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Veza Canetti
Die gelbe Strasse
Das Gute und das Böse wohnen dicht nebeneinander in der Gelben Straße, der Stra e der Lederhändler in der Wiener Leopoldstadt. Veza Canetti beschreibt diese knapp, prägnant anrührend oder mit bissigem Humor.
Der Unhold
Eines Tages, als die Runkel, eine schwerbehinderte Frau, von ihrer Dienerin im Kinderwaden ber die Stra e gefahren wird, berkommt sie eine solche Verzweiflung über ihr elendes Leben, daß sie sich wünscht von einem Lastwagen berfahren zu werden. Doch nicht sie, sondern ihr treues Diestmädchen Rosa wird von einem herannahenden Motorrad berfahren. Die Runkel bricht sich durch den Aufprall beide Arme.
Pilatus Vlk, in Iglau geboren und ledig, wohnt in der gelben Strasse Nr. 3 . Er geht jeden Tag zur gleichen Zeit außer Haus, in die Trafik und in das Restaurant. Er hat seinen Tag genau eingeteilt. Herr Vlk hat ein Auskunftsbüro beauftragt , ihn zu beobachten. Herr Vlk ist sehr benibel und genau und vor allem sehr eigen.
Die Trafik ist jeden Morgen der Treffpunkt aller Bewohner der gelben Strasse. Lina - die Trafikantin - ist
immer bemüht, alle Kunden zuvorkommend zu behandeln. Der dicke Lederh ndler versucht Lina zu
küssen, sie aber gibt ihm eine Ohrfeige. Daraufhin gehen anonyme Beschwerden bei Runkel, der Besitzerin der Trafik, ein. Sie kündigt Lina.
Alle Kunden sind schockiert und wollen Lina helfen. Schwester Leopoldine, eine ehemalige
Krankenschwester aus Kriegszeiten, heute Dienerin, möchte Unterschriften gegen die Kündigung sammeln. Knut Tell schlägt vor persönlich mit der Runkel zu sprechen. Alle Anwesenden gehen abwechselnd ins Seifengeschäft, welches ebenfalls der Runkel gehört und in dem sie den ganzen Tag hinter der Kasse arbeitet. Doch niemand, weder Knut Tell, noch die Gnädige ( eine feine Dame), die Hatvany, die rote Gusti, die Kohlenfrau, der Graf erreichen die R cknahme der Kündigung.
Der Oger
Herr Iger hat ebenfalls sein Geschäft in der gelben Strasse. Er kommt gerade mit seiner jungen Frau Maja von der Hochzeit zurück.. Maja ist enttäuscht von der Einzimmerwohnung.
Herr Iger ist zu allen Menschen sehr großzügig, nur zu seiner Frau nicht. Er schlägt sie sobald sie auch
nur einen Schilling zuviel ausgibt.
Da Maja aufgrund ihrer Ehe immer traurig ist, bedauern Alle ihren Mann, den ja jeder nur als hilfsberei- ten Menschen kennt. Maja bekommt einen Jungen. Einmal versucht sie die Scheidung einzureichen, als ihr Mann sie fast zu Tode schlug. Doch wegen dem Jungen zieht sie, nachdem sie zur Nachbarin geflüchtet war, wieder bei ihm ein. In der Nacht vergewaltigt er sie, Daraufhin bekommt sie ein Mädchen.
Als ihr Vater stirbt und er ihr ein großes Erbe hinterläßt, versucht Herr Iger mit allen Mitteln das Geld zu bekommen. Er wird nett, verspricht ein besseres Leben . Als alles nichts nützt, schreit er Maja wieder an. Doch Maja gibt das Geld nicht her.
Der Kanal
Die Frau Hatvany vermittelt 'Hausgehilfinnen'. Sie verlangt dafür die Hälfte des ersten Lohnes. Einen Wucherpreis! Abwechselt kommen alle Mädchen wieder zurück, da sie mit der Stelle nicht zufrieden sind. Mizzi Schaden bekommt eine Anstellung bei einer Baronin, diese verliebt sich in sie. Daraufhin kommt auch Mizzi wieder zurück. Nur Therese, die bei der Runkel zu arbeiten anfängt, ist zufrieden mit ihrer Stelle.
