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Die Macht der Boulevardpresse anhand von Heinrich B lls Die verlorene Ehre der Katharina Blum"
Die Zentralfigur dieser Erz hlung ist eine junge Haushälterin. Diese Frau verliebt sich in einem Mann, der ein von der Polizei gesuchter Rechtsbrecher ist. Sie verhilft ihm zur Flucht. Daraufhin erscheinen in der ZEITUNG" Berichte, in denen Katharina als Mörderbraut denunziert wird. Sie ist der andauernden Hetze nicht gewachsen und erschie t in unerwarteter Gegenwehr den f r diese Berichte verantwortlichen Journalisten. Die Erz hlung konstruiert Schritt f r Schritt die Vorgänge der drei relevanten Tage.
Die Rentabilit t einer Boulevardzeitung, hier ZEITUNG, steigt mit der Höhe der Auflage. Wenn die ZEITUNG von m glichst vielen Leuten gekauft und gelesen werden soll, so muß sie sich konsequent dem Leserverhalten des Normallesers anpassen. Diese Anpassung hat die ZEITUNG im inhaltlichen wie im sprachlichen Bereich vollzogen.
Bereits die ersten Schlagzeilen offenbaren die Strategie der ZEITUNG: Sensationalisierung des Geschehens. Die Vermutung der Polizei, Katharina geh re einer anarchistischen Gruppe an, gibt der ZEITUNG die M glichkeit, das Geschehen zu einer Story auszuweiten. Da sie um das schnell erlahmende Interesse ihrer Leserschaf weiß, verwendet sie gezielt Verleumdungen und Übertreibungen, um das f r den Verkaufserfolg wichtige Interesse wachzuhalten. Katharina wird zur
Mörderbraut" abgestempelt, die ihren bescheidenen und zufriedenen Ehemann böswillig verlassen hat. Durch Kontrastisierung erreicht die ZEITUNG Parteinahme der Lesers f r den sympathisch dargestellten, bemitleidenswerten Brettloh, in gleichem Ma e erzeugt sie Ha gef hle gegen die
"skrupellose" Katharina, was zur Emotionalisierung der Leserschaft führen mu . Aggressionen werden freigesetzt zum zugleich auf ein der Zeitung verdächtiges Objekt oder eine Zielgruppe gelenkt (Kommunisten).
Um Zweifel an der Echtheit ihrer Behauptungen auszuräumen zitiert die ZEITUNG hauptsächlich Aussagen aus dem Bekanntenkreis der Katharina Blum. Passen diese Aussagen nicht in das vorgefertigte Bild, werden Zitate verdreht, entstellt oder total verfälscht. In der Bewertung der Verhaltensweisen der beteiligten Personen enthüllen sich gesellschaftspolitische Vorstellungen um Intensionen. K nstlich wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen dem Fall "Blum" und der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Katharina wurde zur Mörderbraut, weil sie mit Kommunisten verkehrte. Die Leserschaft vollzieht die von der ZEITUNG gew nschte Assoziation: Sozialismus = Verbrechertum! So wird ein Freund-Feind-Verhältnis aufgebaut: "Freund gleich kapitalistische Gesellschaftsordnung, Feind gleich sozialistische Gesellschaftsordnung".
Bewu t werden auf diese Weise politische Angste heraufbeschworen, aber gleichzeitig . auch die
Entlastungsmechanismen geliefert "
Schlie lich verletzt die ZEITUNG fortw hrend das oberste Gebot der Nachrichtenübermittlung: Die Trennung von facts und opinions ! Sie vermischt Fakten mit Meinungen, spricht von unumst lichen Fakten" die in keiner Weise vorhanden sind von dem "Banditen" G ttinen, der "undurchsichtigen Vergangenheit" Katharinas. Stetig vergr ert sich der Zwiespalt zwischen sachlichem und berichtetem Geschehen; aus dem Räuberliebchen" wird die Mörderbraut , aus dem Bundeswehrdeserteur G tten ein Bandit, Räuber und Mörder, die Wohnung Katharinas gar zu seinem Waffenumschlagplatz . Diese Verfahrensweise bringt es mit sich, daß den Lesern das Ordnen, Sichten und werten der Ereignisse im voraus abgenommen und damit ihre Meinung in dem gewünschten Sinne gesteuert wird. Folgerichtig bleiben eindeutig festzustellende Irrt mer und Falschmeldungen in der Berichterstattung unkorrigiert. Darüber hinaus weiß man um die Wirkungslosigkeit von möglicherweise erzwungenen Gegendarstellungen, und so kann man sich der Wirksamkeit der eigenen Berichterstattung gewiß sein.
