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Die Neue Sachlichkeit
Die literarische Str mung der Neuen Sachlichkeit fand ihren Anfang etwa 1920 - indem sie allm hlich den Expressionismus als seine Gegenbewegung ablöste - und endete formal mit der Machtergreifung Hitlers. Es ist jedoch keinesfalls so, dass die Machtübernahme der Nationalsozialisten und ihre Kulturregelung ab 1933 eine prinzipiell neue Lage schafften.
Die Neue Sachlichkeit vollzieht einen radikalen Bruch mit dem im 19. Jahrhundert vorherrschenden
Bild vom Menschen als Gefühlswesen und Individuum. Aber nicht immer bedeutete die Neue Sachlichkeit einen wirklichen Bruch mit der Tradition des Irrationalismus. Kästners Fabian zum Beispiel ist zwar vom Thema her "sachlich" die wirtschaftliche, politische und moralische" Krise wird durchleuchtet), aber in dem Ma e, wie der Autor die Katastrophe als unabwendbar, dem rationalen Zugriff entzogen darstellt, steht auch dieser Roman, trotz seiner sozialkritischen Aussage, in einer Entwicklung, die dem bürgerlichen Irrationalismus verpflichtet ist. Die Sachlichkeit", die Abwendung vom Emotionalen und von der realit tsfeindlichen Tradition des Asthetizismus, f hrte zu einer facettenreichen, ja widersprüchlichen Darstellung der Sache, der Wirklichkeit. Denn die Vorstellung von "Wirklichkeit , der man sich nun erneut zuwandte, hatte in den letzten Jahren eine so weitgehende Ver nderung erfahren durch Freuds Psychoanalyse, Einsteins Relativit tstheorie, durch die vom blo en Sein" ausgehende Existenzialphilosophie sowie durch die Verbreitung marxistischer Anschauungen , dass sich Literatur, die sich mit ihr auseinandersetzen wollte, notgedrungener Weise durch besondere Vielfältigkeit, je nach Standpunkt und Zielsetzung des Autors, auszeichnete. Die neue, vielschichtige Auffassung von Wirklichkeit zeigte sich wohl am unmittelbarsten in Döblins Berlin Alexanderplatz.
Die Autoren der Neuen Sachlichkeit entwerfen sachliche" Typen, die zwar Gef hle haben, aber sie kaum artikulieren dürfen. So entstehen Romane, Erz hlungen, Dramen und Gedichte, in denen die Wirklichkeit nüchtern und objektiv dargestellt werden - sie werden nicht dadurch verfälscht, dass sie gleichsam durch das fühlende Herz eines individuellen Helden wahrgenommen werden. Der Wald wird als Wald dargestellt und nicht als Auslöser innerer Erlebnisse (z. B. Liebe oder Selbsterkenntnis . Die Literaten fühlen sich an ihre Zeit gebunden und beschreiben sie in ihren Texten. Es geht ihnen um die Darstellung der wirtschaftlich-sozialen Realität und der Befindlichkeit einer ganzen Generation.
Sie schreiben über die Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges (Zweig, Roth), über die Industrie der
Weimarer Republik (Jung, Reger), ber die Angestellten" (Kracauer, Keun, Fallada, K stner, Flei er) und ihre Lebensweise. Sie bejahen das mechanische Zeitalter, den technischen Fortschritt und zeigen Menschen, die mit der fortschreitenden Industrialisierung in Einklang leben - oder an ihr zerbrechen. Die Sprache der Neuen Sachlichkeit ist eine Alltagssprache, leicht verst ndlich und für jeden zug nglich. Es ist eine Sprache, die dem Verstehen der dargestellten literarischen) Wirklichkeit nicht im Wege steht. Die Werke zielen auf Massenwirksamkeit und bieten den Menschen in der Weimarer Republik l ngst überfällige Leitbilder für ein Leben in der modernen Massen- und Mediengesellschaft.
In der Weimarer Republik hatte zum ersten mal in der deutschen Geschichte eine Regierungsform die Mehrheit einer literarischen Öffentlichkeit auf ihrer Seite. Es war eine kritische Sympathie, denn man befürchtete, dass die allzu gro e Kompromissbereitschaft der Regierung gegenüber dem konservativen Militär und dem nationalistischen Rechtsblock den demokratischen Prozess behindern oder gar vereiteln könnte.
