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Die Erforschung des menschlichen Denkprozessses ist vermutlich das komplizierteste und umfangreichste Forschungsprojekt aller Zeiten. Zudem stellt sich dem Forscher ein grundlegendes Problem: Um herauszufinden wie gedacht wird, muß man eben nachdenken,
somit verschmelzen Forschungsobjekt und Methode miteinander, ähnlich wie wenn die Lupe durch die es betrachtet wird, Teil des Objekts wäre.
Gedanken sind im Allgemeinen kaum dem Willen unterworfen. Man kann sich zwingen etwas zu lesen, lernen, hören., wie es aber verarbeitet wird, darauf haben wir sehr wenig Einfluß.
Ebenfalls ist es nicht möglich, an irgend etwas Bestimmtes nicht zu Denken, z.B.: blaue Mäuse. Das Denkverbot selbst meißelt die Konturen der Maus in unser Gehirn.
Schon vor 2000 Jahren beschäftigten sich Philosophen und Denker mit dem menschlichen Denken. Die lange Zeit gültige Definition von Denken lautete: "Richtiges Denken beruht auf der sauberen Definition von Begriffen, und deren Kombination nach den Regeln der Logik." Als ideal der Denkvorgänge galt damals der Syllogismus des Aristoteles: "Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Also ist Sokrates sterblich." Nach dieser Definition wäre Denken ein systematisches und logische Schließen. Doch in Wirklichkeit ziehen wir ständig und unbewußt automatisierte Schlußfolgerungen, was auch die Pioniere der Künstlichen Intelligenz zu spüren bekamen, die meinten es genüge, einem Rechner eine ausreichend große Wissensbasis und die Begriffe der Logik beizubringen damit er die natürliche Denkweise des Menschen nachahmt.
Die Denkweisen wurde am Ende des 19. Jhdt. hauptsächlich durch Selbstbeobachtung zu erforschen versucht, erst im frühen 20. Jhdt. führten Psychologen wie Max Wertheimer, Wolfgang Köhler und Karl Duncker Experimente an Versuchspersonen durch, die sie baten schwierige Aufgaben zu lösen, und dabei laut zu Denken. Der eigentliche Lösungsweg blieb
stets unbewußt.
Vor allem die Psychologen Amos Tversky und Daniel Kahneman entlarvten die menschliche Tendenz logische Regeln zu ignorieren, und wiesen sie in einer Reihe von Experimenten nach. Zu diesem Zweck konfrontierten sie Versuchspersonen mit folgendem Problemen:
Die VP sollte sich vorstellen, sie hätte eine Theaterkarte um 50 DM besorgt und verloren,
Die VP sollte sich vorstellen, die 50 DM für die Karte verloren zu haben.
In beiden Fällen betrug der Verlust 50 DM, dennoch würden die meisten Versuchspersonen nach dem Verlust des Geldes durchaus eine weitere Karte kaufen, nicht jedoch nach dem Verlust der ersten Karte. Demnach haben wir beim Verlust der Karte das Gefühl 100 DM verloren zu haben, die verlorenen 50 DM gehen hingegen auf ein anderes Konto.
Tversky und Kahneman gehen ebenfalls davon aus daß wir eher intuitiv und anschaulich Denken, als logisch. Wir kombinieren solange Eindrücke, bis wir ein einigermaßen plausibles Bild erhalten. Da es im Alltag sowieso oft am nötigen Wissen mangelt, um eine alle Faktoren in Betracht zu ziehen, ist ein intuitives Denken sogar treffsicherer.
In den meisten Situationen windet sich der Mensch meist anhand von Erfahrungen, die auf mentalen Modellen basieren, durch den Alltag. Der Kognitionsforscher Philip Johnson-Laird glaubt drei Grundmodelle unterscheiden zu können:
Die propositionalen Modelle, die Voraussetzung für das sprachliche Denken sind,
Modelle die abstrakte Analogien zur Welt darstellen, und
Bildhafte Modelle, die wahrnehmungsänliche Vorstellungen liefern.
Es gilt also, das jeweils geeignetste Modell zu finden, um ein Problem zu lösen, oder überhaupt erst zu entdecken, außerdem ist es nicht unbedingt nötig alles zu wissen, solange man sich etwas bildhaft vorstellen kann. Zum Beispiel hatte Michael Faraday seine Theorie über die elektromagnetische Induktion entwickelt, ohne über die dazugehörigen mathematischen Kenntnisse zu verfügen.
