Gustav
Holst (1874 - 1934)
Der Erfolg eines Einzelwerks kann sich
für seinen Komponisten durchaus verhängnisvoll auswirken; nämlich dann, wenn
dieses Werk fortan als sein »Markenzeichen« gilt und das Publikum von ihm
nichts anderes mehr erwartet, als im Sinne dieses Markenzeichens
weiterzuarbeiten. Gelingt ihm dies nicht
oder will er es nicht, wird er als klassisches »onehit-wonder« in die
Musikgeschichte eingehen. Der englische
Komponist Gustav Holst stand der enormen Popularität seiner Orchestersuite »The
Planets« von Anfang an mit gemischten Gefühlen gegenüber. Da er sich als Künstler stets
weiterentwickelte, diente ihm die impressionistisch-opulente Tonsprache dieser
Komposition lediglich als Durchgangsstadium. Seine späteren, harmonisch kühneren und sparsamer konzipierten Werke
wurden jedoch von der Öffentlichkeit stets an der Eingängigkeit der »Planeten«
gemessen und folgerichtig als »intellektuell« und »modernistisch«
abgelehnt. Auf dem Festland kennt man
ohnehin nur dies eine Werk, das zwar wenig aufgeführt wird, aber für die
Tonträgerindustrie immer wieder ein dankbares Objekt zur Demonstration ihrer jeweils
neuesten Aufnahme- und Wiedergabetechniken darstellt. Aber auch in seiner Heimat erfolgte eine
systematische Wiederentdeckung von Holsts Werk erst in den letzten 20 Jahren.
The Planets op. 32
»In der Regel studiere ich nur
Gegenstände, die mich musikalisch anregen«, bekannte Gustav Holst. Zu Beginn des Jahrhunderts hatte er sich aus
diesem Grund der Mühe unterzogen, Sanskrit zu lernen. Seine Vertonungen von Texten aus dem
»Rigweda« beruhen auf eigenen Übersetzungen. Während eines Spanienurlaubs im Jahr 1913 gelang es dem Schriftsteller
Clifford Bax, Holst für die Astrologie zu interessieren. In der Folge beschäftigte sich Holst intensiv
mit diesem Gebiet und erstellte bald selbst Horoskope für seine Freunde. Gleichzeitig keimte in ihm der Plan eines
großen »astrologischen« Orchesterwerks, in dem der Charakter eines jeden
Planeten musikalisch wiedergegeben werden sollte. Im Sommer 1914 begann er mit der Komposition
einer siebensätzigen Orchestersuite mit dem Titel »The Planets«. Da ihm seine pädagogische Tätigkeit an der
St. Paul's Girls' School in Hammersmith nur wenig Freiraum ließ, konnte er die
Arbeit erst zwei Jahre später abschließen. Die erste private Aufführung der »Planeten« fand im September 1918 unter
der Leitung von Adrian Bouit statt. Holst charakterisierte seine »Planeten« als eine »Folge von
Stimmungsbildern«, in der er lediglich die charakterlichen Konnotationen der
Planeten, nicht aber ihre sämtlichen astrologischen Querverbindungen in Musik
setzen wollte. Der von Holst den einzelnen
Planeten zugedachte Charakter erschließt sich aus den Überschriften: »Mars, der
Kriegsbringer«, »Venus, die Friedensbringerin«, »Merkur, der geflügelte Bote«,
»Jupiter, der Bringer der Fröhlichkeit«, »Saturn, der Bringer des Alters«,
»Uranus, der Magier« und »Neptun, der Mystiker«. Ein Porträt der Erde unterließ Holst
höflichkeitshalber; Pluto war damals noch nicht entdeckt.
Es mag heute überraschen, daß die
»Planeten« zu ihrer Entstehungszeit in England als unglaublich modernes,
radikales Werk galten. Doch war Holst
der erste englische Komponist, der es wagte, Einflüsse der damaligen Avantgarde
- Strawinsky und Schönberg - in sein Werk zu übernehmen. So finden sich Elemente der eruptiven
Rhythmik von Strawinskys »Sacre du printemps« im »Mars«, und in den
changierenden Akkordfolgen des »Saturn« und »Neptun« kann man Schönbergs
Klangfarbenspiele der »Fünf Orchesterstücke« wiedererkennen. Im übrigen präsentieren sich die »Planeten«
als eine letzte Synthese spätromantisch-impressionistischer Orchesterkunst; der
riesige Klangkörper umfaßt auch eine Orgel und seltene Instrumente wie die
Baßoboe. Elemente der französischen
Impressionisten finden sich allenthalben; im Mittelteil des »Jupiter« bekennt
sich Holst zu seinen englischen Wurzeln und erweist Elgar seine Reverenz.
Böte die Musik der »Planeten« lediglich
eine Zusammenfassung all dieser Einflüsse, brauchte man dem Werk keinen allzu
hohen Stellenwert einzuräumen. Holst
bedient sich jedoch auch individueller und völlig neuartiger Mittel, mit denen
es ihm gelingt, eine geradezu hypnotische Wirkung zu erzielen. Dazu zählen die konstanten Wiederholungen
unregelmäßiger Rhythmen, z. B. der 5/4-Takt im »Mars«. Als einzigartiges Beispiel eines
»Über-Impressionismus« hat vor allem »Neptun« zu gelten. Frei schwebende Akkordketten und ostinate
Harfen- und Celesta-Glissandi unter Verzicht auf jedwede melodische Kontur
vermitteln den Eindruck übersinnlicher Entrücktheit. Am Ende werden die beiden wechselnden Akkorde
des textiosen Frauenchors ad infinitum wiederholt, bis sie nicht mehr zu hören
sind: die Musik entschwebt im Raum. Ein
solches »Fade-out«Finale ist erst im elektronischen Zeitalter wieder
aufgegriffen worden. Bei einer derart
bildhaften Musik wundert es nicht, daß sie Generationen von Filmmusikkomponisten
als lnspirationsquelle diente - sehr zum Leidwesen Holsts, der sich den
Mißbrauch seines Werks als Background Klangkulisse erfolglos verbeten hatte.