Bei der Strömung der Neuen Sachlichkeit, aber auch bei anderen Gruppierungen - zum Beispiel den nationalliberal, konservativ oder christlich Denkenden -, stellt man in der ersten Hälfte der 2 er Jahre eine schrittweise Aussöhnung mit westlich parlamentarischen Vorstellungen fest, die es ermöglichten, dass sie als "Vernunftrepublikaner" (Friedrich Meinecke) die politischen und gesellschaftlichen Ver nderungen, die der Sturz der wilhelminischen Monarchie bewirkt hatte, akzeptieren und die Republik als einen Schritt zu einer Gesellschaftsverfassung hin begriffen, wie sie der sozialen und politischen Situation im hochindustrialisierten Zeitalter angemessen war. Dass der Weg zu einer
Bejahung der demokratischen Prinzipien bisweilen eher gewaltsam verlief und die Ver nderung der Denkpositionen aufgesetzt blieb, lässt sich besonders deutlich an Max Webers (1 64 1 20) Spätschriften ablesen. Wie Hofmannsthal und Borchardt suchte Weber im Blick auf das 1 . Jahrhundert nach Lösungsmöglichkeiten für die aktuellen Gesellschaftsprobleme, doch war er aufgrund seiner analytischen F higkeiten als Soziologe und Kulturphilosoph für eine solche Aufgabe deutlich besser ausgestattet als die K nstler des alten" Konservatismus. In der Deutschen Demokratischen Partei setzte er sich f r eine Begrenzung der Parlaments- und Parteienmacht und auch für Elemente einer plebiszitären Präsidialherrschaft ein.
Auch Ernst Troeltsch (1 65 923) warnte in seinem Vortragszyklus Der Historismus und seine Überwindung geschrieben 1 20, veröffentlicht 19 4) vor einem Ausweichen in unzeitgemä e Totalitätsvorstellungen: Es liegt zunächst doch klar zutage, dass in jenen sehnsüchtigen Verherrlichungen des uns fehlenden Gemeingeistes viel sentimentale Phantastik und Schw che des Willens, viel Rückw rts- und Vorwärtsromantik enthalten ist " Was er unter dem Leitbegriff
Kultursynthese" vorschlug, war der Versuch, den Widerstreit von christlichem Normaldenken und der Einsicht in die durch den historischen Wandel bedingte Relativierung des Normativen zu überwinden. In der konkreten Nachkriegssituation bedeutete dies die Bereitschaft, sich zur Republik zu bekennen (wie dies Troeltsch bereits im Dezember 1918 in seinem Aufsatz Die Deutsche Demokratie unternahm) und zugleich die nachdrückliche Forderung nach Anerkennung überzeitlicher ethischer Normen im Staat.
Vernunftrepublikanisch dachte auch Troeltsch' Freund Friedlich Meinecke (1 62 954): Wir wurden
Demokraten, weil wir uns klar machte, dass auf keinem anderen Wege die nationale Volksgemeinschaft und zugleich die lebensfähigen aristokratischen Werte unserer Geschichte würden erhalten werden können" (aus Meineckes Einleitung zu den Spektator-Briefen). Darin war indirekt sein politisches Programm enthalten: St rkung der Exekutive und Bewahrung des im Kaiserreich Bewehrten vor einem vorschnellen Aussondern. Im vernunftrepublikanischen Denken war das Akzeptieren der sich zunehmend verfestigenden Verhältnisse nicht zu übersehen. Insofern stellte es den kulturphilosophischen Ausgangspunkt seiner Einstellung dar. Der Begriff Neue Sachlichkeit" war 925 von Gustav Friedrich Hartlaub für eine Kunstausstellung realistischer" junger Maler in Mannheim verwendet worden und setzte sich allgemein durch zur Bezeichnung der R ckkehr zur Nüchternheit nach dem expressionistischen Sturm. Eine Reduktion der Neuen Sachlichkeit auf eine ernüchterte Gegenbewegung zum emphatischen Expressionismus greift jedoch zu kurz. Die unter dem Begriff "Neue Sachlichkeit" zusammengefassten Tendenzen hatten durchaus verschiedene Begr ndungen. Die sozialistischen Künstler verstanden darunter etwas anderes als die bürgerliche Mitte. F r die Marxisten war es mehr als nur eine wirklichkeitsnahe Beschreiben; es sollte gleichzeitig auch ein Aufdecken der bestimmenden Gesellschaftsprozesse sein. Gemeinsam war aber allen Richtungen eine gewisse N chternheit in der Bestandsaufnahme der Fakten.