Eine bei Forschern beliebte Aufgabe demonstriert, daß alles Denken mit Unzufriedenheit beginnt. Hierbei müssen 6 Streichhölzer zu 4 gleichseitigen Dreiecken geformt werden.
Die meisten VP's schieben als erstes die Streichhölzer wahllos herum um vielleicht zufällig, mit minimalen Aufwand und bekannten Verfahren auf die Lösung zu kommen. Danach resignieren sie, und beginnen mit dem expliziten Nachdenken, bis sie vielleicht auf die Idee kommen die dritte Dimension mit einzubeziehen. Kommen sie nicht darauf beharren sie oft noch lange auf das unnütze Denkschema. Ansonsten findet sich die Lösung fast immer von alleine.
Ebenfalls unterstützt wird dieses Schema von Ernst Bloch der meinte, daß produktives Denken stets mit dem überschreiten von Gewohntem zu tun habe. Ein Psychologentrick zeigt wie das schöpferische Denken durch Fixierungen gehemmt wird. Man gab der VP eine kleine Schachtel in der sich Reißnägel und eine Kerze befanden und trug ihnen auf, die Kerze so an der Wand zu positionieren, daß man sie für optische Experimente nutzen konnte. Auf die Idee zu kommen die Schachtel an die Wand zu pinnen und die Kerze darauf zu stellen, dauerte viel länger als wenn man alles einzeln bekam, da man erst die Fixierung der Schachtel als Behälter lösen mußte.
Ebenfalls bedenklich ist laut Tversky und Khaneman, daß Unwissen unterbewußt durch Beliebiges ersetzt wird. Bei einem Versuch mußten VP's die Zahl der afrikanischen UNO-Mitgliedsstaaten schätzen, während der Versuchsleiter ein Rad mit den zahlen von 1 bis 100 drehte. Die geschätzten Zahlen waren um so höher, je höher die gedrehte Zahl war. Dieses Phänomen nennt man "Ankereffekt".
"Mach doch mal Pause !", ist eine der besten Denkhilfen, für den der nicht mehr weiter weiß.
Wahrscheinlich weil es eine Art produktives vergessen gibt. Bei verminderter Aufmerksamkeit lösen sich Fixierungen und Ankereffekte auf, und es kommt zu einem kreativen Chaos. Es werden Assoziationen gebildet, Gedächtnisfetzen werden verknüpft, und irgendwann kommt es zu einem "Aha"-Erlebnis. Außerdem bieten Pausen die Chance ein Problem durch Resonanz zu klären. Das kann ein Poster mit Pyramiden seien, oder auch unterbewußt durch die Form des Raumes zustande kommen.
Eine hilfreiche Wirkung der Resonanz ist es Analogien zu entdecken. Wenn man z.B.: einen Hammer nicht findet, beschränkt man sich bei der Suche nach Eigenschaften wie "Härte" und "Schwere", und entdeckt dabei vielleicht einen Ziegelstein, mit dem man den Nagel in die Wand schlagen kann.
Es gibt acht elementare Punkte um Analogien zu finden:
Zergliederung eines Sachverhalts,
Erfassung von Eigenschaften,
Entdeckung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden,
Ordnen nach bestimmten Kriterien,
Abstraktion, also Begrenzung auf das Wesentliche,
Verallgemeinerung,
Klassifizierung und
Konkretisierung.
Der Psychologe Dietrich Dörner behauptet darüber hinaus diese Punkte auf "Aktivieren", "Hemmen", "Verknüpfen" und "Entknüpfen beschränken zu können".
Im 6. Jhdt. v. Chr. hat der griechische Philosoph Parmenides dazu aufgerufen dem Denken gegenüber der Wahrnehmung den Vorrang zu geben, denn diese sei trügerisch. Doch aktuelle Studien legen nahe auch den Gedanken zu mißtrauen. Viel zu leicht gibt man sich mit nur halbwegs plausibel klingenden Lösungen zufrieden. Somit ersparen uns weder Wahrnehmung noch Denken die Zweifel an der Richtigkeit unseres Handelns. Der Mensch steht nun vor einem Dilemma: Einerseits kann er ohne Denken nicht verantwortungsvoll leben, andererseits ist das Denken leider höchst fehleranfällig.
© 1998, Georg Wiltschek
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