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Theodor Storm
'Der Schimmelreiter'
Der Autor
Hans Theodor Woldsen Storm wurde am 14. September 1817 in Husum als das lteste von dreizehn Kindern des Advokaten Johann Casimir Storm und seiner Gattin Lucie Woldsen geboren. Theodor verbrachte in der satten B rgerlichkeit des väterlichen Hauses eine sorglose Jugend. Das elterliche Haus mit seinen weitl ufigen R umen, die Wirtschaftsgeb ude und ein großer Garten der Urgroßmutter in der Husumerau waren zunächst die Welt, in der er manche stille Stunden verträumte oder als echter Bub mit seinen Geschwistern herumtollte. Der Garten hatte es ihm besonders angetan, da er noch im Jahre 18 7 in einem Briefe an Eggers schreibt: Ich war in meiner Heimat als Knabe und sp ter bis zur Auswanderung gewohnt, den Summer über ganz im Garten zu leben, jeden lieben Gedanken dort auszuspinnen, für jede Schwierigkeit der Arbeit nur dort die Lösung zu suchen ' Freilich waren auch das Meer, die Marsch und die Geest dem Knaben, der gerne in der Umgebung seiner Vaterstadt umherstreifte, nichts Fremdes. Die eigenartige Landschaft wirkte mit aller Macht auf den jungen Menschen, der dieses Stück Erde ber alles lieben lernte und tief unglücklich war, wenn er seine Heimat misse mußte.
Aber nicht alleine die weite Landschaft und die graue Stadt mit ihrer großen Vergangenheit waren es, die dem Jungen frühe Anregungen boten, sondern auch die mannigfaltigen Sagen und Märchen dieser Gegend, die seine Großmutter und ganz besonders die M rchenfrau' Lena Wies meisterhaft zu erz hlen verstanden.
Nach der Volksschule ging er auf eine Gelehrtenschule auf der er jedoch nicht sehr viel lernte, besonders auch in literarischer Hinsicht war er nur mangelhaft gebildet. In Lübeck erst vollendete er seine Gymnasialstudien und erlangte auch literarische Bildung. Auf Wunsch des Vaters studierte der Zwanzigjährige in Kiel, sp ter in Berlin zuletzt wieder in Kiel die Rechtswissenschaft).
Im Jahre 1843 kehrte Storm in seine Vaterstadt Husum zur ck, um sich dort als Rechtsanwalt
niederzulassen. Zwei Dinge sind es, die den Dichter in den folgenden Jahren maßgebend beeinflussen: die Liebe zu seiner Base Constanze Esmarch und die Schönheiten der Heimat. Neben dem gro en Erlebnis der Liebe war es die Sch nheit der Natur, die den Dichter formte. Die reiche Marschlandschaft in ihrer Einfachheit und Gro artigkeit zugleich, das Meer und die Heide wurden in dieser Zeit von Storm entdeckt und, wenn auch noch mit unzul nglichen Mitteln, lyrisch dargestellt. Episch zu gestalten f hlt sich der Dichter noch zu unsicher, seine ersten Erz hlungen sind einfache Bilder aus dem bürgerlichen Leben.
Im Jahre 1880 bezog der Dichter seinen Ruhesitz, um hier gerade seine bedeutendsten Novellen, als
letzte und schönste den Schimmelreiter, zu schreiben. Öfter verließ er Hademarschen um seine Verwandten und Freunde in Berlin, in Weimar, vorallem aber in Husum zu besuchen. Sein siebzigster Geburtstag bracht ihm zahlreiche Ehrungen aus allen Teilen Deutschlands. Bald darauf warf ihn ein b ses Krebsleiden, an dem er schon lange litt, endgültig nieder. Am 4. Juli 1 88 verließ ihn das Leben, das er sosehr liebte. Wenige Tage sp ter wurde der tote Dichter nach Husum gebracht, um in der Familiengruft beigesetzt zu werden.
2) Das Werk
Einst reitet ein Mann von seinen Verwandten weg in die Stadt, um dort Geschäfte zu t tigen. Er reitet an einem nebeligen Nachmittag. Die Landschaft sieht grau und verschwommen aus. Sein Pferd trabt mit ihm einen Deich entlang. Plötzlich ist ihm als komme ihm ein Reiter entgegen, und wenig sp ter vermeint er eine Gestalt mit gl henden Augen auf einem Pferd zu erkennen; aber weder Hufschlag noch Keuchen des Pferdes sind zu vernehmen. Noch ein zweites Mal sieht der Reiter die Spukfigur, dann bleibt sie verschwunden. Wenig sp ter kommt er in einen Gashof, in dessen Stube der Deichgraf und die Gevollmächtigten eine Versammlung abhalten. Der Neuank mmling erzählt sein Erlebnis vom Deich. Pl tzlich meint einer, daß dies nur der Schimmelreiter gewesen sein k nne.
