Der Aralsee
Mit der Ausdehnung des Zarenreiches nach Mittelasien im 19. Jahrhundert ergab
sich in Russland die Chance die Abhängigkeit der Textilindustrie von den
amerikanischen Baumwollinporten zu lockern. Die Wüsten in Kasachstan,
Usbekistan und Turkmenistan bieten nämlich ideale Bedingungen für den Anbau des
so gefragten Rohstoffes Baumwolle: Lange, sonnige, heißtrockene Sommer und viel
Wasser, das die Flüsse Syr-Darja und Armu-Darja die durch dieses Gebiet fließen
und in den Aralsee münden, in scheinbar unerschöpflichen Massen liefern können.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden besonders unter sowjetischer Herrschaft
diese bewässerten Baumwollfelder auf über 8 Millionen ha ausgeweitet. 1854 - 84
wurde die längste Wasserstraße der Welt, der 1500 km lange Kara- Kum-Kanal
gebaut. Er zieht sich vom Aralseezufluß Amu-Darja bis zum Kaspischen Meer.
Neben der Versorgung der Großstädte und Industrien mit Wasser des Amu-Darja,
bewässert er über 500000 ha Wüste bzw. Baumwollfelder. Das 'weiße
Gold', Wie die Baumwolle auch genannt wird, lies Mittelasien zum
alleinigen Produzenten von Baumwolle im Sowjetreich aufsteigen.
Ein gewisses Absinken des Seespiegels des Aralsees, durch die Wasserentnahme
von seinen Zuflüssen, war von den Planern aus wirtschaftlichen Gründen in Kauf
genommen worden. Doch der Syr-Darja versickert seit 1976 bereits in der Wüste
bei Nowokasilinsk ca. 160 km vom Aralsee entfernt.Der Amu-Darja bringt heute
weniger als 10% seiner früheren Wassermengen, d.h. 2,5 km³ statt 25 km³
(ungefähr). Allein 15 km³ verliert der südliche Aralzufluß an den
Kara-Kum-Kanal. Durch den schlechten Bau der Verteiler des Wassers an die
Baumwollfelder in oberirdischen, nichtbetonierten Kanälen gehen nahezu 50% des
kostbaren Wassers nutzlos verloren. Die Chemisierung der Baumwollfelder
verseucht das Grund- und Oberflächenwasser. Dieses vielfach belastete Wasser
wird in den Aralsee durch seine Zuflüsse gebracht. Der Aralsee hat keinen
Abfluß, deshalb verbleiben chemische Rück- stände in ihm. Doch trotz dieses
katastrophalen Zustandes nutzt die Bevölkerung weiterhin dieses Wasser (wegen
der enormen Wasserknappheit in den Wüsten; 'Jeder Tropfen Wasser
zählt')zur Trinwasserversorgung.
Der langsame Tod des Aralsees spielt sich vor unseren Augen ab. Seit 1960 sinkt
der Seespiegel des bis dahin viertgrößten Binnensees der Welt beständig. Die
Seefläche verringerte sich bis bis heute um 36000 km². Diese Fläche entspricht
ungefähr der von Baden-Würtemberg. In den letzten 25 Jahren ist der Seespiegel
des Aralsees um 16 m gesunken; in weiteren 25 Jahren wird er vermutlich völlig
ausgetrocknet sein. Doch die Katastrophe beschränkt sich nicht nur auf den
bloßen Verlust des Sees, nein die Folgen des ständig andaurenden, hohen
Wasserverlustes sind noch viel ausgeweiteter:
Wo einst Fischkutter zum Fang ausfuhren und reger Hafenbetrieb herrschte,
trotten heute Kamele und Kühe durch den Wüstensand. Unter ihren Füßen knirschen
Salzkristalle wie bei einer Schneedecke. Der frühere Fischreichtum des einstigen
'Blauen Meeres' ist zur Legende geworden, der See und seine Uferzonen
sind biologisch so gut wie tot, und die Bevölkerung führt einen fast
aussichtslosen Kanpf gegen die Folgen der Umwelt- zerstörung.
Durch die Verkleinerung des Seekörpers verringert sich der Schutz Zentral- und
Mittel- asiens vor den kalten Nordostwinden aus Sibirien immer mehr; die
Temperaturen steigen, die Luftfeuchtigkeit nimmt ab und durch die zunehmende
Kontentalität (kalte Winter, heiße Sommer, große tägliche und jährliche Temperaturschwankungen)
hat sich die frostfreie Zeit im Amu-Darja-Delta bereits von 200 auf 170 Tage
reduziert: Die Wüsten Kara Kum ('schwarzer Sand') und Kysyl Kum
('roter Sand') haben eine rasch wachsensde Schwester, die 'Ak Kum'
('weiße Wüste'), wie die Katastrophenzone rund um den See genannt
wird, bekommen. über den trockenengelegten Seeboden fegen Stürme und verwehen
jährlich über 100 Mio t eines aus Pestiziden, Entlaubungsmitteln und anderen
Chemikalien bestehenden Sand-Salz-Gemisches bis zum Pamirgebirge; in der
Umgebung des Sees schlägt sich jährlich über eine Tonne dieses Gemisches pro
Hektar nieder und schädigt zusammen mit dem verseuchten Grundwasser den Böden
und den auf den Feldern arbeitenden Menschen. Mit am stärksten betroffen sind
die 1,4 Mio Bewohner rund um den Aralsee. Ihre Lebens grunlage, v.a. der
Fischfang, sind vernichtet, ihre Gesundheit ruiniert. Die Zuwanderer, sesshaft
gemachte Nomaden, zihen wieder ab, die russ. Bevölkerung bleibt krank am
Aralsee zurück. Am häufigsten sind Erkrankungen der Atmungsorgane und
Infektionskrankheiten. Ins Schreckenskabinett der ärzte gehören Harn- und
Nierensteine: Der größte wiegt 60g und sieht aus wie eine mittelgroße
Kartoffel. Doch Gift und Salz im Trinkwasser haben nicht nur Nierensteine zur
Folge. Bei 80% der Frauen wurde Anämie (Blutarmut) festgestellt, Magen- und
Darmkrebs sind bei den Einheimischen 3- bis 4-mal, Nierenkrebs 10-mal und
Hepatitis 7- bis 10-mal häufiger als sonst in der GUS. Die Kindersterblichkeit
liegt bei 15%, die Missbildungen bei Neugeborenen nehmen zu, und die
Lebenserwartung insgesamt ist um mindestens 10 Jahre gesunken
Gibt es wirklich keine Rettung mehr???
Die Aussage der Wissenschaftler ist
eindeutig: Eine Wiederherstellung des Zustandes von 1960 ist unmöglich. Bereechnungen
zeigen, daß dem Aralsee jährlich 27 km³ (der 20ste Teil des Bodensees)
zugeführt werden müßten, um die Seespiegelfläche von heute zu erhalten. Riesige
Geldmengen sind dazu nötig, die die Betroffenen Staaten nicht von alleine
aufbringen können. Ist die Rettung des Aralsees nur noch von außen möglich? Wo
bleiben die Aufschreie der Naturschützer oder von Greenpeace?
Zerstören wir die Lebensräume unserer Nachkommen aus rein ökonomischen
Interessen?