Die Hatvany ist mit den Mädchen, die sofort wieder von den vermittelten Stellen zurückkommen, natürlich unzufrieden. Sie schreit und meint, daß die Mädchen ins Wasser gehen sollen. Emilie Jaksch sieht dies als Wink des Schicksals an. Sie hatte schon davon gehört, daß junge Selbstm rderinnen Herberge in einem Obdachlosenheim und auch eine Stelle als Dienstmädchen bekommen. Daraufhin springt sie ins Wasser
und wird von einem Polizisten 'gerettet'. Das Geschäft der Hatvany wird aufgrund einiger Anzeigen zuge- sperrt.
Der Tiger
Frau Andrea wurde eigentlich wegen ihres Geldes geheiratet. In der Familie Sandoval fehlt es und daher ist der Sohn der Retter der Familie.
Frau Andrea bekommt eine Tochter, Diana, die zur Schönheit heranwächst. Herr Sandoval verliert das ganze Geld durch Fehlinvestitionen. Frau Andrea hilft der Familie, indem sie alle wertvollen Dinge verkauft. Als es nichts mehr zu verkaufen gibt, arbeitet sie als Klavierspielerin. Diana wird Bildhauerin. Frau Andrea bekommt eine Anstellung in einem Kaffeehaus. Der Besitzer, von allen 'Tiger' genannt, interessiert sich für Frau Andrea.
Tiger schließt mit Herrn Zierhut, dieser hatte ihm Andrea vorgestellt, eine Wette. Tiger ist der Meinung, daß jeder Mensch mit Geld 'zu haben' sei. Tiger lockt Andrea unter einem Vorwand ins Lusthaus. Doch Andrea, die glücklich verheiratet ist, bleibt hart, und ihrem Mann treu. Herr Zierhut ist darüber sehr erfreut. Diana, die nachgekommen ist, sehr froh.
Der Zwinger
Im Stiegenhaus sitzt Hedi, fünf Jahre alt, und spielt mit einer Geldbörse, gefüllt mit ausländischen Geld- scheinen. Hedis Mutter ist Bedienerin. Neben Hedi sitzt ein großer Hund, Grimm. Diesen haben sie von einem früheren Herrn, nach dessen Tod, Unterkunft gegeben.
Jeder , der vorbeikommt, versucht das Geld an sich zu bringen. Doch Grimm lä t niemanden an Hedi her- an. Ein Wachmann wird geholt, der das Geld in Gewahrsam nimmt. Hedi sagt dem Wachmann nicht, daß das Geld dem Bankier geh rt, da sie diesen nicht mag. Sie geht einen Stock h her ins Kinderheim, dort reden vornehme Damen über ein Fest, das sie veranstalten wollen. Das Geld soll zur Erhaltung des Kinderheimes verwendet werden. Hedi wird mit einer Geldbörse auf die Straße geschickt, um Geld zu sammeln. Als sie wiederkehrt bekommt sie ein Stück Kochschokolade als Belohnung.
Helli Wunderer sitzt traurig beim Fenster. Sie möchte heim zu ihrer Mutter. Hedi geht mutig zurück zur Geldbüchse, die bei den vornehmen Damen steht, nimmt Geld heraus und gibt es Helli, die daraufhin mit dem Zug zur Mutter fährt. Als Helli vom Heim vermißt wird, kommen viele Gerüchte auf. die einen mei- nen, daß sie ertrunken, die anderen, daß sie ermordet worden sei. Hedi erzählt alles ihrer Mutter, die ihr aber nicht glaubt.
In der gelben Straße ist jeder so entrüstet ber den 'Mord' an Helli, daß unaufhörlich anonyme Briefe bei der Polizei eingehen. Herr Vlk wird am stärksten verd chtigt, noch dazu, wo er einen Detektiv beauftragt hat, ihn zu überwachen. Als er verhaftet wird, tobt er , sodaß er in Steinhof eingeliefert werden mu .
Die Runkel erstickt mittlerweile unter einem zusammengefallenen Stapel in ihrer Wäscherei.
Herr Iger löst auf dem Wohltätigkeitsfest das Geheimnis um Helli. Er präsentiert sie stolz der erstaunten Menge. Die Menschen sind erbost und beschimpfen ihn und die kleine Helli. Die Spender wollen das Geld zurück. Herr Iger verschwindet und läßt die Helli alleine bei der erzürnten Meute.
Veza Canetti
Geboren 8 7 in Wien als Tochter eines Kaufmanns. Anstellung an einem Privatgymnasium als Lehrerin. Nach vier Jahren war die Schule heruntergewirtschaftet, seitdem Stundengeben und Übersetzungen. Erstes Buch Kaspar-Hauser Roman-wurde nicht veröffentlicht.