Neugierig geworden fragt er was für eine Bewandtnis es mit dem Schimmelreiter habe. Auf
Aufforderung des Deichgrafen hin beginnt der Schulmeister zu erzählen:
Einst leben ein Mann, der im ganzen Dorf der weitaus Gescheiteste war, und sein Sohn in einer kleinen Kate. Der Vater, Tede Haien, maß und rechnet oft an den langen Winterabenden, wobei ihm sein Sohn Hauke zusieht, wohl manchmal auch etwas fragt. Die Antworten darauf muß sich der Junge, da es sein Vater selbst oft nicht recht wei , aus einem alten holländischen Mathematikbuch suchen. Hauke lebt nun nur mehr für die Geometrie. Um seinen Sohn auf andere Gedanken zu bringen schickt ihn Tede Haien zu den Deicharbeitern. Hauke aber l ßt sich die Freude an seiner Lieblingswissenschaft nicht nehmen.
Als es Winter wird und die Arbeiten am Deich eingestellt sind, geht Hauke oft auf den Deich hinaus und beobachtet stundenlang die an dem Deich nagenden Wellen. Stets kommt Hauke erst nach langer Zeit zur ck und wird deshalb von seinem Vater hart ausgescholten. Eines Abends ist er wieder auf den Deich hinausgegangen, da sieht er den Nebel gespenstisch ber den Eisspalten wogen. Hauke fürchtet sich nicht, denn er wei , daß es bloß der aus den Spalten aufsteigende Rauch ist.
Hauke lebt sehr zurückgezogen. Er hält Freundschaft mit dem Angorakater der alten Trin Jans. Eines Tages hat er einen Eisvogel gefangen und will das Tier nicht wie gewöhnlich dem maunzenden Kater überlassen. Doch die Katze entreißt ihm die Beute. Voll Wut erwürgt Hauke das Tier und wirft es gegen die Kate der Alten. Nachdem Tede Haien von der Tat seines Sohnes in Kenntnis gesetzt wird, meint er Hauke müsse sich um einen Arbeitsplatz umsehen, denn für zwei Herren sei die Kate zu klein.
So geht Hauke zum Deichgrafen Volkerts und verdingt sich als Kleinknecht. Die Tochter seines Brotgebers, Elke nimmt ihn oft vor dem Großknecht Ole Peters in Schutz. Hauke muß des öfteren in der Stube seines Herrn seine Rechenkünste unter Beweis stellen. Hauke steht in allen Amtsgesch ften dem Deichgrafen zur Seite. Die Differenzen zwischen Hauke und Ole werden immer größer. Im Frühjahr beim Eisboseln' ist es sogar schon so weit, daß Ole Peters den Eintritt Haukes in die Mannschaft der Marschleute verhindern will. Doch Ole Hensen setzt schließlich durch, daß Hauke mitspielen darf. Hauke erringt den Sieg für seine Partei.
Ein Jahr sp ter k ndigt Ole Peters seinen Dienst und heiratet Vollina Harders. Hauke rückt zum Großknecht auf. Doch er hat die Stellung nicht lange inne, denn sein alter Vater ist nicht mehr im Stande die Wirtschaft selbst zu führen. Tede Haien stirbt bald; doch hat er noch ein kleines Stückchen Grund zu seinem Besitz dazugekauft, welches er nun Hauke berl ßt. Hauke fühlt oft, daß er wohl der richtige Mann wäre wenn ein neuer Deichgraf gewählt werden müsse. Doch ist sein Grundbesitz für den eines Deichgrafen viel zu klein.
An dem Hochzeitstag einer Verwandten von Haiens sind Hauke und Elke zur Tafel geladen. Bei einer günstigen Gelegenheit schiebt Hauke Elke einen Ring, den er schon lange bei sich tr gt auf ihren Ringfinger. Damit ist eine Freundschaft fürs Leben besiegelt. Kurz darauf stirbt der alte Deichgraf. Bei dem Leichenmahle wird nun besprochen wer der Nachfolger sein sollte.