Um bei ihrer Leserschaft anzukommen, pa t sich die ZEITUNG konsequent ihrem Sprach- und Leseverhalten an: Durch fettgedruckte Schlagzeilen, die der Normalleser zuerst sucht, erweckt sie das Interesse des Zeitungslesers.
Die Sprache der ZEITUNG bewegt sich beinahe durchgängig auf dem Sprachniveau der angesprochenen Leserschaft. Bezeichnend ist die Verwendung von Schlagwörtern, grammatikalischen Verkürzungen
"Mörderbraut verstockt ",
einfachem parataktischem Satzbau ,
Die Blum erhielt regelm ig Herrenbesuch. War ihre Wohnung ein Waffenumschlagplatz ? Wie kam sie an eine Eigentumswohnung? War sie an der Beute beteiligt? Polizei ermittelt weiter"
Nominalstil
M rderbraut - Kein Hinweis auf G s Verbleib - Gro arlam
sowie der Gebrauch von umgangssprachlichen Redewendungen
Diese konkrete Sprache spricht den Leser der ZEITUNG an. Sie erleichtert ihm das Verständnis, denn es ist seine Sprache. Besondere Wirkung muß naturgem ß denn erzielen, wenn ein Zeitungsleser selbst zu Wort kommt. So bietet sich der ZEITUNG der Arbeiter Berettloh geradezu an, durch ihn ihren Lesern die angestrebte Bewußtseinslage vermitteln zu lassen. Brettloh wird verstanden , wenn er feststellt "Jetzt weiß ich endlich, warum sie mir tritschen gegangen ist. Warum sie mich sitzengelassen hat. Das war's also, was da lief" Bereitwillig nimmt er den gutgemeinten Rat Brettlos an, sich zu hüten vor sozialistischen Ideen die das Zusammenleben zweier Menschen zerst ren.
Eine derart breite analysierende Erz hlung, die die Arbeits- und Verfahrensweise einer Boulevardzeitung zum Gegenstand hat, stellt naturgem ß die Frage, ob hier Dichtung oder Wahrheit, fiktionale Realit t vorliegt. Unmi verständlich nimmt der Autor bereits im Vorwort dazu Stellung:
Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ahnlichkeiten mit den Praktiken der "Bild" Zeitung ergeben haben, so sind diese Ahnlichkeiten weder beabsichtigt noch zuf llig, sondern unvermeidlich.
Diese direkten Hinweise bedurfte es allerdings nicht. Zweideutigkeiten in der Namengebung -
"Bildjournalist" Adolf Schönner, die Ausgaben der ZEITUNG und der SONNTAGSZEITZUNG (Bild und Bild am Sonntag . Anhand dieser Parallelen lä t sich leicht feststellen, daß hier auf literarischen Wege mit der Sensationspresse abgerechnet, d h. deren Strategien ins Licht gerückt und dem Leser der Erzählung bewu t gemacht werden sollen. Besonders angesprochen ist hier der Branchenführer, die vom Springerkonzern verlegte millionenfach gelesene Bild Zeitung .
Unverkennbare Ahnlichkeiten zwischen Zeitung" und "Bildzeitung" offenbaren sich, vergleicht man die in die Erz hlung einger ckten fiktionalen Zeitungstexte mit Ausgaben der wirklichen "Bild Zeitung . Hier wie dort wird mit Balken berschriften, grammatikalischen Verkürzungen und umgangssprachlichen Redewendung auf formal-sprachlicher, Übertreibungen bis zur Sensationalisierung auf inhaltlicher Ebene. Bewu t passen sich diese Art Zeitungen dem Leseverhalten des Normallesers an, der durch schockierende Titel, durch angebliche oder tatsächliche Sensationen und Greueltaten st rker als durch trockene Fakten aus Wirtschaft und Politik angesprochenen und so zum Kauf der Boulevardzeitung gereizt wird.
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