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Michael Köhlmeier
'Telemach'
Dieser Roman des Vorarlberger Schriftstellers ist 5 erstmals in M nchen gedruckt und verlegt worden. Mit diesem erfolgreichen Buch festigte Köhlmeier seinen hohen Stellenwert als kreativer Romanautor im deutschen Sprachraum.
Die Erzählung bringt uns einen Teil von dem Homerischen Epos 'Die Odyssee' näher. Die Handlung wurde aber frei von Köhlmeier modifiziert und in die Gegenwart transferiert.
Telemach, der halbwüchsige Sohn des Odysseus und der Penelope, dem Königspaar der Insel Ithaka, ist sie zentrale Figur der Geschichte. Sein Vater ist noch immer auf der Heimfahrt von Troja und wird zur Zeit von der Nymphe Calypso aufgehalten. Penelope, die geduldig wartende Ehefrau, wird in ihrem Haus von einer riesigen Schar von dekadenten Freiern belagert. Telemach wird von der G ttin Pallas Athene aus seiner Untätigkeit gerissen. Zuerst schl pft sie in den Körper des Mentes von Taphos. Doch dieser wehrt sich gegen den göttlichen Eindringling. Athene besetzt deshalb den Körper des Lehrers Mentor des Telemachs. Gemeinsam mit der Hilfe von ihm und der Göttin erwacht der junge Königssohn und erkennt den Ernst der Lage. Denn seine Mutter wird von dem bekanntesten Freier Antinoos heftigst umworben und sie ist drauf und dran nacht zugeben. Bevor er sich auf die Suche nach seinem Vater begibt, erklärt er der schamlosen Meute seinen Plan. Diese schmieden daraufhin Pläne, Telemach bei seiner Heimkehr zu ermorden. Telemach und Mentor kommen zunächst nach Elis, wo der Jugendliche fast gefangen genommen wird von dem Zauber dieser Stadt. Doch Mentor schleppt ihn zu König Nestor nach Pylos, einem Kriegskameraden des Odysseus. Dort verfällt er der Tochter Nestors, Penelope, und schläft mit ihr, obwohl er in Ithaka eine Freundin hat. Der wohlwollende Nestor schickt Telemach mit seinem Sohn Peisistratos und einem Jeep und genügend Geld auf die Suche mit dem Tip, Menelaos in Lakadaimon aufzusuchen. Auf einer langen und ereignisreichen Reise, wo die beiden zu echten Freunden werden, erreichen sie die gigantische Gro stadt. Dort werden sie von dem berüchtigten, schwarzen Bandenk nig Meter, in den Pallas Athene eingefahren ist, zum alten, schwerkranken Kriegsveteranen Menelaos gebracht. Dieser macht nur Andeutungen über den mysteri sen Verbleib Odysseus. Die beiden jungen Erwachsenen verlassen dennoch optimistisch die Megacity. Das Ende bleibt offen.
Ich glaube, K hlmeier war beim Schreiben dieses Buches sehr daran interessiert, ein nicht allzu bekanntes Stück aus dem Epos zu nehmen, um es in unsere Zeit umzuwandeln. Er versuchte, großteils dem Original treu zu bleiben. Die Namen und die Städte blieben dieselben, obwohl er Vergleiche mit gegenwärtigen Personen und Orten sicherlich zuläßt, vielleicht sogar beabsichtigt. Bestimmt wollte der Schriftsteller auch am Beispiel der Freier zeigen, wie sehr eine Gesellschaft verkommen kann, die schon alles besitzt und noch mehr fordert. Er zeichnet auch ein zweischneidiges Bild von Antinoos, der ein Doppelleben führt. Am Tag ist er um Penelope bemüht und umgarnt sie zärtlich, des Nächten treibt er als gef rchtete Figur durch die Stadt und läßt der bösen Seite seiner Seele freien Lauf. Etwas, was auffällt, ist die nüchterne
Beschreibung von Ithaka einerseits und die bilderreiche Schilderung lebensfroher, quirliger Städte im Süden auf der anderen Seite.
Hier schließe ich irgendwie nahtlos zum vorigen Punkt an. Köhlmeier vermittelt ein sehr anschauliches Bild jener Welt, die er da in seinem Buch beschreibt. Es reicht von elitär und dekadent (Ithaka) über bunt, fröhlich und arm (Elis, Pylos) bis erdrücken, gewalttätig und berwältigend (Lakadaimon). Außerdem legt er besonderes Augenmerk auf die streitbare Pallas Athene. Er erzählt nicht nur vom lange andauerndernden Konflikt zwischen Athene und Hera, sondern auch von den Problemen, die sie hat, wenn sie als Göttin sich gewaltsam die Herrschaft über einen fremden Körper verschafft Mentes, Mentor, Meter). K hlmeier fand eben auch Parallelen, die es in der Gesellschaft des antiken Griechenlands gab und auch heute noch bei uns gibt. Er verband geschickt die verschiedensten sozialen Extrema von den Superreichen bis zu den ärmsten Schluckern. Auch die Beschreibung der Landschaften läßt fast nichts aus. In Ithaka schreibt er von einer fruchtbaren Gegend, in Elis erzählt er von maritimen Verhältnissen und Pylos bezeichnet er als W stennest. Lakadaimon könnte man als Sinnbild f r die moderne Großstadt sehen, wie Tokyo oder New York: gro , überf llt, voller Gewalt, abweisend und anziehend zugleich.