Jeve Manners, der Pate von Elke, schlägt Hauke vor. Doch man ger t in Bedenken wegen des Besitzes. Kurz entschlossen erkl rt Elke, daß sie Hauke heiraten wolle damit der nötige Grundbesitz vorhanden sei. So wird Hauke Haien der neue Deichgraf. Doch er hat mehr Feinde als Freunde.
Der Aberglaube der Leute wird dadurch gefördert, daß Hauke eines Tages einen halbverhungerten Schimmel mit nach Hause bringt, den er alsbald wieder völlig einsatzf hig gemacht hat. Es ist ein feuriges Tier, das sich nur von Hauke reiten l ßt. Doch das Knochengerüst von Jevershalling ist verschwunden und so glauben die Leute der Schimmel des Deichgrafen hänge irgendwie mit diesem zusammen.
Durch den neuen Deichbau, den Hauke entworfen hat, entzieht er sich die Freundschaft vieler im Dorf, denn zu seinem Plan muß viel mehr Erde angefahren werden als gew hnlich, und außerdem ist es um vieles teurer.
Im neunten Jahr ihrer Ehe geb rt Elke ein M dchen, das Wienke genannt wird. Leider ist die
Kleine nicht normal, doch sie wird trotzdem von ihren Eltern sehr geliebt.
Im darauffolgenden Sommer l t Hauke trotz verschiedener Gegenstimmen den alten Deich reparieren. Er rettet dabei einen kleinen gelben Hund der seiner Tochter mit der Möve 'Klaus' der liebste Spielgef hrte wird.
Oft reitet Hauke mit der kleinen Wienke auf den Deich hinaus, doch stets wird das Kind sehr ngstlich und verschreckt. Nach Neujahr hat das Marschfieber Hauke ergriffen. Als er wieder genesen ist, besteigt er seinen Schimmel um die Deiche zu inspizieren. Er berichtet das bei der nächsten Versammlung, doch da die Mehrzahl gegen einen Neubau des Dammes ist, f gt sich auch Hauke dem allgemeinen Beschluß.
Im Fr hjahr stirbt Trin Jans und wird auf dem Dorffriedhof begraben. Es werden in letzter Zeit viele fürchterliche Ereignisse berichtet, die auf ein grausiges Erlebnis vorbereiten sollen. Ende Oktober n mlich bricht während eines Sturmes der alte Damm und das Marschland wird verwüstet. Elke und Wienke w ren in ihrem Hause sicher gewesen, doch die Sorge um Hauke treibt sie hinaus wo sie beide ertrinken. Hauke hat das mit ansehen müssen ohne helfen zu können und stürzt sich verzweifelt in die Fluten. Nun vermeint man ihn in stürmischen N chten als unheilbringendes Gespenst zu sehen. Doch das ist Aberglaube '
So endet des Schulmeisters Erz hlung. Der Fremde bedankt sich und geht in sein Zimmer, um ausgeruht zu sein, wenn er am n chsten Tag seinen Ritt in die Stadt fortsetzte.
Interpretation
In diesem Werk wird besonders gut auf den Aberglauben der Menschheit eingegangen. Der Aberglaube dichtet der Gestalt des Deichgrafen die Aura des Unheimlichen an und bringt sein Lebenswerk in Verbindung mit Teufelsspuk und Gespenterseherei. Der Haß schl gt Hauke offen entgegen, als er mit Gewalt den Aberglauben unterdrückt, daß 'etwas Lebendiges' in den neuen Deich eingegraben werden müsse, damit er Bestand habe. Das Volk verknüpft sofort den geheimnisvollen Schimmelspuk auf Jeverssand mit dem mysteriösen Schimmelkauf des verdächtig freigeistigen Grafen. Nach Haukes Tod lä t die Sage den gespenstischen Schimmelreiter immer dann erscheinen, wenn Unwetter die Deiche bedroht.
Bei Storm steht der vieldeutige, rational nicht auflösbare Widerspruchscharakter des Lebens. Chiffre
dieses Schicksals ist eine Natur, die handelnd und bewegend in den Kampf eingreift; das Meer als elementarer Widersacher des Menschen, aufgetürmt in den tobenden Wellenbergen der Sturzflut, pr gt die Grundstimmung der Erzählung, jene Schwermut der friesischen Küstenlandschaft, deren magischen Bannkreis Hauke nicht durchbrechen kann.
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