Die nicht zu übersehenden bejahenden Z ge einer Theorie der Neuen Sachlichkeit, die den Kulturbetrieb der 2 er Jahre positiv als Ausdruck zunehmender gesellschaftlicher Stabilisierung begriff und sich zugleich den aus Amerika kommenden Tendenzen in der Wirtschaft (industrielle Rationalisierung und Kommerzialisierung) anpasste, sollte jedoch nicht vergessen lassen, dass die Tendenzen, die Kunst zu funktionalisieren und dabei freie Form- und Sprachexperimente des Expressionismus in eine prorepublikanische Kunst einzubinden, in den späteren 2 er Jahren besonders wirksam waren.
Ein zentrales Problem in den Künsten seit der Mitte der 20er Jahre, das in der Realismus Debatte und auch in den speziellen Realismusvorstellungen einzelner Schriftsteller beispielsweise im Neuen Naturalismus" bei Döblin oder im "erweiterten Realismus" bei Broch) immer wieder aufgegriffen wurde, war die Frage, wie man zugleich der Aufgabe als Künstler in der Massendemokratie und doch auch den Anspruch, die erfahrene komplexe Wirklichkeit in einer angemessenen, historisch richtigen Darstellung zu verarbeiten, erf llen konnte. Massenwirksamkeit ohne harmonisierende Allgemeinheit, Einsatz für die Republik ohne kritiklose Stabilisierung des "Amerikanismus" in Wirtschaft und Gesellschaft - diese Aufgabe beschäftigte jene Künstler, die die philosophischen, wissenschaftlichen und politischen Tendenzen in der Weimarer Republik genau beobachteten. Sie mussten freilich lernen, dass die dafür am besten geeigneten, von der bildungsbürgerlichen Tradition unbelasteten Vermittlungsformen (Film, Presse und Rundfunk) sich ihren Zielen weitgehend verschlossen, sodass sie weiterhin auf traditionelle M glichkeiten (Buch und Theater) verwiesen blieben. Trotzdem übernahmen die neuen Medien Hörfunk und Tonfilm unweigerlich eine wichtige Aufgabe in der
Literaturvermittlung neben Buchdruck und Journalismus und ver nderten langfristig das
Rezeptionsverhalten.
Peter Huchel: Späte Zeit"
Das Gedicht Sp te Zeit" von Peter Huchel gehört zur Literatur der Weimarer Republik und ist ein typisches Gedicht der Neuen Sachlichkeit. Peter Huchel wurde 903 geboren und erlebte somit den ersten Weltkrieg zwar sehr bewusst aber nicht an der Front. Nach dem Krieg beteiligte er sich am Kapp Putsch (ein rechtsextremistischer gescheiterter Putschversuch gegen die Weimarer Republik) und wurde dabei verwundet. Daraufhin änderte er seine politische Haltung grunds tzlich und wandte sich vom Rechtsextremismus ab. Die meisten seiner Werke sind sehr Landschafts- und Naturbezogen, doch die Natur wird nicht romantisch dargestellt.
Peter Huchel untergliederte dieses Gedicht in vier Strophen. Die erste besteht aus vier Versen, die zweite aus drei und die letzten beiden aus je zwei Versen. In jeder Strophe wird eine beobachtete Erscheinung in der Natur angef hrt. Alle Erscheinungen werden darauffolgend mit dem Krieg in Verbindung gebracht. Pro Strophe wird eine in der Natur beobachtete Begebenheit genannt und mit einer im Krieg vorkommenden assoziiert.
Die trockene Gefühllosigkeit kommt sehr deutlich zum Ausdruck. Es werden keine Gedanken oder
Empfindungen des lyrischen Ichs genau geschildert, sie werden aber auch nicht au er Acht gelassen. Zumindest werden die Assoziationen zu den wahrgenommenen Tatsachen kurz genannt. Hiermit kommt auch die differenzielle Realit ts Wahrnehmung, mit der sich die Literatur der Neuen Sachlichkeit besonders intensiv auseinander setzt, zum Ausdruck.
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