Der Erzähler läßt immer wieder die verschiedenen Personen sprechen. Hauptsächlich findet man Telemach und Mentor, aber auch Penelope, Antinoos und Pallas Athene nehmen aktiv an der Erz hlung teil. Der Autor wechselt fters und meistens nur f r geraume Zeit die Erzählebene und die Orte. Der Kern der Handlung wird so von unterschiedlichen Seiten her beleuchtet. Besonders interessant sind die Reaktionen der drei 'Opfer' der G ttin. Während der eine sie ablehnt (Mentes), will sich der zweite gar nicht von ihr trennen Mentor) und der dritte ignoriert sie vollkommen (Meter). Deshalb setzt hier K hlmeier gekonnt drei völlig verschiedene Charaktere ein. Aber besonders liebevoll und virtuos behandelte er seine zentrale Figur. Man merkt ganz deutlich das schnell voranschreitende Erwachsenwerden des königlichen Sproß. Je weiter fortgeschritten die Handlung ist, desto reifer verhält sich Telemach.
Ganz speziell im Ausdruck der diversen Figuren ist der Zeitsprung Antike -Gegenwart offensichtlich. Köhlmeier verwendet gängige Formulierungen der Jugend, läßt aber die älteren Figuren in altmodischer Weise sprechen. Natürlich kommen viele neuzeitliche Ausdrücke vor, weil es in der Antike noch kein Telephon oder keinen Jeep gab. Trotzdem bleibt die Erzählung des lyrischen Ichs stimmungsvoll und in der Art eines antiken Epos erhalten. Irgendwie wird man doch wieder dazu hingerissen, daß man glaubt, man sei in einer anderen Welt. Wirklich seltsam wirken die Berichte ber die trojanischen Kriege und dessen Umstände. In der heutigen Zeit würde das alles anders ablaufen, aber nicht minder grausam.
Beispiele: altertümliche Sprache: So wuchs die Sehnsucht nach ihrem Mann, und sie wurde zu einem Schmerz, den sie nicht mehr wollte, weil er so hoffnungslos quälte. Sie wollte ihren Mann. Sie war so neugierig auf ihn. Und war auch voller Mitleid mit ihm, sah ihn vor sich: verwundet, zerrissen, verlassen, mit m rbe geschlagenem Herzen. Einer, der ihres Trost bedurfte. Des Trostes und der Befriedigung bedurfte er
jugendliche Sprache: Als hätte er ihn nicht geh rt, wiederholte Meter seine Frage zu
Peisistratos hinüber: Willst du mir nicht erz hlen, was passiert ist, Bruder?'
Man hat uns den Jeep gestohlen', sagte Peisistratos.
So, einen Jeep habt ihr gehabt. Woher seid ihr denn?'
'Er aus Pylos, ich aus Ithaka', sagte Telemach.
Woher?'
'Er aus Ithaka, ich aus Pylos', sagte Peisistratos.
'Und Geld habt ihr auch keines?'
'War auch im Jeep', sagte Telemach.
Wo?'
'Im Jeep , sagte Peisistratos. Und unsere Pässe auch . mein Pa , sein Pa '
'Au, au, au!' machte Meter. 'Jeep, Geld, Paß . Schlecht, schlecht, schlecht '
Zunächst ist Telemach ein eher unscheinbarer, halberwachsener Mann, der in einer Welt für sich lebt. Doch kaum wird er sich seiner Fehler bewu t, steigt er aktiv in die Suche nach seinem Vater ein. Manchmal merkt man noch seinen Leichtsinn aber der Reifungsprozeß ist offensichtlich. Schließlich lernt er Verantwortung zu übernehmen und seine Gefühle auszuleben.
Mentor ist ein alter, desillussionierter vom Leben fast verlassener Mann. In seiner besten Zeit galt er als ein guter, weiser Lehrer, doch bereits bei Telemach merkt man seine altersbedingten Schwächen. Erst durch göttliche Eingebung (im wahrsten Sinne des Wortes!) wird er lebendig' und reißt das Ruder bei Telemach an sich. Gest rkt durch die vermeintliche Jugend schafft er beachtliche Dinge mit Pallas Athenes Hilfe. Penelope ist eine geduldige, treue Frau. Doch auch f r sie wird das Warten zur Belastungsprobe. Sie leidet unter der Sehnsucht nach Odysseus und nimmt sich daher beinahe einen anderen Mann (Antinoos). Trotzdem hat sie den Glaube an das Überleben ihres Mannes nicht aufgegeben und ihr graut auch vor der Bande der Freier in ihrem Hause.
Pallas Athene scheint hier eine äußerst starke und selbstbewußte Rolle zu spielen. Sie ist ebenso kühl, wie k hn und berechnend und auch besorgt und engagiert. Trotzdem verwendet sie ihren selbstlosen Einsatz als neues Mittel im Kampf gegen ihre Intimfeindin Hera. Außerdem Scheitert sie in gewisser Weise in dieser Geschichte und zieht anschlie end enttäuscht von dannen.
Das Buch ist weniger wegen seiner Spannung, als vielmehr wegen seiner Sprache eine Besonderheit. Sehr schöne, detailreiche Beschreibungen, witzige Dialoge und verschachtelte Ereignisse kennzeichnen das Buch. Ich glaube, daß es wichtig ist, sich vorher in die Materie um Odysseus einzulesen. Sonst kennt man sich vor lauter Namen und Nebenhandlungen und R ckblenden nicht mehr aus. Ein schöner Lesegenuß f r Anspruchsvolle, aber keines meiner Lieblingsbücher.
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