. Zwar geht das offiziell auf das Konto 'Kosovo', aber an dem Tag kamen auch Bilder vom Mont-Blanc-Tunnel.
Die Balkan-Krise beherrscht die Medienaufmerksamkeit, am Gesamtvolumen der Nachrichten hat sich im Vergleich zu "Normalzeiten" kaum etwas geändert. Noch wird mit Sondersendungen sparsam umgegangen, doch das ändert sich in den folgenden Tagen: France 2 wiederholt den britischen Dokumentarfilm 'Death of Yougoslavia' (Brian Lanning), ARTE sendet Chaplins 'Diktator'. Auch eine Reihe von Talk-Runden ist dem Thema Kosovo gewidmet. Doch anders als beim Golfkrieg sind die Studiogäste diesmal vor allem Politiker. Militärexperten sind kaum gefragt. Sicherlich spielt eine Rolle, daß Frankreich sich nur in der Eigenschaft als EU-Mitglied an den Nato-Luftangriffen beteilig.
Wichtiger aber als Nationalstolz sind die Lehren des Golfkriegs. Damals wurde von Uniformierten mit Zeigestock vor Sandkästen mit Plastikpanzern Nachhilfeunterricht in Militärstrategie, dem die Zuschauer
bald fern blieben, erteilt. Daraus zog das Fernsehen zwei Lektionen: Hin und wieder darf man dem Zuschauer durchaus eine Karte oder ein Schaubild zumuten. Aber Militär darf kaum ins Bild. Insgesamt ist man vorsichtiger geworden.
Der Golfkrieg hatte deutlich gemacht, wie schwierig es geworden ist, bei der Berichterstattung aus Krisengebieten dem Spiel von Zensur, Propaganda und Gegenpropaganda zu entgehen. Diese weltweite Lektion hat man in Frankreich um so leichter behalten, als noch ein anderes Moment hinzukommt: der generelle Verdacht auf Manipulation. Eine Medienöffentlichkeit ohne Manipulation kann sich kein französischer Kommunikationswissenschaftler vorstellen.
Es herrscht auch in Frankreich ein großer Konkurrenzdruck. Aber anders als in Deutschland entsteht dieser Druck nicht durch die Menge der Informationsmedien (die ist in Frankreich weit geringer), sondern durch ihre Zentralisierung. Wenn A berichtet, muß ich, B, es auch, am besten, bevor C es tut. So bleibt kaum Zeit für Nachrecherchen oder eine sorgfältige Prüfung der Quellen.
Noch nie haben französische Medien - und zwar alle - so systematisch wie heute im Kosovo-Konflikt ihre Quellen zitiert, im Sinne der Relativierung und Distanzierung. Mehr noch, ebenso systematisch distanziert man sich davon: ob es sich um selbst gedrehte Augenzeugenberichte handelt oder um serbisches Bildmaterial oder auch um offizielle Nato-Quellen. Das Bewußtsein, daß in dieser Krise meinungslenkende Mechanismen ebenso zur Kriegsführung gehören wie Waffen, ist noch nie so klar formuliert worden.
So kann man erkennen, daß dieses weltweite Kursieren von Nachrichten auch als Mittel der Diplomatie eingesetzt werden kann.
Gleichzeitig machen die französischen Medien aus der Not eine Tugend. Denn Bildmaterial aus Belgrad und dem Kriegsgebiet gibt es nicht. Zwar haben sich einige Radio- und Zeitungsreporter hier und dort einschmuggeln können, sie berichten, was sie können; doch Bilder gibt es auch von ihnen nicht. Die einzigen Bilder liefern Nato, serbisches Fernsehen oder die wenigen Journalisten im Kosovo und in den angrenzenden Gebieten. Auch deshalb fokussiert sich die Bildberichterstattung auf Flüchtlinge. Gleichzeitig ist das fernsehgerecht. Überhaupt scheint sich eine Aufgabenteilung zwischen den Medien herauszukristallisieren: Nachrichten aus Belgrad, einen Überblick über Luftangriffe oder Vertreibungen sendet vor allem vormittags das Radio; es kommt ohne Bilder aus, und die Neuigkeiten kann man dort distanziert interpretieren. Die Fernsehnachrichten mittags und abends (es gibt in Frankreich zwei TV-Hauptsendezeiten) konzentrieren sich (wegen des Bildmaterials?) auf die Lage der Kosovo-Flüchtlinge. Die Zeitungen bemühen sich, den Hintergrund zu erhellen. Le Figaro und Le Monde, sind auch der eigentliche Ort, an dem Intellektuelle, Politiker und Experten ihre Debatten führen. Im Grunde entspricht das der üblichen Aufteilung des Nachrichtenmarktes.
Nur tritt im Laufe der Krise und des Kriegs die emotionale Komponente der Fernsehberichterstattung, die direkte Ansprache des Zuschauers deutlicher hervor als sonst. Neu ist allerdings die große journalistische wie menschliche Zurückhaltung den Flüchtlingen gegenüber. Dramatisierung, sonst im Fernsehgeschäft ein Muß, ist in dieser ernsten Stunde verpönt. Sicher liegt es daran, daß sich dieser Krieg in Europa abspielt. Entscheidender ist aber, daß er mitten im Europa-Wahlkampf ausgebrochen ist und dadurch eine neue innenpolitische Situation entsteht. Weit wichtiger noch ist, daß dieser Krieg in der breiten französischen Öffentlichkeit eine Katalysator-Funktion zu haben scheint, die sich unter anderem in der massenhaften Solidarität mit den Vertriebenen ablesen läßt. Der Schock darüber, daß - heute noch, und ausgerechnet in Europa - 'ethnische Säuberungen' geplant und durchgeführt werden können, begründet plötzlich eine ganz neue Identifizierung mit dem Gebilde Europa und läßt ein weiteres, gerade auch politisches Zusammenwachsen der EU als unumgänglich erkennen. Auch diese neue Grundstimmung in der französischen Öffentlichkeit wird allmählich von den Medien thematisiert, wenn auch vorerst noch ansatzweise.
Quellenangabe:
Fachinformationszentrum der Bundeswehr (FIZBw)
Friedrich-Ebert-Allee 34
20457 Hamburg
Http://www.bundeswehr.de |
Evangelischer Pressedienst
Postfach 500 550, 60394 Frankfurt/M.
Deutscher Journalistenverband e.V (DJV) |
|
Skalitzer Straße 101,
D-10997 Berlin
rog@berlin.snafu.de
Tel.: 49 - 30 - 615 85 85
Fax: 49 - 30 - 614 34 63
Http://www.rog.de
AP-Nachrichten - The Associated Press News Service(Aus den Nachrichtenseiten der Suchmaschiene YAHOO!)
Http://www.yahoo.de
"Der Krieg um Kosovo" Sonderdruck der Frankfurter Rundschau
Frankfurt an Main GmbH
Große Eschenheimer Straße 16-18
60318 Frankfurt am Main
Verwendet wurden Die Artikel: S. 11/Die Crux mit der Öffentlichkeit; S.10/Krieg und Wahrheit; S.4/Kosovo-Berichterstattung; S.3 Bis gestern war Krieg ein fernes Geschehen und "Jetzt hasse ich die Nacht"
Internetseiten Literaturkritik
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