Sie gehörte zum engeren Kreis um Karl Kraus, stand aber gleichzeitig dem Austro- Marxismus nahe; Veröffentlichungen in der Wiener 'Arbeiter-Zeitung', im Malik-Verlag und in Exil-Zeitschriften; Übersetzerin aus dem Englischen (darunter Graham Greens 'Die Macht und die Herrlichkeit'); 9 4
Heirat mit Elias Canetti; Exil in London, wo sie 3 starb.
Veza Canetti war über Jahrzehnte hinweg literarische Ratgeberin ihres Mannes Elias Canetti.
Weitere Werke: Das Augenspiel
Die Blendung
Die Fackel im Ohr
Die gerettete Zunge
Das Gewissen der Worte
Masse und Macht
Der Ohrenzeuge
Die Provinz des Menschen Die Stimmen von Marrakesch Hüter der Verwandlung
Persönliche Gedanken :
Veza Canetti beschreibt das Leben in der gelben Straße . Damit meint Sie die Straße der Lederhändler in der Wiener Leopoldstadt.
Die Straße ist berflutet. Vor jedem Geschäft stehen Händler mit Lederwaren, die in hellem Gelb leuchten. Veza Canetti erzählt Dinge, die sich wirklich zugetragen haben. Wie beispielsweise die Familie Iger :
Herr Iger ist bei allen sehr beliebt. Er ist immer freundlich, hilfsbereit und großzügig. Nur nicht zu seiner eignen Frau! Er schlägt sie und rechnet ihr jeden Schilling vor, den sie ausgibt.
Die Charaktere in dieser Geschichte sind sehr unterschiedlich. Veza Canetti beschreibt die Menschen sehr genau und in einer Art, daß alles sehr glaubwürdig erscheint. Es ist gut vorstellbar, daß diese Menschen tatsächlich gelebt und in der Gelben Straße gewohnt haben.
Die schwerbehinderte Frau Runkel, die von vielen Menschen aufgrund ihrer Behinderung mit Ekel be-
trachtet wird. Einige Leute fürchten sie aber auch, da sie zwei Geschäfte besitzt und dadurch einige Ange- stellte von ihr abh ngig sind. Abhängig von einer Frau, die von ihren Dienern im Kinderwagen umher- gefahren wird.
Die Runkel entläßt Lina, da einige anonyme Beschwerden laut werden. Lina ist darüber sehr traurig und fühlt sich ungerecht behandelt, wo sie doch immer zu Allen nett und höflich war.
Die Runkel ist über ihr Leben nicht glücklich, sie muß als Kr ppel auf der Welt ihr Dasein fristen. Alle
Menschen haben nur wegen ihres Vermögen Respekt vor ihr. Hätte sie dieses Vermögen nicht, hätte sie
auch keine Hilfe von Anderen zu erwarten. Als sie eines Tages eine solche Verzweiflung ber ihr Leben überfällt und sie ihrer Dienerin verwirrende Anweisungen gibt, wird diese beim Überqueren der Stra e getötet. Runkel selbst erleidet Armbrüche, ein unschuldiges Mädchen verliert anstatt ihr das Leben. Runkel stirbt später unter einem zusammengefallenen Stapel in ihrer Wäscherei. Niemand war zu dieser Zeit bei ihr, der ihr hätte helfen können. Sie hatte alle mit Arbeiten beauftragt und weggeschickt.
Sehr gut gefällt mir vor allem die Geschichte der kleinen Hedi. Sie hilft ihrer Freundin Helli, damit diese zu ihrer Mutter fahren kann. Als das Verschwinden des M dchens bemerkt wird, nehmen alle sofort etwas Schreckliches an. Einige vermuten einen Mord, andere eine Entführung. Jeder glaubt zu wissen, was mit dem kleinen Mädchen geschehen ist. Alle wollen helfen und sammeln. Die Menschen sind betroffen und zeigen Trauer. Als Herr Iger auf der Wohltätigkeitsveranstaltung das Geheimnis um Helli aufklärt, sind alle böse auf ihn. Niemand ist froh, daß Helli wohlauf und bei ihrer Mutter ist, sondern alle sind böse dar- über, daß sich alles in Wohlgefallen aufgelöst hat. Die Leute wollen ihre Spenden zurück und bestürmen Herrn Iger .
So gibt es jeden Tag in der gelben Straße immer wieder eine Neuigkeit, die es lohnt, weiterzuerzählen . . .
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